Löschnigg (Hrsg) Staatliche Eingriffe in das System der Mindestentgelte im internationalen Vergleich
Verlag des ÖGB, Wien 2013, 310 Seiten, broschiert, € 36,–
Löschnigg (Hrsg) Staatliche Eingriffe in das System der Mindestentgelte im internationalen Vergleich
Das vorliegende Buch umfasst ua die schriftliche Fassung der Vorträge, die im Rahmen des, an der Karl-Franzens-Universität Graz veranstalteten, VI. Internationalen Arbeitsrechtlichen Dialoges zum Thema „Staatliche Eingriffe in das System der Mindestentgelte – im internationalen Vergleich“ gehalten wurden. Das Thema Mindestlohn ist momentan europaweit in aller Munde, am aktuellsten jedoch in Deutschland, wo ab 1.1.2015 ein gesetzlicher Mindestlohn von € 8,50 eingeführt werden soll. In der Schweiz stimmte kürzlich die Bevölkerung gegen einen gesetzlichen Mindestlohn.
Der Sammelband beinhaltet in 16 Beiträgen (in deutscher und englischer Sprache) Länderberichte über die unterschiedlichen Facetten staatlicher Einflussnahme auf die Lohnfindung und Festsetzung von Mindestentgelten. Es finden sich Berichte über Österreich (
, Ingrid Kuster, Günther Löschnigg/Nora Melzer-Azodanloo), Portugal (Antonio Monteiro Fernandes), Griechenland (Nikolaos Gavalas), Frankreich (Otto Kaufmann), die Slowakei (Viktor Križan), Spanien (Jesús Martínez-Girón/Alberto Arufe-Varela), Italien (Luca Nogler), Dänemark (Line Olsen-Ring), Deutschland (Gerhard Ring), Polen (Dagmara Skupień), die Tschechische Republik (Martin Štefko) und Kroatien (Ivana Grgurev/Ivana Vukorepa). Über die Grenzen der EU hinaus wurde auch in die Schweiz (Thomas Geiser) und die Türkei (Alpay Hekimler) geschaut. Von den vorliegenden Staaten haben alle außer Österreich, Italien, Dänemark, der Schweiz und (momentan noch) Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn. Wie der OECD Employment Outlook 2012 gezeigt hat, sind die Zahlen der Gewerkschaftsmitglieder im letzten Jahrzehnt dramatisch zurückgegangen und auch die Abdeckungsrate der Kollektivverträge ist gesunken. Der Ruf nach einem gesetzlichen Mindestlohn als Mindeststandard, wie aktuell in Deutschland, ist daher nachvollziehbar. Auch in Österreich werden immer wieder Stimmen laut, die einen gesetzlichen Mindestlohn fordern. Doch vor allem aufgrund der unkalkulierbaren politischen Gegebenheiten werden Bedenken hinsichtlich staatlicher Mindestlohnfestsetzungen geäußert. Zudem besteht die Gefahr, dass die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns eine Schwächung der Gewerkschaften bei den Lohnverhandlungen verursacht. MindestlohngegnerInnen führen zudem immer wieder negative ökonomische Effekte, wie die Steigerung der Arbeitslosigkeit, ins Treffen.Der Thematik des Mindestlohns in Österreich widmen sich Löschnigg/Melzer-Azodanloo aus Sicht der AN, Anzenberger und Kuster aus Sicht der AG. Sie gehen in ihren Beiträgen jeweils auf die SozialpartnerInnenschaft und ihre Rolle in Österreich ein und stellen weiters die vorhandenen Instrumente behördlicher Entgeltfestsetzung, wie Satzung, Mindestlohntarif, Lehrlingsentschädigung, Heimarbeitstarif sowie deren Verfassungsmäßigkeit dar. Kuster spricht sich gegen einen gesetzlichen Mindestlohn aus. Als zentrale Aufgabe des Staates Österreich sieht sie die Schaffung von Rahmenbedingungen, damit „Arbeit sich jedenfalls lohnt“. Sie fordert, dass die Lohnnebenkosten moderat gehalten werden, die Bedarfsorientierte Mindestsicherung in einem angemessenen Abstand zum Arbeitslohn gehalten wird und die Arbeitsbereitschaft von arbeitslosen Personen gefördert wird. Weiters sieht sie die Bildung der Bevölkerung als besonders bedeutsam an.
Anzenberger geht zudem auf die Problematik im Zusammenhang mit prekären Arbeitsverhältnissen ein, weil diese vom Sicherheitsnetz der Mindestlöhne nicht erfasst sind und resümiert schließlich, dass es zwar beim österreichischen System der Lohnfestsetzung durch die SozialpartnerInnen bleiben soll, jedoch eine Ausweitung auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse stattfinden muss. Weil die Gefahr der Flucht aus dem Arbeitsrecht in atypische Arbeitsverhältnisse im Zunehmen begriffen ist, kann ihm hier mE nur zugestimmt werden. Das Problem der prekären Beschäftigungsverhältnisse ist auch in anderen Ländern Thema. So gilt der gesetzliche Mindestlohn SMIC (salaire minimum interprofessionel de croissance = steigender berufsübergreifender Mindestlohn) in Frankreich nur für Beschäftigungsverhältnisse (Kaufmann 118). Auch in Italien wählen die Unternehmen häufig flexible, atypische Beschäftigungsformen, um das Verhältnis zwischen Lohn- und Kapitalkosten zu minimieren (Nogler 194).
Natürlich hatte auch die Wirtschaftskrise seit 2008 teilweise gravierende Auswirkungen auf die nationalen Mindestlöhne. In Griechenland ist die Situation der AN besonders angespannt. Gavalas beschreibt in seinem Beitrag die Rechtslage in Griechenland vor und nach der Wirtschaftskrise. Er kritisiert vor allem die massiven Eingriffe der Troika in die Löhne, den AN-Schutz und die Kollektivverträge. Er zeichnet generell ein Bild der EU, in der soziale Bedürfnisse nunmehr wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten unterworfen werden. Auch Štefko kritisiert, dass in der Tschechischen Republik seit 2007 der Mindestlohn nicht mehr erhöht wurde und daraus eine massive Armutsgefährdung der Bevölkerung resultiert. Kaufmann (Frankreich) bezweifelt positive Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf die Armut.622 Er sieht die Ursachen weniger in zu niedrigem Lohn als in Nichtbeschäftigung, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung. Aufgrund der Höhe des SMIC sieht er weiters negative Auswirkungen auf die Beschäftigung junger, beruflich unerfahrener Menschen.
Die Frage, ob ein gesetzlicher Mindestlohn der Weisheit letzter Schluss ist, kann auch das vorliegende Werk nicht abschließend beantworten, es lässt aber den/die LeserIn nicht ratlos zurück. So zeigt es unter Hinweis auf die jeweiligen nationalen Begebenheiten Vor- und Nachteile auf und gibt einen aufschlussreichen Einblick in die Lösungswege der einzelnen Staaten. Vor allem die Festsetzung des jeweils geltenden Mindestlohns, die Rolle der SozialpartnerInnen und die ökonomische Komponente des Mindestlohns werden näher beleuchtet. Die einzelnen Beiträge sind kompakt und gut lesbar und somit sowohl für WissenschafterInnen als auch für PraktikerInnen eine interessante Lektüre. Für diejenigen, die sich Anregungen für die aktuelle Diskussion oder auch einfach nur einen Überblick verschaffen wollen, ist dieser Erfahrungsbericht aus den Ländern besonders empfehlenswert. Wünschenswert wäre allenfalls noch ein zusammenführender analytischer Vergleich der verschiedenen Systeme gewesen.