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Anrechnung von Krankengeldzeiten nach § 255 Abs 4 ASVG

HELMUTIVANSITS (WIEN)
  1. Es kann nach der Novellierung des § 255 Abs 4 im Budgetbegleitgesetz 2011 zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen weiterhin die Rsp aufrechterhalten werden, wonach für Zeiten der Urlaubsersatzleistung, Kündigungsentschädigung und auch des Krankengeldes, die nach dem Ende des Dienstverhältnisses liegen, schon deshalb nicht von der „Ausübung“ der Erwerbstätigkeit gesprochen werden kann, weil das Dienstverhältnis rechtlich bereits beendet ist.

  2. Daraus ergibt sich, dass Krankengeldbezugszeiten auch dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit noch am letzten Tag des Dienstverhältnisses eingetreten ist, nicht so zu behandeln sind, als hätte die Kl ihre bisherige Tätigkeit weiterhin ausgeübt. Die Zeiten dieses Krankengeldanspruchs sind in die von § 255 Abs 4 dritter Satz ASVG vorausgesetzten 120 Kalendermonate in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag nicht einzurechnen.

Die Kl, die am 6.4.2011 das 57. Lebensjahr vollendet hat, war in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag (dem 1.5.2011) 111 Monate und 14 Tage lang als Haushaltshilfe und Reinigungskraft tätig. Ihr letztes Dienstverhältnis endete am 6.7.2010. Vom 7.7.2010 bis 13.7.2010 bezog sie eine Urlaubsentschädigung (Urlaubsersatzleistung). An den Bezug der Urlaubsentschädigung schloss sich vom 14.7.2010 bis 25.4.2011 ein Krankengeldbezug an.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ihr Klagebegehren auf Zuerkennung einer Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem 1.5.2011.

Die Kl brachte – soweit für das Revisionsverfahren wesentlich – vor, sie sei am 6.7.2010 – also noch während des aufrechten Dienstverhältnisses – krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden. Das deshalb vom 14.7.2010 bis 25.4.2011 gewährte Krankengeld sei bei der Beurteilung des Vorliegens von 120 Kalendermonaten „einer“ Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG zu berücksichtigen. Der Krankengeldbezug sei im engen Zusammenhang mit der zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeit gestanden und dieser Erwerbstätigkeit zuzuordnen.580 Rechne man die Krankengeldbezugszeiten (im Ausmaß von 9 Monaten und 13 Tagen) auf die von § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG geforderten 120 Kalendermonate an, ergäben sich 120 Kalendermonate und 27 Tage, sodass die Voraussetzungen für die Anwendung der Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG gegeben seien. „Sicherheitshalber“ werde auch vorgebracht, dass die Arbeitsunfähigkeit jedenfalls innerhalb der Schutzfrist des § 122 Abs 2 Z 2 ASVG eingetreten sei.

Die Bekl wendete – soweit für das Revisionsverfahren wesentlich – zusammengefasst ein, die Krankengeldbezugszeiten vom 14.7.2010 bis 25.4.2011 seien bei der Beurteilung des Vorliegens von 120 Kalendermonaten „einer“ Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG nicht zu berücksichtigen, weil sie erst nach formeller Beendigung des Dienstverhältnisses gelagert seien. Nach der Intention des Gesetzgebers sollten nicht nur Zeiten eines Krankenstandes, in denen noch Entgeltfortzahlung vom DG bezogen werde, berücksichtigt werden können, sondern auch Zeiten, in denen der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bereits erschöpft ist und nur mehr Krankengeld vom Krankenversicherungsträger ausbezahlt werde. Dies sollte vor allem jenen AN entgegenkommen, die sehr kurze Entgeltfortzahlungsfristen haben. Maßgeblich könnten somit nur jene Krankengeldbezugszeiten sein, während derer der Versicherte an der Ausübung seiner Tätigkeit vorübergehend verhindert gewesen sei, nicht aber die Krankengeldbezugszeiten, deren Berücksichtigung die Kl anstrebt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. [...]

Rechtlich ging das Erstgericht zusammengefasst davon aus, dass kein Berufsschutz iSd § 255 Abs 1 ASVG gegeben sei. Eine Anwendung des § 255 Abs 4 ASVG scheitere daran, dass die Kl in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag nur 111 Monate und 14 Tage der Tätigkeit als Haushälterin oder Reinigungskraft nachgegangen sei und diese Tätigkeit daher nicht in den von § 255 Abs 4 ASVG verlangten 120 Kalendermonaten hindurch ausgeübt habe. Zwar seien nach § 255 Abs 4 dritter Satz ASVG Monate des Bezugs von Krankengeld nach § 138 ASVG im Höchstmaß von 24 Monaten auf die 120 Kalendermonate anzurechnen. Sämtliche Krankengeldbezugszeiten, deren zusätzliche Berücksichtigung die Kl anstrebe, seien aber erst nach der formellen Beendigung des Dienstverhältnisses gelegen. Sie stammten daher nicht „aus der Erwerbstätigkeit“ und seien auf die erforderliche Mindestdauer von 120 Kalendermonaten nicht anzurechnen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl nicht Folge und schloss sich der Rechtsansicht des Erstgerichts an. [...]

Maßgeblich sei, ob die in § 255 Abs 4 dritter Satz ASVG angesprochenen Krankengeldbezugszeiten nach § 138 ASVG „aus der Erwerbstätigkeit“ stammen. Zwar seien die von der Kl bezogenen Krankengeldbezüge unter § 138 ASVG zu subsumieren. Gegen die Einbeziehung in die Berechnung der nach § 255 Abs 4 ASVG notwendigen 120 Kalendermonate spreche im vorliegenden Fall aber, dass sie zur Gänze nach Beendigung des Dienstverhältnisses lägen. Nach dem rechtlichen Ende des Dienstverhältnisses könne von der „Ausübung einer Tätigkeit“ nicht mehr gesprochen werden. Auch die Urlaubsersatzleistung könne nach bisheriger Rsp mangels Möglichkeit einer Fortführung der ausgeübten Tätigkeit nach dem Bezugsende nicht auf die 120 Kalendermonate angerechnet werden. Dies müsse in gleicher Weise auch für einen nach dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses gelegenen Bezug von Krankengeld nach § 138 ASVG gelten. Es sei deshalb davon auszugehen, dass im vorliegenden Fall die ausgeübte Tätigkeit mit dem Bezug der Urlaubsersatzleistung geendet habe und danach gelegene Krankengeldbezugszeiten nicht mehr geeignet seien, die Voraussetzungen des besonderen Tätigkeitsschutzes zu erfüllen. [...]

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil keine höchstgerichtliche Rsp dazu bestehe, ob auch ein Krankengeldbezug nach § 138 ASVG im unmittelbaren Anschluss an ein rechtlich beendetes Dienstverhältnis iSd § 255 Abs 4 Z 2 ASVG auf die 120 Kalendermonate der Ausübung einer Tätigkeit anzurechnen sei.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

1. Gem § 255 Abs 4 ASVG in der hier anzuwendenden Fassung des BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111, gilt als invalid auch der (die) Versicherte, der (die) das 57. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. [...]

Maßgeblich für den in § 255 Abs 4 ASVG für über 57-Jährige verankerten „Tätigkeitsschutz“ ist, dass die Ausübung „einer“ Tätigkeit in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch erfolgte (10 ObS 18/10k, SSVNF 24/36; 10 ObS 18/13i).

2.1 Der durch § 255 Abs 4 ASVG gewährte „Tätigkeitsschutz“ wurde derart ausgelegt, dass nur kurz dauernde Unterbrechungen einer Tätigkeit – bedingt etwa durch Urlaub oder kurzfristigen Krankenstand – bei der Prüfung der Frage, ob die Tätigkeit mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt wurde, zu vernachlässigen sind (10 ObS 62/04x, SSV-NF 18/70).

2.2 Hingegen wurden Zeiten einer saisonal bedingten Unterbrechung der Tätigkeit nicht als Zeiten der Ausübung der unselbständigen Erwerbstätigkeit gewertet, dies unabhängig davon, ob das Dienstverhältnis während dieser Zeit aufgelöst oder nur ausgesetzt war (RIS-Justiz RS0117787).

2.3 Auch Zeiten des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung sind in die Berechnung der nach § 255 Abs 4 ASVG notwendigen Kalendermonate nicht einzubeziehen, weil es zwar durch eine Urlaubsersatzleistung zu einer entsprechenden Verlängerung der Pflichtversicherung kommt (§ 11 Abs 2 Satz 2 ASVG), von einer faktischen „Ausübung“ einer konkreten Tätigkeit, wie sie § 255 Abs 4 ASVG im Auge hat, aber nicht gesprochen werden kann, weil das Dienstverhältnis rechtlich schon beendet ist und keine Arbeitsverpflichtung mehr besteht, sodass keine kurzfristige Unterbrechung, die für die „Ausübung der Tätigkeit“ unschädlich wäre, mehr eintreten kann (10 ObS 62/04x, SSV-NF 18/70). Diese Erwägungen gelten in gleicher Weise auch für581 die Zeiten des Bezugs einer Kündigungsentschädigung (10 ObS 91/07s, SSV-NF 21/60).

2.4 Vor dem BudgetbegleitG 2011 (BGBl I 111/2010) wurden zwar Zeiten einer Entgeltfortzahlung bei der von § 255 Abs 4 ASVG geforderten Mindestausübungszeit berücksichtigt, nicht aber Zeiten eines Krankengeldbezugs (10 ObS 264/02z, SSVNF 18/15; 10 ObS 79/04x; 10 ObS 62/04x, SSVNF 18/70). Als Begründung wurde angeführt, dies erscheine deshalb sachgerecht, weil Zeiten der Entgeltfortzahlung durch den AG Zeiten der Pflichtversicherung in der PV begründen, während Zeiten des Krankengeldbezugs Ersatzzeiten in der PV darstellen.

3.1 Mit dem BudgetbegleitG 2011 wurde an § 255 Abs 4 ASVG ein dritter Satz mit folgendem Wortlaut angefügt:

„Fallen in den Zeitraum der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag 1. ...;

2. Monate des Bezugs von Krankengeld nach § 138, so sind diese im Höchstmaß von 24 Monaten auf die im ersten Satz genannten 120 Kalendermonate anzurechnen.“

3.2 Nach den Gesetzesmaterialien sollten zur Erleichterung der Erlangung des in § 255 Abs 4 ASVG geregelten besonderen Tätigkeitsschutzes nunmehr auf die 120 (Kalender-)Monate auch Krankengeldbezugszeiten „aus der Erwerbstätigkeit“ im Ausmaß von höchstens 24 Monaten angerechnet werden. Solche Zeiten des Krankengeldbezugs sollen in die zu berücksichtigenden 10 Jahre eingerechnet werden (ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 206). Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG 115. ErgLfg § 255 Rz 12d, führen aus, die Praxis habe gezeigt, dass die Regelung zu den 120 Kalendermonaten einer gleichen oder gleichartigen Tätigkeit besonders ausgeprägte Sachverhalte nicht geeignet berücksichtigt habe.

Während also vor dem BudgetbegleitG 2011 im Fall der Erkrankung des AN Zeiten der Entgeltfortzahlung durch den AG, nicht jedoch auch Zeiten des Krankengeldbezugs des AN als Zeiten der Ausübung der relevanten Tätigkeit galten, sollten zur Erleichterung der Erlangung des in § 255 Abs 4 ASVG geregelten Tätigkeitsschutzes auch Zeiten des Krankengeldbezugs nach § 138 ASVG im Höchstmaß von 24 (Kalender-)Monaten in die nach § 255 Abs 4 ASVG notwendigen 120 Kalendermonate einbezogen werden. Es sollten nach dem Willen des Gesetzgebers also Zeiten (im Höchstausmaß von 24 Monaten) berücksichtigt werden, in denen der oftmals nur kurzfristige Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den AG bereits erschöpft war und nur noch Krankengeld vom Krankenversicherungsträger ausbezahlt wird. In der Regel kurzfristige „Unterbrechungen“ der Erwerbstätigkeit durch einen Krankenstand sollten nunmehr in einem gewissen Ausmaß berücksichtigt werden.

3.3 Zu prüfen ist aber, ob die in § 255 Abs 4 3. Satz ASVG angesprochenen Krankengeldbezugszeiten nach § 138 ASVG „aus der Erwerbstätigkeit“ stammen. Auch nach der Novellierung der Voraussetzungen des besonderen Tätigkeitsschutzes gem § 255 Abs 4 Z 2 ASVG durch das BudgetbegleitG 2011 sollte nämlich nicht jeder, sondern nur ein solcher Bezug von Krankengeld (durch maximal 24 Monate) angerechnet werden, der einer entsprechenden Erwerbstätigkeit zuzuordnen ist (RIS-Justiz RS0127738). Ausgehend vom Zweck des § 255 Abs 4 ASVG sind demnach etwa Krankengeldbezugszeiten, die ausschließlich Zeiträume betreffen, in denen ein Kl arbeitslos war (aufgrund eines Arbeitslosengeldbezugs nach § 40 Abs 1 AlVG), nicht auf die erforderliche Mindestdauer von 120 Kalendermonaten anzurechnen (10 ObS 60/13s), käme es doch andernfalls auch zu einer Besserstellung von kranken gegenüber gesunden Arbeitslosen, für die keine sachliche Rechtfertigung ersichtlich ist (RIS-Justiz RS0127738).

3.4 Im vorliegenden Fall sind aber keine Krankengeldbezugszeiten für Zeiträume gegeben, in denen die Kl arbeitslos war. Vielmehr bezog sie nach dem rechtlichen Ende ihres Dienstverhältnisses ab 7.7.2010 bis 13.7.2010 eine Urlaubsersatzleistung, daran schloss sich ab 14.7.2010 bis 25.4.2011 der Bezug von Krankengeld an. Geht man vom Vorbringen der Kl aus, ist der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit am letzten Tag ihres Beschäftigungsverhältnisses am 6.7.2010 eingetreten; an diesem Tag war sie noch pflichtversichert (§ 11 Abs 1 ASVG), sodass sich ihr Anspruch auf Krankengeld nach § 138 Abs 1 ASVG richtet. Nach dem Wortlaut des § 255 Abs 4 3. Satz ASVG könnte man daher die Ansicht vertreten, dass auch die Krankengeldbezugszeiten vom 14.7.2010 bis 25.4.2011 als solche „aus der Erwerbstätigkeit“ anzusehen sind. Zu berücksichtigen ist aber, dass die Novellierung des § 255 Abs 4 ASVG durch das BudgetbegleitG 2011 ganz offensichtlich vor dem Hintergrund der damaligen Rsp (siehe oben Pkt 2.4) zu verstehen ist, nach der nur Zeiten der Entgeltfortzahlung, nicht aber Zeiten des Krankenstandes auf die 120 Kalendermonate „einer“ Tätigkeit angerechnet wurden. Demgegenüber sollten nunmehr nicht nur Zeiten eines Krankenstandes, in denen noch Entgeltfortzahlung vom AG geleistet wird, berücksichtigt werden, sondern im Höchstausmaß von 24 Monaten auch Zeiten, in denen der Entgeltfortzahlungsanspruch schon erschöpft ist und nur noch Krankengeldanspruch besteht. Eine Änderung der stRsp (vgl 10 ObS 62/04x, SSV-NF 18/70; 10 ObS 91/07s, SSV-NF 21/60ua), wonach von einer „Ausübung“ einer Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG nicht mehr gesprochen werden kann, wenn das Dienstverhältnis schon rechtlich beendet ist, war offensichtlich nicht beabsichtigt. Vielmehr ging es dem Gesetzgeber des Budgetbegleitgesetzes offenbar darum, dass in Hinkunft – in der Regel – kurzfristige Unterbrechungen der „Ausübung der Tätigkeit“ durch Krankenstand in einem gewissen Ausmaß berücksichtigt werden sollten.

Daher ist auch nach dem BudgetbegleitG 2011 zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen die Rsp aufrechtzuerhalten, nach der für Zeiten der Urlaubsersatzleistung, Kündigungsentschädigung und auch des Krankenstandes, die nach dem Ende des Dienstverhältnisses liegen, schon deshalb nicht von einer „Ausübung“ der Tätigkeit gesprochen werden kann, weil das Dienstverhältnis rechtlich bereits beendet ist.

Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die Krankengeldbezugszeiten ab 14.7.2010 auch dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit noch am letzten Tag des Dienstverhältnisses eingetreten sein sollte, nicht so zu behandeln sind, als hätte die Kl ihre bisherige Tätigkeit weiterhin ausgeübt. Die Zeiten dieses Krankengeldan582spruchs sind – wie bereits die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben – in die von § 255 Abs 4 3. Satz ASVG vorausgesetzten 120 Kalendermonate nicht einzurechnen. Die Revision bleibt somit erfolglos. [...]

Anmerkung

Der sogenannte Tätigkeitsschutz des § 255 Abs 4 ASVG geht auf die 35. ASVG-Novelle (Wirksamkeitsbeginn 1.1.1981) zurück. Die Novelle führte einen besonderen Anspruch auf eine Invaliditätspension für ArbeiterInnen ohne Berufsschutz ein. Die Begünstigten mussten das 55. Lebensjahr vollendet und in den letzten 15 Jahren vor dem Pensionsstichtag über einen längeren Zeitraum eine „gleiche oder gleichartige Tätigkeit“ ausgeübt haben. Dadurch erhielten sie eine bezüglich des Verweisungsfeldes in der PV ähnliche Rechtsposition wie ArbeiterInnen, die nach § 255 Abs 1 ASVG in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend eine qualifizierte (daher typischerweise gleiche Tätigkeit) ausübten.

Die Bestimmung wurde mehrmals überarbeitet, die geltende Fassung entstammt dem Budgetbegleitgesetz 2011 (BBG 2011). Im Sozialversicherungsrechts- Änderungsgesetz 1993 (SVRÄG 1993) wurde der Leistungsanspruch aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit in eine vorzeitige Alterspension aus dem Versicherungsfall des Alters umgewandelt (Wirksamkeitsbeginn 1.7.1993), die Änderung wurde aber schon ab dem 1.7.2000 im Sozialversicherungs- Änderungsgesetz 2000 (SVÄG 2000) wieder zurückgenommen. Die Regelung wurde mit der 39. ASVG-Novelle (Wirksamkeitsbeginn 1.1.1984) auf die übrigen ASVG-Versicherten und in den Sonderversicherungen auf Selbständige und Bauern ausgedehnt.

1.
Geltende Rechtslage

Der Tätigkeitsschutz wurde im Rahmen der Budgetkonsolidierung durch die Anhebung der gesetzlichen Altersgrenze eingeschränkt. Nach geltender Rechtslage müssen in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate einer „gleichen“ Tätigkeit vorliegen, um im Jahr 2014 mit 58 Jahren (in den Jahren 2015 und 2016 mit 59, ab 2017 dann mit 60 Jahren) bei Erfüllung der übrigen (zeitlichen) Anspruchsvoraussetzungen in Pension gehen zu können. Bestimmte neutrale Monate (Pensionen, Übergangsgeld) verlängern den Zeitraum von 180 Kalendermonaten, Monate des Bezuges von Krankengeld nach § 138 ASVG bis zum Höchstausmaß von 24 Monaten sind auf die 120 Kalendermonate (Mindestausübungszeit) anzurechnen. Hinsichtlich des Verweisungsfeldes lässt das Gesetz „zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit“ zu.

2.
Die Judikatur des § 255 Abs 4 Z 2 ASVG durch den OGH

In Anbetracht der eher diffusen Textierung des § 255 Abs 4 ASVG ist es nicht weiter verwunderlich, dass der OGH schon sehr früh mit Auslegungsproblemen konfrontiert wurde. Neben Fragen, was unter einer „Tätigkeit“ oder der „zumutbaren Änderung der Tätigkeit“ zu verstehen ist, haben sich die Sozialgerichte wiederholt auch damit zu befassen gehabt, ob außer Zeiten der Erwerbstätigkeit auch noch andere Zeiten auf die im Gesetz geforderten 120 Kalendermonate anzurechnen sind. Dazu hat der OGH eine stRsp entwickelt („Vorjudikatur“). In der gegenständlichen Rechtssache hatte der OGH erstmals nach der Gesetzeserweiterung durch das BBG 2011 zu prüfen, in welchem Umfang der Bezug vom Krankengeld auf diese Mindestausübungszeit in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag anzurechnen ist, dh ob dabei alle Zeiten des Bezuges von Krankengeld nach § 138 ASVG berücksichtigt werden müssen oder – wie die Gesetzesmaterialien suggerieren – nur solche, die „aus der Erwerbstätigkeit“ stammen.

Prinzipiell geht der OGH unter Berufung auf den Normzweck seit Einführung des § 255 Abs 4 ASVG davon aus, dass nur Zeiten der Erwerbstätigkeit zur Anrechnung berechtigen sollen. Nicht schaden sollen jedoch kurze Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit. Dazu zählen der Urlaub (Freistellung von der Arbeit bei Fortzahlung des Entgelts) und ein kurzer Krankenstand. Umgekehrt hält er saisonal bedingte Unterbrechungen, die Urlaubsentschädigung und die Kündigungsentschädigung für nicht anrechenbar, weil sie die Erwerbstätigkeit nicht unterbrechen, sondern im Anschluss daran gebühren. Zeiten des Krankengeldbezuges wurden vor Inkrafttreten des BBG 2010 überhaupt nicht berücksichtigt (siehe OGH10 ObS 62/04xSSV-NF18/70). Hingegen wurde die krankheitsbedingte Entgeltfortzahlung seit jeher als kurze Unterbrechung der Erwerbstätigkeit anerkannt, was insofern nicht ganz konsequent erscheint, als die Entgeltfortzahlung nicht notwendigerweise nur für eine kurze Zeit die Arbeit unterbricht und es im Falle einer Auflösung des Dienstverhältnisses überhaupt an einer Unterbrechung fehlt. In seinen Überlegungen zu Pkt 2.4. der rechtlichen Beurteilungen geht der OGH dennoch, wenn auch wenig überzeugend, von einer sachgerechten Lösung aus, weil diese Zeiten Beitragszeiten, Zeiten des Krankengeldbezuges aber (nur) Ersatzzeiten sind. De lege ferenda wäre es daher sinnvoll, die Gesetzesstelle zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen dahingehend zu ändern, dass explizit auch Zeiten der Entgeltfortzahlung (so wie eben Zeiten des Krankengeldbezuges nach § 138 ASVG) für anrechenbar erklärt werden.

Alles in allem handelt es sich um eine bemerkenswert soziale Judikatur der Gesetzesstelle, die aus rechtshermeneutischer Sicht jedoch eher auf Rechtsfortbildung denn auf Gesetzesauslegung schließen lässt. Dies deshalb, weil unter einer „gleichen Tätigkeit“ wohl nur die faktische Ausübung einer Tätigkeit verstanden werden kann. Daher wird wohl erst die analoge Anknüpfung an jene gesetzliche Bestimmungen im Versicherungsrecht der SV, die den Weiterbestand der Pflichtversicherung bei kurzfristigen Arbeitsunterbrechungen (zB arbeitsfreie Zeiten an Wochenenden, Feiertagen oder während des Urlaubs) regeln, die Judikatur des OGH sachlich begründen können.

3.
Die Auslegung von „Krankengeld nach § 138 ASVG

In der gegenständlichen E befasst sich der OGH mit der Auslegung des § 255 Abs 4 dritter Satz ASVG, 583wonach „Monate des Bezuges von Krankengeld nach § 138 ASVG im Höchstausmaß von 24 Monaten auf die im ersten Satz genannten 120 Kalendermonate anzurechnen sind“. Diese Bestimmung wurde durch das BBG 2011 eingeführt. Ihrer Einführung ging ein lebhafter rechtspolitischer Diskurs über die Frage voraus, ob wirklich jedes Krankengeld, das in den Zeitraum der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag ausbezahlt wurde, zur Anrechnung kommen dürfe. Das Ergebnis bestand darin, die Anrechnung nur auf „Krankengeld nach § 138 ASVG zu beschränken. In Anbetracht des klaren Gesetzeswortlautes ist es verständlich, dass der Hinweis in den Gesetzesmaterialien, dass letztlich nur „Krankengeld aus der Erwerbstätigkeit“ zur Anrechnung gelangen darf, zunächst Irritationen hervorruft.

Vor diesem Hintergrund sind mehrere Auslegungsvarianten möglich:

a)
Auslegung mit Hilfe einer anschlussfähigen Vorjudikatur

In der vorliegenden Rechtssache tritt der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit am Ende der Erwerbstätigkeit (und zwar genau am letzten Tag) ein. Nach Ansicht des OGH ist die Anrechnung von Krankengeldzeiten zu verneinen, zumal nach der Beendigung eines Dienstverhältnisses nach ständiger Judikatur nicht mehr von einer Unterbrechung der Erwerbstätigkeit gesprochen werden könne. Dem könnte man nun entgegenhalten: Auch wenn es sich um keine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit handelt, sind es keine Zeiten des Krankengeldbezuges, die nach dem Ende einer Erwerbstätigkeit entstanden sind (worauf erstaunlicherweise beide Untergerichte pochen), sondern am letzten Tag der Beschäftigung. Das mag im vorliegenden Fall ein Zufall sein, trotzdem ist es grundsätzlich nicht auszuschließen, dass jemand auch am Ende des letzten Arbeitstages krank wird, ohne sich davon sozialrechtliche Vorteile zu versprechen. Wenn nämlich die gesetzliche KV für diesen Fall Krankengeld unmittelbar aus der Versicherung vorsieht, warum sollte dann der Bezug dieses Krankengeldes nicht auch nach § 255 Abs 4 dritter Satz ASVG zur Anrechnung kommen? Die Anrechenbarkeit von Zeiten des Krankengeldbezuges darf nicht davon abhängig gemacht werden, zu welchem Zeitpunkt – am Beginn, während oder ganz am Ende der Erwerbstätigkeit – die Arbeitsunfähigkeit beginnt. Im vorliegenden Fall wurde das Krankengeld zwar erst im Anschluss an eine Urlaubsersatzleistung gewährt, rührt aber noch aus der Zeit der aufrechten KV aus der Erwerbstätigkeit her. Die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ist ein Versicherungsfall, der mit Ausnahme der sogenannten Nachversicherung während der versicherten Erwerbstätigkeit (Pflichtversicherung) eintreten muss, um Leistungen auszulösen.

Die vorliegende E folgt der ständigen „Unterbrechungsjudikatur“ des OGH (siehe oben), die der Gerichtshof auch nach den Änderungen des BBG 2011 offensichtlich weiterhin für anschlussfähig hält. Dagegen bestehen insofern Bedenken, als sich mit dem BBG 2011 die Rechtsgrundlage und mit ihr auch das „Auslegungsmaterial“ geändert haben. Es geht nicht mehr allein um das „Unterbrechungsproblem“, sondern § 255 Abs 4 ASVG ist im BBG 2011 um einen für die rechtliche Bewertung des Sachverhalts wesentlichen dritten Satz erweitert worden. So gesehen ist kritisch anzumerken, dass die gegenständliche E mit dieser Rechtsänderung nicht mehr kompatibel ist.

b)
Was versteht man unter „Krankengeld aus der Erwerbsarbeit“?

Man könnte behaupten, dass zwischen dem Gesetzeswortlaut und den Gesetzesmaterialien gar kein Widerspruch besteht. Die erläuternde Anmerkung würde nämlich lediglich ausschließen, dass auch Krankengeldbezug aus der Arbeitslosigkeit zur Anrechnung kommt. So gesehen wird heute ihr Charakter grundlegend missverstanden. Würde sich diese gesetzeskonforme Auslegung durchsetzen, könnte von einem versöhnlichen und zugleich befriedigenden Ergebnis gesprochen werden. Es ist erstaunlich, warum der Gerichtshof in seiner rechtlichen Beurteilung nicht auf diesen Gedanken gestoßen ist.

c)
Wortinterpretation versus intentionaler Auslegung

Schließlich könnte man der Ansicht sein, dass dem Gesetzgeber die Anmerkung in den Erläuterungen besonders wichtig war und daraus folgern, dass er seinen Willen bei der Interpretation dieser Gesetzesstelle unbedingt berücksichtigt wissen möchte. So nachvollziehbar diese Argumentation auf den ersten Blick sein mag, so bestehen doch sowohl aus rechtspolitischer als auch aus rechtdogmatischer Sicht wesentliche Vorbehalte gegen eine am Willen des Gesetzgebers ausgerichtete Auslegung.

Aufgrund des Gesetzeswortlauts („Krankengeld nach § 138 ASVG“) kann dieser Passus allerdings schwerlich anders ausgelegt werden, als dass eben Zeiten des Bezuges von Krankengeld, und zwar unabhängig davon, ob das Krankengeld aus der Erwerbstätigkeit herrührt oder nicht, auf die vom Gesetz geforderten 120 Kalendermonate angerechnet werden müssen, sofern sich dieses nur aus § 138 ASVG ergibt. Die Auffassung des OGH, Krankengeld, das aus einer Arbeitsunfähigkeit hervorgeht, die am letzten Tag der Pflichtversicherung eingetreten ist, sei davon nicht erfasst, findet demnach im Gesetz keine Deckung. Es findet sich im Übrigen auch keine Rechtsgrundlage dafür, eine Anrechnung von Krankengeld aus Schutzfristfällen zu verneinen. Zutreffend ist es dagegen, Zeiten eines Krankengeldbezuges, die sich aus Zeiten des Bezuges von Leistungen aus § 40 AlVG herleiten, nicht auf die 120 Kalendermonate anzurechnen.

4.
Das Auslegungsziel allgemein und das „Auslegungsprogramm“ des OGH

Zur Gesetzesauslegung hat die juristische Methodenlehre Auslegungskriterien entwickelt (siehe ua F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff [1991]; Zippelius, Juristische Methodenlehre [2012]; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft [2010];584Engisch, Einführung in das juristische Denken [2010]; E.A. Kramer, Juristische Methodenlehre [2010]), die – zusammengefasst – auf folgenden Begründungszusammenhängen beruhen: Rechtsstaatlichkeit erfordert Rechtssicherheit, diese wiederum benötigt Gesetze, die befolgt und vollzogen werden können. Die Auslegung von Gesetzen darf daher nicht in dem Sinne voluntaristisch sein, dass sie dem Gutdünken des Gesetzesanwenders überlassen sein kann, sondern muss „methodisch geleitet“ sein, also auf nachvollziehbaren Auslegungskriterien beruhen, auf welche sich eine Rechtsgemeinschaft verständigt hat, um den Sinn gesetzlicher Anordnungen erschließen zu können. Ausgehend vom Wortsinn – nach Zippelius ist „die Grenze des möglichen Wortsinnes ... auch die Grenze der Auslegung“ – ist die juristische Hermeneutik als ein diskursiver („dialektischer“) Prozess zu verstehen, in dem bedingt durch sprachliche Mehrdeutigkeiten weitere Bedeutungsspielräume insb auch durch eine Auslegung iSd Intentionen des Gesetzgebers oder nach dem Normzweck genützt werden müssen. Von der Auslegung ist die ergänzende Rechtsfortbildung zu unterscheiden. Will die Rechtsanwendung die Grenze des möglichen Wortsinns überschreiten, ist das nur im Wege einer gesetzesergänzenden Rechtsfortbildung möglich.

In seiner OGH-E vom 3.5.2012, 10 ObS 50/12v(sie befasst sich mit der sogenannten Hälfteregelung nach § 255 Abs 1 ASVG) hat der OGH in Anlehnung an diese Methodik die für ihn maßgebenden Auslegungsregeln iS einer eigenen „Auslegungsprogrammatik“ präzisiert. So spricht er sich im ersten Auslegungsschritt für die Erforschung des Wortsinns der Norm aus, eine darüber hinausgehende Auslegung ist seiner Meinung nach nur mehr dann erforderlich, „wenn die Formulierung mehrdeutig, missverständlich oder unvollständig ist, wobei der äußerste Wortsinn die Grenze jeglicher Auslegung bildet“. Erst wenn im Rahmen des möglichen Wortsinns Unklarheiten über die konkrete Bedeutung des Wortes oder des Rechtssatzes bestünden, kann die systematisch-logische, in weiterer Folge eine auf den Willen des Gesetzgebers beruhende und schließlich die teleologische Interpretation zum Tragen kommen. „Es ist jedenfalls nicht Aufgabe der Gerichte, durch weitherzige Interpretationen rechtspolitische oder wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen; allenfalls als unbefriedigend erachtete Gesetzesbestimmungen zu ändern oder zu beseitigen ist nicht Sache der Rechtsprechung.“

Wie es scheint, beherzigt der OGH „seine“ Auslegungsregeln nicht immer ausreichend. Diese Inkonsequenz ist ihm zumindest in der gegenständlichen Rechtssache vorzuhalten. Es wurde bereits betont, dass im Lichte der grammatischen Interpretation kein mehrdeutiger Wortsinn vorliegt, der eine erweiterte Auslegung rechtfertigen würde. „Krankengeld nach § 138“ kann daher nicht zu einem „Krankengeld nach § 138, sofern es aus der Erwerbstätigkeit stammt“ uminterpretiert werden. Eine solche Gesetzesauslegung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, auf ein fragwürdiges „Vorverständnis“ gestützt zu sein, das schlicht nicht auslegungsregelkonform ist. In der gegenständlichen Rechtssache orientiert sich der OGH am Willen des Gesetzgebers anstatt richtigerweise am Gesetzeswortlaut. Das ist nur dann zulässig, wenn der Gesetzestext mehrere Deutungen zulässt. Dazu dürfen jedoch nicht Deutungen gezählt werden, die nur mit Hilfe einer Gesetzesänderung entstehen können.

Auch wenn man einräumen wollte, dass der Gesetzgeber mit der Novellierung des § 255 Abs 4 ASVG im Budgetbegleitgesetz möglicherweise ein anderes rechtspolitisches Ziel vor Augen hatte, muss die Wortinterpretation Vorrang vor anderen Auslegungsmethoden haben. So verlockend es ist, der Auslegung die leicht zugänglichen und in vielen Fällen auch nachvollziehbaren Intentionen des Gesetzgebers zugrunde zu legen, so problematisch ist es aus Gründen der Rechtssicherheit, die Dogmatik der Auslegungsregeln im Einzelfall zu durchbrechen.

5.
Ergänzende Rechtsfortbildung

Trotz des an sich eindeutigen Wortsinns könnte man nach Möglichkeiten zur ergänzenden Rechtsfortbildung fragen. Im vorliegenden Kontext könnte die Auffassung vertreten werden, der Gesetzgeber habe in § 255 Abs 4 dritter Satz ASVG planwidrig zu viel geregelt („verdeckte Gesetzeslücke“), sodass eine teleologische Reduktion geboten wäre. Eine solche Argumentation würde darauf hinauslaufen, dass die zitierte Gesetzesstelle zwar an sich einer Auslegung zugänglich ist, diese aber zu einem die Teleologie des Gesetzes konterkarierenden Ergebnis kommen würde. Eine solche „invasive“ Rechtsfortbildung contra legem bedarf allerdings stets einer außerordentlich hohen Legitimation, die sich in erster Linie aus Gerechtigkeitserwägungen ableitet. Diese Legitimation darf jedoch nicht schon darin gesehen werden, dass es ungerecht wäre, Zeiten des Krankengeldbezuges nach § 138 ASVG von der Anrechnung auszuschließen und diese nur auf Zeiten „aus der Erwerbstätigkeit“ zu beschränken.

Bei einem Analogieschluss liegt eine „planwidrige Gesetzeslücke“ vor, dh der Gesetzgeber hätte den Sachverhalt mitgeregelt, wenn er ihm bewusst gewesen wäre. Dass er ihm bewusst war, bezeugen im vorliegenden Fall die Ausführungen in den Gesetzesmaterialien. Dazu kommt, dass es hier an einer analog anzuwendenden Norm fehlt.

6.
Schlussfolgerungen

In der vorliegenden E hatte sich der OGH mit der Frage der Anrechenbarkeit von Zeiten des Bezuges von Krankengeld auf die Mindestausübungszeit von 120 Kalendermonaten zu befassen. Der Gesetzeswortlaut lässt es sowohl unter Berücksichtigung der Auslegungsregeln des OGH als auch der anerkannten rechtsmethodologischen Grundlagen weder zu, die Rechtssache nach den Grundregeln der Vorjudikatur („Unterbrechungsjudikatur“) des OGH zu behandeln, noch nach dem Willen des Gesetzgebers auszulegen. Da der Wortsinn des § 255 Abs 4 dritter Satz als eindeutig zu bezeichnen ist, kann eine über die Wortinterpretation hinausgehende subjektive oder objektive Interpretation nicht auslegungsregelkonform sein.585