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Elternteilzeit – Berechnung von Beendigungsansprüchen

MARTINATHOMASBERGER (WIEN)
§ 2 Nr 2 und 4 der Rahmenvereinbarung zur RL 96/34/EG
EuGH 27.2.2014 C-588/12Lyreco Belgium NV/Rogiers

Das Unionsrecht steht Bestimmungen entgegen, nach denen eine Entschädigung für den Fall der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses während des Verbrauchs eines Elternurlaubs oder eines Teilzeit-Elternurlaubs nur auf der Basis des Teilzeitentgelts zu berechnen ist.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

[...]

16 Frau Rogiers arbeitete seit dem 3.1.2005 mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag als Vollzeitbeschäftigte bei Lyreco.

17 Dieser Arbeitsvertrag ruhte während des Mutterschaftsurlaubs von Frau Rogiers vom 9.1.2009 bis zum 26.4.2009.

18 Ab dem 27.4.2009 sollte Frau Rogiers ihre Arbeit auf Teilzeitbasis im Rahmen eines Elternurlaubs wieder aufnehmen, der ihr für vier Monate gewährt worden war.

19 Mit Einschreiben vom 27.4.2009 beendete Lyreco das Arbeitsverhältnis von Frau Rogiers unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von fünf Monaten zum 1.5.2009. Der Vorlageentscheidung zufolge endete der Arbeitsvertrag am 31.8.2009.

20 Frau Rogiers klagte gegen ihre Entlassung bei der Arbeidsrechtbank te Antwerpen (Arbeitsgericht Antwerpen) und bestritt die von Lyreco angeführten Entlassungsgründe. Lyreco hatte im Wesentlichen geltend gemacht, dass es ihr mangels Arbeit nicht möglich sei, Frau Rogiers weiterzubeschäftigen, und dass diese die Stellen abgelehnt habe, die ihr nach der Streichung ihrer Stelle als „Recruitment Manager“, die sie vor ihrem Elternurlaub innegehabt habe, angeboten worden seien.

21 Mit Urteil vom 21.9.2011 verurteilte dieses Gericht Lyreco zur Zahlung der in Art 101 des Sanierungsgesetzes vorgesehenen pauschalen Schutzentschädigung in Höhe von sechs Monatsgehältern, weil sie den Arbeitsvertrag mit Frau Rogiers ohne schwerwiegenden oder ausreichenden Grund während des Elternurlaubs einseitig beendet habe. Diesem Urteil zufolge war die Entschädigung auf der Grundlage des Gehalts zu berechnen, das Frau Rogiers zum Zeitpunkt ihrer Entlassung, dh am 27.4.2009, gezahlt wurde, also des Gehalts, das ihrer wegen des Teilzeit-559Elternurlaubs ausgeübten Halbzeitbeschäftigung entsprach.

22 Am 14.12.2011 legte Lyreco beim Arbeidshof te Antwerpen (Arbeitsgerichtshof Antwerpen) Rechtsmittel gegen dieses Urteil ein. Frau Rogiers legte bei diesem Gericht ein Anschlussrechtsmittel ein, mit dem sie beantragte, die pauschale Schutzentschädigung, zu deren Zahlung Lyreco verurteilt worden war, auf der Grundlage des Gehalts für die Arbeitsleistungen auf Vollzeitbasis zu berechnen.

23 Mit Urteil vom 10.12.2012 bestätigte der Arbeidshof te Antwerpen, dass Frau Rogiers ohne schwerwiegenden oder ausreichenden Grund während ihres Elternurlaubs entlassen worden sei und daher Anspruch auf eine pauschale Schutzentschädigung in Höhe von sechs Monatsgehältern habe.

24 Er schloss sich darüber hinaus der ihm vorgelegten Stellungnahme der Staatsanwaltschaft an, die ua das System der Berechnung der Frau Rogiers zustehenden Entschädigung, wie es im Urteil vom 21.9.2011 angewandt worden war, als „absurd“ qualifiziert hatte, da die pauschale Schutzentschädigung nach der Logik dieses Urteils bei einem Vollzeit-Elternurlaub, der eine Verkürzung der Arbeitsleistungen um 100 % bedeute, auf der Grundlage eines Gehalts von null zu berechnen wäre, was keinen Sinn ergebe. In Anbetracht dessen ist der Arbeidshof te Antwerpen der Ansicht, dass die Ausführungen im Urteil Meerts zur Entlassungsabfindung nach Art 39 des Gesetzes von 1978 nicht unbedingt auf die pauschale Schutzentschädigung übertragen werden könnten, um die es in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit gehe.

25 Unter diesen Umständen hat der Arbeidshof te Antwerpen beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Stehen die §§ 1 und 2 Nr 4 der Rahmenvereinbarung dem entgegen, dass die pauschale Schutzentschädigung, die dem AN zu zahlen ist, der mit seinem AG durch einen unbefristeten Vollzeitarbeitsvertrag verbunden war und dessen Arbeitsvertrag durch diesen AG ohne schwerwiegenden oder ausreichenden Grund während einer Zeit der verkürzten Leistungen wegen der Inanspruchnahme eines 20 %- bzw 50 %-igen Elternurlaubs einseitig beendet wird, anhand des während dieses Verkürzungszeitraums geschuldeten Gehalts berechnet wird, wohingegen derselbe AN eine Schutzentschädigung in Höhe des Vollzeitgehalts beanspruchen könnte, wenn er seine Leistungen um 100 % verkürzt hätte? [...]

Zur Vorlagefrage

27 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der vom vorlegenden Gericht in seiner Frage erwähnte § 1 Nr 2 der Rahmenvereinbarung lediglich deren Anwendungsbereich definiert, indem er bestimmt, dass die Rahmenvereinbarung für alle AN, Männer und Frauen, gilt, die nach den Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten in dem jeweiligen Mitgliedstaat über einen Arbeitsvertrag verfügen oder in einem Arbeitsverhältnis stehen.

28 Es steht fest, dass dies bei einer Person in der Lage von Frau Rogiers im Ausgangsrechtsstreit der Fall war, so dass sie vom Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung erfasst wird.

29 Daher ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage Aufschluss darüber gewinnen möchte, ob § 2 Nr 4 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen ist, dass er nicht zulässt, dass die pauschale Schutzentschädigung, die einem unbefristet und auf Vollzeitbasis angestellten AN, der Elternurlaub auf Teilzeitbasis genommen hat, bei einer einseitigen Beendigung seines Vertrags durch den AG ohne schwerwiegenden oder ausreichenden Grund zusteht, auf der Grundlage des gekürzten Gehalts berechnet wird, das dieser AN zum Zeitpunkt seiner Entlassung bezog.

30 Wie sich sowohl aus dem ersten Absatz der Präambel als auch aus den Nrn 4 und 5 der Allgemeinen Erwägungen der Rahmenvereinbarung sowie deren § 1 Nr 1 ergibt, stellt diese Rahmenvereinbarung ein Engagement der Sozialpartner dar, im Wege von Mindestvorschriften Maßnahmen zu schaffen, die es Männern und Frauen ermöglichen, ihren beruflichen und familiären Verpflichtungen gleichermaßen nachzukommen (vgl in diesem Sinne Urteile Meerts, Rn 35, vom 16.9.2010, Chatzi, C-149/10, Slg 2010, I-8489, Rn 56, sowie vom 20.6.2013, Riežniece, C-7/12, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn 31).

31 Aus Nr 6 der Allgemeinen Erwägungen dieser Rahmenvereinbarung geht ferner hervor, dass die Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben die Einführung neuer und flexibler Arten der Arbeitsorganisation und der Zeiteinteilung in den Mitgliedstaaten fördern sollten, die den sich ändernden Bedürfnissen der Gesellschaft unter Berücksichtigung der Bedürfnisse sowohl der Unternehmen als auch der AN besser angepasst sind (Urteil Meerts, Rn 36).

32 Die Rahmenvereinbarung ist damit an den sozialen Grundrechten ausgerichtet, die in der die Gleichbehandlung von Männern und Frauen betreffenden Nr 16 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der AN, auf die in der Rahmenvereinbarung, insb in Nr 4 der Allgemeinen Erwägungen, verwiesen wird und die auch in Art 151 Abs 1 AEUV erwähnt werden, festgeschrieben sind und im Zusammenhang mit der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie dem Vorhandensein eines angemessenen sozialen Schutzes der AN stehen, hier derjenigen, die Elternurlaub beantragt oder genommen haben (vgl in diesem Sinne Urteile Meerts, Rn 37, vom 22.4.2010, Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols, C-486/08, Slg 2010, I-3527, Rn 52, und Chatzi, Rn 36).

33 Im Hinblick darauf ermöglicht es die Rahmenvereinbarung nach § 2 Nr 1 Personen, die gerade Eltern geworden sind, ihre Berufstätigkeit zu unterbrechen, um sich ihren familiären Verpflichtungen zu widmen, und gewährleistet ihnen in § 2 Nr 5 grundsätzlich die Rückkehr an ihren Arbeitsplatz im Anschluss an diesen Elternurlaub (vgl Urteile Chatzi, Rn 57, und Riežniece, Rn 32).

34 Um sicherzustellen, dass die AN dieses in der Rahmenvereinbarung vorgesehene Recht auf Elternurlaub tatsächlich wahrnehmen können, gibt § 2 Nr 4 der Rahmenvereinbarung den Mitgliedstaaten und/oder Sozialpartnern auf, gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenhei560ten die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der AN gegen Entlassungen zu treffen, die auf einem Antrag auf Elternurlaub oder auf der Inanspruchnahme des Elternurlaubs beruhen.

35 Diese Bestimmung bezweckt daher nach ihrem Wortlaut, die AN gegen Entlassungen zu schützen, die auf einem Antrag auf Elternurlaub oder auf der Inanspruchnahme des Elternurlaubs beruhen (vgl Urteile Meerts, Rn 33, und Riežniece, Rn 34).

36 In Anbetracht des in den Rn 30 und 31 des vorliegenden Urteils angeführten Ziels der Rahmenvereinbarung, nämlich Männern und Frauen zu ermöglichen, ihren beruflichen und familiären Verpflichtungen gleichermaßen nachzukommen, ist § 2 Nr 4 der Rahmenvereinbarung als Ausdruck eines sozialen Grundrechts der Union zu verstehen, dem besondere Bedeutung zukommt, und darf deshalb nicht restriktiv ausgelegt werden (vgl in diesem Sinne Urteile Meerts, Rn 42 und die dort angeführte Rsp, sowie Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols, Rn 54).

37 Eine nationale Regelung, die für den Fall, dass – wie im Ausgangsverfahren – ein AG den Vertrag eines unbefristet und in Vollzeit angestellten AN ohne schwerwiegenden oder ausreichenden Grund einseitig beendet, obwohl sich dieser im Elternurlaub befindet, diesem AN zusätzlich zur Entschädigung wegen Vertragsbruchs eine pauschale Schutzentschädigung in Höhe von sechs Monatsgehältern gewährt, kann unter die „erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer gegen Entlassungen, die auf einem Antrag auf Elternurlaub oder auf der Inanspruchnahme des Elternurlaubs beruhen“, iS von § 2 Nr 4 der Rahmenvereinbarung fallen.

38 Einer solchen Schutzmaßnahme würde jedoch ein großer Teil ihrer praktischen Wirksamkeit genommen, wenn die pauschale Schutzentschädigung, die ein AN, der – wie Frau Rogiers im Ausgangsverfahren – unbefristet und in Vollzeit angestellt ist, beanspruchen kann, wenn er während eines Elternurlaubs auf Teilzeitbasis rechtswidrig entlassen wird, nicht auf der Grundlage seines arbeitsvertraglichen Vollzeitgehalts, sondern auf der seines während des Teilzeit- Elternurlaubs gekürzten Gehalts berechnet würde. Denn bei einer solchen Methode zur Berechnung dieser pauschalen Entschädigung ist zu erwarten, dass sie keine hinreichend abschreckende Wirkung hat, um die Entlassung von AN zu verhindern, die sich in einem Elternurlaub auf Teilzeitbasis befinden (vgl in diesem Sinne Urteil Meerts, Rn 46 und 47).

39 Ein solches Ergebnis würde unter Verstoß gegen eines der mit der Rahmenvereinbarung verfolgten Ziele, das in Rn 32 des vorliegenden Urteils angeführt ist und in der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes der AN besteht, dazu führen, dass die Unsicherheit der Beschäftigungsverhältnisse von AN, die sich für einen Elternurlaub auf Teilzeitbasis entschieden haben, erhöht und damit die mit § 2 Nr 4 der Rahmenvereinbarung eingeführte Schutzregelung teilweise ausgehöhlt wird, und so einen Grundsatz des Sozialrechts der Union, dem besondere Bedeutung zukommt, ernstlich beeinträchtigen.

40 Darüber hinaus könnte eine solche Methode zur Berechnung der pauschalen Entschädigung, da sie bestimmte AN davon abhalten könnte, Elternurlaub zu nehmen, auch dem Ziel der Rahmenvereinbarung insoweit entgegenwirken, als diese, wie in Rn 30 des vorliegenden Urteils ausgeführt, zu einer besseren Vereinbarkeit von Familienleben und Berufsleben führen soll (vgl in diesem Sinne Urteil Meerts, Rn 47).

41 Da schließlich eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche den AN gem § 2 Nr 3 Buchst a der Rahmenvereinbarung die Möglichkeit einräumt, zwischen einem Elternurlaub auf Vollzeitbasis und einem solchen auf Teilzeitbasis zu wählen, und zum Schutz der AN gegen eine rechtswidrige Entlassung während eines solchen Urlaubs eine Sanktionsregelung in Form einer besonderen Entschädigung vorsieht, dürfen AN, die sich entschieden haben, Elternurlaub auf Teilzeitbasis statt auf Vollzeitbasis zu nehmen, nicht benachteiligt werden, soll nicht das mit der Rahmenvereinbarung verfolgte Ziel der Flexibilität, wie es in Rn 31 des vorliegenden Urteils angeführt ist, beeinträchtigt werden.

42 Im Übrigen wird diese Auslegung der Rahmenvereinbarung, wie die belgische Regierung und die Europäische Kommission ausgeführt haben, durch § 2 Nr 6 der Rahmenvereinbarung bestätigt, wonach die Rechte, die der AN zu Beginn des Elternurlaubs erworben hatte oder dabei war zu erwerben, bis zum Ende des Elternurlaubs bestehen bleiben.

43 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut dieses Paragrafen als auch aus dem Kontext, in den er sich einfügt, dass der Zweck dieser Bestimmung darin besteht, zu verhindern, dass aus dem Arbeitsverhältnis abgeleitete Rechte, die der AN erworben hat oder dabei ist zu erwerben und über die er zum Zeitpunkt des Antritts eines Elternurlaubs verfügt, verloren gehen oder verkürzt werden, und zu gewährleisten, dass sich der AN im Anschluss an den Elternurlaub im Hinblick auf diese Rechte in derselben Situation befindet wie vor diesem Urlaub (vgl Urteile Meerts, Rn 39, und Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols, Rn 51).

44 Aus den in den Rn 30 bis 32 des vorliegenden Urteils angeführten Zielen der Rahmenvereinbarung ergibt sich, dass die Wendung „Rechte, die der Arbeitnehmer ... erworben hatte oder dabei war zu erwerben“ iS von § 2 Nr 6 der Rahmenvereinbarung alle unmittelbar oder mittelbar aus dem Arbeitsverhältnis abgeleiteten Rechte und Vorteile hinsichtlich Bar- oder Sachleistungen erfasst, auf die der AN bei Antritt des Elternurlaubs einen Anspruch gegenüber dem AG hat (vgl Urteile Meerts, Rn 43, und Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols, Rn 53.

45 Zu diesen Rechten und Vorteilen gehören diejenigen, die mit den Beschäftigungsbedingungen zusammenhängen, wie der Anspruch eines mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag auf Vollzeitbasis angestellten AN, der Elternurlaub genommen hat, auf eine pauschale Schutzentschädigung, wenn der AG diesen Vertrag ohne schwerwiegenden oder ausreichenden Grund einseitig beendet. Denn diese Entschädigung, deren Höhe sich nach dem arbeitsvertraglichen Gehalt richtet und die diesen AN gegen eine Entlassung schützen soll, die auf einem Antrag auf Elternurlaub oder auf der Inanspruchnahme des Elternurlaubs beruht, wird dem AN aufgrund der Stelle gezahlt, die er innegehabt hatte und weiter innegehabt hätte, wäre er nicht rechtswidrig entlassen worden (vgl entsprechend561 Urteile vom 27.6.1990, Kowalska, C-33/89, Slg 1990, I-2591, Rn 10 und 11, vom 9.2.1999, Seymour-Smith und Perez, C-167/97, Slg 1999, I-623, Rn 23 bis 28, und Meerts, Rn 44).

46 So steht im Ausgangsverfahren fest, dass ein AN wie Frau Rogiers, der für seinen AG im Rahmen eines Arbeitsvertrags über einen bestimmten Zeitraum gearbeitet hat und nach den Vorschriften des nationalen Rechts Anrecht auf Elternurlaub hat, sich mit Beginn des Elternurlaubs auf seinen Anspruch auf die pauschale Schutzentschädigung gem Art 101 des Sanierungsgesetzes berufen kann. Dass der betroffene AN diesen Anspruch nur dann tatsächlich geltend machen kann, wenn sein AG ihn später während des Elternurlaubs rechtswidrig entlässt, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang.

47 Ist, wie im Ausgangsverfahren, ein mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag auf Vollzeitbasis angestellter AN während seines Elternurlaubs auf Teilzeitbasis rechtswidrig entlassen worden, entspricht eine pauschale Schutzentschädigung wie die im belgischen Recht vorgesehene folglich nur dann den Anforderungen der Rahmenvereinbarung, wenn sie auf der Grundlage des Gehalts für die Vollzeitarbeitsleistungen dieses AN berechnet wird.

48 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass § 2 Nr 4 der Rahmenvereinbarung im Anhang der RL 96/34 im Licht der mit dieser Rahmenvereinbarung verfolgten Ziele und der Nr 6 dieses Paragrafen dahin auszulegen ist, dass er nicht zulässt, dass die pauschale Schutzentschädigung, die einem unbefristet und auf Vollzeitbasis angestellten AN, der Elternurlaub auf Teilzeitbasis genommen hat, bei einer einseitigen Beendigung seines Vertrags durch den AG ohne schwerwiegenden oder ausreichenden Grund zusteht, auf der Grundlage des gekürzten Gehalts berechnet wird, das dieser AN zum Zeitpunkt seiner Entlassung bezog.

[...]

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

§ 2 Nr 4 der am 14.12.1995 geschlossenen Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub im Anhang der RL 96/34/EG des Rates vom 3.6.1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub in der durch die RL 97/75/EG des Rates vom 15.12.1997 geänderten Fassung ist im Licht der mit dieser Rahmenvereinbarung verfolgten Ziele und der Nr 6 dieses Paragrafen dahin auszulegen, dass er nicht zulässt, dass die pauschale Schutzentschädigung, die einem unbefristet und auf Vollzeitbasis angestellten AN, der Elternurlaub auf Teilzeitbasis genommen hat, bei einer einseitigen Beendigung seines Vertrags durch den AG ohne schwerwiegenden oder ausreichenden Grund zusteht, auf der Grundlage des gekürzten Gehalts berechnet wird, das dieser AN zum Zeitpunkt seiner Entlassung bezog.

Anmerkung
1.
Vorbemerkung

Seit ihrer Einführung wird über die prozeduralen und arbeitsrechtlichen Bedingungen der Elternteilzeit diskutiert. Der Gesetzgeber hat versucht, mit Verfahrensregeln eine angemessen schnelle und zugleich auf einen funktionierenden Interessenausgleich ausgelegte Regelung zu schaffen, um AN und AG einen Weg zu einer arbeitsrechtlichen Lösung zu ermöglichen, die nach einer Babypause den Wiedereinstieg auf den vorherigen Arbeitsplatz unter Berücksichtigung jener Anforderungen ermöglicht, die die Betreuung von kleinen Kindern stellt. Das auf Schlichtung ausgelegte Verfahren über den Antritt einer Elternteilzeit kann nicht alle auftretenden Konflikte zwischen AG und AN anlässlich des Antrags auf eine Elternteilzeit-Regelung auffangen. Kommt es zu arbeitsrechtlichen Konflikten, die zur Auflösung des Arbeitsvertrages führen, stellt sich die Frage nach der richtigen und vor allem diskriminierungsfreien Bemessung der arbeitsrechtlichen Forderungen von AN. Das hier vorliegende Urteil bietet eine Lösung an.

2.
Ausgangsverfahren, Sachverhalt

Die dem EuGH vorgelegten Fragen richteten sich auf die Auslegung der Rahmenvereinbarung zur RL 96/34/EG in Verhältnis zu belgischem Recht, das in Umsetzung von § 2 Nr 2 und 4 vorsieht, dass Elternurlaub (parental leave) wahlweise in Form einer Karenzierung oder als Teilzeit für eine bestimmte an die Mutterschutzfrist (maternity leave) anschließende Periode unter Schutz vor ungerechtfertigten Kündigungen konsumiert werden kann; als ungerechtfertigte Gründe sind vor allem solche anzusehen, die in einem Zusammenhang mit dem Elternurlaub bzw der Arbeitszeitverkürzung stehen (Rz 9 bis 11). Der Sachverhalt im vorliegenden Verfahren ähnelt vielen, die auch bei uns im Zusammenhang mit der Rückkehr aus der Karenz bzw dem Wiedereinstieg in Elternteilzeit immer wieder vorkommen. AN, die im Vertrauen auf ihren Arbeitsvertrag und oft auch auf vorangegangene Abmachungen an ihren früheren Arbeitsplatz zurückkehren wollen, wird ein geringwertiger Arbeitsplatz angeboten, mit dem Hinweis, dass es die frühere Tätigkeit nach Organisationsänderungen nicht mehr gebe oder dass eine zuverlässige Ersatzkraft eingestellt worden sei, auf die man nicht mehr verzichten wolle oder dass die vorherige arbeitsvertragliche Beschäftigung nicht in Teilzeit erledigt werden könne. In Fällen der Elternteilzeit wird zwar oft dem Vorschlag des/der AN stattgegeben, danach aber mit betrieblichen Erfordernissen argumentiert, um eine wesentliche Änderung des Arbeitsortes oder der sonstigen Arbeitsbedingungen herbeizuführen. Da die AN anlässlich der Rückkehr auf ihren Arbeitsplatz zumeist bereits organisatorische und finanzielle Vorkehrungen für die Betreuung ihrer Kinder getroffen haben, kann dies schwerwiegende Auswirkungen auf die gesamten Lebensumstände haben. Solche arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen enden weit häufiger in einvernehmlichen Auflösungen als in arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen. In Fällen, in denen AG den Weg über eine gerichtliche Zustimmung zu Kündigungen wählen, haben die AN das Recht, die Kündigung mit allen arbeitsrechtlichen Folgen gegen sich wirken zu lassen. In jedem Fall ist es wichtig, die arbeitsrechtlichen Ansprüche genau zu kalkulieren, um weitere Verluste der AN zu minimieren.562

Der EuGH nahm vor dem Hintergrund des belgischen Rechts, das in Fällen der ungerechtfertigten Auflösung von Arbeitsverträgen eine „pauschale Schutzentschädigung“ vorsieht, Stellung zur Frage, auf welcher Basis diese Abfindung zu berechnen sei.

3.
pro rata temporis?

Anlass des Ausgangsverfahrens war die Klage der gekündigten AN auf eine höhere „Schutzentschädigung“, die auf der Grundlage des unbefristet abgeschlossenen Vollzeitvertrages und nicht auf Grundlage des reduzierten Teilzeit-Entgelts berechnet werden sollte. Auf den ersten Blick widerspricht das dem Grundsatz pro rata temporis. Der EuGH kommt allerdings zu einem anderen Ergebnis. Die Rahmenvereinbarung zur RL 96/34/EG beruht auf einer Einigung der europäischen Sozialpartner und ist ausdrücklich an den Bestimmungen der Charta der sozialen Grundrechte der AN und ihrer primärrechtlichen Verankerung in Art 151 AEUV ausgerichtet. (Die RL 96/34/EG ist mit 8.3.2010 außer Kraft getreten. An ihre Stelle trat eine neue Rahmenvereinbarung der europäischen Sozialpartner mit einer Umsetzungsfrist bis 2012. Gegenüber der alten RL wird darin das Prinzip des sozialen Schutzes von AN in Elternurlaub noch stärker gewahrt.) Der Grundsatz des angemessenen sozialen Schutzes umfasst ausdrücklich auch AN, die Elternurlaub in Vollzeit oder in Teilzeit in Anspruch nehmen. § 2 Nr 1 der Rahmenvereinbarung sieht ausdrücklich das Recht auf Rückkehr an den Arbeitsplatz nach einem Elternurlaub oder einem Teilzeit-Elternurlaub vor, § 2 Nr 4 enthält eine Schutzbestimmung gegen Beendigungen von Arbeitsverträgen, „die auf einen Antrag auf Elternurlaub oder auf der Inanspruchnahme des Elternurlaubs beruhen“. Da die RL in § 2 Z 3 lit a vorsieht, dass der ganze oder doch wenigstens ein Teil des Elternurlaubs als Teilzeit-Elternurlaub verbraucht werden können muss, sind diese klarerweise auch von den Schutzbestimmungen umfasst. Der EuGH wiederholt den Schluss, dass der Schutz von AN in (Teilzeit-) Elternurlaub Ausdruck eines sozialen Grundrechts der Union ist, dem besondere Bedeutung zukommt und das daher nicht restriktiv ausgelegt werden darf (Rz 36 mit Verweis auf die Urteile EuGH 22.10.2009, C-116/08, Meerts, Slg 2009, I-10063, und EuGH 22.4.2010, C-486/08, Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirol, Slg 2010, I-03527). Eine soziale Schutzmaßnahme wie die belgische Schutzentschädigung würde ihre praktische Wirksamkeit verlieren, wenn sie nicht auf der Basis des der Elternteilzeit zugrunde liegenden (in diesem Fall unbefristeten) Vollzeit- Arbeitsvertrages berechnet würde. Der Grundsatz pro rata temporis, der immer unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit zu sehen ist, tritt gegenüber der Wahrung der sozialen Grundrechte von AN zurück.

Ein weiterer Aspekt für die E des EuGH ist die abschreckende Wirkung, die eine Schutzmaßnahme haben soll: AG werden durch die Bemessung arbeitsrechtlicher Ansprüche auf Vollzeitbasis eher von Verletzungen des Schutzprinzips abgehalten.

Für die österreichische Rechtspraxis ist nach diesem EuGH-Urteil jedenfalls klargestellt, dass sich aus dem Grundsatz des Schutzes sozialer Rechte und aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergibt, dass arbeitsrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverträgen während einer Elternteilzeit auf der Basis der Stundenanzahl zu bemessen sind, die AN vor ihrem Antritt gebührt haben.