Gahleitner/Mosler (Hrsg)Arbeitsverfassungsrecht
Gesamtwerk, Bd 1 bis 5, mit e-book + Datenbankzugang Verlag des ÖGB, Wien 2015, 3.224 Seiten, € 269,–
Gahleitner/Mosler (Hrsg)Arbeitsverfassungsrecht
Sieglinde Gahleitner und Rudolf Mosler haben eine umfangreiche Kommentierung des ArbVG in fünf Bänden herausgegeben. Der erste Band enthält eine aktuelle Textausgabe 2015. Sie umfasst das ArbVG sowie zahlreiche untergesetzliche und ergänzende Bestimmungen wie BRWO und BRGO. Die Bände 2 und 3 behandeln neben dem Kollektivvertragsrecht die Betriebsverfassung (§§ 1-122), der vierte Band die Jugendvertretung, Sonder- und Schlussvorschriften. Abgerundet wird das Werk mit der Kommentierung der europäischen Betriebsverfassung in Bd 5.
Die HerausgeberInnen haben ein kompetentes Team aus WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen geformt, die die früher von Josef Cerny herausgegebene Kommentierung auf hohem Niveau fortgeführt haben. Cerny blieb aber als Autor der Einleitung erhalten. In dieser beschreibt er die historische Entstehung und Entwicklung, aber auch konstatierten Reformbedarf des Gesetzes. In rechtsvergleichender Perspektive nicht weiter verwunderlich ist, dass die dort genannten Problemlagen dem Rezensenten aus der Diskussion um das etwa gleichaltrige deutsche Betriebsverfassungsgesetz bekannt sind.
Etwa ein Drittel des zweiten Bandes nehmen die Kommentierungen der kollektiven Rechtsgestaltung durch Rudolf Mosler, Elias Felten und Walter J. Pfeil ein. Hier finden sich, soweit ersichtlich, Antworten zu allen sich aufdrängenden Rechtsfragen, beispielsweise ausführliche Erläuterungen zur Frage der Grundrechtsbindung (§ 2 Rz 17 ff), zu den Maßstäben des Günstigkeitsprinzips (§ 3 Rz 28 ff), zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Außenseiterwirkung (§ 12 Rz 5) oder zur Kollektivvertragsangehörigkeit bei Betriebs(teil-)übergang (§ 8 Rz 36 ff). Bei letzterem hätte man sich freilich ein paar Worte dazu gewünscht, wie sich die dort vertretene Dynamik der abgeleiteten Kollektivvertragsangehörigkeit zur Rsp des EuGH in der Rs Alemo-Herron (EuGH 18.7.2013, C-426/11) verhält. Der betriebsverfassungsrechtliche Teil des zweiten Bandes wird von Sieglinde Gahleitner, Hannes Schneller, Thomas Radner und Jochen Preiss kommentiert. Aufgeworfen werden komplizierte Praxisprobleme, etwa zur Zuordnung überlassener Arbeitskräfte einerseits zum Beschäftigerbetrieb und andererseits zum Überlasserbetrieb (§ 36 Rz 14 ff), wo Cernys eingangs beschriebener Reformbedarf ebenfalls deutlich wird. Das Gesetz ist insoweit ein wenig in die Jahre gekommen.
Auf ähnliche Problemlagen stößt man auch in Kommentierungen des dritten Bandes, etwa wenn es um das Verhältnis des Überwachungsrechts in Bezug auf Lohn- und Gehaltslisten zum Datenschutz geht (Auer-Mayer, § 89 Rz 14). Umfangreich kommentiert sind die Herzstücke der Mitwirkung des BR in §§ 96, 96a (Felten/Preiss), § 101 (Goricnik), § 105 (Gahleitner) und § 109 (Schneller) sowie die Mitbestimmung im Aufsichtsrat nach § 110 (Schneller/Preiss).
Im Bd 4 behandelt Christian Dunst die Jugendvertretung sowie die Vorschriften für einzelne Betriebsarten. Hans Trenner kommentiert die Bestimmungen zu Behörden und Verfahren, etwa zum Bundeseinigungsamt unter Einschluss von Mediation sowie Verwaltungsund Arbeitsgerichtsverfahren (§ 141 Rz 3 ff).
Das nachträglich in §§ 171 ff aufgesetzte europäische Betriebsverfassungsrecht iwS bearbeiten Walter Gagawczuk und Klaus Mayr im fünften Band. Instruktiv ist die Einleitung, in der verdeutlicht wird, dass es ein europäisches Mitbestimmungsmodell nicht gibt und65 die Grundsätze sowie die Entstehungsgeschichte der europäischen Betriebsräte-RL und ihrer Neufassung sowie die österreichische Umsetzung erläutert und ein paar rechtstatsächliche Daten angegeben werden. Auch die Kommentierung zur Beteiligung in SE (Societas Europaea), SCE (Societas Cooperativa Europaea) sowie bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen wird durch eine gut verständliche Einleitung in ihren Kontext eingepasst. Diese Einführungen verbessern das Verständnis auch vor dem Hintergrund einer teilweise hohen Regelungsdichte von Bestimmungen, die durch die Wissenschaft deutlich geringer durchdrungen sind als das Kollektiv- und Betriebsverfassungsrecht und offensichtlich auch kaum Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen sind. Letzteres verwundert kaum, hält man sich vor Augen, dass in Österreich offensichtlich lediglich zwei SE mit AN-Mitbestimmung im Aufsichtsrat existieren (S 269).
Die Kommentierungen greifen den Stand der juristischen Diskussion auf und führen eine wissenschaftliche Auseinandersetzung. Insofern handelt es sich um einen Kommentar mit wissenschaftlichem Anspruch, der auch für den rechtsvergleichend interessierten Leser interessante Einsichten vermittelt. Letzteres gilt gerade dort, wo es um Problemlagen geht, die in anderen Ländern nicht bekannt sind, etwa hinsichtlich der Frage des Abzugs der Betriebsratsumlage vom Arbeitsentgelt (§ 73 Rz 37) oder in Bezug auf den betriebsverfassungsrechtlich kanalisierten Kündigungsschutz mit dem in rechtsvergleichender Perspektive eher ungewöhnlichen Sperrrecht des BR (§ 105 Rz 168). Europäische Einflüsse werden, wo sie Relevanz haben, aufgegriffen, so etwa im Kontext der wirtschaftlichen Informations-, Interventions- und Beratungsrechte (§ 108 Rz 1 ff). Die AutorInnen sind aber auch durchgängig darum bemüht, PraktikerInnen als AdressatInnen nicht aus dem Blick zu verlieren und geben an vielen Stellen wertvolle Hinweise durch praktische Aufzählungen (beispielsweise Arbeitsschutzgesetze iSv § 89 Nr 3 ArbVG, § 89 Rz 25 ff; Überblick über Mitbestimmungsmodelle der anderen Mitgliedstaaten im Rahmen der Kommentierung zu § 244). Ferner werden erläuternde Beispiele verwendet (etwa zur Aufsichtsratsmitbestimmung im Konzern, § 110 Rz 141). An vielen Stellen werden verfahrensrechtliche Erläuterungen gegeben (beispielsweise über den Schutz bei Disziplinarmaßnahmen, § 96 Rz 25 ff, § 102 Rz 49 ff, vgl auch die Ausführungen zum Sozialplan im Kontext einer Insolvenz, § 109 Rz 68 f). Alles in allem wird der Kommentar seinem Anspruch, zugleich Hilfe für die Praxis zu sein und die wissenschaftliche Diskussion zu befördern, in jeder Hinsicht gerecht. Wer im Bereich des Arbeitsverfassungsrechts arbeitet, wird daran kaum vorbeikommen.