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Gehaltslisten der Interessenvertretung übermittelt: Geheimnisverrat durch Betriebsratsmitglied?

HANNESSCHNELLER (WIEN)
  1. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Vorgangsweise eines Betriebsratsmitglieds den Tatbestand des Geheimnisverrats iSd § 122 Abs 1 Z 4 erster Fall ArbVG verwirklicht, ist die begehrte Zustimmung zur Entlassung (bzw zur Kündigung) des bekl Betriebsratsmitglieds nicht zu erteilen, weil unter den hier gegebenen Umständen die Mandatschutzklausel des § 120 Abs 1 letzter Satz ArbVG zum Tragen kommt.

  2. Die Vertretung der Interessen der AN in Entgeltfragen gehört zum Kernbereich der Vertretungsaufgaben des BR, der deshalb ja auch gem § 89 Abs 1 Z 1 ArbVG berechtigt ist, in die vom Betrieb geführten Aufzeichnungen über die Bezüge und die zur Berechnung dieser Bezüge erforderlichen Unterlagen Einsicht zu nehmen. Die Versuche des Bekl, die AN bei der Geltendmachung einer (jedenfalls von ihm angenommenen) Ungleichbehandlung zu unterstützen, sind daher grundsätzlich von seinem Mandat erfasst.

  3. Dass das Betriebsratsmitglied objektiv seine Kompetenzen und Befugnisse überschritten hat, steht der Anwendung der Mandatschutzklausel dann nicht entgegen, wenn das Betriebsratsmitglied der Meinung sein konnte, dass es im Rahmen seines Mandats tätig wurde.

Die angefochtene E erweist sich im Ergebnis als zutreffend. Selbst wenn man nämlich davon ausgeht, dass die Vorgangsweise des Bekl den Tatbestand des Geheimnisverrats iSd § 122 Abs 1 Z 4 erster Fall ArbVG verwirklicht, ist die von der Kl begehrte Zustimmung zur Entlassung (bzw zur Kündigung) des bekl Betriebsratsmitglieds nicht zu erteilen, weil unter den hier gegebenen Umständen die Mandatschutzklausel des § 120 Abs 1 letzter Satz ArbVG zum Tragen kommt.

Der Bekl hat als Betriebsratsmitglied in den Jahren 2011 bis 2013 etwa 100 bei der Kl beschäftigte Personen im Zusammenhang mit Fragen der ihrer Tätigkeit entsprechenden Entlohnung beraten bzw zu ihren Gunsten bei der Kl interveniert. Für eine AN übermittelte er – nach zahlreichen erfolglosen Gesprächen – dem für die Entscheidung über die Gewährung von Rechtsschutz an diese AN zuständigen Mitarbeiter der Arbeiterkammer Listen, die umfangreiche (auch persönliche) Daten von AN der Kl enthielten und mit denen die behauptete Ungleichbehandlung der AN belegt werden sollte. Er war der Meinung, dass dieser Mitarbeiter der Arbeiterkammer die Listen nur als Entscheidungsgrundlage für die Gewährung von Rechtsschutz an die AN im Zusammenhang mit der Verfolgung von Ansprüchen aus dem Dienstverhältnis zur Kl benötigen und verwenden werde.

Die Vertretung der Interessen der AN in Entgeltfragen gehört zum Kernbereich der Vertretungsaufgaben des BR, der deshalb ja auch gem § 89 Abs 1 Z 1 ArbVG berechtigt ist, in die vom Betrieb geführten Aufzeichnungen über die Bezüge und die zur Berechnung dieser Bezüge erforderlichen Unterlagen Einsicht zu nehmen. Die Versuche des Bekl, die AN bei der Geltendmachung einer (jedenfalls von ihm angenommenen) Ungleichbehandlung zu unterstützen, sind daher grundsätzlich von seinem Mandat erfasst.

Dass das Betriebsratsmitglied objektiv seine Kompetenzen und Befugnisse überschritten hat, steht der Anwendung der Mandatschutzklausel dann nicht entgegen, wenn das Betriebsratsmitglied der Meinung sein konnte, dass es im Rahmen seines Mandats tätig wurde (9 ObA 77/07z; 9 ObA 47/97w mwN; RIS-Justiz RS0106956). Das ist aber hier zu bejahen, woran auch der Umstand nichts ändert, dass die AN mittlerweile den Betrieb verlassen hatte, zumal es um die Fortsetzung der schon während des Arbeitsverhältnisses begonnenen Vertretung ging, die nach wie vor Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis betraf. Die Handlungsweise des Bekl ist daher zumindest als entschuldbar iSd § 120 Abs 1 letzter Satz ArbVG zu werten (vgl RISJustiz RS0106955).

Auf die E 9 ObA 338/00x kann sich die Kl nicht berufen, zumal das dort betroffene Betriebsratsmitglied – anders als hier – nicht davon ausgehen konnte, in Ausübung seines Mandats tätig zu sein. Die anderen in der Revision zitierten Entscheidungen betreffen ebenfalls nicht vergleichbare Sachverhalte. [...]

ANMERKUNG

Um Gerechtigkeit herzustellen, müssen regelmäßig Vergleiche angestellt werden. Ganz gleich, ob im vorliegenden Fall der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz oder das GlBG als Rechtsgrundlage herangezogen wird: Entgelt-Ungleichbehandlungen aufzudecken und zu beseitigen (oder wenigstens zu minimieren), ist ohne „Vergleichen“ unmöglich und gehört wohl unstrittig zu den Kernaufgaben des BR, aber auch von einzelnen Betriebsratsmitgliedern (vgl § 37 Abs 2 ArbVG: jedes einzelne Betriebsratsmitglied kann von einzelnen AN zur Interessenvertretung aufgefordert werden. Das ist Konsequenz des Minderheitsfraktionen- Schutzes innerhalb des Organs BR; näher Gahleitner und Schneller in

Gahleitner/Mosler
[Hrsg], ArbVR5 § 37 Rz 10 und § 116 Rz 6).

Diese Rechtslage besteht nicht erst seit Einführung der Einkommensberichte in die österreichische Arbeitsrechtsordnung (§ 11a GlBG). Die Sorge des Gesetzgebers um Kontrollmöglichkeiten des BR hinsichtlich „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ und korrekter Kollektivvertragseinstufung kommt ua in § 89 Z 1 und Z 2 ArbVG, ganz allgemein in Gestalt des § 38 ArbVG iVm dem GlBG (nicht nur § 11a Abs 3) und indirekt auch in Form des § 99 Abs 2 und Abs 3 ArbVG (besondere Beratung über die51 Tätigkeitsprofile geplanter Einstellungen einzelner AN) zum Ausdruck (ähnlich Pfeil, DRdA 2002, 222). Auch zahlreiche Kollektivverträge sehen einschlägige Mitwirkungsrechte vor, vgl etwa § 15 Rahmen-KollV für Angestellte der Industrie:

„(1) Die Angestellten werden nach Art ihrer vorwiegend ausgeübten Tätigkeit in die in § 19 vorgesehenen Verwendungsgruppen eingereiht.(2) Die Einreihung in die Verwendungsgruppen wird von der Firmenleitung unter Mitwirkung des Betriebsrates vorgenommen. ...“.

Derartige Betriebsratsbefugnisse haben nicht nur Bedeutung für die Einreihung von MindestgehaltsempfängerInnen, auch überkollektivvertragliche Bezüge sind erfasst. Denn die „betriebsübliche“ – und um die ging es hier – Einstufung (dokumentationspflichtiges Schriftform-Datum im Arbeitsvertrag oder Dienstzettel, § 2 Abs 2 Z 7 AVRAG) bestimmt in aller Regel auch die Gehaltserhöhungen und -entwicklungen von Ist-GehaltsempfängerInnen. Es wird mit derartigen Regelungen von den Kollektivvertragsparteien kein zusätzliches, das Betriebsverfassungsrecht überschreitendes Mitwirkungsrecht geschaffen (vgl § 89 Z 2 ArbVG).

1.
Zentrale Fragen bleiben offen

Kommt man somit zum Ergebnis, dass Betriebsratsmitglieder Vergleiche über die Gesamtbezüge von AN gleicher Tätigkeitskategorien anzustellen haben (Pflichtbefugnis gem § 89 ArbVG), um ihre umfassende Interessenvertretungsaufgabe (§ 38 ArbVG) zu erfüllen, dann ist zunächst einmal bedauerlich, dass der OGH nicht klarstellte, ob die Weitergabe von Entgeltdaten an die Arbeiterkammer (oder Gewerkschaft; siehe § 39 Abs 4 ArbVG) einen Geheimnisverrat darstellt bzw unter welchen Umständen die Weitergabe gerechtfertigt wäre. Als „Insider“ kann der Verfasser dieser Glosse zwecks besseren Verständnisses der vorliegenden E ergänzen, dass in einem Parallel-(oder Auslöser-)Verfahren eine AN des Betriebs auf Entgeltgleichstellung durch Einreihung in die Kollektivvertragsverwendungsgruppe ihrer einschlägig-gleich beschäftigten KollegInnen klagte; und zwar in Form einer Leistungsklage auf bisher aufgelaufene Entgelt-Differenzbeträge. Sie wurde dabei von einem einzelnen Betriebsratsmandatar unterstützt, der nicht Betriebsratsvorsitzender war und auch nicht der Mehrheitsliste im BR angehörte. Bei einem die Leistungsklage der AN vorbereitenden Termin in der gesetzlichen Interessenvertretung waren sowohl die AN als auch der Mandatar anwesend und auf die Frage nach Beweismitteln für das bevorstehende Verfahren übergab der Betriebsratsmandatar dem Arbeiterkammer-(AK-)Mitarbeiter die gegenständlichen Gehaltslisten der einschlägigen Abteilung, wobei die AN diese Listen nicht zu Gesicht bekam. Die von der AK beauftragte Rechtsanwältin legte, als sich die Kl – die mittlerweile aus dem Unternehmen ausgeschieden war – auf das Beweismittel „Gehaltsliste Abteilung X“ berief, auf Verlangen des Gerichts (Untersuchungsgrundsatz!) diese vor. Der Rechtsvertreter der bekl AG fragte nach der Herkunft der Privaturkunde und brachte – für seine Mandantin – kurz nach dieser Tagsatzung die Kündigungszustimmungsklage ein, nachdem der Betriebsratsmandatar als „Überbringer an die AK“ genannt worden war.

Es stellen sich bei Lektüre der vorliegenden E vor allem folgende Fragen, für die gewisse Lösungsansätze hier nur angedeutet werden können:

  • Warum werden Entgelt-Daten (einzeln oder gesammelt als „Gehaltslisten“) als Geschäftsgeheimnis erachtet? Bestehen Unterschiede zwischen Unternehmen oder Branchen, wo ein Unternehmensmitbewerber allfällige (Kalkulations-)Vorteile aus gewissen Entgeltdaten ziehen kann und jenen, wo das höchst unwahrscheinlich ist?

  • Ist mit dem (schrittweisen) Inkrafttreten des § 11a GlBG eine Änderung der einschlägigen „Gehaltsvergleich“-Rechtslage auch außerhalb des GlBG, insb vor dem Hintergrund des allgemein- arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes (Fürsorgepflicht) eingetreten?

  • Wie ist im Lichte von § 115 Abs 4 iVm § 39 Abs 4 ArbVG die Beiziehung bzw Intervention eines Betriebsratsmitglieds bei der gesetzlichen oder freiwilligen Interessenvertretung (AK, Landarbeiterkammer, Gewerkschaft) zu verstehen: Dürfen an diese Interessenvertretungsorganisationen und allfällig weitere „Beauftragte“ wie etwa (verschwiegenheitsverpflichtete) VertragsanwältInnen oder Vertrags-BilanzexpertInnen geheime Daten übermittelt werden?

  • Macht es einen Unterschied, ob das Beweismittel „Urkunde über Gehaltsdaten“ nach dem Untersuchungsgrundsatz (§ 183 Abs 1 Z 2 ZPO) vom Gericht aufgenommen wird, ob es eine Partei (ParteienvertreterIn) anbietet oder ob ein Betriebsratsmitglied als ZeugIn die Urkunde vorlegt?

  • Warum umfasst die Mandatschutzklausel nur „objektiv“ vertretbare Irrtümer und wie sind diese gegenüber „subjektiv vertretbaren“ (verschuldeten) abzugrenzen?

2.
Distanzierung von der Entscheidung 9 ObA 338/00x?

In seinen Schlusssätzen betont der OGH, dass der beurteilte Sachverhalt mit jenem seiner E vom 14.2.2001, 9 ObA 338/00x (DRdA 2002, 219 [krit Pfeil]), nicht vergleichbar sei. Damals hatte ein Betriebsratsmitglied unaufgefordert einem AN Gehaltslisten gezeigt, als dieser AN um eine Gehaltserhöhung bzw Gehaltsanpassung an AN ähnlicher Verwendung verhandelte. Bis auf die beiden Elemente „auf Aufforderung“ (hier: durch den AK-Vertreter) gegenüber dem eigenständigen Handeln des Betriebsratsmitglieds und die Personen, denen Zugang zum „Geheimnis“ verschafft wurde (AK-Vertreter hier; AN im seinerzeitigen Fall), sind die beiden Sachverhalte jedoch gleich.

Dem Höchstgericht scheint somit die Aufrechterhaltung der Verschwiegenheit in Bezug auf „qualifizierte Entlohnungsdaten“ (betont wird, dass es „umfangreiche [auch persönliche] Daten von AN“ waren) weiterhin von hoher Bedeutung zu sein.52 Wenn aber der Betriebsratsmandatar wie im vorliegenden Fall diese Daten ohnehin nur der AK und – über die von der AK beauftragte Rechtsvertreterin der AN – auf richterliches Beweisverlangen hin dem Gericht präsentierte, warum kann dann die Frage, ob eine Verschwiegenheitspflichtverletzung vorlag, dahingestellt bleiben? Bloß, weil diese Frage nicht revisionsgegenständlich war? Warum betont der OGH, dass der Betriebsratsmandatar der Meinung gewesen wäre, bloß der AK-Mitarbeiter hätte die Listen als Entscheidungsgrundlage für Rechtsschutzgewährung benötigt und verwendet; könnten denn deren Vorlagen im Leistungsverfahren der AN „Verrat“ durch das Betriebsratsmitglied sein?

Der OGH scheint, trotz einiger Kritik in der Literatur (Trost in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 122 Rz 54; Schneller in
Gahleitner/Mosler
, ArbVR5 § 122 Rz 16; Pfeil, aaO), von seiner schon damals wohl „grenzwertigen“ E 9 ObA 338/00x nicht explizit abrücken zu wollen. Es führte damals aus, dass Gehaltsdaten ganzer Abteilungen selbst bei Einsichtgewährung (nicht Aushändigung) gegenüber einem einzigen, gehaltsverhandelnden AN Geschäftsgeheimnisse sein können, wenn daraus „Einblick in die Gehaltspolitik ganzer Betriebsbereiche ermöglicht“ wird.

Hilfreicher wäre die Erwähnung eines allgemeinen Abwägungsgrundsatzes gewesen, den der OGH im Jahr zuvor iZm der steuerbehördlichen Anzeige eines Angestellten gegen seinen vermeintlich Steuern hinterziehenden AG aufstellte: Es bestehe kein objektiv berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung unlauterer Geschäftspraktiken oder gesetzwidrigen Verhaltens, allerdings müsse der das Geheimnis (Geschäftspapiere und Kalkulationsgrundlagen über Verrechnungen von Arbeitsleistungen) offenbarende AN – oder hier ein Betriebsratsmitglied – „möglichst schonend“ vorgehen (OGH 9 ObA 118/00vDRdA 2001, 266 [Kallab]; ähnlich auch OGH8 ObA 66/06yARD 5792/2/2007).

2.1.
Geheimnisverrat mittels individueller Offenlegung durch AN möglich?

Von Interesse ist in diesem Zusammenhang möglicherweise eine E aus Deutschland. Nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (Rostock) vom 21.10.2009 sind Arbeitsvertragsklauseln unwirksam, die AN zum Stillschweigen über ihre eigene Bezugshöhe, Entgeltbestandteile uä verpflichten.

Derartige Klauseln benachteiligten den AN unangemessen. Das Gespräch mit KollegInnen sei schließlich die einzige Möglichkeit festzustellen, ob der AG bei der Lohnhöhe den Gleichbehandlungsgrundsatz einhalte. Nach der stRsp des Bundesarbeitsgerichts (zB BAG 15.7.2009, 5 AZR 486/08) sei der AG auch bei der Lohngestaltung dem Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet. Die einzige Möglichkeit für den AN festzustellen, ob er Ansprüche aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz hinsichtlich seiner Lohnhöhe hat, ist das Gespräch mit ArbeitskollegInnen. Könnte man ihm derartige Gespräche wirksam verbieten, hätte der AN kein erfolgversprechendes Mittel, Ansprüche wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Rahmen der Lohngestaltung gerichtlich geltend zu machen. Ein derartiges Verbot verstoße auch gegen die Koalitionsfreiheit, weil es Mitteilungen über die Lohnhöhe an eine Gewerkschaft verbiete. Wenn aber die Gewerkschaften die Lohnstruktur eines Unternehmens nicht kennen, seien sinnvolle Arbeitskämpfe unmöglich (siehe http://www.arbeitsrecht.de/rechtsprechung/2010/05/25/arbeitnehmer-duerfen-untereinander-ueber-gehaltshoehe-sprechen.php; Geiblinger, Entgeltgeheimhaltungsklauseln und deren Wirksamkeit, ecolex 2014, 63).

In Österreich ist diese Frage meines Wissens noch nicht geklärt (vgl Knallnig in

Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellHB – Arbeitsvertragsklauseln [2010] 895 ff), wegen der zentralen Begründungselemente Gleichbehandlungsprinzip und Koalitionsfreiheit wäre aber wohl eine ähnliche Spruchpraxis zu erwarten.

3.
Mandatschutzklausel: zwei- oder dreigliedrige Prüfung?

Wörtlich regelt der Gesetzgeber im dritten Satz des § 120 Abs 1 ArbVG, dass die Zustimmungsklage des Betriebsinhabers (BI) abzuweisen ist, „wenn sie sich auf ein Verhalten des Betriebsratsmitgliedes stützt, das von diesem in Ausübung des Mandates gesetzt wurde und unter Abwägung aller Umstände entschuldbar war“. Warum der OGH aber eine „vermeintliche“ Mandatsausübung, also Mandatsüberschreitung, ins Spiel bringt (vorletzter Absatz der E, siehe oben), wo er doch im drittletzten Absatz seiner Entscheidungsbegründung betont, dass der Betriebsratsmandatar in Mandatsausübung gem § 89 ArbVG tätig war („grundsätzlich von seinem Mandat erfasst“), bleibt ein wenig rätselhaft. Möglicherweise differenziert das Höchstgericht zwischen der Ausübung der betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse und den dafür eingesetzten Mitteln, also das Verhalten des Betriebsratsmitglieds in Bezug auf die Wahl des Mittels „Gehaltslisten-Übergabe an die AK“. Dieses Verhalten sei nur noch durch die gesetzliche Mandatare-Schutzklausel zu rechtfertigen.

Dann brächte der OGH aber zum Ausdruck, dass die Weitergabe an die AK Geheimnisverrat sei; eine Schlussfolgerung, die vom Wortlaut des § 39 Abs 4 iVm § 115 Abs 4 ArbVG keinesfalls gedeckt ist und auch von der hL (Mosler in

Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 [2011] § 115 ArbVG Rz 45; weitere Literaturnachweise unter 4.) abgelehnt wird. Auch der OGH selbst hat in seiner E vom 16.10.2003, 8 ObA 62/03f, Bedenken eines BI hinsichtlich möglicher „Betriebsspionage“ durch einen den Produktionsbereich besichtigenden Gewerkschaftssekretär unter Hinweis auf diese Rechtsgrundlage zurückgewiesen.

Dogmatisch interessant – und in der vorliegenden E offen bleibend – ist hier aber auch die Frage, ob neben der Prüfung, ob „objektiv vertretbare“ Mandatsausübung vorliegt, nur ein weiterer Prüfschritt zu erfolgen hat (nämlich Mangel der Vor-53werfbarkeit der Verwirklichung eines der in § 120 Abs 1 angeführten Kündigungs- oder Entlassungstatbestandes) oder ob es zwei weitere Prüfschritte sein müssen. Wie Trost in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 120 Rz 98 überzeugend nachweist, haben zwei weitere Prüfschritte nach Bejahung der (objektiv vertretbar vermeintlichen oder klar rechtmäßigen) Mandatsausübung zu erfolgen.

3.1.
Was ist „objektiv“, was „subjektiv“ iZm der Mandatschutzklausel?

Die Klausel betrifft nicht die Rechtfertigungsebene, sondern ist auf Verschuldensebene einzubringen (Firlei,

). Sie kommt daher erst dann zur Anwendung, wenn feststeht, dass das Verhalten des Betriebsratsmitglieds „objektiv“ rechtswidrig war (Trost in
Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 120 Rz 96). Was nun die Prüfung betrifft, ob das Betriebsratsmitglied 1. der aus Irrtum verschuldeten, aber uU entschuldbaren Meinung sein konnte, im Rahmen seines Mandats zu handeln und 2. der aus der Mandatsüberschreitung oder -fehlausübung resultierende Kündigungs- oder Entlassungsgrund unter Abwägung aller Umstände entschuldbar war, sind diese beiden „subjektiven“ Aspekte klar zu trennen und getrennt zu beurteilen. Beide Aspekte sind gegen das Betriebsinhaberinteresse an der Beendigung abzuwägen; es muss eine „Interessenabwägung besonderer Ausprägung“ erfolgen (idS Trost, aaO Rz 98).

Der erste Aspekt betrifft die kollektive Komponente. Es ist vor dem Hintergrund des zentralen Zwecks der §§ 120-122 ArbVG, nämlich des Sonder-Bestandschutzes im Interesse einer funktionierenden Belegschaftsvertretung, ex post das Verhalten des Betriebsratsmitglieds im Interesse der Arbeitnehmerschaft des Betriebs und/oder im strategischen Interesse des Betriebsratsorgans einer Prüfung auf „entschuldbar oder nicht“ zu unterziehen.

Der zweite Aspekt erfordert eine Entschuldbarkeitsprüfung auf der individuellen Seite des Betriebsratsmitglieds: seine subjektiven Verhaltenskomponenten sind umfassend zu prüfen. Hier hat auch ein allfälliges provozierendes Vorverhalten des BI oder eine Druckausübung seitens der Belegschaft (oder von Belegschaftsteilen bzw einzelnen AN) uä Berücksichtigung zu finden.

Der Motivaspekt des BI wäre noch zusätzlich, unter Beachtung des ebenfalls in § 120 Abs 1 ArbVG (zweiter Satz) als Abwägungskriterium vorgeschriebenen Benachteiligungs- und Beschränkungsverbots zu prüfen (Wolligger in

Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 § 120 ArbVG Rz 53; aA offenbar Trost, aaO Rz 98, die diesen Prüfschritt im Rahmen der individuellen Entschuldbarkeitsprüfung verortet).

4.
Ergebnis

Der OGH hätte die „letzte Karte“ Mandatschutzklausel in seiner Entscheidungsbegründung nicht ziehen müssen, sondern bereits unter Auslegung des klagsgegenständlichen Entlassungstatbestands die Revision zurückweisen können. Er hätte im Hinblick auf die nach wie vor mangelnde Rechtssicherheit (§ 502 Abs 1 ZPO; zentrale Revisionsfunktion) punkto Umgang von Betriebsratsmitgliedern mit Unternehmensgeheimnissen, deren Verwendung für die Mandats- und Interessenvertretungsausübung nötig sind, besser daran getan, mit einer knappen Begründung (eventuell unter Hinweis auf das ebenfalls in § 120 Abs 1 ArbVG angesprochene Beschränkungsverbot) die Tatbestandserfüllung zu verneinen.

Wenn vielleicht auch keine deutlichen Abgrenzungen der nicht geheimen von den geheimen Kategorien und (Verbreitungs-)Formen von Entgeltdaten zu erwarten waren, so wäre jedenfalls eine klare Aussage zu § 39 Abs 4 ArbVG wünschenswert gewesen. In der Literatur bleibt mangels Rsp jedenfalls weitgehend unbestritten: Solange nur die zur Verschwiegenheit verpflichteten MitarbeiterInnen der AN-Interessenvertretungen und deren verschwiegenheitsverpflichtete Beauftragte die Daten sehen, kann ein Betriebsratsmitglied keinen Geheimnisverrat begehen (vgl zB Strasser in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG §§ 38, 39 Rz 21; Gahleitner in
Gahleitner/Mosler
, ArbVR5 § 39 Rz 18).

Die spätestens 2001 geprägte Judikatur, dass Gehaltsdaten ganzer Abteilungen dann Geschäftsgeheimnisse sein können, wenn daraus „Einblick in die Gehaltspolitik ganzer Betriebsbereiche ermöglicht“ wird, bleibt damit wohl aufrecht. Es wurde die Chance vertan klarzustellen, welche Abwägungen Betriebsratsmitglieder anzustellen und welche Sorgfalt sie beim Umgang mit geheimen Daten anzuwenden haben, wenn sie ihre Aufgaben und Befugnisse gem §§ 38 f ArbVG iSd „Herbeiführung eines Interessenausgleichs zum Wohle der AN und des Betriebes“ ausüben müssen. Im Hinblick auf die immer komplexer werdenden Umfeldbedingungen, unter denen ehrenamtliche BetriebsratsmandatarInnen schwierige Entscheidungen in meist knapper Zeit treffen müssen, ist das bedauerlich.54