Goricnik
Die Versetzung – Handbuch

Manz Verlag, Wien 2015 XLVIII, 186 Seiten, gebunden, € 49,–

JOSEFCERNY (WIEN)

In dem immer umfangreicher werdenden Schrifttum zum Arbeitsverfassungsrecht nehmen Fragen des Versetzungsschutzes nach § 101 ArbVG breiten Raum 153ein. Dabei wird auch das Verhältnis von individualrechtlichem und betriebsverfassungsrechtlichem Versetzungsschutz iSd „Zwei-Ebenen-Theorie“ ausführlich und im Wesentlichen übereinstimmend dargestellt. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Abhandlungen und Kommentare zu einzelnen Aspekten der Versetzung, wobei besonders Rechtsfragen im Zusammenhang mit Ausgliederungen und Betriebsverlegungen näher untersucht werden.

Was bisher gefehlt hat, war eine umfassende, systematische Darstellung des Versetzungsrechts. Eine solche liegt jetzt mit dem Buch von Wolfgang Goricnik vor. Der Autor, der sich selbst als langjähriger Rechtsvertreter und Rechtsberater der Arbeiterkammer Salzburg, somit als erfahrener Praktiker, vorstellt, legt sich im Vorwort die Latte für seine Arbeit sehr hoch: Er setzt sich nämlich zum Ziel, „mit einer umfassenden Darstellung aller nur denkbaren Versetzungsthematiken daraus grundlegende Wesenselemente und Wertungen abzuleiten, um dann deduktiv praxisrelevante Fragen des Versetzungsrechts anwendungsorientiert zu lösen, wobei eine ausgewogene Balance zwischen den schützenswerten Interessen der betroffenen Arbeitskräfte sowie den gerechtfertigten Belegschaftsinteressen einerseits und den berechtigten Unternehmensinteressen angestrebt wird...

Das klingt zwar ein wenig nach der Quadratur des Kreises, ist aber ein Anspruch, dem der Autor mit seinem „Handbuch“ im Großen und Ganzen durchaus gerecht wird.

Der praktischen Handhabung dienen neben einer klaren strukturellen Themengliederung das mehr als fünf Seiten umfassende Literaturverzeichnis mit weiterführenden Hinweisen, vor allem aber ein auf 22 Seiten die einschlägige Rsp dokumentierender, bis in das Jahr 1952 zurückreichender Judikaturspiegel, der nicht nur die relevanten Entscheidungsdaten und Fundstellen, sondern auch die jeweiligen Seitenverweise im Buch enthält. Beispiele und Praxishinweise sollen die Praxisorientierung von Goricniks Handbuch noch weiter verstärken.

Die eigentliche Stärke des Buches liegt aber in seinem „wissenschaftlichen Tiefgang“ (Vorwort, S VI), mit dem das Thema der Versetzung dogmatisch fundiert abgehandelt wird. Dieser ergibt sich schon daraus, dass das Handbuch aus einer an der Universität Salzburg eingereichten Dissertation hervorgegangen ist. Dabei konnte Goricnik auch auf seine schon vorher publizierten wissenschaftlichen Arbeiten zu speziellen Teilaspekten des Versetzungsrechts, insb zum Versetzungsschutz für ausgegliederte Beamte, zurückgreifen. Seine hohe wissenschaftliche Qualifikation hat Goricnik auch als Autor der Erläuterungen zu § 101 ArbVG im Rahmen des neuen, von Gahleitner und Mosler im ÖGB-Verlag herausgegebenen Kommentars zum Arbeitsverfassungsrecht eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Nach einer kurzen Einleitung werden in dem Handbuch die für das Thema Versetzung wesentlichen Begriffe, die Abgrenzung von individualrechtlichem zu betriebsverfassungsrechtlichem Versetzungsschutz und die Tatbestandsmerkmale des betriebsverfassungsrechtlichen Versetzungsschutzes ausführlich erläutert. Eigene Kapitel sind den Sonderfragen nach dem Mitwirkungsrecht des BR bei Betriebsverlegung und nach dem Versetzungsschutz bei einem unkündbaren Arbeitsverhältnis sowie dem betriebsverfassungsrechtlichen Versetzungsschutz für „ausgegliederte“ Beamte gewidmet. Besonderes Augenmerk schenkt der Autor den Rechtsschutzmöglichkeiten der einzelnen Akteure. Weitere Abschnitte behandeln die Abgrenzung des Versetzungsschutzes von der Mitwirkung des BR bei Disziplinarmaßnahmen und bei Beförderungen. Das letzte Kapitel im juristischen Teil des Handbuchs ist Fragen der Versetzung von Betriebsratsmitgliedern unter dem Aspekt des Beschränkungsund Benachteiligungsverbots gewidmet.

Besonders verdienstvoll ist, dass Goricnik sich nicht mit einer juristischen Darstellung begnügt, sondern das Phänomen der Versetzung auch durch eine mit Methoden der empirischen Sozialforschung untermauerte rechtssoziologische Untersuchung der Wahrnehmung des Versetzungsschutzes durch Betriebsräte ergänzt. Auf diese Weise werden Diskrepanzen zwischen gesetzlichen Normen und betrieblicher Realität sichtbar, aus denen auch konkrete rechtspolitische Forderungen an den Gesetzgeber abgeleitet werden.

Rechtsdogmatischer Schwerpunkt ist die Untersuchung des Verhältnisses und der Abgrenzung von individualrechtlichem und betriebsverfassungsrechtlichem Versetzungsschutz. Goricnik vertritt dazu mit überzeugenden Argumenten die zentrale These, dass der BR bei der Ausübung des Mitwirkungsrechts nach § 101 ArbVG vorrangig kollektive Belegschaftsinteressen zu vertreten habe. Eine Vermengung von Individualarbeitsrecht und Betriebsverfassungsrecht sei in diesem Zusammenhang verfehlt. Wenn Individual- und Kollektivinteressen bei einer Versetzung kollidieren, habe der BR die Interessen der Arbeitnehmerschaft auch gegen den Willen des von der Versetzung betroffenen AN zu vertreten.

In der Praxis tritt ein solcher Interessenkonflikt in dieser Schärfe freilich eher selten auf. In den meisten Fällen liegt der Schutz des von einer verschlechternden Versetzung bedrohten AN zugleich auch im Gesamtinteresse einer auf Interessenausgleich gerichteten Personalpolitik. Für mich ist daher das Ergebnis der von Goricnik referierten rechtssoziologischen Untersuchung, wonach in etwa 60 % der Versetzungsfälle von den Betriebsräten überwiegend oder nur Einzelinteressen wahrgenommen werden, durchaus plausibel. Es überrascht mich auch nicht, dass es im Zusammenhang mit Versetzungen fast nie zu einschlägigen gerichtlichen Auseinandersetzungen kommt. Den Betriebsräten – und auch den Rechtsberatern und Rechtsvertretern der Gewerkschaften und Arbeiterkammern, also auch dem Autor des Handbuchs – ist nämlich bewusst, dass Versetzungen häufig unter dem Druck einer sonstigen Kündigungsdrohung vorgenommen werden, und dass eine konsequente und alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfende Wahrnehmung des Versetzungsschutzes für die betroffenen AN in vielen Fällen zum Verlust des Arbeitsplatzes führen würde.

Erstaunlich finde ich es eher, dass Goricnik in seiner sonst so gründlichen und akribischen Untersuchung der Frage des Verhältnisses von Versetzungsschutz und Kündigungsschutz kaum Beachtung schenkt. Nur an einer Stelle, anhand des Beispiels einer einvernehmlichen Versetzung unter Kündigungsdruck (S 13), und in einigen Fußnoten, geht er kurz auf dieses Thema ein und meint dazu in einem „Hinweis“, dass im Fall einer Zustimmungsverweigerung des AN zu einem vertragskonformen Änderungsangebot eine aus diesem Grund ausgesprochene Kündigung zwar nach § 105 Abs 3 Z 2154ArbVG (wegen Sozialwidrigkeit), nicht aber als verpönte Motivkündigung nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG angefochten werden könne. Diese Feststellung ist aber zu undifferenziert. Die Kommentarliteratur zu dieser Frage ist zwar eher spärlich, aber immerhin gibt es gewichtige Stimmen, die in eine andere Richtung gehen. So führt Gahleitner im neuen Arbeitsverfassungsrechtskommentar, § 105 Rz 84, als Beispiel für das Vorliegen des Anfechtungstatbestandes des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG auch den Fall an, dass sich der AN gegen eine gegen § 101 ArbVG verstoßende Versetzung wehrt. Eine dogmatische Vertiefung und klare Beantwortung dieser für die Rechtspraxis sehr wichtigen Frage könnte von einem Handbuch des Versetzungsrechts erwartet werden.

In einem Punkt kann der Autor seine im Vorwort beschriebenen, hoch gesteckten Ziele nur eingeschränkt erreichen: Gerade bei einer Publikation, die sich in erster Linie an die Rechtspraxis richtet – wie das schon die Bezeichnung als „Handbuch“ signalisiert –, sollte man um Einfachheit und Verständlichkeit der Darstellung bemüht sein. Goricniks Schreibstil ist aber ziemlich anspruchsvoll und eher wissenschaftsorientiert, was wohl damit zusammenhängt, dass das Buch aus einer Dissertation hervorgegangen ist. Der primär wissenschaftliche Charakter der Darstellung zeigt sich ua in einer über das in einem Praxishandbuch zu erwartende Ausmaß weit hinausgehenden, ausführlichen Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur (so zB zur Vereinbarung des Arbeitsortes, S 22 ff, oder zum Versetzungsschutz für ausgegliederte Beamte, S 124 ff) und Judikatur (bei einzelnen Entscheidungen sogar in Form einer gesonderten Besprechung, wie zu OGH, 9 ObA 48/00z, S 96 ff, oder zu OGH, 8 ObA 78/07i, S 137 ff) sowie in einem ungewöhnlich umfangreichen Fußnotenapparat (insgesamt 787 Fußnoten!). Das alles könnte auch für die praktische Rechtsanwendung durchaus nützlich sein, wenn der Inhalt der Aussagen klar erkennbar wäre. Das ist aber nicht immer der Fall, weil an manchen Stellen lange, komplizierte Schachtelsätze, aus denen man nur mit Mühe wieder herausfindet, die Lesbarkeit und Verständlichkeit des Textes erschweren. Als Beispiele seien hier nur die Auseinandersetzung mit Staufers Auffassung zum Versetzungsbegriff (S 6) oder die „Bilanz“ zum Versetzungsschutz bei unkündbaren Arbeitsverhältnissen (S 108) angeführt.

Die Art der Darstellung vermittelt den Eindruck, dass man es bei Goricniks Buch eher mit einer – wissenschaftlich hochwertigen – Monografie als mit einem praxisorientierten Handbuch zu tun hat. Daran können auch die sehr informativen Beispiele und die mit Rufzeichen versehenen Hinweise (in einigen Fällen Handlungsanleitungen für AG bzw deren Beauftragte) nichts Wesentliches ändern.

Dabei müssen Wissenschaftsorientierung und Praxisrelevanz keineswegs ein Gegensatz sein. Manches ließe sich einfacher ausdrücken, ohne dass der wissenschaftliche Anspruch beeinträchtigt werden müsste. Eine Stilkorrektur in dieser Richtung wäre bei einer künftigen Neuauflage wünschenswert. Bis dahin können alle, die mit dem Thema Versetzung in Wissenschaft und/ oder Praxis zu tun haben, das Handbuch von Goricnik mit großem Nutzen zu Rate ziehen, auch wenn sie vielleicht manche Passage mehrmals lesen müssen.