49Überlassung von Arbeitskräften im Rahmen eines „beruflichen Wiedereingliederungsprogramms“
Überlassung von Arbeitskräften im Rahmen eines „beruflichen Wiedereingliederungsprogramms“
Die Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 4 Z 1 AÜG erfordert spezifische, dh auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtete und auf deren Bedürfnisse abgestimmte berufliche Programme, die deren Ausbildung, Eingliederung oder Umschulung dienen.
Ein Eingliederungsprogramm liegt dann vor, wenn es nach seiner Konzeption funktional auf die Förderung der Beschäftigung des Arbeitssuchenden und nicht auf eine Bedarfsdeckung beim Überlasser ausgerichtet ist.
Nicht ausreichend ist es, wenn dem Beschäftiger lediglich eine kostengünstige Arbeitskraft verschafft werden soll, die er sonst nicht finanzieren könnte; ebenso wenig reicht es für die Anwendung des § 1 Abs 4 Z 1 AÜG aus, dass mit der Beschäftigung die Möglichkeit einer späteren Übernahme durch den Beschäftiger verbunden ist.
Der Kl schloss mit dem bekl Verein für den Zeitraum Oktober 2007 bis September 2010 einen Dienstvertrag, der in der Folge bis Dezember 2013 verlängert wurde. [...] Der Kl erklärte sich mit der Überlassung an Dritte ausdrücklich einverstanden. Er wurde ab seinem ersten Arbeitstag dem Unabhängigen Bundesasylsenat und in der Folge dem Asylgerichtshof mit Dienstort Linz überlassen. [...]
Mit seiner Klage begehrte der Kl zuletzt 17.601,95 € brutto sA an Gehaltsdifferenzen [...]. Ihm gebühre gem § 10 Abs 1 S 3 AÜG ein angemessenes Gehalt, das auf das im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren AN für vergleichbare Tätigkeiten zu zahlende kollektivvertraglich oder gesetzlich festgelegte Entgelt Bedacht nehme. [...]
Die Bekl stellte das Klagebegehren der Höhe nach [...] außer Streit, bestritt es aber dem Grunde nach. [...] Der Verein sei gemeinnützig und nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet. Er unterliege gem § 1 Abs 2 Z 6 AÜG aF bzw § 1 Abs 4 Z 1 AÜG nF nicht den §§ 10 ff AÜG. [...]
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte zusammengefasst Folgendes fest: [...]
Der Kl wurde als einer von 33 Mitarbeitern über den bekl Verein aufgenommen und an den Unabhängigen Bundesasylsenat bzw in der Folge an den Asylgerichtshof überlassen. Grund für die Überlassung war ein Rückstand von 30.000 anhängigen Asylverfahren. Der Unabhängige Bundesasylsenat wurde von 33 auf 55 Senatsmitglieder aufgestockt, jedem Senatsmitglied sollte ein juristischer Mitarbeiter zur Seite gestellt werden. Da aber nur 22 Planstellen für juristische Mitarbeiter vorgesehen waren und weitere Planstellen vom Finanzministerium nicht genehmigt wurden, arbeitete das Innenministerium einen Rahmenvertrag aus, um weitere Mitarbeiter über das auf der Homepage der Bekl beworbene Projekt „BMI JuristInnen“ beschäftigen zu können. Die anfallenden Lohnkosten sollten zu einem Drittel vom Land NÖ und zu zwei Drittel vom Innenministerium gefördert werden. Später wanderte die Personalhoheit vom Bund an den Unabhängigen Bundesasylsenat, der dann auch direkter Finanzgeber war.
Die Bekl ist ein zur Gänze aus öffentlichen Mitteln geförderter Landesverein zur Schaffung vorübergehender Beschäftigungsmöglichkeiten, insb mit dem Ziel, Arbeitssuchende in den Arbeitsmarkt zu integrieren. [...]576
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, mit § 1 Abs 4 Z 1 AÜG sollte die ursprünglich weitere und unkonkrete Ausnahmebestimmung materiell in etwa bestehen bleiben, jedoch konkret definiert werden. [...] Gerade für Fälle, in denen der Staat aus Kostengründen nicht die Möglichkeit habe, bestimmte Planposten zu bezahlen, solle die Ausnahmebestimmung gelten, da es immer noch besser sei, dass der Staat die Möglichkeit habe, Arbeitsplätze billiger zu schaffen als gar keine. [...] Die Chance, dass mehr Arbeitssuchende eine Arbeitsstelle fänden, stehe über dem Schutzinteresse von Leih-AN, sodass eine einschränkende Auslegung der Ausnahmebestimmung nicht geboten sei. [...]
Das Berufungsgericht gab der dagegen gerichteten Berufung des Kl hinsichtlich der Entgeltdifferenz für den Zeitraum Mai 2011 bis März 2012 statt [...]. Beim Projekt „BMI-JuristInnen“ handle es sich nicht um ein spezifisches berufliches Eingliederungsprogramm iSd Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 4 Z 1 AÜG. [...]
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Revisionsgegenständlich ist die Frage, ob die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 4 Z 1 AÜG in der am 1.5.2011 in Kraft getretenen Fassung des BGBl I 24/2011 die Anwendung der Entgeltbestimmung des § 10 AÜG auf den Kl ausschließt. [...]
§ 1 Abs 4 Z 1 AÜG lautet:
„Ausgenommen vom Geltungsbereich der §§ 10 bis 16a dieses Bundesgesetzes ist weiters
die Überlassung von Arbeitskräften im Rahmen eines öffentlichen oder von öffentlichen Stellen geförderten spezifischen beruflichen Ausbildungs-, Eingliederungs- und Umschulungsprogramms und
...“
Historisch gesehen ersetzte die Bestimmung die Vorgängerregelung des § 1 Abs 2 Z 6 AÜG aF, der eine – nicht auf die Überlassung von öffentlich geförderten Ausbildungs-, Eingliederungs- und Umschulungsprogrammen beschränkte – Ausnahme für „die Überlassung von Arbeitskräften im Rahmen sozialer Dienste öffentlicher oder öffentlich geförderter Einrichtungen“ enthalten hatte. [...]
§ 1 Abs 4 Z 1 AÜG entspricht mit seiner Diktion der gem Art 1 Abs 3 der RL 2008/104/EG über Leiharbeit zulässigen Ausnahme für solche Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse, die „im Rahmen eines spezifischen öffentlichen oder von öffentlichen Stellen geförderten beruflichen Ausbildungs-, Eingliederungs- und Umschulungsprogramms geschlossen werden“. [...]
Entgegen den Revisionsausführungen kann nicht zweifelhaft sein, dass der nationale Gesetzgeber bei Schaffung des § 1 Abs 4 Z 1 AÜG bewusst von einem nunmehr engeren Wortlaut ausging, halten doch die Erläuterungen dazu fest, dass die neue Regelung die bisher im § 1 Abs 2 Z 6 AÜG vorgesehene weiter gehende Ausnahme ersetzen sollte (RV 1076 BlgNR 24. GP 11; idS auch Schindler, Die neue EU-Leiharbeits-RL – der Umsetzungsbedarf in Österreich, DRdA 2009, 176).
Zugleich wurde die in § 1 Abs 3 AÜG aF enthaltene Einschränkung des Abschnitts III (§§ 10 bis 14) des AÜG auf die konzessionspflichtige Überlassung von Arbeitskräften (§ 94 Z 72 GewO 1974) beseitigt. Anders als nach früherer Rechtslage unterliegen daher nun auch gemeinnützige Arbeitskräfteüberlasser dem AÜG, wenn nicht die Ausnahme des § 1 Abs 4 Z 1 AÜG nF zum Tragen kommt (Schindler in ZellKomm2 § 1 AÜG Rz 23).
Maßgeblich für die Anwendung der Ausnahmebestimmung bleibt damit die Bedeutung eines öffentlichen oder von öffentlichen Stellen geförderten „spezifischen beruflichen Ausbildungs-, Eingliederungs- und Umschulungsprogramms“, wobei für den vorliegenden Fall ein gefördertes „spezifisches berufliches Eingliederungsprogramm“ in Frage kommt.
Schindler (in ZellKomm2 § 1 AÜG Rz 22) vertritt dazu, dass es sich um spezifische, also auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtete und auf deren besondere Bedürfnisse abgestimmte Programme zu deren Ausbildung, Eingliederung oder Umschulung handeln müsse. Die Eingliederung unterscheide sich von der Vermittlung vor allem dadurch, dass es sich um besonders schwer vermittelbare Arbeitskräfte handle, für die über die bloße Information über offene Stellen hinausgehende Betreuungsmaßnahmen (sozialarbeiterische oder -pädagogische Betreuung udgl) notwendig seien und vorgenommen würden. Entsprechend diesen Einschränkungen werde es in der Regel um Maßnahmen oder Förderungen des AMS gehen. Zu denken sei insb an die Überlassung von Arbeitskräften im Rahmen spezifischer Programme von Arbeitsstiftungen oder durch gemeinnützige Arbeitskräfteüberlassung zur Wiedereingliederung (§ 9 Abs 7 AlVG).
Auch der erkennende Senat ist der Ansicht, dass ein „spezifisches berufliches Eingliederungsprogramm“ höhere Voraussetzungen zu erfüllen hat als das reine Angebot eines – gegebenenfalls auch gemeinnützigen – Leiharbeitsunternehmens, für einen bestimmten Beschäftiger Arbeitssuchende mit dem Ziel der Vermittlung und Überlassung anzustellen und dafür die notwendigen Kontakte und Informationen bereitzustellen. [...] Im Hinblick auf ein Eingliederungsprogramm legt der Begriff „Programm“ ein Verständnis dahin nahe, dass eine berufsorientierte planvolle Konzeption von Strategien und Maßnahmen zur Erreichung eines bestimmten größeren und deshalb zu planenden Zieles vorliegen muss. Dieses Ziel liegt hier in der „Eingliederung“ (in der englischen Sprachfassung der Richtlinien: „integration“) eines Arbeitssuchenden in eine Beschäftigung, von der er bisher ausgeschlossen war. Schon nach der Wortinterpretation hat es daher darauf anzukommen, dass ein öffentliches oder öffentlich gefördertes spezifisches Eingliederungsprogramm intentional und funktional auf die Beschäftigung des Arbeitssuchenden, nicht aber auf eine Bedarfsdeckung beim Überlasser ausgerichtet ist. Anders als bei einer bloß vermittelnden Überlassungstätigkeit bedarf es dazu nicht nur jener Informationen über einen Arbeitssuchenden, wie sie jede Arbeitsvermittlung erfordert, sondern auch der Kenntnis integrationsspezifischer Ursachenzusammenhänge und allenfalls auch zielorientierter Förder- und Begleitmaßnahmen.
Dieses auf die Person des Arbeitssuchenden bezogene Verständnis eines Eingliederungsprogramms wird auch durch die bereits in Art 1 Abs 3 der RL enthaltene Gleichsetzung mit Ausbildungs- und Umschulungsprogrammen nahegelegt [...].577
Überdies ist nicht zu übersehen, dass öffentliche oder öffentlich geförderte Ausbildungs-, Eingliederungs- oder Umschulungsprogramme in der Regel gerade deshalb bestehen, weil die Eingliederung einer zum Adressatenkreis dieser Programme zählenden Person von vornherein mit schwierigeren Ausgangsbedingungen verbunden ist als die Überlassung einer unmittelbar in den Arbeitsmarkt integrierbaren Arbeitskraft. Nur dieser Umstand rechtfertigt aber eine Sistierung des Gleichbehandlungsgebots.
Aus einem auf die Beschäftigung des Arbeitssuchenden ausgerichteten Verständnis eines Eingliederungsprogramms ist zugleich abzuleiten, dass es nicht darauf ankommen kann, dem Beschäftiger lediglich eine kostengünstige Arbeitskraft zu verschaffen, die er sonst nicht finanzieren könnte. Ebenso wenig kann ausschlaggebend sein, dass eine Beschäftigung die Möglichkeit einer späteren Übernahme des AN in ein fixes Arbeitsverhältnis mit dem Beschäftiger bietet. Denn beide Kriterien sind für die Überlassung vieler Leiharbeitskräfte typisch und resultieren meist alleine aus der Nachfrage des Überlassers (vgl Geppert, Das Phänomen Arbeitskräfteüberlassung, Entstehung, Entwicklung und Probleme, DRdA 2011, 507, 510 ff), ohne dass ihnen ein auf Arbeitssuchende ausgerichtetes spezifisches Förderprogramm zugrunde gelegt werden müsste.
Zusammenfassend ist der OGH daher der Ansicht, dass die Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 4 Z 1 AÜG spezifische, dh auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtete und auf deren Bedürfnisse abgestimmte berufliche Programme erfordert, die deren Ausbildung, Eingliederung oder Umschulung dienen. Ein Eingliederungsprogramm liegt dabei dann vor, wenn es nach seiner Konzeption funktional auf die Förderung der Beschäftigung des Arbeitssuchenden ausgerichtet ist. [...]
Ausgehend davon kann der Bekl zwar zugestanden werden, dass sie im Rahmen ihres Vereinszwecks auch Programme iSd § 1 Abs 4 Z 1 AÜG anbietet. Darauf kommt es jedoch nicht an, weil auf das konkret zur Anwendung gelangende Förderprogramm abzustellen ist. Das Projekt „BMI JuristInnen“ kann jedenfalls nicht dazu gezählt werden:
Ungeachtet dessen, dass der Kl aufgrund seiner Ausbildung und seiner bisherigen Berufslaufbahn (Jus-Studium, Tätigkeit als Rechtsanwalt mit Wunsch nach beruflicher Veränderung) keines spezifischen beruflichen Eingliederungsprogramms bedurfte, steht fest, dass er als einer von 33 Mitarbeitern deshalb von der Bekl angestellt und dem Unabhängigen Bundesasylsenat und in der Folge dem Asylgerichtshof überlassen wurde, weil ein Rückstand von fast 30.000 anhängigen Asylverfahren bestand, für dessen Abbau keine weiteren Planstellen vom Finanzministerium genehmigt wurden. In Entsprechung dieses Bedarfs wurden in Gemeinschaft mit dem Innenministerium auch Anzahl und Ort der zu besetzenden Stellen festgelegt. Besondere Betreuungs-, Unterstützungs- oder Fördermaßnahmen für die von diesem Projekt erfassten JuristInnen zu ihrer Integration in eine Tätigkeit beim Unabhängigen Bundesasylsenat, die über eine bloße Vermittlungstätigkeit hinausgingen, gehen aus den Feststellungen nicht hervor. [...] Vielmehr verrichtete der Kl von Beginn seines Beschäftigungsverhältnisses an als juristischer Mitarbeiter ohne weitere Integrations-, Schulungsoder sonstige Begleitmaßnahmen der Bekl die gleichen Tätigkeiten wie die bei den Asylbehörden als juristische Mitarbeiter beschäftigten Beamten und Vertragsbediensteten. Seine Tätigkeit war (nach Verlängerung) mit dem Zeitpunkt der Einführung des Bundesverwaltungsgerichts zum 1.1.2014 befristet. Dass für den Kl die Möglichkeit bestand, danach in die Bundesverwaltungsgerichtsbarkeit übernommen zu werden, geht hier nicht über den oben angesprochenen Nebeneffekt der Übernahme eines bereits bewährten Leih-AN durch den Beschäftiger hinaus. Eine Betreuung für den Fall seiner Nichtübernahme in den Bundesdienst, die über die bloße Vermittlung einer anderen Arbeitsstelle hinausginge, steht nicht fest. Danach hat das Berufungsgericht die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 4 Z 1 AÜG aber zu Recht verneint.
[...] Da sich die Revision der Bekl damit insgesamt als nicht berechtigt erweist, ist ihr keine Folge zu geben. [...]
Die Vorgaben der Leiharbeits-RL (RL 2008/104/ EG) und deren Umsetzung im österreichischen AÜG haben den OGH in den vergangenen Monaten schon mehrfach beschäftigt (neben der hier besprochenen E vgl auch 9 ObA 33/13pDRdA 2014/14[Schrattbauer] sowie 8 ObA 18/14aZAS-Judikatur 2014/59). In der vorliegenden E stand der durch das Lohn- und Sozialdumping- BekämpfungsG (LSDB-G, BGBl I 2011/24) neu gefasste Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 4 Z 1 AÜG im Mittelpunkt. Dieser sieht vor, dass die zentralen §§ 10-16a AÜG (und damit ua auch die finanziellen Gleichstellungsansprüche im Überlassungsfall) nicht zur Anwendung kommen, wenn die Überlassung im Rahmen eines öffentlichen oder von öffentlichen Stellen geförderten spezifischen beruflichen Ausbildungs-, Eingliederungs- und Umschulungsprogramms erfolgt. Mit erfreulicher Deutlichkeit hat der OGH gegen eine extensive Interpretation dieses Ausnahmetatbestandes Stellung bezogen.
Der Kl hatte ursprünglich auch Gehaltsdifferenzen für die Zeit vor dem 1.5.2011 eingeklagt. Die auf diese Ansprüche anwendbare Fassung des § 1 AÜG sah in Abs 2 Z 6 eine sehr unscharf formulierte Ausnahme für Überlassungen „im Rahmen sozialer Dienste öffentlicher oder öffentlich geförderter Einrichtungen“ vor. Was konkret mit einer Überlassung „im Rahmen sozialer Dienste“ gemeint sein soll, ging aus dieser Textierung nicht mit der wünschenswerten Klarheit hervor. Den Materialien zufolge sollte jede uneigennützige Hilfestellung für sozial Bedürftige oder gesellschaftlich Benachteiligte unter diese Ausnahmebestimmung fallen, wobei ausdrücklich auch Umwelt- und Kulturinitiativen, die eine soziale Funktion erfüllen, genannt578 waren. In erster Linie sei jedoch die „Eröffnung bzw Erhaltung von Beschäftigungsmöglichkeiten aus sozialen Erwägungen“ als sozialer Dienst zu betrachten (vgl ErläutRV 450 BlgNR 17. GP 16).
Ob der Gesetzgeber dabei tatsächlich (auch) gemeinnützige Arbeitskräfteüberlassung als Anwendungsfall vor Augen hatte (so etwa Sacherer in
Allerdings ist für die alte Rechtslage zu berücksichtigen, dass die zentralen Bestimmungen des AÜG nach § 1 Abs 3 AÜG aF ohnehin nur auf die reglementierte Arbeitskräfteüberlassung anwendbar waren; die §§ 10 bis 14 AÜG – und damit auch die Regelungen zum Entgeltanspruch überlassener Arbeitskräfte – kamen deshalb für gemeinnützige Überlassungsunternehmen, die idR mangels Gewinnerzielungsabsicht nicht der GewO unterliegen (vgl § 1 Abs 2 GewO), von vornherein nicht zur Anwendung. Auf § 10 Abs 1 AÜG konnte sich der Kl daher nach alter Rechtslage nicht berufen; worin die sachliche Rechtfertigung für derartige Sonderbehandlungen gerade in Konstellationen wie im vorliegenden Fall liegen soll, ist allerdings nicht ersichtlich.
Mit der Erlassung der Leiharbeits-RL war diese Ausnahme des § 1 Abs 3 AÜG aF jedenfalls aus unionsrechtlichen Gründen nicht mehr haltbar: Art 1 Abs 2 der Leiharbeits-RL bezieht sämtliche öffentliche wie private Unternehmen in ihren Geltungsbereich ein, sofern diese Arbeitskräfteüberlassung als wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, und zwar ausdrücklich auch dann, wenn damit keine Erwerbszwecke verfolgt werden. Die bisherige Ausnahmeregelung für die nicht-reglementierte Überlassung in § 1 Abs 3 AÜG aF musste aus diesem Grund beseitigt werden. Eine Ausnahmemöglichkeit wird den Mitgliedstaaten gem Art 1 Abs 3 der RL lediglich in Bezug auf jene Arbeitsverträge bzw Beschäftigungsverhältnisse eröffnet, die im Rahmen eines spezifischen öffentlichen oder von öffentlichen Stellen geförderten beruflichen Ausbildungs-, Eingliederungs- und Umschulungsprogramms geschlossen wurden. Diese Option hat der österreichische Gesetzgeber genutzt; die fast wortgetreu aus der RL übernommene Ausnahmeregelung des § 1 Abs 4 Z 1 AÜG idF BGBl I 2011/24 ersetzt nun die bisherige weitergehende Ausnahme des § 1 Abs 2 Z 6 AÜG aF.
Dass im konkreten Fall ein solches „spezifisches berufliches Eingliederungsprogramm“ vorgelegen sei, hat der OGH aber mit klaren Worten verneint. Das bloße Angebot, für einen bestimmten Beschäftiger Arbeitssuchende mit dem Ziel der Vermittlung und Überlassung einzustellen, ist dafür gerade nicht ausreichend – und zwar selbst dann nicht, wenn der Überlasser ohne Gewinnabsicht tätig wird. Den ausführlich dargelegten und gut begründeten Argumenten des OGH ist kaum etwas hinzuzufügen. In Anlehnung an Schindler stellt er in der Frage, was unter einem „spezifischen beruflichen Eingliederungsprogramm“ zu verstehen ist, auf die Zielgruppenorientierung bei der Entfaltung der Überlassungstätigkeit ab: Die Ausnahmeregelung zielt auf schwer vermittelbare Arbeitslose ab, die besonderer Unterstützungsmaßnahmen bedürfen, um auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß fassen zu können. Nur die Zugehörigkeit zu dieser Personengruppe und die damit verbundenen besonderen Anforderungen an das Überlassungsunternehmen können ein Abweichen von den Gleichbehandlungsgeboten der RL rechtfertigen.
Völlig zu Recht weist der OGH darauf hin, dass von einem „Eingliederungsprogramm“ nur dann die Rede sein kann, wenn intentional und funktional die Beschäftigung des/der Arbeitssuchenden im Vordergrund steht. Es darf also maW nicht darum gehen, für einen bestimmten Auftrag eines Beschäftigerbetriebs geeignete Arbeitskräfte zu finden; Ausgangspunkt muss vielmehr die zuvor arbeitslose Person sein, für die eine passende Beschäftigungsmöglichkeit gesucht wird. Diese Orientierung am Ziel der Wiedereingliederung der überlassenen Arbeitskraft in den allgemeinen Arbeitsmarkt muss schließlich auch in entsprechenden Förder- und Begleitmaßnahmen zum Ausdruck kommen, die zur reinen Überlassungs- und Vermittlungstätigkeit, die das Kerngeschäft eines jeden Überlassungsunternehmens ausmacht, hinzutreten. Nur dann kann eine Berufung auf § 1 Abs 4 Z 1 AÜG erfolgreich sein.
Von all diesen besonderen Anforderungen konnte jedoch im gegenständlichen Fall, in dem nach den Feststellungen ein hochqualifizierter, bestens für die Anforderungen des konkreten Arbeitsplatzes geeigneter AN ohne weitere Förder- und Betreuungsmaßnahmen überlassen worden war, nicht die Rede sein. Besonders bedenklich erscheint, dass es hier die öffentliche Hand ist, die mit schlechtem Beispiel voranschreitet. Anlass für den Einsatz überlassener Arbeitskräfte war nicht etwa ein über andere Maßnahmen nicht mehr ausgleichbarer, vorübergehender Arbeitskräftemehrbedarf; es ging vielmehr um die Abdeckung von Dauerarbeitsplätzen. Einzige Triebfeder für den Rückgriff auf die atypische Beschäftigungsform der Arbeitskräfteüberlassung war die gewünschte Umgehung zwingender arbeitsrechtlicher Ansprüche.
Dass es auch im staatlichen und staatsnahen Bereich beim Einsatz überlassener Arbeitskräfte häufig in erster Linie darum geht, (zu) enge Personalvorgaben zu befriedigen und den Schein eines schlanken Mitarbeiterstabs zu wahren, ist die eine Sache, und579 schon dies gibt Anlass zu berechtigter Kritik. Dieser sowohl im privatwirtschaftlichen wie auch im öffentlichen Bereich vorfindbaren Motivation für die Vermeidung von Direktanstellungen könnte wohl nur dann ein Riegel vorgeschoben werden, wenn die Ausgaben für überlassene Arbeitskräfte nicht wie derzeit den Sachkosten, sondern verpflichtend den Personalkosten zugerechnet werden müssten.
Im konkreten Fall ist man jedoch nicht bei einer bloßen Verschiebung von Personalkosten in den Sachkostenbereich stehen geblieben. Ganz offensichtlich ging es (auch) darum, mit der gewählten Konstruktion zwingende Entgeltansprüche zu umgehen und damit Kosten zu sparen; eine sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Entlohnung der unmittelbar und der im Überlassungswege eingestellten MitarbeiterInnen ist in keinster Weise zu erkennen.
Mit Staunen liest man aber, dass noch das Erstgericht die geltend gemachten Ansprüche ganz unumwunden mit der Begründung abgewiesen hat, dass es für den klagenden AN ja immer noch besser sei, eine schlecht(er) bezahlte Arbeitsstelle zu erhalten als gar keine und dass arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen eben höher zu bewerten seien als das Schutzinteresse von Leih-AN. Mit welcher Großzügigkeit hier arbeitsrechtliche Schutznormen zur Disposition gestellt werden, überrascht schon sehr. Mit derselben Argumentation müsste man dann nämlich auch jedem privaten AG die Option zugestehen, zur Ausgabenminimierung auf (möglicherweise gar zu diesem Zweck gegründete) gemeinnützige ÜberlasserInnen zurückzugreifen. Die ursprünglich bestehende (und sachlich durch nichts zu rechtfertigende) Privilegierung der öffentlichen Hand bei der Inanspruchnahme überlassener Arbeitskräfte in § 1 Abs 2 AÜG idF BGBl 1988/196 wurde nämlich mit der AÜG-Novelle BGBl I 2005/104 zu Recht aus dem Gesetz eliminiert.
Mit solchen Zugeständnissen angesichts wirtschaftlicher Zwänge, wie sie das Erstgericht für gerechtfertigt erachtet hat, erweist man weder der Überlassungsbranche (die gegen eine solche Besserstellung gemeinnütziger AnbieterInnen zu Recht protestieren müsste) und schon gar nicht der Arbeitnehmerschaft einen guten Dienst. Arbeitsrechtlichen Schutz in diesem Sinne unter den Vorbehalt der Finanzierbarkeit durch den AG zu stellen, würde dessen Effektivität völlig unterminieren. Dass das AÜG mit dem Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 4 Z 1 keinesfalls Anreize setzen möchte, bei Budgetknappheit über die Zwischenschaltung gemeinnütziger Einrichtungen Arbeitsplätze zweiter Klasse zu installieren, hat der OGH im vorliegenden Urteil unmissverständlich klargestellt.
Dem Urteil des OGH und seiner Begründung ist vorbehaltlos zuzustimmen. Die der Leiharbeits-RL entnommene Ausnahmeregelung für staatlich geförderte berufliche Ausbildungs-, Eingliederungs- und Umschulungsprogramme ist restriktiv auszulegen und bezieht sich allein auf die Überlassungstätigkeit spezifischer, für die Zielgruppe schwer vermittelbarer Arbeitsloser ins Leben gerufener Einrichtungen, deren Fokus auf die Integration der betreuten Leiharbeitskräfte in den allgemeinen Arbeitsmarkt und nicht auf die Abdeckung des Arbeitskräftebedarfes der nachfragenden Betriebe ausgerichtet ist. Nur in diesen Fällen ist eine Abweichung von den Gleichbehandlungsvorschriften des AÜG sachlich gerechtfertigt und unionsrechtlich erlaubt.