Missbrauchsfragen bei Betriebsübergang*

CHRISTOPHKIETAIBL (KLAGENFURT)
Eine praktisch und dogmatisch bedeutsame Frage zum Betriebsübergang ist jene nach der Missbräuchlichkeit des Betriebsüberganges, wenn dieser die Verschlechterung der kollektivvertraglichen Arbeitsbedingungen bezweckt. Das ASG Wien sieht einen solchen Betriebsübergang insb innerhalb eines Konzerns als missbräuchlich und nichtig an, wobei als Rechtsfolge der Arbeitsvertragsübergang auf den Übernehmer entfallen soll. Der OGH hat sich dazu bislang noch nicht klar geäußert, sondern bloß (obiter) ausgesprochen, dass im Einzelfall ein Betriebsübergang rechtsmissbräuchlich sein könne und diesfalls ein Widerspruchsrecht der AN gegen den Arbeitsvertragsübergang bestehe. Die These vom rechtsmissbräuchlichen Betriebsübergang ist für viele Umstrukturierungen relevant, weil solche Maßnahmen häufig den Wechsel zu einem für den AG günstigeren KollV bezwecken. Dies gilt insb für konzerninterne Betriebsübergänge. Die These ist aber auch für die Dogmatik des kollektiven Arbeitsrechts insgesamt relevant, weil sie letztlich auf eine Motivkontrolle für unternehmerische Umstrukturierungen hinausläuft. Die Frage verdient daher eine vertiefte Erörterung.
1.
Ausgangslage
1.1.

Der OGH hat sich in der Vergangenheit bereits mehrmals mit missbräuchlichen Gestaltungen bei Betriebsübergängen beschäftigt, wobei es dabei meist um missbräuchliche Gestaltungen zu Lasten Dritter ging. Einmal ging es darum, dass die Arbeitsverhältnisse mit dem Veräußerer kurz vor dessen Insolvenz einvernehmlich aufgelöst und daran anschließend mit dem Neuinhaber neu begründet wurden, wodurch die Beendigungsansprüche in missbräuchlicher Weise auf die Insolvenzmasse bzw den Insolvenz-Entgelt-Fonds überwälzt wurden.* Das andere Mal ging es um Lohnerhöhungen, welche der Betriebsübergeber den AN kurz vor Betriebsübergang zusagte und bei denen daher von vornherein klar war, dass sie nur noch den Betriebsübernehmer belasten würden.* Da zum Zeitpunkt der Lohnerhöhungen der Betriebsübergang bereits feststand, ging auch das Argument des Übergebers ins Leere, er wolle durch die Lohnerhöhungen den Betriebsübergang verhindern und sich den Betrieb selbst erhalten; vielmehr konnten die Lohnerhöhungen nur noch der Schädigung des Übergebers dienen und waren daher rechtsmissbräuchlich. Daneben hatte sich der OGH in der Vergangenheit auch noch mit anderen unzulässigen Gestaltungen rund um Betriebsübergänge zu befassen, so zB mit Arbeitsvertragsauflösungen und anschließender Neuanstellung beim Erwerber zu schlechteren Bedingungen oder mit AG-Kündigungen aus Anlass eines Betriebsüberganges.* Diese Gestaltungen wurden allerdings meist unter dem Stichwort Gesetzesumgehung396 abgehandelt und nicht als Rechtsmissbrauch. Die genaue Abgrenzung zwischen diesen Instituten ist allerdings schwierig und wohl auch fließend, und sie braucht an dieser Stelle auch nicht weiter zu beschäftigen. Relevant ist vielmehr, das in all diesen Fällen nicht der Betriebsübergang als solcher zur Beurteilung als missbräuchlich anstand, sondern einzelne privatautonome Gestaltungen auf Rechtsfolgenebene.

1.2.

Zuletzt hat sich allerdings im Rahmen eines prominenten Verfahrens in der Luftverkehrsbranche die Frage gestellt, ob auch der Betriebsübergang als solcher rechtsmissbräuchlich sein kann; und zwar dann, wenn er überwiegend oder allein deshalb durchgeführt wird, um einen für die Belegschaft ungünstigeren KollV anwendbar zu machen. Bekanntlich verdrängt nach § 4 Abs 1 AVRAG der Übernehmer-KollV jenen des Übergebers unabhängig von Günstigkeitserwägungen, lediglich für das laufende Normalentgelt sieht § 4 Abs 2 AVRAG ein Verschlechterungsverbot vor. Alle anderen kollektivvertraglichen Arbeitsbedingungen verschlechtern sich hingegen allein auf Grund des Betriebsüberganges, wenn der Übernehmer-KollV ungünstiger ist als jener des Übergebers. Wird daher ein Betriebsübergang ausschließlich zur Herbeiführung eines solchen Kollektivvertragswechsels durchgeführt, so ist fraglich, ob dies rechtsmissbräuchlich ist.

Das ASG Wien hat dies bejaht und gesagt, dass ein aus solcher Motivation durchgeführter Betriebsübergang insb im Konzernverband nichtig sei, wobei sich die Nichtigkeitsfolge nach dem Gericht auf den Arbeitsvertragsübergang bezieht:* Die Arbeitsverträge bestehen daher trotz Übertragung der wesentlichen Betriebsmittel und trotz Erfüllung des Betriebsübergangstatbestandes weiterhin zum Altinhaber. Die These vom rechtsmissbräuchlichen Betriebsübergang, wenn dieser primär dem Kollektivvertragswechsel dienen soll, wird auch im Schrifttum von manchen vertreten.* Auch der OGH hat bereits obiter die Möglichkeit eines rechtsmissbräuchlichen Betriebsüberganges bejaht.* In dieser E ging es um die Frage, ob beim Betriebsübergang über die im Gesetz genannten Fälle hinaus ein Widerspruchsrecht der AN gegen den Arbeitsvertragsübergang besteht. Der OGH bejaht ein solches Widerspruchsrecht bei Vorliegen eines wichtigen Grundes, darüber hinaus aber auch dann, wenn der Betriebsübergang rechtsmissbräuchlich ist. Ein Beispiel für einen solchen Rechtsmissbrauchsfall nennt der OGH aber nicht. Ähnlich vage sind auch jene Stellungnahmen im Schrifttum, welche sagen, dass ein Betriebsübergang zum Zwecke der Verschlechterung der kollektiven Arbeitsbedingungen grundsätzlich bzw „im Allgemeinen“ nicht rechtsmissbräuchlich wäre, sondern nur in Ausnahmefällen.* Auch diese Stellungnahmen bleiben Beispiele und damit Konkretisierungen dafür schuldig, wann ein solcher Betriebsübergang ausnahmsweise als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre.

Wir können daher festhalten, dass die Rsp mit Teilen des Schrifttums rechtsmissbräuchliche Betriebsübergänge für möglich hält, dass die Stellungnahmen bislang aber eher vage und wenig konkret sind. Die Frage verdient daher einer vertieften Erörterung; dies vor allem deshalb, weil sie eine allgemeine ist, die über den konkreten Anlassfall des ASG-Verfahrens hinaus praktisch äußerst bedeutsam ist. Sie ist für viele Umstrukturierungen relevant, wenn und weil solche Maßnahmen aus AG-Sicht häufig der Kostensenkung durch das Anwendbarmachen eines billigeren KollV dienen; dies gilt insb für Betriebsübergänge innerhalb eines Konzerns, also von einer Konzerngesellschaft auf eine andere.

Im Folgenden sind allerdings zwei Fragen von einander zu trennen: Zunächst ist zu fragen, ob ein zum Zweck des Kollektivvertragswechsels herbeigeführter Betriebsübergang rechtsmissbräuchlich ist; hält man dies für möglich, so ist in einem nächsten Schritt nach den genauen Rechtsfolgen zu fragen.

2.
Rechtsmissbrauch und einschlägige Wertungen aus dem Arbeitsrecht
2.1.

Rechtsmissbrauch liegt nach stRsp vor, wenn unlautere Motive der Rechtsausübung überwiegen oder wenn ein krasses Missverhältnis zwischen verfolgten und beeinträchtigten Interessen besteht.* Hier interessiert primär der Rechtsmissbrauch wegen verpönter Motivlage, weil ja der Kollektivvertragswechsel als potentiell unlauteres Handlungsmotiv auf dem Prüfstand steht. Kern des Rechtsmissbrauches wegen verpönter Motivlage ist das Schikaneverbot, also das Handeln zum Zweck der Schädigung des Gegenübers (§ 1295 Abs 2 ABGB). Das Schikaneverbot ist im vorliegenden Fall aber nicht einschlägig.* Zwar zielen die hier interessierenden Betriebsübergänge primär oder ausschließlich darauf ab, die kollektiven Arbeitsbedingungen der AN zu verschlechtern; dies aber nicht, um den AN Schaden zuzufügen und somit nicht als Selbstzweck, sondern aus betriebswirtschaftlichen Gründen zur Senkung der Produktionskosten und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.

Fraglich kann daher nur sein, ob der Betriebsübergangszweck des Kollektivvertragswechsels aus anderen als Schikanegründen ein unlauteres und damit sittenwidriges Handlungsmotiv ist. Dies kann wie auch sonst zur Beurteilung sittenwidrigen Verhaltens nur anhand der allgemeinen Wertungs- und Ordnungskriterien des jeweils einschlägigen Rechtsgebietes beurteilt werden, hier also anhand der Wertungen des kollektiven Arbeitsrechts einschließlich Organisationsrecht im Allgemeinen sowie des Betriebsübergangsrechts im 397Besonderen.* Es liegt daher nahe, zunächst die Wertungen zu vergleichbaren Fällen zu beleuchten, in welchen der AG organisatorische Maßnahmen bloß im Hinblick auf die Anwendung bestimmter kollektiver Arbeitsbedingungen trifft.

Einschlägig ist hier zunächst der Fall, dass der AG einen bisher als Mischbetrieb geführten Betrieb in selbständige Betriebsabteilungen untergliedert oder umgekehrt, wodurch dann nach § 9 ArbVG für einen Teil der AN ein anderer KollV anwendbar wird.* Dies gilt unstreitig auch dann, wenn dieser KollV für die AN ungünstiger ist als der bisher auf sie anwendbare. In diesem Zusammenhang wurde bislang allerdings noch nie vertreten, dass diese Rechtsfolge wegen Missbrauchs dann nicht eintreten soll, wenn der AG die Umorganisation im Betrieb zwecks Anwendbarmachung des anderen KollV durchführt. Für eine solche Motivprüfung findet sich im Gesetz kein Anhaltspunkt; vielmehr wird § 9 ArbVG mitunter sogar als Beispiel dafür genannt, dass es der AG auf Grundlage dieser Bestimmung in der Hand hat, durch entsprechende Umorganisationen des Betriebs die Kollektivvertragsanwendbarkeit zu steuern.

In eine ähnliche Richtung deutet die Judikatur zu den Auswirkungen von Änderungen der Unternehmensorganisation auf die Belegschaftsvertretung; insb wenn eine Konzernstruktur durch Ausgliederungen des Filialbetriebs auf eigene Gesellschaften geschaffen wird, sodass dann auf Ebene der leitenden Muttergesellschaft bloß eine verhältnismäßig mitwirkungsarme Konzernvertretung anstelle eines BR oder Zentral-BR besteht. Die Rsp lehnt in diesen Fällen allerdings zu Recht eine Motivkontrolle der Organisationsentscheidung ab. Sie verneint den Rechtsmissbrauch wegen Beschneidung belegschaftlicher Mitwirkungsrechte daher auch dann, wenn mit der gesellschaftsrechtlichen Umgestaltung des Unternehmens keine faktischen, äußerlich sichtbaren Änderungen der Unternehmensorganisation einhergehen.* Die Rsp geht zu Recht vielmehr davon aus, dass das Gesetz unterschiedliche Vertretungskonzepte auf Betriebs-, Unternehmens- und Konzernebene vorsieht, wobei diese Mitbestimmungskonzepte aber keine bestimmte Organisationsform vorgeben, sondern auf die vom Unternehmer gewählte Organisation aufbauen. Je nachdem, für welches Organisationsmodell sich der Unternehmer entscheidet, kommt das vom Gesetz darauf zugeschnittene Mitbestimmungsmodell zur Anwendung. Damit nimmt das Gesetz aber ganz bewusst in Kauf, dass der Unternehmer seine Organisationsentscheidung primär unter dem Gesichtspunkt trifft, ein bestimmtes Mitbestimmungsmodell zur Anwendung zu bringen. Wenn der Unternehmer von einem vom Gesetz selbst vorgesehenen „Mitbestimmungsdefizit“ Gebrauch macht, kann ihm daher kein Missbrauch seiner rechtlichen Gestaltungsmacht vorgeworfen werden.

Schließlich ist noch die Rsp zum Verbandswechsel zu erwähnen, die sich ebenfalls bereits mit dem Rechtsmissbrauchsvorwurf zu beschäftigen hatte;* und zwar in dem Fall, dass der AG ohne äußeren Zwang und ohne Änderung seiner Geschäftstätigkeit aus einem freien Berufsverband austritt und einem anderen Verband beitritt, bloß um eine Änderung des anwendbaren KollV zu erreichen.* Der auf diese Weise erreichte Kollektivvertragswechsel hatte beträchtliche Auswirkungen auf die AN, sodass die AN-Seite den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs erhob. Obwohl das kollektive Arbeitsrecht es dem AG freistellt, einer freien Berufsvereinigung beizutreten oder ihr fernzubleiben, bejahte der OGH zwar die Rechtsmissbrauchskontrolle dem Grunde nach. Allerdings konnte nach Auffassung des OGH in der Sache von Rechtsmissbrauch keine Rede sein, weil das Streben des AG nach einem Wechsel in einen für ihn günstigeren KollV nicht sittenwidrig sei. Daran ändert nach Auffassung des OGH auch der Umstand nichts, dass der AG auf diese Weise durch eine freie Entscheidung einseitig uU beträchtliche Verschlechterungen für die AN herbeiführen kann.

Insgesamt zeigt sich somit, dass die Rsp inner- und außerbetriebliche Organisationsentscheidungen des AG, deren Zweck die der Herbeiführung bestimmter Rechtsfolgen im kollektiven Arbeitsrecht ist, nicht als missbräuchlich ansieht, und dass insb arbeitgeberseitige Maßnahmen auch dann nicht sittenwidrig sind, wenn sie auf eine Verschlechterung der kollektivvertraglichen Arbeitsbedingungen abzielen. Vor dem Hintergrund dieser Wertungen fällt es daher schwer, einen zum Zweck eines für den AG vorteilhaften Kollektivvertragswechsels durchgeführten Betriebsübergang als sittenwidrig und damit missbräuchlich anzusehen. Dies gilt auch und insb für konzerninterne Betriebsübergänge, bei denen der gleiche wirtschaftliche AG als Übergeber und Übernehmer auftritt und daher in Wahrheit eine einseitige Maßnahme vorliegt. Auch bei innerbetrieblichen Umorganisationen nach § 9 ArbVG sowie beim Verbandswechsel und bei der Schaffung von Konzernstrukturen aus Gründen der Mitbestimmung handelt es sich um einseitige Maßnahmen des gleichen AG ohne Zusammenwirken mit einem Dritten und ohne besondere geschäftliche Veranlassung.

2.2.

Neben diesen allgemeinen Wertungen des kollektiven Arbeitsrechts, die bereits eine entsprechende Konkretisierung des Missbrauchstatbestandes bewirken, sprechen aber auch noch spezifische Argumente aus dem Betriebsübergangsrecht selbst gegen den Missbrauchsvorwurf. Hier ist vor allem zu bedenken, dass die Rechtsfigur des Rechtsmissbrauchs und der Sittenwidrigkeit ihrem Wesen nach ein Korrektiv zum notwendig unvollständigen geschriebenen Recht ist. Dieses Korrektiv greift dann ein, wenn durch subjektive Rechtsausübung Rechtsfolgen bewirkt oder Ziele verfolgt werden, an die der Gesetzgeber im Rahmen der notwendig typisierten Formulierung rechtseinräumender Tatbestände nicht oder zumindest nicht vordergründig gedacht hat. Dies trifft auf die Rechtsfolge des Kollektivvertragswechsels bei Betriebsübergang aber gerade nicht zu, sondern der Wechsel ist die zen-398trale Rechtsfolgenanordnung in § 4 AVRAG, falls der Übernehmer einem anderen Branchen-KollV unterliegt.* Dabei rechnet der Gesetzgeber auch mit Verschlechterungen für die AN im Zuge des Kollektivvertragswechsels bei Betriebsübergang. Dies zeigt zum einen die Entgeltschutzregel des § 4 Abs 2 AVRAG, wonach das kollektivvertragliche Normalentgelt gegen Verschlechterungen geschützt ist; zum anderen das in § 3 Abs 4 AVRAG normierte Widerspruchsrecht des AN bei Wegfall des kollektivvertraglichen Bestandschutzes, sowie das begünstigte Austrittsrecht bei wesentlicher Verschlechterung der kollektiven Arbeitsbedingungen nach § 3 Abs 5 AVRAG.

Der Kollektivvertragswechsel ist daher ein zentraler Bestandteil der gesetzlichen Rechtsfolgen zum Betriebsübergang, was dann aber zugleich dagegen spricht, das Herbeiführen dieser vom Gesetzgeber planmäßig vorgesehenen Rechtsfolge als missbräuchlich zu qualifizieren. Die dargelegten Regelungen spezifisch zum Kollektivvertragswechsel lassen daher keinen Platz für Rechtsmissbrauch in diesem Punkt.

Die gegenteilige Ansicht widerspräche nicht bloß dem Wesen der Missbrauchsfigur als Korrektiv für atypische Konstellationen, sondern auch dem Wesen des Rechts als Verhaltenssteuerungsinstrument. Die durchaus gewollte Steuerungs- und Anreizwirkung des Rechts beruht darauf, dass die Rechtsunterworfenen ihre Handlungen an den dafür vorgesehenen Rechtsfolgen ausrichten. Verhaltenssteuerung durch Recht bedeutet zwar im Kern, dass das Recht bestimmte Verhaltensweisen fördern oder verhindern soll. Allerdings kann diese Anreizwirkung des Rechts nur funktionieren, wenn sich die Rechtsunterworfenen bei ihren Handlungen (auch sonst) an den im Gesetz vorgesehenen Rechtsfolgen orientieren dürfen und ein solch rechtsfolgenorientiertes Handeln nicht den Missbrauchsvorwurf auslöst.

Schließlich ist noch zu bedenken, dass auch im Konzernverband die kollektivvertragliche Verschlechterung vom AG nicht „nach Belieben“ herbeigeführt werden kann, sondern stets folgende Vorkehrungen bestehen:* Erstens ist ein anderer KollV erforderlich, dem eine Gewerkschaft zugestimmt hat; zweitens muss dieser KollV fachlich einschlägig sein; und drittens wurde die Eignung der Kollektivvertragsparteien für diesen Wirkungsbereich hoheitlich geprüft, und zwar im Wege der Verleihung der Kollektivvertragsfähigkeit. Die Anwendung des neuen, schlechteren KollV ist daher auch aus diesem Blickwinkel sachlich gerechtfertigt und entspricht überdies dem Konzept des kollektiven Arbeitsrechts von der Anwendung des jeweils fachlich und organisatorisch einschlägigen KollV.

Unabhängig davon liefe eine Motivkontrolle beim Betriebsübergang auf eine Zweckbindung der organisatorischen Gestaltungsmacht des AG hinaus, für die keine Rechtsgrundlage besteht. Sieht man von sittenwidrigen Handlungsmotiven ab, so ist die Ansicht von der Zweckbindung subjektiver Rechte dem österreichischen Recht fremd, und sie steht auch im Widerspruch zum Grundkonzept subjektiver Rechte:* Die Einräumung rechtlicher Gestaltungsmacht bedeutet zugleich die Überlassung rechtlicher Entscheidungsfreiheit, was aber nur dann sinnvoll ist, wenn das Rechtssubjekt (abgesehen von verwerflichen Zielsetzungen wie insb Schikane) möglichst keiner Motivkontrolle bei der Rechtsausübung unterliegt. Dies mag zwar dem Zeitgeist und der jüngeren Entwicklung in anderen Bereichen wie dem Antidiskriminierungsrecht widersprechen, wo tendenziell ein Hang zur umfassenden Gesinnungs- und Motivkontrolle besteht. Außerhalb dieses Bereiches besteht dafür aber keine Rechtsgrundlage, und es gibt kein allgemeines Verbot der zweckwidrigen Rechtsausübung.

Insgesamt sprechen daher die überwiegenden Argumente gegen die Qualifizierung eines Betriebsüberganges als rechtsmissbräuchlich, falls dieser der Herbeiführung eines Kollektivvertragswechsels dient. Dies gilt nicht bloß „im Regelfall“ oder „im Allgemeinen“, sondern ein zu diesem Zweck durchgeführter Betriebsübergang kann niemals missbräuchlich sein.

2.3.

Gegen diese Sichtweise sprechen auch nicht die Aussagen des EuGH in der Rs Scattolon, wonach der Betriebsübergang nicht zum Ziel oder zur Folge haben dürfe, dass den betroffenen AN insgesamt schlechtere Arbeitsbedingungen als die vor dem Übergang geltenden auferlegt werden.* Diese Aussage bezog sich nicht auf die im vorliegenden Beitrag behandelte Konstellation, dass der bisherige Übergeber-KollV durch einen bestehenden Übernehmer-KollV abgelöst wird; sondern die Aussage des EuGH bezog sich auf den Abschluss eines speziellen Überleitungs-KollV, der aus Anlass des Betriebsüberganges geschlossen und vom Geltungsbereich her ausschließlich auf die übergehenden AN beschränkt war. Nur für diesen speziellen Überleitungs-KollV hat der EuGH in der E Scattolon gesagt, dass ein solcher Überleitungs-KollV zwar grundsätzlich zulässig ist, dass er aber nicht zum Ziel oder zur Folge haben darf, dass sich die Arbeitsbedingungen der AN durch den Betriebsübergang verschlechtern.* Fehlt es hingegen an einem speziell für den Betriebsübergang abgeschlossenen KollV, so lässt sich aus der Rs Scatollon weder eine Einschränkung für die Kollektivvertragsablöse ableiten, wenn Übergeber und Übernehmer unterschiedlichen Kollektivverträgen unterliegen, noch lässt sich ableiten, dass ein vom AG zwecks Kollektivvertragsablöse durchgeführter Betriebsübergang rechtsmissbräuchlich wäre. Scattolon beschränkt nur die Gestaltungsmacht der Kollektivvertragsparteien, nicht aber jene des AG.

Insofern bestätigt die Rs Scattolon die hier betonte Funktion der Rechtsmissbrauchsfigur als Korrektiv für atypische Fallkonstellationen, die der Gesetzgeber nicht vor Augen hat: Die in der Betriebs-399übergangs-RL vorgesehene Kollektivvertragsablöse bei Betriebsübergang bewirkt auch dann keinen Missbrauch, wenn der Betriebsübergang gezielt zur Herbeiführung der Kollektivvertragsablöse durchgeführt wird. Erst wenn das Ablöse-Prinzip so wie im entscheidungsgegenständlichen Sachverhalt der Rs Scattolon von den Kollektivvertragsparteien dazu genutzt wird, speziell für die übergehenden AN ad-hoc einen ungünstigen KollV abzuschließen und auf diese Weise den an sich kraft Ablöse zur Anwendung gelangenden Übernehmer-KollV auszuschließen, liegt eine atypische Konstellation vor, die nicht im Plan des Richtliniengebers liegt und daher Missbrauch begründen kann.*

3.
Zur Rechtsfolgenseite

Nach der hier vertretenen Sichtweise stellt sich die Frage nach der Rechtsfolgenseite bei missbräuchlichem Betriebsübergang an sich nicht, weil schon der Missbrauchstatbestand nicht erfüllt ist. Dennoch soll kurz auch die Rechtsfolgenseite bei Bejahung des Missbrauchs erörtert werden, weil sie Basis für weitere Überlegungen sein kann.

Einigkeit besteht bei den Befürwortern der Missbrauchsthese darüber, dass die Missbräuchlichkeit keine Nichtigkeit des Betriebsüberganges als solchen bewirkt, also keine Unwirksamkeit der rechtsgeschäftlichen Übertragung der für den Betriebsübergang relevanten Betriebsmittel. Vielmehr ist die Missbrauchsfolge auf die arbeitsrechtliche Rechtsfolge des Betriebsüberganges zu beschränken, und zwar auf den Arbeitsvertragsübergang. Das ASG Wien geht vom automatischen Verbleib der AN beim Übergeber aus, dem OGH schwebt als Rechtsfolge bei missbräuchlichem Betriebsübergang ein Widerspruchsrecht der betroffenen AN gegen ihren Vertragsübergang vor. Zwischen beiden Rechtsfolgen besteht im Ergebnis aber kaum ein Unterschied, weil letztlich beide auf den Verbleib der AN beim Übergeber abzielen.

Allerdings scheint bei näherer Betrachtung der Sinn dieser Rechtsfolge für den AN mitunter zweifelhaft.* Denn der Verbleib des AN beim Übergeber, obwohl der Betrieb auf den Übernehmer übergegangen ist, wird in vielen Fällen zur betriebsbedingten Kündigung durch den Übergeber führen und auch berechtigen. Bei einem konzerninternen Betriebsübergang ist zwar eine erweiterte soziale Gestaltungspflicht vertretbar, die auch den übergegangenen Betrieb erfasst. Allerdings würde dies erst wieder darauf hinauslaufen, dass der AN beim Übernehmer und unter dem unerwünschten KollV arbeitet. Letztlich läuft damit der Vorwurf des missbräuchlichen Betriebsüberganges auf ein Ergebnis hinaus, zwecks dessen Vermeidung das Institut des Rechtsmissbrauchs überhaupt bemüht wurde. Auch diese rechtsfolgenseitige Betrachtung der These vom missbräuchlichen Betriebsübergang lässt sie wenig überzeugend erscheinen.

Insgesamt sollte daher der Rechtsmissbrauchsgedanke bei durch Betriebsübergang herbeigeführtem Kollektivvertragswechsel besser aufgegeben und zur Kenntnis genommen werden, dass die Anwendung des fachlich und organisatorisch einschlägigen KollV auch diesfalls Teil des gesetzgeberischen Konzepts ist, und zwar des Betriebsübergangsrechts ebenso wie des kollektiven Arbeitsrechts insgesamt.

Was auch bei Verneinung des Missbrauchs aber bleibt, ist die abrupte, meist unvorhersehbare und potentiell drastische Verschlechterung der kollektivvertraglichen Arbeitsbedingungen im Zuge eines solchen Betriebsüberganges. Wir haben es daher in Wahrheit mit einer Vertrauensschutzproblematik zu tun,* der das Gesetz in Bezug auf das kollektivvertragliche Normalentgelt auch Rechnung trägt, und zwar in Form eines „Dauerschutzes“. Nach § 4 Abs 2 AVRAG darf bekanntlich durch den Kollektivvertragswechsel bei Betriebsübergang das für die Normalarbeitszeit gebührende Kollektivvertragsentgelt nicht geschmälert werden, sondern dieses gilt als Istlohn auch nach Betriebsübergang statisch weiter. Der gesetzliche Vertrauensschutz erfasst also nur den Kernbereich des Entgelts, nicht aber andere Arbeitsbedingungen wie zB Überstundenzuschläge, Abfertigungen oder Arbeitszeitregelungen. Fraglich ist daher, ob sich in den hier interessierenden Betriebsübergangsfällen ein weitergehender Vertrauensschutz begründen lässt, der über das gesetzliche Ausmaß hinausgeht. Rechtsgrundlage eines solchen Vertrauensschutzes kann freilich nur der Arbeitsvertrag sein, wobei die nachfolgenden Überlegungen daran ansetzen, dass der KollV typischerweise Grundlage des Arbeitsvertrages ist.

4.
Vertraglicher Vertrauensschutz als Alternative

Ein Ansatzpunkt für einen Vertrauensschutz bei Kollektivvertragswechsel könnte in der Überlegung gefunden werden, dass der KollV die Grundlage des Arbeitsvertrages ist.* Zur Klarstellung sei noch einmal das Problem skizziert: Der AN erfährt eines Tages, dass ohne Änderung seiner Arbeitspflichten allein aufgrund einer Betriebsübertragung von einer Konzerngesellschaft auf eine andere ein anderer KollV anwendbar ist, welcher seine Arbeitsbedingungen drastisch verschlechtert. Abgesehen vom Normalentgelt verdrängt dann der neue, ungünstigere KollV den alten vollständig. Von der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen sind zwar jene AN ausgenommen, die günstigere Einzelarbeitsvertragsbedingungen haben, oder mit denen der Übergeber-KollV als Arbeitsvertragsinhalt vereinbart wurde. Wann eine solche arbeitsvertragliche Absicherung vorliegt, ist aber rechtlich nicht400 gesichert und wird faktisch oft von Zufälligkeiten abhängen.

Im Folgenden soll daher erwogen werden, inwieweit das Vertrauen der AN auf die weitere Maßgeblichkeit des Übergeber-KollV generell nach allgemeinen vertragsrechtlichen Regeln geschützt werden könnte. Aus der Sicht des Privatrechts sind die Normen des KollV durchaus eine Geschäftsgrundlage des Arbeitsvertrages, sodass bei wesentlicher Änderung der Geschäftsgrundlage die gleichnamige Lehre eingreift.* Es ist anerkannt, dass auch die Rechtslage zur Geschäftsgrundlage zählen kann.* Als Reaktion auf die Änderung der Geschäftsgrundlage kommt heute in erster Linie eine Anpassung des Vertrages in Betracht. Überträgt man dies auf die vorliegende Betriebsübergangskonstellation, dann käme als Rechtsfolge eine – partielle – Übernahme des Inhalts des bisher maßgeblichen Übergeber-KollV in den Arbeitsvertrag in Betracht, um den Wegfall der normativen Grundlage aufzufangen. In Betracht käme freilich nur die Übernahme jenes Teils des KollV, dessen Wegfall über die hinzunehmende Änderung hinaus gehen würde. Eine solche Arbeitsvertragsanpassung würde freilich nicht zu einer normativen Wirkung des neuen Vertragsinhaltes führen, sondern nur zu einer auf Ebene des Einzelvertrages mit der Folge, dass dieser angepasste Inhalt mit Zustimmung des AN (auch nach Änderungskündigung) weiter verschlechtert werden könnte. Eine normative und zwingende Regelung ist mit Hilfe der Lehre von der Geschäftsgrundlage nicht zu erreichen. Die Rechtfertigung für eine normative und zwingende Regelung iSd bisher maßgebenden Übergeber-KollV ist aber mit dem Wechsel des KollV auch weggefallen. Auch das nach § 4 Abs 2 AVRAG schon von Gesetzes wegen weitergeltende Normalentgelt entfaltet keine solchen Rechtswirkungen.

Fraglich und entscheidend ist allerdings, wann die Änderung der Verhältnisse beim KollV so stark ist, dass man konkret von einer Änderung der Geschäftsgrundlage sprechen kann. Hier hilft eine Überlegung weiter, die auf die Ursachen des Kollektivvertragswechsels Bedacht nimmt. Beim konzerninternen Betriebsübergang liegt dem Kollektivvertragswechsel eine autonome Entscheidung des AG zugrunde und ändert sich der wirtschaftliche AG vor und nach dem Übergang nicht. Die Rechtsordnung gibt dem AG also die Möglichkeit, mit dieser Entscheidung die generellen Arbeitsbedingungen einseitig zu beeinflussen. Dass spricht dann aber dafür, auf diese Möglichkeit jene Grenzen anwenden, welche sonst für eine einseitige Änderung der Arbeitsbedingungen durch den AG gelten. Angesprochen sind damit die Grenzen von vertraglichen Widerrufs- und Änderungsvorbehalten. Dort behält sich der AG ausdrücklich die einseitige Änderung vor. Hier tut er dies nicht, sodass der AN meist mehr überrascht sein wird als dort; dafür eröffnet aber das Gesetz die Möglichkeit, durch Betriebsübergang eine Änderung beim anwendbaren KollV einseitig herbeizuführen. Das Schutzbedürfnis der AN in Bezug auf den Vertrauensschutz ist damit zumindest genauso hoch.

Die Gleichartigkeit des Schutzbedürfnisses könnte es dann rechtfertigen, auf eine einseitige Verschlechterung der kollektivvertraglichen Arbeitsbedingungen durch Betriebsübergang jene Schranken anzuwenden, die auch bei Ausübung vertraglicher Widerrufs- und Änderungsvorbehalte gelten.* Zu nennen ist hier in erster Linie die Bindung an die Billigkeit, womit zunächst ein nachvollziehbarer, sachlicher Grund für die Änderung erforderlich ist. Was die Anforderungen an den sachlichen Grund betrifft, so sind diese entsprechend der Billigkeitsjudikatur zu vertraglichen Gestaltungsrechten zwar nicht sehr hoch, sondern hier reicht praktisch jeder betriebliche Grund aus; dieser wird regelmäßig im Betriebsübergang selbst liegen sowie in der durch den Kollektivvertragswechsel angestrebten Kostenersparnis, insb bei schlechter wirtschaftlicher Lage. Die Billigkeitsschranke kann aber auch Grenzen für das Ausmaß der einseitigen Änderung der Arbeitsbedingungen bewirken. Diese sind zwar von der Judikatur noch nicht vollständig geklärt und werden eher kasuistisch gehandhabt, sodass allgemeine Aussagen nur schwer möglich sind. Folgt man diesem Ansatz dem Grunde nach, so wird man ausgehend von der bisherigen Billigkeitsjudikatur aber immerhin sagen können, dass Arbeitsvertragsanpassungen in Form von zumindest Übergangs- und Einschleifregelungen umso eher erforderlich sind, je mehr der Betriebsübergang eine Verringerung der bereits laufend gewährten AG-Leistungen bewirkt, oder wenn es zum Anwartschaftsentfall und damit überhaupt zur Entwertung bereits erbrachter Arbeitsleistungen kommt; so zB beim Wegfall von Abfertigungsanwartschaften von bereits lange beschäftigten Mitarbeitern. Umgekehrt sind durch den Betriebsübergang enttäuschte Erwartungshaltungen umso weniger geschützt, je mehr die Realisierung erst in der Zukunft stattgefunden hätte; so zB bei erst für die Zukunft vorgesehenen Entgeltsteigerungen wie insb Vorrückungen nach dem Übergeber-KollV, die durch den Wechsel entfallen.

Insgesamt kann jedenfalls festgehalten werden, dass die Billigkeitsschranke ein vertragliches Verhältnismäßigkeitskorrektiv in jenen Fällen sein könnte, in denen der konzerninterne Betriebsübergang erhebliche Verschlechterungen auf kollektivvertraglicher Ebene bewirkt.401