Chaloupek
(Hrsg)Eduard März als Wirtschaftshistoriker und Wirtschaftspolitiker

Verlag des ÖGB, Wien 2015, 96 Seiten, gebunden, € 19,90

CHRISTIANDIRNINGER (SALZBURG)

Angesichts der häufig zu beobachtenden Kurzatmigkeit der heutigen wirtschaftspolitischen und wirtschaftstheoretischen Debatten wird einem bei einer Retrospektive auf das Werk und das Wirken von Eduard März bewusst, woran es eigentlich weitgehend fehlt: nämlich an der Entwicklung von langfristigen Perspektiven einer den gesellschaftlichen Wandel gestaltenden Wirtschaftspolitik, die auf der profunden Kenntnis und Analyse der Zusammenhänge von ökonomischem und politischem Wandel basiert und die theoretisch-historische Analyse mit wirtschaftspolitischer Handlungsorientierung verbindet. Dass dies die Maxime von Eduard März in seiner wissenschaftlichen und politikberatenden Arbeit war und er in der Art und Weise, wie er diese lebte, geradezu einzigartig war, ist das Leitmotiv des vorliegenden Bandes, in dem die Referate einer im November 2013 stattgefundenen wissenschaftlichen Tagung der Wiener Arbeiterkammer veröffentlicht werden. Dabei erscheint März‘ wirtschaftspolitische „Vision“ einer aktiven Rolle des Staates als Faktor und Gestalter einer sozialen marktwirtschaftlichen Ordnung höchst aktuell.

Andreas Resch macht in seinem Beitrag über Eduard März als Wirtschaftshistoriker deutlich, wie sehr für diesen die wirtschaftshistorische Forschung unmittelbarer Teil seines wirtschaftspolitischen Engagements war und macht dabei indirekt auch bewusst, wie wichtig ein derartiges Verständnis der Relevanz wirtschaftshistorischer Forschung gerade auch heute wäre. Anhand der Hauptwerke von März über die Habsburgermonarchie und die Anfangsjahre der Ersten Republik kennzeichnet Resch die für März in seiner wirtschaftshistorischen Analyse grundlegenden theoretischen Koordinaten. So die Verbindung der Ansätze von Karl Marx und Joseph A. Schumpeter zur Erklärung der Entwicklungsdynamik des Kapitalismus unter Einbeziehung des Konzepts des „Finanzkapitals“ von Rudolf Hilferding. Ebenso die Kombination des innovativen Unternehmertums als wesentlicher Akteur des wirtschaftlichen Wandels mit dem Stellenwert der großen Universalbanken als Motor der wirtschaftlichen, insb der industriellen Entwicklung. Mag dies auf den ersten Blick angesichts der – von März nicht mehr in der vollen Entfaltung miterlebten – Wende zum „Neoliberalismus“ sowie der diesen ua kennzeichnenden Bankenkrisen gerade von einem „linken“ Wirtschaftshistoriker möglicherweise etwas befremdlich klingen, so steht dem gegenüber der bei März immer ganz deutlich sichtbar werdende Staat und dessen planende und steuernde wirtschaftspolitische Funktion als entwicklungsbestimmender Akteur. Damit in Zusammenhang verweist Resch auf die bei März immer wesentliche Beschäftigung mit wirtschaftspolitisch führenden und entscheidenden Persönlichkeiten und damit die Einbeziehung eines spezifischen personalen Elements in die wirtschaftshistorische Erklärung. Wichtig für die Einschätzung der Bedeutung und Nachhaltigkeit der wirtschaftshistorischen Arbeit von Eduard März ist deren von Resch vorgenommene Konfrontation mit jüngeren, aktuellen Fachdiskursen mit der Schlussfolgerung, dass „seine Befunde gegenüber den neuen Erkenntnissen standhalten“ (S 27).

Robert Schediwy zeigt in seinem Beitrag, wie eng für Eduard März Wirtschaft, Politik und Kultur miteinander verbunden waren und wie dabei die „Fähigkeit zur moralischen Empörung“ (S 32) eine wichtige Klammer dargestellt hat. Interessant sind in diesem Zusammenhang ua die Hinweise auf die spannungsreichen Beziehungen von Eduard März zu Elias Canetti und zu Bruno Kreisky, aber auch die Hinweise auf seine eigene Stilisierung. Die Hinweise Schediwys auf die „Anmut seiner Sprache“ (S 33), die einem in den Schriften von Eduard März begegnet, werden jedem sofort lebendig, der Eduard März persönlich gekannt hat und in den Genuss eines Gespräches mit ihm gekommen ist. Interessant, da allgemein vielleicht weniger bekannt, sind die Hinweise auf März‘ eigene literarische Tätigkeit, etwa auf das Lesedrama über den Freitod des österreichischen Finanzministers Freiherr von Bruck. Es gelingt Schediwy sehr gut, den Zusammenhang der „linken“ wirtschaftspolitischen und wirtschaftstheoretischen Position von Eduard März mit dessen ethisch fundiertem klassischen Kulturverständnis nachvollziehbar zu machen und ihn damit als einen Typus des Wirtschaftstheoretikers und Wirtschaftshistorikers zu kennzeichnen, den es heute eigentlich nicht mehr gibt, den man sich aber durchaus wieder wünschen sollte.

Im Beitrag von Felix Butschek wird in besonderer Weise deutlich, wie Leben und Werk von Eduard März das 20. Jahrhundert in dessen vielfältigen Spannungen und Umbrüchen geradezu personifiziert widerspiegelt, diese aber zugleich in analytischer und perspektivischer Weise miteinander verbindet. Butschek spricht diesbezüglich von einer „historischen Brückenfunktion“ (S 39) im Werk und Wirken von Eduard März. Das betrifft die Entwicklung der Wirtschaftstheorie in Österreich genauso wie die Wechsellagen in der Wirtschaftspolitik. Butschek macht dies im Hinblick auf eine spezifische Ausformung der „Politischen Ökonomie“ bei März deutlich, wobei mit Recht der wirtschaftshistorischen Dimension, also der Kategorie von Wandel und Pfadabhängigkeiten, wesentliche Bedeutung beigemessen wird. Von speziellem Interesse in Butscheks Beitrag ist die Auseinandersetzung mit der zweifelsohne wesentlichen Bedeutung des politischen Wirtschaftstheoretikers und Wirtschaftshistorikers Eduard März für die Entwicklung der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Programmatik der SPÖ in den ersten drei Nachkriegsjahrzehnten. Damit werden zugleich auch März‘ konstruktiv-kritische Sichtweisen des sozialpartnerschaftlichen Konkordanzsystems und der konkreten Verfassung der „Gemeinwirtschaft“ in der österreichischen Wirtschaftsordnung beleuchtet.

Hans Kernbauer umreißt in seinem Beitrag die wesentlichen Komponenten und Zusammenhänge der von Eduard März auf Basis seiner theoretischen und historischen Studien entwickelten wirtschaftspolitischen Konzeption, die sich in spezifischer Weise als eine Symbiose aus Markt- und Planwirtschaft darstellt. Dabei wird 64 auch deutlich, worum es März bei seiner intensiven Auseinandersetzung mit der praktischen Wirtschaftspolitik vorrangig gegangen ist. Notwendig erschien ihm eine „Wirtschaftspolitik aus einem Guss“ (S 53) auf Basis einer indikativen Rahmenplanung. Gerade auch in Bezug auf die für März charakteristische Verknüpfung von theoretisch-historischer Analyse mit der Konzeption der praktischen Wirtschaftspolitik erschiene es reizvoll, sich mit ihm über Probleme und Perspektiven der aktuellen Wirtschaftspolitik zu unterhalten. Zugleich wird einem, speziell in Zusammenhang mit den Hinweisen auf die Tätigkeit von März im sozialpartnerschaftlichen Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen, einmal mehr die Relevanz von Institutionen und personellen Konstellationen bewusst, die abseits der Tagespolitik, zugleich aber auf deren Gestaltung bezogen, längerfristig orientierte wirtschaftspolitische Konzeptionen entwickeln und diskutieren. In zeithistorischer Hinsicht wird in Erinnerung gerufen, dass in der Mitte der 1960er-Jahre mit der, eigentlich gegen März‘ Intentionen erfolgten Abkehr von der indikativen Planung nach französischem Vorbild eine entscheidende, nachhaltig wirksame Wende in der Entwicklung der wirtschaftspolitischen Programmatik der österreichischen Sozialdemokratie stattgefunden hat. Die diesbezüglichen Ausführungen Kernbauers machen das deutlich. Wissenschaftshistorisch interessant ist dabei insb die von Kernbauer vorgenommene zeithistorische Kontextualisierung von März‘ wirtschaftspolitischem Credo. Dazu gehört eben auch die von März betriebene und damals in Westeuropa politisch heftig diskutierte Suche nach einem „Dritten Weg“.

Der Beitrag von Oskar Grünwald vermittelt einen autobiographischen Zugang zur Bedeutung und zum Wirken von Eduard März in der Wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Wiener Arbeiterkammer. Dabei wird einerseits die Bedeutung von März als wissenschaftliche Autorität und als Lehrer für etliche der Sozialdemokratie angehörende bzw verbundene österreichische WirtschaftswissenschaftlerInnen und WirtschaftspolitikerInnen verdeutlicht. Andererseits wird auch die Bedeutung der sozialpartnerschaftlich institutionalisierten Wirtschaftswissenschaft als wesentlicher Faktor der wirtschaftspolitischen Willensbildung und Strategieentwicklung ab Mitte der 1960er-Jahre ersichtlich. Und es wird nochmals klar, wie sehr die Arbeit von Eduard März von dem Streben nach Kombination von theoretisch fundierter Wirtschaftsanalyse und anwendungsorientierter Wirtschaftspolitikberatung geprägt war. Damit in Zusammenhang erscheint der, mit einer Bibliographie des umfangreichen Werkes von Eduard März abgeschlossene Band über die Würdigung der besonderen Persönlichkeit von Eduard März hinaus auch als ein Plädoyer für eine derartige Kombination in unseren Tagen.