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Externes Whistleblowing durch einen Arbeitnehmer

WOLFGANGGORICNIK (SALZBURG)
  1. Nicht jeder Geheimnisverrat, der nicht auf Illoyalität gegenüber dem AG zurückzuführen ist, rechtfertigt schon eine Entlassung.

  2. Unlautere Geschäftspraktiken oder gesetzwidriges Verhalten zählen nicht zu den Umständen, an deren Geheimhaltung der AG ein objektiv berechtigtes Interesse hat. Wenn es um die Aufdeckung strafrechtlich relevanter Umstände geht, ist ein AN im Interesse der Allgemeinheit auch zur Erstattung einer Strafanzeige berechtigt, wobei er allerdings in einer für den AG möglichst schonenden Form vorzugehen hat. Nur haltlose und subjektiv unbegründete Anschuldigungen bilden den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit. Diese Grundsätze können auch bei in die Zuständigkeit der Finanzmarktaufsicht (FMA) als Aufsichtsbehörde fallenden Angelegenheiten herangezogen werden.

Der Kl war seit 1973 Angestellter und seit 1988 Geschäftsleiter und Vorstandsvorsitzender der Bekl. Mit Bescheid vom 15.10.2013 wurde festgestellt, dass er seit 24.5.2012 dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört.

Zwischen dem Kl und einem zweiten Vorstandsmitglied, das mit ihm gleichzeitig zum Geschäftsleiter bestellt worden war, kam es erstmals um das Jahr 2002 zu Streitigkeiten bezüglich Kreditvergaben. Ab den Jahren 2008/2009 bestanden Auffassungsunterschiede insb hinsichtlich der Ressortverteilung, der Pouvoirmatrix, der Gestionierung von Kreditengagements, Eigengeschäften iSd § 28 BWG und des Risikomanagements. Sie mündeten in Vorwürfen des Kl, dass dem zweiten Vorstandsmitglied bei einer Reihe von Kreditvergaben Unregelmäßigkeiten anzulasten seien. Diese waren in der Folge auch Gegenstand von Vorstands-, Kreditausschussund Aufsichtsratssitzungen, führten zu einer externen Prüfung und im Jahr 2010 zu Verbesserungsvorschlägen durch den Genossenschaftsverband und zur Bestellung eines dritten Geschäftsleiters.

Der Konflikt flammte zu Beginn des Jahres 2012 anlässlich der Bestellung eines neuen Dienstautos für das zweite Vorstandsmitglied, der Mobbingvorwürfe von zwei Mitarbeiterinnen und der schlechten wirtschaftlichen Lage der Bank, die eine Sektorhilfe erforderlich machte und zu einer Konkretisierung von Fusionsplänen mit zwei weiteren Banken führte, wieder auf. Im Mai 2012 informierte der Kl auch den Präsidenten des Genossenschaftsverbandes von den seit 2008/2009 bestehenden Problemen. Dieser meinte, dass ihm dann, wenn er weder beim Aufsichtsrat noch bei Verbandsorganen Gehör finde, auch eine Anzeige bei der FMA offenstehe. Nach der gemeinsamen Sitzung des Aufsichtsrats und des Vorstands vom 25.6.2012, in der zur Vorantreibung der Fusion mehrheitlich eine Wiederbestellung des Kl und des zweiten Vorstandsmitglieds um ein Jahr beschlossen worden war, war für den Kl klar, dass er für die neue fusionierte Bankengruppe unter Umständen als Vorstand nicht mehr benötigt würde und kündigte dem Aufsichtsratsvorsitzenden seine allfällige Absicht an, die FMA einzuschalten. Dieser entgegnete, dass er eine solche Anzeige machen solle, wenn er dafür einen Anlass sehe. Der Kl kontaktierte seinen Anwalt, weil er die Missstände festgestellt wissen wollte und glaubte, zur Einschaltung der FMA verpflichtet zu sein, um selbst keine Pflichtwidrigkeiten oder Nachlässigkeiten verantworten zu müssen. Er wollte bestätigt bekommen, keine Versäumnisse im Rahmen seiner Organfunktion zu vertreten zu haben.

Da der Revisionsverband der Fusion nur zustimmen wollte, wenn der Kl nicht Mitglied des neuen Vorstands werde, wurde mit ihm über eine Beendigung seines Dienstvertrags verhandelt. Mangels Einigung sprach die Bekl am 6.12.2012 die Kündigung seines Dienstverhältnisses zum 30.6.2013 aus.

Der Kl brachte am 19.12.2012 eine Feststellungsklage auf Fortbestand des Dienstverhältnisses ein, in der er die Sittenwidrigkeit der Kündigung behauptete. Dabei stützte er sich darauf, dass er die Pflichtverletzungen bzw das strafbare Verhalten des zweiten Vorstandsmitglieds aufgedeckt habe und deswegen gekündigt worden sei. Im vorbereitenden Schriftsatz vom 18.2.2013 konkretisierte er die Vorwürfe zu den behaupteten Verfehlungen bzw Unregelmäßigkeiten bei Kreditvergaben, die er der Bekl angezeigt habe, und bezog sich in diesem Zusammenhang auf einzelne Kreditengagements und namentlich genannte Kunden. Mit Schriftsatz vom 15.4.2013 legte er Urkunden vor, die ua auch die im Schriftsatz genannten Kredite betrafen und deren Daten nicht geschwärzt waren. Der Kl veranlasste überdies eine Sachverhaltsdarstellung über die behaupteten Unregelmäßigkeiten bei der Kreditvergabe an die FMA.

Am 29.4.2013 wurde er von der Bekl entlassen, weil er mit der Urkundenvorlage gegen das Bankgeheimnis (§ 38 BWG) und gegen seine dienstvertragliche Verschwiegenheitspflicht verstoßen habe. Am 30.4.2013 fand die vorbereitende Tagsatzung statt. Weder in dieser noch in den Folgeverhandlungen kam es zu einer formellen Verlesung der vorgelegten Urkunden. Verfahrensfremde Parteien waren nicht anwesend. Ein Antrag des Kl auf Ausschluss der Öffentlichkeit wurde vom Erstgericht abgewiesen.

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen stimmte der Kündigung des Kl nicht zu.

Der Kl begehrte zuletzt die Feststellung des aufrechten Fortbestands des Dienstverhältnisses über den 29.4.2013 und auch über den 30.6.2013 hinaus. Die Kündigung sei mangels Zustimmung des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen unwirksam. Die Entlassung sei nicht berechtigt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es sah in der Urkundenvorlage einen Verstoß des Kl gegen die ihn treffenden Verschwiegenheitspflichten und erachtete die Entlassung als berechtigt.133

Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kl erhobenen Berufung Folge und änderte die Entscheidung iS einer Klagsstattgabe ab. Soweit revisionsgegenständlich, ging es davon aus, dass der Kl die ihm obliegenden Geheimhaltungspflichten verletzt habe, die Fortsetzung des Dienstverhältnisses für die Bekl jedoch nicht unzumutbar sei. Auch die Sachverhaltsdarstellung an die FMA rechtfertige keine Entlassung.

Der OGH wies die Revision der Bekl zurück.

Welche schwerwiegenden Gründe im Einzelfall die Unzumutbarkeit der Fortsetzung eines Dauerschuldverhältnisses bewirken und zu dessen Auflösung berechtigen, ist in aller Regel eine Frage der Abwägung im Anlassfall, der zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt und die zur Wahrung der Rechtssicherheit im Rahmen einer Revision nur dann aufgegriffen werden könnte, wenn eine auffallende Fehlbeurteilung des Gewichts der Auslösungsgründe erkennbar wäre (RIS-Justiz RS0042834; RS0106298).

Bei der Beurteilung der Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 dritter Fall AngG kommt es vor allem darauf an, ob für einen AG vom Standpunkt vernünftigen kaufmännischen Ermessens die gerechtfertigte Befürchtung bestand, dass seine Belange durch den Angestellten gefährdet sind, wobei nicht das subjektive Empfinden des AG entscheidet, sondern an das Gesamtverhalten des Angestellten ein objektiver Maßstab anzulegen ist, der nach den Begleitumständen des einzelnen Falls und nach der gewöhnlichen Verkehrsauffassung angewendet zu werden pflegt (RIS-Justiz RS0029833, RS0029733). Im Hinblick auf die Zulässigkeit der Revision bedürfte es auch in diesem Zusammenhang einer auffallenden Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts. Eine solche liegt jedoch nicht vor.

Erst kürzlich war die Frage, ob und inwieweit das Bankgeheimnis nach § 38 BWG der Klagsführung eines Kreditinstituts gegen ihre vormaligen Aktionäre und Organwalter auf Schadenersatz entgegenstehen kann, Gegenstand einer E des OGH (6 Ob 157/14b). Darin wurde ausgesprochen, dass das Bankgeheimnis der Klagsführung des Kreditinstituts nicht entgegensteht, weil es diesem wie jedem anderen Rechtssubjekt möglich sein muss, unter den sonstigen Anspruchsvoraussetzungen Schadenersatz von Schädigern zu verlangen und gerichtlich durchzusetzen. Der Senat schloss sich erkennbar der Ansicht an, dass die Durchbrechung aber nur im unbedingt notwendigen Ausmaß zu erfolgen habe und dass die Personen, denen gegenüber das Bankgeheimnis offenbart werden müsse, zur Verschwiegenheit verpflichtet seien. Da dies auf die Volksöffentlichkeit nicht zutrifft, kam er unter Berücksichtigung der Rsp des EGMR zu den Ausnahmen des Art 6 Abs 1 EMRK zum Ergebnis, dass in der betroffenen Verhandlungsphase die Volksöffentlichkeit auszuschließen ist.

Auf diese Grundsätze hat auch das Berufungsgericht Bedacht genommen und daraus gefolgert, dass der Kl mit der Vorlage der Urkunden an das Erstgericht durch den Schriftsatz die ihm obliegenden Geheimhaltungspflichten verletzt habe. Dies wird im Revisionsverfahren auch nicht in Frage gestellt, sodass dazu nicht weiter Stellung zu nehmen ist. Das Berufungsgericht war lediglich der Ansicht, dass die Umstände des vorliegenden Falles die Fortsetzung des Dienstverhältnisses der Bekl noch nicht unzumutbar machten.

Nicht jeder Geheimnisverrat, der nicht auf Illoyalität gegenüber dem AG zurückzuführen ist, rechtfertigt schon eine Entlassung (vgl 9 ObA 158/02d). Für den vorliegenden Fall ist überdies zu bedenken, dass nach Ausspruch der Entlassung liegende Umstände für die Beurteilung ihrer Berechtigung rechtlich bedeutungslos sind (RIS-Justiz RS0028962), sodass es hier nur auf die inkriminierte Einbringung des Schriftsatzes bei Gericht ankommt.

Die Vorlage der Urkunden als solche war dem Kl zur Darlegung der von ihm behaupteten Sittenwidrigkeit der Kündigung nicht prinzipiell zu verwehren. Sie erfolgte zunächst nur gegenüber dem Gericht. Richtig ist, dass der Kl im Schriftsatz den Ausschluss der Öffentlichkeit noch nicht beantragt hatte. Allerdings bestand zu jenem Zeitpunkt auch noch nicht die Gefahr der Aufdeckung von dem Bankgeheimnis unterliegenden Daten gegenüber Personen, die nicht ihrerseits einem Geheimnisschutz unterlagen. Die Entlassung des Kl erfolgte einen Tag vor der vorbereitenden Tagsatzung vom 30.4.2013, sohin zu einem Zeitpunkt, als der Kl noch einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit stellen und damit der Realisierung der Gefahr vorbeugen konnte. Ungeachtet dessen, dass diese und die folgenden Tagsatzungen ohne verfahrensfremde Personen stattfanden, kam es in der Folge zu keiner formellen Verlesung der Urkunden, sodass die Urkundeninhalte tatsächlich niemandem, der nicht der Verschwiegenheitspflicht unterlag, zur Kenntnis gelangten. Danach ist es aber vertretbar, wenn das Berufungsgericht für den Zeitpunkt des Entlassungsausspruchs keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine entlassungsbegründende Gefährdung der Interessen der Bekl sah.

Die Bekl beruft sich auch darauf, dass der Kl mit der Offenbarung von Bankgeheimnissen den Tatbestand des § 101 Abs 1 BWG erfüllt habe, weil es ihm auf die Verschaffung eines Vermögensvorteils, nämlich die Stärkung seiner Verhandlungsposition im Zuge der einvernehmlichen Auflösung seines Dienstverhältnisses zur Bekl, angekommen sei. Dieses Vorbringen ist nicht nachvollziehbar, weil der Kl im Zuge der Verhandlungen gerade keine Bankgeheimnisse offenbarte, um – so die erstgerichtlichen Feststellungen – die Verhandlungen und einen möglichen Generalvergleich nicht zu gefährden. Die Vorlage der Urkunden erfolgte vielmehr zu einem Zeitpunkt, als ein solcher Vermögensvorteil für den Kl nicht mehr zu erzielen war. Folgt man dem Standpunkt der Bekl, dass die Bekanntgabe von Kundendaten für das Rechtsschutzziel des Kl nicht erforderlich war, ist auch nicht ersichtlich, welchen konkreten Vermögensvorteil er sich durch die Bekanntgabe der Daten hätte verschaffen können. Ein solcher steht auch nicht fest.

Die Bekl sieht die Entlassung auch in der Sachverhaltsdarstellung an die FMA begründet, die aus ihrer Sicht nicht notwendig gewesen sei.134

Nach der Rsp zu § 27 Z 1 AngG trifft den AN bei strafrechtswidrigen Umtrieben des AG keine Verschwiegenheitspflicht. Unlautere Geschäftspraktiken oder gesetzwidriges Verhalten zählen nicht zu den Umständen, an deren Geheimhaltung der AG ein objektiv berechtigtes Interesse hat. Wenn es um die Aufdeckung strafrechtlich relevanter Umstände geht, ist ein AN im Interesse der Allgemeinheit auch zur Erstattung einer Strafanzeige berechtigt, wobei er allerdings in einer für den AG möglichst schonenden Form vorzugehen hat. Nur haltlose und subjektiv unbegründete Anschuldigungen bilden den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit (RIS-Justiz RS0113682). Diese Grundsätze können auch bei in die Zuständigkeit der FMA als Aufsichtsbehörde fallenden Angelegenheiten herangezogen werden.

Entgegen der Ansicht der Bekl handelte es sich bei der an die FMA gerichteten Sachverhaltsdarstellung des Kl nicht nur um weit in der Vergangenheit liegende, nicht mehr relevante Umstände und subjektiv unbegründete Anschuldigungen, weil darin etwa auch ein Kreditengagement aus dem Jahr 2012 mit dem Hinweis aufgezeigt wird, dass sich an der skizzierten Praxis betreffend die Kreditvergabe an Bekannte/Freunde des zweiten Vorstandsmitglieds nichts geändert habe, Versuche bestünden, die um Objektivität und Korrektheit der Abwicklung von Bankgeschäften bemühten Mitarbeiter (Vorstandssekretärin, Prokuristin und ehemalige Kreditreferentin) durch Mobbing und Bossing loszuwerden, seitens des Genossenschaftsverbandes keine konstruktive Reaktion oder Veranlassung erfolgt sei und sich durch die unangemessenen Verfahren das Kredit-, das operationelle Risiko und das Liquiditätsrisiko der Bekl erhöht habe. Die FMA sah sich aufgrund der Darstellung auch veranlasst, den Genossenschaftsverband um Beurteilung der Angelegenheit aus der Sicht des Bankprüfers zu ersuchen und die Staatsanwaltschaft einzuschalten, die in der Folge ein – wenngleich zwischenzeitig eingestelltes – Ermittlungsverfahren gegen das zweite Vorstandsmitglied einleitete. Auch die Prüfung, ob die Bekl wirksame, weitere Unregelmäßigkeiten ausschließende Maßnahmen gesetzt hatte, zählte aber zum Aufgabengebiet der Aufsichtsbehörde. Es ist daher nicht weiter korrekturbedürftig, wenn das Berufungsgericht die Anzeige des Kl bei der FMA nicht von vornherein als haltlose, subjektive Anschuldigung ansah.

Die Bekl meint, dass die Sachverhaltsdarstellung nicht das gelindeste Mittel gewesen sei und ebenso eine Anzeige gegen das zweite Vorstandsmitglied in Frage gekommen wäre. Diese hätte jedoch nur in Bezug auf diesen Wirkung entfalten können, während der Kl daran interessiert war, Missstände bei der Bekl aufzuzeigen, auf die er aufgrund seines Ausscheidens auch nicht mehr Einfluss nehmen konnte. Ob dem Aufsichtsratsvorsitzenden im Zeitpunkt des Ausspruchs der Entlassung die Übermittlung der Sachverhaltsdarstellung bekannt war, ist hier insofern nicht ausschlaggebend, als er dem Kl diese Möglichkeit bereits davor freigestellt hatte.

Es ist aber auch aus dem Hinweis der Bekl auf die Rsp des EGMR, E vom 21.7.2011, Bsw 28274/08, Heinisch/Deutschland, für sie nichts zu gewinnen, weil im Berufungsurteil die vom EGMR angesprochenen Parameter für die Zulässigkeit einer Entlassung nach einer Strafanzeige gegen den AG – Meldung von Missständen zuerst an den Vorgesetzten oder eine andere kompetente Stelle; Vorhandensein anderer effektiver Mittel; Prüfung des Interesses der Öffentlichkeit an einer Offenlegung der Informationen im Verhältnis zu den vom AG dadurch erlittenen Schäden; Motiv des AN – nicht missachtet wurden.

Zusammenfassend zeigt die Revision der Bekl keine entscheidungsrelevante Rechtsfrage auf, der die Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zukäme. Ihre Revision ist daher zurückzuweisen.

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Voranzustellen ist, dass die E des OGH aus Sicht des Rezensenten ausgewogen ist und sowohl im Ergebnis als auch von der Begründung her überzeugt.

Die gegenständliche E interessiert nicht so sehr wegen der Einpassung der Einschaltung der FMA durch einen AN in die gefestigte Judikaturlinie, dass unlautere Geschäftspraktiken oder gesetzwidriges Verhalten nicht zu den Umständen zählen, an deren Geheimhaltung der AG ein objektiv berechtigtes Interesse hat; vielmehr bilden nur haltlose und subjektiv unbegründete Anschuldigungen den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit (RIS-Justiz RS0113682). Von größerem Interesse ist zum einen die – soweit ersichtlich – erstmalige ausdrückliche Bezugnahme des OGH auf die „Whistleblowing-Entscheidung“ des EGMR 21.7.2011/Applic 28274/08, Heinisch/Deutschland.

Zum anderen hat sich der OGH – soweit ersichtlich – ebenso erstmalig mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen ein AN geheimhaltungspflichtige Unterlagen im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vorlegen darf, ohne damit einen Entlassungsgrund zu verwirklichen.

Wegen ihrer nicht zu unterschätzenden praktischen Auswirkungen sollen diese beiden Themenbereiche in aller gebotenen Kürze allgemein dargestellt bzw näher beleuchtet werden (Pkt 2. bzw 3.2.).

2.
Whistleblowing im Allgemeinen

Wirtschaftskriminalität iwS wird oftmals (nur) durch interne oder externe Tippgeber aufgedeckt, sodass im Wirtschaftsleben aktuell verstärkt versucht wird, diesen Zufallsfaktor dergestalt in entsprechende Programme (nicht nur zur Aufdeckung, sondern auch zur Prävention) zu integrieren, dass sogenannte „Whistleblowing-Hotlines“ implementiert werden, für die es mittlerweile sogar eigene Software-Tools gibt. Darüber hinaus wird die Einrichtung einer solchen Whistleblowing-Hotline mittlerweile auch als ein Instrument der Überwachung der Einhaltung von Compliance-Vorgaben verstanden (vgl 135Napokoj in

Napokoj
[Hrsg], Risikominimierung durch Corporate Compliance Kap II Rz 135 [Stand 1.1.2010, rdb.at]); es handelt sich dabei um sogenanntes „internes Whistleblowing“. Der Anglizismus „Whistleblowing“ kann dabei mit „verpfeifen“ und „verraten“, andererseits positiv konnotiert aber auch mit „einen Skandal aufdecken“ übersetzt werden (Aschauer, Whistleblowing im Arbeitsrecht [2012] 25 f spricht von „Arbeitnehmeranzeigen“ bzw in einem weiteren Begriffsverständnis vom Aufzeigen von Gefahren, Missständen oder illegalen Handlungen durch „Organisationsinsider“).

Mit Whistleblowing bezeichnet man im arbeitsrechtlichen Zusammenhang aber auch das Aufdecken von (auch fahrlässigen) Missständen und Unregelmäßigkeiten oder schlichtweg auch bloßen Organisationsmängeln in der öffentlichen Verwaltung oder in privaten Unternehmen durch die eigenen AN bzw auch durch den BR (dazu näher Risak, Whistleblowing durch den Betriebsrat, ecolex 2012, 243; zu diesbezüglichen Abgrenzungsfragen zuletzt Goricnik, Anm zu OGH8 ObA 77/14bDRdA 2015/46, 351). Dabei werden zB Informationen über Steuerhinterziehung, Kartellabsprachen, Manipulationen des Aktienkurses und Schmiergeldzahlungen, aber auch über Qualitätsprobleme, Lieferschwierigkeiten oder über den Verstoß gegen arbeitsrechtliche oder arbeitnehmerschutzrechtliche Vorschriften entgegen einer grundsätzlichen Verschwiegenheits- bzw Diskretionspflicht als Teil der Treuepflicht (vgl dazu OGH9 ObA 70/15gARD 6468/13/2015) an Geschäftspartner des AG, Interessenvertretungen, Behörden, oder auch direkt an die Presse weitergegeben (sogenanntes „externes Whistleblowing“).

Gem RIS-Justiz RS0113682, zB OGH9 ObA 118/00vDRdA 2001/23 (zust Kallab), besteht an der Geheimhaltung unlauterer Geschäftspraktiken oder gesetzwidrigen Verhaltens des AG kein objektiv berechtigtes Interesse (Weiß, Anm zu OGH8 ObA 277/97m

spricht diesbezüglich von „illegalen“ Geheimnissen). Wenn es um die Aufdeckung strafrechtlich relevanter Umstände gehe, sei ein AN im Interesse der Allgemeinheit nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet, sondern sogar zur Erstattung einer Strafanzeige berechtigt, wobei er allerdings in einer für den AG möglichst schonenden Form (dh grundsätzlich vorheriger betriebsinterner Hinweis auf die vermuteten Malversationen) vorzugehen habe. Nur haltlose und subjektiv unbegründete Anschuldigungen würden den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit bilden; entscheidend sei nämlich die subjektive Vorstellung des AN bei Erstattung der Strafanzeige.

Auch in der E des OGH9 ObA 26/01sARD 5244/32/2001 wurde der gewerberechtliche und somit gegenüber der Gewerbebehörde verantwortliche Geschäftsführer als berechtigt angesehen, bei der Gewerbebehörde Anzeige zu erstatten, da dies nach dem Sachverhalt weder haltlos noch subjektiv unbegründet gewesen sei, zumal der äußere Anschein den Standpunkt des gewerberechtlichen Geschäftsführers gestützt habe; es habe sohin keine Dienstvertragsverletzung vorgelegen, die eine Pönaleforderung ausgelöst hätte.

Gem OGH8 ObA 66/06yARD 5792/2/2007 kann aber ein Verhalten des AN, das darauf hinausläuft, schon bei bloßen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines Verhaltens des AG Schritte zu setzen (konkret erhob der AN gravierende Anschuldigungen gegen seinen AG bei der Arbeiterkammer und der Kammer der Wirtschaftstreuhänder, ohne in seine Sachverhaltsdarstellung für den AG sprechende Umstände aufzunehmen, die ihm bekannt waren), die geeignet sind, dem AG schweren Schaden zuzufügen, nicht mehr mit dem Recht, gesetzwidriges Verhalten des AG anzuzeigen, gerechtfertigt werden, sondern berechtige zur Entlassung des AN.

Als cause célèbre ist im gegebenen Zusammenhang das Urteil des EGMR vom 21.7.2011, Applic 28274/08 in der Rs Heinisch/Deutschland, zu erwähnen: Der EGMR erkannte bezüglich der inkriminierten Weigerung der deutschen Gerichte, die Weiterbeschäftigung der Altenpflegerin anzuordnen, die wegen einer Strafanzeige gegen ihren AG wegen behaupteter Mängel in der institutionellen Pflege entlassen worden war, mangels einer gerechten Abwägung zwischen dem erforderlichen Schutz des Rufes und der Rechte des AG einerseits und dem erforderlichen Schutz der Meinungsfreiheit der beschwerdeführenden AN andererseits auf eine Verletzung von Art 10 EMRK. Das Interesse der Allgemeinheit, über Defizite bei der institutionellen Altenpflege informiert zu werden, sei in einer demokratischen Gesellschaft so wichtig, dass es das Interesse am Schutz des geschäftlichen Rufes und die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens überwiege. Generell sprach der Gerichtshof aus, dass Hinweise auf Missstände in erster Linie gegenüber Vorgesetzten oder anderen (innerbetrieblichen) zuständigen Stellen oder Einrichtungen vorgebracht werden sollten, aber im Falle einer entsprechenden Unpraktikabilität als ultima ratio sogar die Öffentlichkeit informiert werden dürfe (EGMR 21.7.2011, Applic 28274/08, Heinisch/Deutschland Rz 65; näher dazu Hochhauser, Fristlose Kündigung wegen der Einbringung einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber, ZESAR 07/12, 278). Der EGMR verwendete in seinem Urteil dabei ausdrücklich den Terminus „whistleblowing“ (EGMR 21.7.2011, 28274/08, Rz 31).

Selbst wenn also der AG (noch) gar kein rechtswidriges Verhalten gesetzt hat, kann das Anprangern von Zuständen, die nicht illegal, aber möglicherweise gefährlich, moralisch verwerflich oder kritikwürdig sind, zulässiger Gegenstand von Whistleblowing sein (so auch Naderhirn, Whistleblowing im Arbeitsrecht – Ausgewählte Aspekte, DRdA 2014, 14 [17]).

Da Art 10 EMRK nicht nur Werturteile (Meinungen ieS), sondern auch Tatsachenaussagen und andere Mitteilungen schützt („aktive Informationsfreiheit“, vgl Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht11 [2015] Rz 1457 mwN), fiele sohin auch die werturteilsfrei erstattete Strafanzeige gegen den AG unter den grundrechtlichen Schutz (so auch Naderhirn, DRdA 2014, 17).

Abgesehen von der „Orientierungswirkung“ eines Urteiles des EGMR auch für andere Staaten (vgl136Rebhahn, Urteile des EGMR zum Arbeitsrecht, in FS Binder [2010] 795 [797]) wendet die österreichische Rsp – wie dargestellt – ohnehin ähnliche Kriterien wie der EGMR an (so auch Wallnöfer, Whistleblowing, in

Wachter/Burger
[Hrsg], Aktuelle Entwicklungen im Arbeits- und Sozialrecht 2013 [2013] 95 [105] und Naderhirn, DRdA 2014, 17).

Ein im gegenständlichen Zusammenhang hervorzuhebendes Kriterium ist die Unbeachtlichkeit der Beweggründe des AN: Mag sich der AN zu seinem Vorgehen auch nicht aus „edlen Motiven“, wie um der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen, sondern aus Verärgerung gegen seinen (ehemaligen) AG, der ihn uU zu Unrecht entlassen und strafbarer Handlungen beschuldigt hatte, dazu veranlasst gesehen haben, verschlägt ihm das nichts (vgl OGH8 ObA 131/98tRdW 1999, 223 zur Weiterleitung einer Information an einen Geschäftspartner des AG als gelinderes Mittel als eine Strafanzeige), wenn der AN nicht leichtfertig vorgeht und keine haltlosen Anschuldigungen erhebt; dies alleine schon aus Gründen der Rechtssicherheit (vgl Naderhirn, DRdA 2014, 21).

Generell ist auch zu konstatieren, dass der Schutz von Whistleblowern und – als ultima ratio, wenn interne Kanäle nicht existieren bzw nicht angemessen funktionieren – auch der Schutz von externem Whistleblowing (inklusive eines solchen über Medien) bereits Teil der Agenda des Europarates ist (dazu und zu weiterem einschlägigen Völkerrecht näher Goricnik in

Grünanger/Goricnik
, Arbeitnehmer-Datenschutz und Mitarbeiterkontrolle [2014] 214 ff) und sich auch der EGMR bereits auf entsprechende Leitsätze dessen Parlamentarischer Versammlung berufen hat (EGMR 21.7.2011, 28274/08, Rz 73).

3.
Zur konkreten Falllösung des OGH
3.1.
Sachverhaltsdarstellung an die FMA

Der OGH bewegt sich in den Bahnen sowohl des unter Pkt 2. exemplifizierten Rechtssatzes RIS-Justiz RS0113682 als auch der dargestellten Judikatur des EGMR zu Art 10 EMRK, wenn er die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die vom Kl veranlasste Sachverhaltsdarstellung über die behaupteten Unregelmäßigkeiten bei der Kreditvergabe durch die Genossenschaftsbank an die (zuständige) FMA keine Entlassung rechtfertige, billigte, zumal der Kl den Aufsichtsratsvorsitzenden davon vorinformiert und Selbiger ihm diese Möglichkeit freigestellt hatte.

3.2.
Urkundenvorlage an das Gericht

Einer Partei eines Gerichtsverfahrens kann eine Urkundenvorlage zur Darlegung bzw Untermauerung der von ihr eingenommenen Rechtsposition (bzw zur Widerlegung der Rechtsposition der Gegenpartei) selbst bei entgegenstehenden Geheimhaltungspflichten nicht prinzipiell verwehrt werden; das betont auch der OGH, der sich dabei offensichtlich die Ansicht des OGH6 Ob 157/14bEvBl 2015/61 (Hinweis Rohrer/Anm Schneider) zu eigen macht, dass die dadurch erfolgende Durchbrechung einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht (konkret des Bankgeheimnisses gem § 38 BWG) zur Vermeidung eines Beweisnotstandes, der eine sinnvolle Prozessführung verunmöglichen würde, erstens nur im unbedingt notwendigen Ausmaß erfolgen dürfe und dass dies zweitens nur gegenüber Personen statthaft sei, die ihrerseits (gesetzlich, insb durch einschlägige Standesregeln) zur Verschwiegenheit verpflichtet sind (damit wird iSd E OGH6 Ob 157/14bEvBl 2015/61 gewährleistet, dass in einem Zivilprozess Umstände, die – wie gegenständlich – dem Bankgeheimnis unterliegen, den Gerichtssaal nicht verlassen). Infolge dessen sei in der betroffenen Verhandlungsphase (der Erörterung „bankgeheimnisrelevanter Themen“) – konform mit Art 6 Abs 1 letzter Satz EMRK – die Volksöffentlichkeit auszuschließen.

Auf einfachgesetzlicher Ebene kann dabei die „Erschwerung der Sachverhaltsfeststellung“ gem § 172 Abs 1 ZPO bei Öffentlichkeit der Verhandlung als Begründung für deren Ausschluss bei der Erörterung und Behandlung von Unternehmensgeheimnissen (als Oberbegriff von Geschäftsund Betriebsgeheimnissen) – mit oder ohne einer zu Grunde liegenden gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht – herangezogen werden (Schragel in

Fasching/Konecny
, ZPO2 § 172 Rz 11 f [Stand 31.7.2002, rdb.at]; Schneider, Anm zu OGH6 Ob 157/14bEvBl 2015/61, 422). Die Ausschließung der Öffentlichkeit auf Grund des Abs 1 leg cit kann dabei auch von den Parteien beantragt werden, wenn sie das Gericht nicht von Amts wegen beschließt (Schragel in
Fasching/Konecny
, ZPO2 § 172 Rz 3; so auch schon Adamovic, Ausschluss der Öffentlichkeit im zivilgerichtlichen Verfahren durch Parteienantrag?RZ 2004, 165).

ISd impliziten Vorgabe des OGH, dass eine Durchbrechung einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht (konkret des Bankgeheimnisses gem § 38 BWG) nur im unbedingt notwendigen Ausmaß zulässig sei, wird man präzisierend ergänzen müssen, dass für die Verfahrensführung nicht erforderliche Inhalte der dem Gericht vorgelegten Unterlagen, insb personenbezogene Daten Dritter, zu schwärzen sein werden (so auch Gahleitner, Erl zu OGH9 ObA 43/15mDRdA-infas 2015/175, 238).

Nach dem festgestellten Sachverhalt nahm der Kl demgegenüber keine Schwärzungen vor; offenbar deshalb ging das Berufungsgericht davon aus, dass der Kl mit der Urkundenvorlage die ihm obliegenden Geheimhaltungspflichten verletzt habe.

Der Kl beantragte vorerst auch keinen Ausschluss der Öffentlichkeit, die Entlassung erfolgte aber (insofern verfrüht) zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kl noch die Möglichkeit gehabt hätte, einen solchen Antrag zu stellen.

Die weiteren Ausführungen des OGH, dass die Urkundeninhalte auch in weiterer Folge (nach dem Entlassungsausspruch) tatsächlich niemandem, der nicht der Verschwiegenheitspflicht unterlag, zur Kenntnis gelangten, erscheinen auf den ersten Blick überflüssig, weil ja nach Ausspruch der Entlassung liegende Umstände für die Beurteilung ihrer Berechtigung belanglos sind; da das Klagebegehren137 aber nicht auf entlassungsabhängige Ansprüche, sondern vielmehr auf die Feststellung des aufrechten Bestandes des Arbeitsverhältnisses gerichtet war, wollte der OGH mit diesem Hinweis vielleicht einen Folgeprozess vermeiden helfen (sprich eine neuerliche Entlassung, da der spätere Antrag des Kl auf Ausschluss der Öffentlichkeit – während des sohin weiterhin aufrechten Arbeitsverhältnisses – vom Erstgericht abgewiesen wurde).

4.
Resümee

Der OGH fördert mit seiner E klar zu Tage, dass nicht jede Urkundenvorlage in einem Gerichtsverfahren unbesehen erfolgen darf, insb dann nicht, wenn diesbezügliche gesetzliche Verschwiegenheitspflichten zu beachten sind. Schon aus datenschutzrechtlichen Erwägungen werden Daten von Dritten idR zu schwärzen sein und wird jedenfalls beim Vorliegen gesetzlicher Verschwiegenheitspflichten darüber hinaus ein Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit zu stellen sein (am besten schon mit Vorlage der Urkunden, so auch Gahleitner, Erl zu OGH9 ObA 43/15mDRdA-infas 2015/175, 238).

Das bedeutet natürlich einen entsprechenden Mehraufwand, beseitigt aber das unwägbare Risiko einer Entlassung wegen dieses Versäumnisses.