Blaschke/Rätz (Hrsg) Teil der Lösung – Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommen

Rotpunktverlag, Zürich 2013, 200 Seiten, € 18,40

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)

In der Sozialpolitik harren gewaltige Probleme einer Lösung. Die gerade noch so dicht geknüpften sozialen Netze verlieren rapide an Schutzwirkungen. Im Hintergrund wirkt eine mächtige Entwicklungsdynamik, die nach einem grundlegenden „Paradigmenwechsel“ verlangt, insb nach einem Abgehen von der Erwerbszentriertheit der Systeme der Sozialen Sicherheit und einer Reflexion, über das sich abzeichnende Ende der Arbeitsgesellschaft. Ein grundsätzlich anderes Design des sozialpolitischen Gefüges steht auf der Tagesordnung. Die Frage nach „großen Alternativen“ hat daher Hochkonjunktur. Als eine der radikalsten Ideen gilt dabei das Konzept des „bedingungslosen Grundeinkommens“, für das der hier rezensierte schmale, ambitionierte und gut lesbare Sammelband mit hohem Engagement plädiert. Darunter versteht man – in unzähligen Varianten – Modelle der sozialen Absicherung, bei denen eine differenzierte Prüfung der Leistungsvoraussetzungen, wie sie bei Sozialversicherungs- und Versorgungsleistungen üblich ist, entfällt und keine konkrete Bedürftigkeitsprüfung stattfindet. Die Leistung wird insofern „bedingungslos“ gewährt, als die Prüfung des sonstigen Einkommens entfällt und vor allem keine Bereitschaft zur Erbringung von Arbeitsleistungen vorhanden sein muss.

Der Sammelband umfasst auf ca 200 Seiten 13 thematisch breit gestreute Beiträge. Das alleine setzt einer vertieften und detailreichen Auseinandersetzung enge Grenzen. Es überwiegt aber ohnedies das Grundsätzliche: Die Frage nach dem Menschenbild, nach dem Verhältnis der Menschenrechte zu einer „bedingungslosen“ sozialen Garantie oder nach einer neuen Rolle der Arbeit in der Gesellschaft. Gemeinsam ist allen Beiträgen die unbeirrt feste Absicht, die Idee des Grundeinkommens offensiv zu propagieren, leider zu Lasten der Darstellung konkreter Gestaltungsvarianten und einer gehaltvollen Auseinandersetzung mit der – was nicht weiter überrascht – massiven Kritik an dem Konzept. Zwar wird gegen das fast zugleich erschienene Buch von Flassbeck/Spiecker/Meinhardt/Vespe („Irrweg Grundeinkommen“) auf einem eher bescheidenen Niveau polemisiert, gerade aber die „linke“ Kritik am bedingungslosen Grundeinkommen wird geflissentlich ausgespart. Das erstaunt, weil hier jener Adressatenkreis zu finden ist, den man eigentlich für das Projekt gewinnen will.

Eines zeigt der Band jedenfalls eindrucksvoll: Dass das bedingungslose Grundeinkommen nach seinen eigenen Ansprüchen weit mehr sein will als nur eine sozialpolitische Reform. Es geht buchstäblich „um fast alles“: um eine neue Stellung der Arbeit, um mehr Freiheiten für jene, die auf den Arbeitsmärkten zunehmend weniger Selbstgestaltungsmöglichkeiten vorfinden, um eine Aufwertung von Tätigkeiten, die heute nicht bezahlt werden, (damit) auch (so der bemerkenswert kühne Beitrag von Appel/Gubitzer/Wohlgenannt)619 um einen positiven Beitrag zur Frauenfrage (was nicht alle Feministinnen so sehen werden). Faszinierend und gleichzeitig höchst heikel ist aber die Verpartnerung der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens mit einer anderen großen Utopie der Gegenwart, die nicht zufällig im grün-alternativen Lager besonders anschlussfähig ist: mit dem Projekt einer „Postwachstumsgesellschaft“ bzw „Postwachstumsökonomie“, der Forderung nach „Degrowth“, „Decroissance“, „Entschleunigung“ oder (einfach) „Weniger“, dem ultimativen „Ausstieg“. Das bedingungslose Grundeinkommen soll helfen, Wachstumszwänge zu mindern oder zu neutralisieren. Die bemerkenswerte Aktualität dieser Debatten zeigt sich am Beispiel der Themen der Hamburger Utopiewochen 2014 und der 4. Internationalen Degrowth-Tagung in Leipzig im September 2014. Beide Veranstaltungen verbinden die Wachstumsfrage eng mit der Frage des Grundeinkommens.

Einer der fast einhellig anerkannten „harten Kerne“ der Auseinandersetzung um das bedingungslose Grundeinkommen ist das zugrundeliegende „Menschenbild“. Hier stehen einander (mE auf einem wissenschaftlich wenig entwickelten Niveau) unvermittelt Optimisten und Pessimisten gegenüber. Überflüssig zu sagen, dass sich in diesem Band ausschließlich die Optimisten zu Wort melden. Eine praktisch nützliche Diskussion über das Grundeinkommen wird sich aber darauf einlassen müssen, auf der Basis empirischer Befunde zu prüfen, ob das Konzept nicht daran scheitern wird, dass das anthropologische „Mängelwesen“ Mensch wegen fehlender Anreize nicht dazu bereit sein wird, freiwillig jene Arbeit zu leisten, die gesellschaftlich benötigt und/oder als sinnvoll angesehen wird. Es wird auch hier chronisch verharmlost, dass die Einführung eines derart revolutionären Sozialmodells eine gänzlich neue Sichtweise der Arbeit und der Legitimation von Einkommen erfordert, damit aber ein Ausmaß an Solidarität erforderlich wäre, das in „Überflussgesellschaften“ bisher nicht bekannt ist. Den Autorinnen ist bewusst, dass trotz einer vom reinen Finanzvolumen her „grundsätzlichen“ Finanzierbarkeit das Sozial- und Arbeitssystem und damit die Verteilungsverhältnisse umfassend neu geordnet werden müssen. Die Inflexibilität, auf die auch kleinere Änderungen der Einkommensverhältnisse stoßen und die auch maßvollste soziale Reformen zB des Pensionssystems äußert schwierig machen, sind leidvoll bekannt. Das Hindernis sind dabei eben gerade nicht die „Reichen“, sondern das breite soziale Spektrum zwischen „Mittelstand“ und eher schlecht verdienenden Bauarbeitern, Kassierinnen, Busfahrern und Pflegepersonal. Im Bewusstsein der Massen ist die Verknüpfung von Arbeit und Leistung tief verwurzelt, und es wirkt fast zynisch, wenn angesichts dieser Denkmuster von einer Überwindung des „Marktmenschen“ gesprochen wird. Derartige Moralisierungen sind keine Lösung.

Es sei nun kurz noch auf die verdeckten theoretischen Grundlagen der vorliegenden Plädoyers für ein bedingungsloses Grundeinkommen eingegangen. Diese müssen vom Leser allerdings erst mühsam freigelegt werden. Ich versuche ein plakatives Resümee: Zum einen handelt es sich um einen zutiefst individualistisch-liberalen Ansatz. Es geht explizit um mehr Freiheit in Bezug auf die Arbeit, um die Beseitigung des bestehenden ökonomischen „Arbeitszwanges“. Damit werden aber auch jene gesellschaftlichen Projekte, die eine demokratische Zukunftsgestaltung anstreben, aufgegeben. Das verdeutlicht die akzentuiert postmoderne Komponente im bedingungslosen Grundeinkommen. Des Weiteren wird der „homo oeconomicus“ (der „Marktmensch“) unbekümmert zum Feindbild erklärt. Darin offenbart sich ein romantisches, auch gegen kollektiv-rationale Formen der politischen Gestaltung gerichtetes Gesellschaftsbild. Gerade ein rational denkender „homo oeconomicus“ würde die Natur nicht zerstören, er würde das Wachstum qualitativ und nachhaltig gestalten und die Technikentwicklung kontrollieren und demokratisieren. Andererseits entfesselt gerade eine nicht ökonomische Denkweise das Tier im Menschen, seine kurzfristigen Begierden, seine genetischen, biochemischen und psychodynamischen Schwachstellen, auf die der heutige Kapitalismus so erfolgreich setzen kann. Ökonomie kann auch eine rationale Ökonomie der „commons“ und der öffentlichen Planungen sein. Es geht heute gerade nicht um die Entfesselung individueller Handlungsmuster, wozu das bedingungslose Grundeinkommen mE einen weiteren starken Impuls liefern würde, sondern um die Entfaltung kollektiver Rationalität. Gute Ökonomie ist heue kollektivistisch und nicht liberal. Insofern ist der Individualisierungsschub im Bereich des Produktionsfaktors Arbeit, den ein bedingungsloses Grundeinkommen auslösen würde, entgegen den bestehenden Absichten zutiefst kontraproduktiv gegenüber einer Ökologisierung und einer menschengerechten Technikentwicklung.

Es zeigt sich im Ergebnis: Individualismus und Sozialromantik sowie ein unerschütterlicher Glaube an das Gute im Menschen sind die wesentlichen theoretischen Prämissen, auf denen das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens aufbaut. Es erweist sich also theoretisch als legitimes Kind eines verdeckten, links-alternativ und sozial kaschierten Neoliberalismus. Dieser Verdacht wurde ja auch schon mehrfach formuliert. Die Idee des Grundeinkommens besteht maßgeblich aus einer Erweiterung der individuellen Selbstbestimmung. Dass sich daraus eine „Tätigkeitsgesellschaft“ entwickelt, ist nur eine brüchige Hoffnung. Eine solche Sichtweise fußt auf den gleichen illusionären Wurzeln wie die bürgerliche Vorstellung von den per se positiven Wirkungen des freien Marktes. Man kann es drehen und wenden wie man will: Der Glaube an eine aus anthropologischer Sicht längst widerlegte „invisible hand“ ist eine der wesentlichen theoretischen Annahmen im Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens. So gesehen ist das Paradoxon doch nicht ganz so unerklärlich, dass neben linken und christlichsozialen Befürwortern auch Hardcore-Neoliberale und intelligente Unternehmer wie Götz Werner zu dessen Befürwortern gehören.

Eine weitere Schwäche des Buches sollte nicht verschwiegen werden: Von welchem konkreten Modell des Grundeinkommens die Rede ist, bleibt dem Leser verborgen. Nagelprobe für die Bewertung und Grundlage für eine präzise Auseinandersetzung wären aber die Einzelheiten des angestrebten Modells. Dabei geht es nicht nur um die Höhe des Grundeinkommens, sondern vor allem darum, welche Umverteilungsprozesse zu erwarten sind, ob das alte Sozialsystem gänzlich oder nur teilweise abgeschafft wird, welche Übergangsfristen dafür vorgesehen werden, wie eine Implementierung unter dem bestehenden Kompetenz- und Grundrechtsregime der EU erfolgen kann, ob der Preis für die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens die weitgehende Abschaffung arbeitsrechtlicher Regulierungen ist, so wie es sich die ultraliberalen Freunde des Modells dies vorstellen, usw. Wer nicht auf einer solchen Konkretisierungsebene diskutieren will, setzt sich dem Vorwurf aus, dass er den geschützten Sektor sozialethisch hochachtbarer, aber folgenloser Glasperlenspiele nicht verlassen will. Ich halte es auch für ein Versäumnis, wenn nicht in einer ersten Phase versucht wird, Elemente eines bedingungslosen Grundein620kommens vorerst in Teilbereichen einzuführen (zB für Künstler und Studierende), um dort Erfahrungen für etwaige gezielte Erweiterungen zu sammeln.

Zusammenfassend vermittelt das Buch interessante Einblicke in die Denkweisen von Befürwortern des Grundeinkommens und, eher ungewollt, viel Stoff, das Konzept kritisch zu hinterfragen. Insofern kann man es durchaus als „Teil der Lösung“ sehen, so wie es der Titel verspricht.