Kann Sex Arbeit sein?
Kann Sex Arbeit sein?
Im Ministerialentwurf zum Sozialrechtsänderungsgesetz 2015 (SRÄG) des BM für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz fand sich der Vorschlag, Sexdienstleister/innen pauschal – also unabhängig von ihrer tatsächlichen Situation – von der Vollversicherung nach dem ASVG auszunehmen und diese in die KV und PV nach dem GSVG und in die Teilversicherung in der UV nach dem ASVG einzubeziehen.* Die Erläuterungen führen in diesem Zusammenhang unter Berufung auf Art 8 EMRK aus, dass „eine Prüfung der persönlichen Abhängigkeit, die für das Vorliegen eines sozialversicherungsrechtlichen Dienstverhältnisses an sich notwendig wäre, ... mit dem in Art 8 EMRK verankerten Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung nicht vereinbar“* ist. Daher seien Sexdienstleister/innen von der Vollversicherung nach dem ASVG auszunehmen, auch wenn seitens der Finanzverwaltung das Bestehen einer Lohnsteuerpflicht festgestellt wurde.* Die Erläuterungen führen weiters aus, dass „ein Arbeitsvertrag nicht begründet werden [kann], da dieser seinem Wesen nach auf die Verpflichtung zur Erbringung von Dienstleistungen hinausläuft“.*Innerhalb einer vergleichsweise kurzen Begutachtungsfrist* sprachen sich zahlreiche kritische Stellungnahmen* gegen diesen Vorschlag aus. Das SRÄG passierte schließlich am 24.11.2015 den Ministerrat ohne die umstrittenen Änderungen. Der vorliegende Beitrag nimmt den erwähnten Ministerialentwurf zum Anlass, um die arbeits- und sozialrechtliche Situation von Sexarbeiter/innen in Österreich näher zu untersuchen.
Sexdienstleistung und Prostitution in Österreich
Sexdienstleistung als Arbeit?
Rahmenbedingungen bei Erbringung von Sexdienstleistungen
Sexdienstleistungen und Arbeitsverträge
Weisungen und sexuelle Integrität
Weisungen und dirigierende Zuhälterei
Eingeschränktes Weisungsrecht
Sozialversicherungsrecht
Zusammenfassung
Gesetzliche Definitionen von Sexdienstleistung/Prostitution finden sich in § 74 Abs 1 Z 9 StGB sowie zahlreichen Landesgesetzen, welche die Anbahnung und Ausübung von Sexdienstleistungen regeln. Diese sprechen größtenteils von Prostitution und definieren diese als „(gewerbsmäßige) Duldung sexueller Handlungen am eigenen Körper oder die (gewerbsmäßige) Vornahme sexueller Handlungen
“.* Nur vereinzelt ist die Ausübung von Sexdienstleistungen als gewerbsmäßige Hingabe des eigenen Körpers an eine andere Person zu deren sexueller Befriedigung* definiert oder als gewerbsmäßige Unzucht* beschrieben. Der ältere Begriff Prostitution umfasst im gängigen Sprachgebrauch sämtliche Erscheinungsformen sexueller Dienstleistungen, von der kriminellen sexuellen Ausbeutung bis hin zur selbstbestimmten Edelprostituierten. Die mittlerweile gängigeren Begriffe* Sexdienstleistung/Sexarbeit beziehen sich hingegen ausschließlich auf die freiwillige101 Sexarbeit, die auf Basis (landes)gesetzlicher Regelungen legal ausgeübt wird, und machen so auch die Professionalisierung der freiwilligen Sexarbeit – auch wenn in der Praxis die Übergänge zwischen freiwilliger Sexarbeit und verschiedenen Formen der sexuellen Ausbeutung und Gewalt fließend sind* – deutlicher. 2014 waren in Österreich ca 7.400 Sexdienstleister/innen registriert und, mit Stand 31.12.2014, 761 Rotlichtbetriebe dem Bundeskriminalamt gemeldet.*
Der eingangs erwähnte Ministerialentwurf des Soz-RÄG 2015 bezog sich laut den Erläuterungen auf die bereits erwähnte, gängige Definition von Sexdienstleistungen. Diese umfasst Sexdienstleister/innen in klassischen Bordellen,* Laufhäusern* und (Sauna)Clubs* sowie Escort Services* und Sexdienstleister/innen am Straßenstrich.*
Darüber hinaus wollte der Ministerialentwurf über diese klassische Definition hinausgehende Sexdienstleistungen erfassen, nämlich auch „jeden Kontakt gegen Entgelt ..., der mit der Absicht unternommen wird, sexuell zu erregen
“.* Gemeint waren daher auch Dienstleistungen im Rahmen von Sexhotlines, Cybersexdienstleistungen sowie wohl auch Dienstleistungen von Stripper/innen bzw Dienstleistungen im Rahmen von Peep Shows. Im Folgenden wird zwischen Sexdienstleister/innen ieS (Sexdienstleistung iSd StGB/Landesgesetze) und Sexdienstleister/innen iwS (Dienstleistungen im Rahmen von Sexhotlines, Stripper/innen, etc) unterschieden.
Grundsätzlich kann jede Art von Tätigkeit für andere entweder selbständig oder unselbstständig erbracht werden,* unabhängig von dem Gegenstand der Arbeitsleistung.* Erbringen Sexdienstleister/innen ihre Tätigkeit in eigener Verantwortung und nicht im Rahmen eines Unterordnungsverhältnisses, wie dies der EuGH* formuliert, und erhalten sie ihr Entgelt vollständig und unmittelbar, sind sie jedenfalls selbständig erwerbstätig. Was aber, wenn sie bezüglich Arbeitsbedingungen und der Wahl der Tätigkeit Weisungen unterliegen, die Entgelthöhe nicht selbst bestimmen können und ihnen dieses auch nicht vollständig und unmittelbar gezahlt wird? Hat das in Art 8 EMRK garantierte Recht auf Achtung der sexuellen Selbstbestimmung tatsächlich zur Konsequenz, dass in diesen Fällen der Abschluss eines Arbeitsvertrages gänzlich unmöglich ist?
Liest man Sachverhaltsfeststellungen in Erkenntnissen des VwGH zum AuslBG und des Unabhängigen Finanzsenates (UFS) zum EStG, die sich mit Bordellbetrieben und Laufhäusern auseinandersetzen,* finden sich in diesen Fällen häufig Elemente, die auf das Vorliegen einer persönlichen Abhängigkeit hinweisen. So sind Arbeitszeiten teilweise fix festgelegt* oder an die vorgegebenen Öffnungszeiten der Bar gekoppelt.* Teilweise* bestehen Bindungen an Hausordnungen mit uU sehr konkreten Verpflichtungen.* Sexdienstleister/innen unterstehen zT auch der Aufsicht des Personals und bei Auffälligkeiten wird weiteres Tätigwerden untersagt.* Die Preisgestaltung ist häufig vorgegeben* und manchmal wird das Geld nicht zeitnah ausbezahlt, sondern die Zahlungen an die Sexdienstleister/innen erfolgen an bestimmten Tagen des Monats.* ZT müssen die Schlüssel für die Zimmer von einem/einer Mitarbeiter/in an der Bar geholt werden,* die Reinigung der Zimmer erfolgt in manchen Fällen durch die Bordellbetreiber/innen.* Die Kund/inn/en rekrutierten sich regelmäßig aus dem Kund/inn/enkreis der Bar.* Im Gegensatz dazu gab es in anderen Betrieben zwar Bindungen der Arbeitszeiten an die Öffnungszeiten der Bar, aber keine Anwesenheitspflicht102 bestimmter Sexdienstleiter/innen, sondern von Sexdienstleister/innen generell.* Teilweise gibt es überhaupt keine vorgegebenen Öffnungszeiten und auch keine vorgegebenen Preise, sondern nur eine Zimmermiete pro genutzter Stunde.*
Die Abgrenzung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit erfolgt primär durch das (organisatorische) Kriterium der persönlichen Abhängigkeit.* Da AN „sich auf eine gewisse Zeit zur Dienstleistung für einen anderen
“* verpflichten, sich also in einem Unterordnungsverhältnis befinden, kann dieser „andere“ die Art und Weise der Arbeitsleistungen durch Weisungen gestalten. Wesentliches Merkmal für einen Arbeitsvertrag ist daher die Einordnung der persönlichen Arbeitskraft des/der AN in die Betriebsorganisation des/der AG und die damit verbundene Bindung an Arbeitsort, Arbeitszeit und betriebliche Ordnungsvorschriften ebenso sowie der Weisungs- und Kontrollunterworfenheit in Bezug auf das arbeitsbezogene Verhalten.* Ausschlaggebend sind in diesem Zusammenhang persönliche Weisungen, die die persönliche Gestaltung der Dienstleistung betreffen, und nicht sachliche Weisungen, die rein auf den Arbeitserfolg abzielen. Auch wenn die Möglichkeit des/der AG zu umfassenden sachlichen Weisungen ein starkes Indiz für das Vorliegen eines Arbeitsvertrages ist,* ist eine solche Befugnis nicht ausschlaggebend für die Qualifikation eines Rechtsverhältnisses als Arbeitsverhältnis, da diese auch Inhalt von Werkverträgen und freien Dienstverträgen sind.* Teilweise können sachliche Weisungen in Arbeitsverhältnissen auch nur eingeschränkt erteilt werden, so etwa bei Wissenschaftler/innen* aufgrund der Gewissens- und Forschungsfreiheit* bei Ärzt/innen* in medizinischen Fragen bei evangelischen Pfarrer/innen im Rahmen ihres Amtsauftrages* oder bei bankrechtlichen Geschäftsleiter/innen von Kreditgenossenschaften.* Teilweise sind in Arbeitsverhältnissen auch persönliche Weisungen, zB betreffend die Reihenfolge der Tätigkeit, nur eingeschränkt möglich, etwa bei fachlich qualifizierten Tätigkeiten. Trotz eingeschränkter persönlicher Weisungen und fehlender sachlicher Weisungen liegt immer dann ein Arbeitsverhältnis vor, wenn andere gewichtige Umstände – wie Einflussnahme des/der AG auf Arbeitszeit, Arbeitsort und die Einbindungen in die betriebliche Ordnungsstruktur – das Fehlen persönlicher Weisungen ausreichend kompensieren.*
Der Schutz der sexuellen Integrität ist ein Ausfluss von Art 3 und 8 EMRK.* Wie der OGH in seinen jüngeren Entscheidungen zu Sexdienstleistungen zutreffend und deutlich ausführt, würde eine klagbare schuldrechtliche Verpflichtung zu sexuellen Handlungen diesem Recht auf Achtung der sexuellen Selbstbestimmung widersprechen. Im Bereich der Sexdienstleistungen sind vertragliche Verpflichtungen, und daher auch darauf basierende sachliche und persönliche Weisungen, immer dann nicht möglich, wenn sie nicht mit dem Recht auf sexuelle Integrität der Sexdienstleister/innen vereinbar sind. Die grundsätzliche Bereitschaft zu sexuellen Handlungen, sowohl gegenüber Kund/inn/en als auch gegenüber Bordellbetreiber/innen, ist und bleibt daher jederzeit widerruflich.* Dies gilt jedenfalls auch für die Art und Weise, wie sexuelle Handlungen ausgeführt werden sowie für die Auswahl des/der Kund/innen. Weisungen, wie etwa bestimmte Kund/innen zu bedienen oder Weisungen betreffend Sexualpraktiken, auch und insb die Weisung zu Unsafe-Sex-Praktiken, sind daher keinesfalls möglich. Auch ein „Nacktheitsgebot“ ist nicht mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung vereinbar.* Weisungen betreffend das „Animieren“ von Kund/innen können im Einzelfall auch dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung widersprechen, wobei die Grenze hier wohl im Einzelfall nicht leicht zu ziehen ist. Die häufige Weisung, Kund/innen zur Konsumation alkoholischer Getränke zu animieren,* ist allerdings unproblematisch, ebenso wie die Weisung, sich zu Sexdienstleistungen lediglich bereitzuhalten.
Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob sachliche und persönliche Weisungen im Rahmen von Telefonsexdienstleistungen, bei denen kein körperlicher Kontakt, sondern „eine davon losgelöste stimmlich-darstellerische Leistung
“* geschuldet ist, mit der Achtung der sexuellen Selbstbestimmung vereinbar sind, bzw wie sehr Weisungen im Bereich sexueller Dienstleistungen iwS allgemein rechtlich möglich sind. Das dtProstG versteht unter sexuellen Handlungen auch Telefonsexdienstleis tungen, sowie Darbietungen im Rahmen Peep-Shows und103 Striptease-Vorführungen, bei letzteren allerdings nur, wenn sie auf die sexuelle Erregung abzielen und dabei eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten.* Vertragliche Verpflichtungen und entsprechende Weisungen sind im dt Recht daher auch bei Sexdienstleistungen iwS nicht möglich. Dieser Wertung ist im Ergebnis zuzustimmen: Auch wenn die Intensität des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung in diesen Fällen geringer ist als bei Sexdienstleistungen ieS, widersprechen auch in diesen Fällen Weisungen, die die Dienstleistung selbst betreffen, dem Grundrecht auf sexuelle Integrität.
Zuhälterei wird in § 216 StGB an sich nicht unter Strafe gestellt. Diese wird vielmehr vom Gesetzgeber als „natürliche Begleiterscheinung
“* von ebenfalls nicht strafbaren Sexdienstleistungen erachtet. Strafbar ist aber Zuhälterei, die – wie die parasitäre und die ausbeuterische Zuhälterei – gegen die sexuelle Integrität unter dem Aspekt des Vermögensschutzes verstößt oder – wie die dirigierende Zuhälterei – die Freiheit zur sexuellen Selbstbestimmung verletzt.* Nach § 216 Abs 2 dritter Fall StGB liegt dirigierende Zuhälterei immer dann vor, wenn eine Person einer anderen Person die Bedingungen der Ausübung der Prostitution (Sexdienstleistung ieS)* vorschreibt, und zwar mit dem Vorsatz, sich aus deren Sexdienstleistungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Ein Ausnützen des/der Sexdienstleister/in ist nicht Tatbestandsvorrausetzung.* Unter „Bedingungen der Ausübung
“ werden Bedingungen wie Zeit, Ort und Art der Ausübung der Prostitution sowie die Höhe des zu verlangenden Entgelts verstanden.*
Fraglich ist, ob vertragliche Vereinbarungen, die Art 8 EMRK nicht widersprechen – also Vereinbarungen, die nicht die Art der Ausübung von Sexdienstleistungen (siehe 2.2.1.) betreffen, sondern Ort, Zeit und Entgelt* – § 216 Abs 2 dritter Fall StGB widersprechen und somit strafbar sind. „Vorschreiben
“ iSd § 216 Abs 2 dritter Fall StGB meint Anweisungen, denen sich Sexdienstleister/innen wegen der überlegenen Stellung des/der Zuhälter/in nicht ohne weiteres entziehen können* bzw Anordnungen, bei deren Nichtbefolgung Sexdienstleister/innen Nachteile befürchten müssen; reine Ratschläge und Empfehlungen sind nach hM nicht umfasst.*
Aus (arbeits)vertraglicher Sicht sind nun Arbeitszeit und Arbeitsort von den Arbeitsvertragsparteien zu vereinbaren. Einseitige Änderungen der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit sind in Arbeitsverträgen nur unter den Voraussetzungen des § 19c Abs 2 AZG möglich, einen anderen Arbeitsort als den vertraglich vereinbarten kann der/die AG idR nicht einseitig festlegen.* Allerdings sind auf Basis vertraglicher Vereinbarungen* entsprechende Weisungen betreffend Arbeitsort und Arbeitszeit möglich. Diese arbeitsvertraglichen Weisungen sind „mehr“ als nur Vorschläge und Empfehlungen: Diesbezügliche Weisungsverstöße können – je nach Art der Entgeltvereinbarung* – Auswirkungen auf die Entgeltansprüche der Sexdienstleister/innen haben,* wiederholte Weisungsverstöße berechtigen den/die AG in letzter Konsequenz auch zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. In diesem Sinne haben Sexdienstleister/innen natürlich Nachteile zu befürchten, wenn sie ihren vertraglich vereinbarten Pflichten nicht nachkommen. Aufgrund der Wertungen des § 216 StGB – Schutz der sexuellen Selbstbestimmung – ist aber davon auszugehen, dass eine uU mögliche und keinesfalls zwingende Beendigung eines Arbeitsvertrages nicht jener Nachteil ist, den § 216 Abs 2 dritter Fall StGB meint. Auch die deutsche Literatur zum dtProstG geht bei einem vergleichbaren strafrechtlichen Verbot der dirigierenden Zuhälterei in § 181a Abs 1 zweiter Fall dtStGB davon aus, dass arbeitsvertragliche Weisungen in Bezug auf Ort und Zeit zulässig sind.*
Es zeigt sich insgesamt, dass (durchsetzbare) Vereinbarungen und somit Weisungen im Bereich von Sexdienstleistungen nur sehr eingeschränkt möglich sind, nämlich immer nur dort, wo diese nicht dem in Art 8 EMRK garantierten Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zuwiderlaufen. Gegen eine grundsätzliche Unmöglichkeit von Arbeitsverträgen spricht dieses eingeschränkte Weisungsrecht allerdings nicht. Problematischer ist jedoch, dass im Rahmen von Sexdienstleistungen ieS nicht eindeutig geklärt ist, ob Weisungen betreffend Arbeitsort und Arbeitszeit den Tatbestand der dirigierenden Zuhälterei gem § 216 Abs 2 dritter Fall StGB erfüllen. Da § 216 StGB Zuhälterei nicht generell verbietet, sondern nur jene Formen, die die sexuelle Selbstbestimmtheit der Sexdienstleister/innen beeinträchtigen, ist aber davon auszugehen, dass diesbezüglich vertragliche Vereinbarungen sowie darauf basierende Weisungen nicht strafbar sind.
De jure bestehen wenige Unterschiede zwischen dem arbeitsvertraglichen AN-Begriff und jenem des ASVG.* Allerdings ist die Definition des § 4 Abs 2 ASVG etwas präziser: DN ist, wer in einem Verhältnis persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit104 gegen Entgelt beschäftigt wird. Umfasst sind auch Personen, bei denen die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen der Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeit überwiegen. Ein großer und hier bedeutsamer Unterschied im AN-Begriff ist allerdings jener, dass die Bestimmungen des ASVG nicht das Vorliegen eines gültigen Vertrags verlangen. Die Frage der Sittenwidrigkeit von Verträgen über sexuelle Dienstleistungen war daher für den VwGH auch vor der E des OGH* über die Sittenwidrigkeit von Verträgen über sexuelle Dienstleistungen nicht relevant. Auch die Frage, ob der/die Bordellbetreiber/in sich im Rahmen seiner/ihrer Tätigkeit der Zuhälterei strafbar macht, ist für die Frage der SV der Sexdienstleister/innen nicht von Bedeutung: Den Ausschluss aus der SV trifft nur die verpönte bzw strafbare Handlung bzw den/die verpönt Handelnde/n selbst, aber nicht die zulässige Beschäftigung für straffällige AG.* Da uU Zuhälterei, nicht aber die Erbringung von Sexdienstleistungen strafbar ist, sind Sexdienstleister/innen grundsätzlich von der SV umfasst.
Der VwGH hat betreffend das Vorliegen einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit bei Sexdienstleister/innen wie auch sonst auf das Vorliegen der persönlichen Abhängigkeit die Bindung an Ordnungsvorschriften über Arbeitsort, Arbeitszeit, das arbeitsbezogene Verhalten sowie die sich darauf beziehenden Weisungs- und Kontrollbefugnisse abgestellt.* Diese Voraussetzungen sind, bedenkt man die Rahmenbedingungen, unter denen Sexdienstleistungen in Bordellbetrieben und Laufhäusern erbracht werden (siehe Pkt 2.1.), wohl regelmäßig erfüllt. Auch eine festgestellte Lohnsteuerpflicht gem § 47 Abs 1 iVm Abs 2 EStG führt nach § 4 Abs 2 ASVG zu einer Versicherung nach ASVG. Aber auch in jenen Fällen, in denen Sexdienstleister/innen persönlich unabhängig in Bordellbetrieben tätig werden, erfüllen sie in aller Regel die Voraussetzungen des § 4 Abs 4 ASVG: Sie sind bei ihrem/ihrer DG im Rahmen seines/ihres Betriebs bzw seiner/ihrer Gewerbeberechtigung tätig und erbringen ihre Dienstleistungen im Wesentlichen persönlich. Weiters verfügen Sexdienstleister/innen in diesen Konstellationen häufig über keine eigenen wesentlichen Betriebsmittel, also weder über eigene Räumlichkeiten zur Ausübung der sexuellen Dienstleistungen noch über eigene Räume zur Anwerbung von Kund/innen. Werden Zimmer an Sexdienstleister/innen vermietet, wie etwa in Laufhäusern, ist fraglich, ob hier schon die erforderliche unternehmerische Selbstständigkeit – und somit eine Versicherungspflicht nach GSVG – besteht, denn die Überwälzung des wirtschaftlichen Risikos alleine reicht nicht aus, um unternehmerische Selbstständigkeit zu begründen.* Unternehmerisch tätig wären jedenfalls Sexdienstleister/innen, die ihre Dienstleistungen selbstständig und selbstbestimmt am (legalen) Straßenstrich oder in von ihnen zur Verfügung gestellten Wohnungen anbieten. Wohnungsprostitution ist in Österreich allerdings in allen Bundesländern verboten, nur vereinzelt sind sogenannte Hausbesuche und Straßenstrich erlaubt.*
Da davon auszugehen ist, dass Sexdienstleistungen überwiegend in Konstellationen erbracht werden (müssen), in denen die Voraussetzungen einer Pflichtversicherung nach dem ASVG gegeben sind, erscheint der Vorschlag des ersten Entwurfs zum SozRÄG, Sexdienstleister/innen unabhängig von ihrer tatsächlichen Situation wie selbständig Erwerbstätige der Pflichtversicherung in der KV und PV nach dem GSVG einzubeziehen, schlicht zynisch. Die Begründung für diese Vorgangsweise in den Materialien des SozRÄG – die Unmöglichkeit, Arbeitsverträge abzuschließen – ist für das Vorliegen einer Pflichtversicherung nach ASVG jedenfalls unbeachtlich und hält auch einer näheren zivilrechtlichen Prüfung nicht stand. Sie ist vielmehr verfassungsrechtlich bedenklich, da sich der Gesetzgeber bei der Festlegung des Personenkreises, den er zu einer Risikogemeinschaft zusammenschließt, nach generellen und objektiven Merkmalen zu richten hat.* Eine Berufsgruppe, die aufgrund der gesetzlichen Regelungen vorrangig nur – wirtschaftlich und/oder persönlich – abhängig tätig werden kann, der Risikogemeinschaft der Selbstständigen zuzuordnen, erscheint aber jedenfalls unsachlich.
Zusammenfassend ergibt sich, dass Weisungen im Kernbereich der Tätigkeit von Sexdienstleister/innen aufgrund Art 8 EMRK nicht möglich und teilweise auch gerichtlich strafbar sind. Allerdings kann auch bei Fehlen dieser Weisungsbefugnisse ein Arbeitsverhältnis vorliegen, wenn andere gewichtige Umstände dies ausreichend kompensieren, wie etwa Einflussnahme auf Arbeitszeit und Arbeitsort sowie die Einbindungen in die betriebliche Ordnungsstruktur. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass nicht eindeutig klar aber wohl anzunehmen ist, dass Weisungen betreffend Arbeitszeit und Arbeitsort rechtlich zulässig sind. Bei der Erbringung von Sexdienstleistungen ohne persönliche Abhängigkeit wird aber in aller Regel ein freier Dienstvertrag vorliegen. Sozialversicherungsrechtlich ist es unbeachtlich, ob ein gültiger Vertrag vorliegt, so dass bei Vorliegen (bzw bei Überwiegen) persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit – die in Bordellbetrieben und Laufhäusern wohl auch häufig gegeben ist – eine Vollversicherung nach § 4 Abs 2 ASVG gegeben ist. Auch bei Vereinbarung eines freien Dienstvertrages in Bordellbetrieben und Laufhäusern ist, unabhängig einer allfälligen Lohnsteuerpflicht gem § 47 EStG, idR von einer Versicherung nach § 4 Abs 4 ASVG auszugehen, da die Dienstleistungen im Wesentlichen persönlich erbracht werden und die Sexdienstleister/ innen in diesen Konstellationen über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügen.105