HelmerStress am Arbeitsplatz als Herausforderung für das Arbeitsrecht

Nomos Verlag, Baden-Baden 2014, 236 Seiten, broschiert, € 62,–

BIRGITWALDHÖR (LINZ)

Macht was ihr wollt, aber seid profitabel.“ Dieses von Wolfgang Trittin (Rechtsanwalt in Frankfurt a.M.) stammende Zitat trifft mE sehr gut den Tenor unserer gegenwärtigen Leistungsgesellschaft. Der damit verbundene Stress gehört schon fast selbstverständlich zum Leben – nicht nur zum Erwerbsleben, sondern generell zum Alltag. Stress zählt neben Burnout und Mobbing zu jenen psychischen Belastungen am Arbeitsplatz, die immer häufiger zu Arbeitsausfällen führen. Zahlreiche österreichische und deutsche Studien wie der Österreichische Arbeitsklima Index oder der DAK-Gesundheitsreport zeigen, dass eine Veränderung der Arbeitswelt in den letzten Jahrzehnten zu einem Wandel der Gefahrenquellen von den klassisch physischen Gefahren hin zu vermehrten psychischen Gefahren geführt hat.

Obiges Zitat ist auch im Werk von Kristina K. Helmer enthalten (S 163). Es handelt sich dabei um eine 2014 veröffentlichte Dissertation, die der Universität Mannheim im Sommersemester 2013 vorgelegt wurde.

Ziel der Arbeit soll es nach eigenen Angaben der Autorin sein, die rechtswissenschaftliche Seite dieses Themas ins Visier zu nehmen und die mit der Überforderung der AN auftretenden Fragen, wie „Hat der Arbeitnehmer ein Recht sich zu beschweren?“ oder „Darf der Arbeitgeber das?“ aus juristischer Sicht zu untersuchen.

Die Autorin gliedert ihre Arbeit in sechs Kapitel. Im ersten widmet sich Helmer zunächst einem Pro-70blemaufriss und einem Tatsachenbericht, wobei sie im Unterkapitel „Gang der Untersuchung“ bereits Ergebnisse ihrer Untersuchung vorwegnimmt und man sich als LeserIn gespannt auf die Begründung freuen kann. Das zweite Kapitel enthält eine äußerst begrüßenswerte Einführung in die arbeitswissenschaftliche Seite dieses Themas und bietet ua eine Definition der Begriffe Leistungsfähigkeit, Arbeitsintensität und der Leistungsverdichtung, die sich sowohl als Leistungsintensivierung als auch als Leistungsausweitung darstellen kann. Die gesundheitlichen Folgen einer längerfristigen Überlastung werden hier ebenfalls anschaulich besprochen.

Die Beantwortung der Frage, wem der Schutz des AN vor sich selbst obliegt, erfolgt im dritten Kapitel. Als mögliche Schutzmächte kommen der Staat, der AG, die AN-VertreterInnen und der AN selbst in Betracht. Aus der Treuepflicht ergäbe sich eine Pflicht des AN, dass sich dieser nicht überlasten darf und er sich selbst schützen müsse (vgl S 51). Unerwähnt bleibt allerdings, dass die Treuepflicht den AN andererseits auch dazu verpflichtet, sich (in einem gewissen Maße und unter engen Voraussetzungen) über seine eigentliche Arbeitsverpflichtung hinaus für den AG und den Betrieb einzusetzen. Sollte es zu erheblichen Verletzungen dieser Treuepflicht kommen, so kann dies zu einer außerordentlichen Kündigung führen. Diese Seite der Treuepflicht steht allerdings in einem Widerspruch zur erstgenannten Annahme von Helmer und bedürfte einer Abgrenzung, insb einer Auseinandersetzung mit der Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung bei der Schlechtleistung.

Im vierten und fünften Kapitel behandelt die Autorin ausführlich die bestehenden Instrumente zum Schutz vor Leistungsintensivierung bzw vor Leistungsausweitung. Eingangs wird jeweils ein Überblick über die zur Leistungsintensivierung bzw -ausweitung führenden Maßnahmen und deren rechtliche Umsetzung gegeben. Zu denken ist hier an die Einführung leistungsabhängiger Entlohnungssysteme, eine Arbeitsumorganisation, Arbeitszeit- und Arbeitsortsouveränität, oder die Erteilung intensiverer Anweisungen. In der Folge erhält man eine Auflistung der möglichen Schutzinstrumente, beispielsweise des BGB, des ArbSchG (Arbeitsschutzgesetz), des ArbZG oder des BetrVG. Im Zusammenhang mit Schutzinstrumenten des ArbSchG belegt Helmer ganz iSd mittlerweile erfolgten Gesetzgebung (BGBl I Nr 63 vom 24.10.2013, in Kraft seit 25.10.2013) bereits Monate zuvor mit ausführlicher Begründung (S 107 ff), die Notwendigkeit der Einbeziehung von psychischen Belastungen bei der Gefährdungsbeurteilung gem § 5 leg cit.

Diese beiden Kapitel bilden den Kernbereich der Untersuchung und stellen mit einem Seitenumfang von 172 Seiten den Schwerpunkt der Arbeit dar.

Das sechste und letzte Kapitel verhilft durch eine pointierte Auflistung der Ergebnisse in 17 Thesen gemeinsam mit den zahlreichen Zusammenfassungen sowohl innerhalb der Kapitel als auch an deren Ende zu einer guten Strukturierung der Arbeit.

Obwohl mittlerweile die meisten europäischen Gesetze und für eine/n österreichische/n ArbeitsrechtsjuristIn im Besonderen die deutschen Gesetze und deren Abkürzungen vertraut sind, wäre es für ausgefallenere Gesetze wie dem ArbSchG praktisch, wenn man diese auf schnellem Weg in einem Abkürzungsverzeichnis nachschlagen könnte. Gängige Kommentare zitiert die Autorin mithilfe von Kurzbezeichnungen, was im Literaturverzeichnis ersichtlich gemacht wurde und ein sehr übersichtliches System der Zitierung darstellt.

Kleine Unstimmigkeiten bedürften, soweit sie den Inhalt tangieren, einer genaueren Recherche, wie im Zusammenhang mit der Frage, ob ein objektiver oder ein subjektiver Maßstab für die Beurteilung der geschuldeten Arbeitsintensität heranzuziehen ist. Für die Bemessung einer objektiven Normalleistung wird auf S 71 Hunold zitiert. Hier gibt die verkürzte Darstellung nämlich „..., dass ein guter Arbeitnehmer in einer besonders guten Arbeitsgruppe schlecht wegkommt bzw ein schlechter Arbeitnehmer in einer besonders guten Vergleichsgruppe zu gut“ nicht das Originalzitat wieder. In der Langversion heißt es – bezogen auf den zweiten Teil dieses Kurzitats – „Umgekehrt ist die Leistung eines – absolut betrachtet – schwachen Mitarbeiters im Vergleich zu einem noch schwächeren Kollegen überdurchschnittlich.“. Das ist allerdings mit dem von der Autorin Wiedergegebenen nicht in Einklang zu bringen. Vielmehr hätte es heißen müssen „... ein schlechter Arbeitnehmer in einer besonders schlechten Vergleichsgruppe zu gut“. In diesem Zusammenhang wird zwar bei der Kritik am individuellen Leistungsmaßstab erwähnt, dass es unrealistisch erscheint, dass ein AN dem AG mitteilt, dass seine Leistungsfähigkeit erschöpft ist (vgl S 81), jedoch Zeilen weiter wird darauf hingewiesen, dass ein AN nur „nein“ sagen muss, Gerichtsverfahren auch für AG langwierig und teuer seien und sich diese davor scheuen, es auf einen solchen Prozess um die Leistungsfähigkeit ankommen zu lassen. Im abschließenden Resümee meint Helmer weiter, „soweit darauf verwiesen wird, dass einem Arbeitnehmer unter Umständen das Rückgrat fehlt, sich zur Wehr zu setzen, weil er dadurch die eigene Leistungsschwäche zugestehen müsste, so besteht in einer solchen Situation unumstritten die Gefahr einer Selbstgefährdung“ (S 83). Diesbezüglich müsse sich der AN seiner Eigenverantwortung bewusst sein. Meiner Meinung nach wurde hier die gegenwärtige Situation am Arbeitsmarkt zu optimistisch eingeschätzt und diese Aussage etwas zu leichtfertig getätigt.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Helmer die Bearbeitung dieses höchst aktuellen Themas insgesamt sehr gut gelungen ist und sie damit wesentlich dazu beiträgt, für das Problem zu sensibilisieren und den Diskurs darüber aufrecht zu halten. Mit der seit 1.1.2013 erfolgten Novelle des österreichischen ASchG zur Evaluierung psychischer Belastungen in Unternehmen hat das Thema auch hier zu Lande an Präsenz gewonnen, weshalb die Lektüre dieses Werks auch für österreichische RechtsanwenderInnen zu empfehlen ist.71