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Strafschadenersatz im Gleichbehandlungsrecht zulässig, aber kein Muss

RUTHETTL
§ Art 18, 25 RL 2006/54
EuGH 17.12.2015, C-407/14, Arjona Camacho/Securitas Seguridad España SA

Wenn die Mitgliedstaaten bei einer Diskriminierung einen Schadenersatz an die Geschädigten vorsehen, muss dieser den entstandenen Schaden vollständig ausgleichen und dies auf eine abschreckende und angemessene Art und Weise. Die Mitgliedstaaten sind jedoch nicht verpflichtet, einen darüber hinausgehenden Strafschadenersatz vorzusehen. Es steht ihnen aber frei, einen solchen in ihren nationalen Rechtsordnungen einzuführen.

SACHVERHALT

Frau Arjona Camacho war bei der Firma Securitas Seguridad España seit Juli 2012 in einer Jugendstrafvollzugsanstalt als Sicherheitsbedienstete beschäftigt und wurde im April 2014 gekündigt. Sie brachte eine Klage auf Unwirksamkeit der Kündigung wegen Geschlechterdiskriminierung ein. Sie forderte Schadenersatz in Höhe von € 6.000,- für den erlittenen Schaden. Das Vorlagegericht ging von einer Diskriminierung aus und vertrat die Ansicht, dass ein Betrag in Höhe von € 3.000,- als Schadenersatz für den vollständigen Ausgleich des tatsächlich erlittenen Schadens ausreiche.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das zuständige nationale Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob es zu einem zusätzlichen, angemessenen Strafschadenersatz verurteilen kann, um abschreckend iSd Art 18 der RL 2006/54 zu wirken und zwar auch dann, wenn die Rechtsfigur des Strafschadenersatzes seiner Rechtstradition fremd ist.

Es ging also um einen zusätzlichen Betrag, der zwar über den vollständigen Ausgleich des tatsächlichen Schadens hinausgeht, aber für den/die SchädigerIn und andere AG ein Exempel statuiert.

Der EuGH entschied, dass ein aufgrund einer Diskriminierung zugesprochener Schadenersatz den entstandenen Schaden vollständig ausgleichen muss und dies auf eine abschreckende und angemessene Art und Weise. Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, einen darüber hinausgehenden Strafschadenersatz vorzusehen. Es steht ihnen aber frei, einen solchen in ihren nationalen Rechtsordnungen einzuführen.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs schreibt […] die Richtlinie […] den Mitgliedstaaten im Fall einer Verletzung des Diskriminierungsverbots keine bestimmte Maßnahme vor […] (vgl Urteile von Colson und Kamann, 14/83, EU:C:1984:153, Rn 18, Marshall, C-271/91, EU:C:1993:335, Rn 23, und Paquay, C-460/06, EU:C:2007:601, Rn 44).

Die Maßnahmen […] müssen jedoch […] eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben (vgl Urteile von Colson und Kamann, 14/83, EU:C:1984:153, Rn 23 und 24, Draehmpaehl, C-180/95, EU:C:1997:208, Rn 25, und Paquay, C-460/06, EU:C:2007:601, Rn 45).

Wird schließlich als Maßnahme […] die finanzielle Wiedergutmachung gewählt, so muss diese angemessen in dem Sinne sein, dass sie es erlaubt, die durch die diskriminierende Entlassung tatsächlich entstandenen Schäden gemäß den anwendbaren staatlichen Regeln in vollem Umfang auszugleichen (vgl Urteile Marshall, C-271/91, EU:C:1993:335, Rn 26, und Paquay, C-460/06, EU:C:2007:601, Rn 46).

[…] Art 25 der Richtlinie 2006/54 erlaubt den Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu treffen, die die Zahlung von Strafschadensersatz an das Opfer einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorsehen, verpflichtet sie aber nicht dazu.

Art 25 der Richtlinie 2006/54 sieht […] – wenn es keine Bestimmung des nationalen Rechts gibt, auf deren Grundlage Strafschadensersatz an eine durch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geschädigte Person gezahlt werden kann – nicht vor, dass der nationale Richter denjenigen, von dem diese Diskriminierung ausgeht, selbst zu einem solchen Schadensersatz verurteilen kann.

Außerdem ist […] die Bestimmung der Kriterien für die Ermittlung des Umfangs der Sanktion Aufgabe des innerstaatlichen Rechts des einzelnen Mitgliedstaats, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind (vgl entsprechend Urteile Manfredi ua, C-295/04 bis C-298/04, EU:C:2006:461, Rn 92, Donau Chemie ua, C-536/11, EU:C:2013:366, Rn 25 bis 27, und Hirmann, C-174/12, EU:C:2013:856, Rn 40).“89

ERLÄUTERUNG

Im vorliegenden Fall beschäftigt sich der EuGH bei der Auslegung der RL 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen mit der Frage, ob ein Schadenersatz für eine erlittene Diskriminierung nur den tatsächlichen Schaden ausgleichen muss oder ob darüber hinaus ein Strafschadenersatz zu verhängen ist, um den Anforderungen einer abschreckenden Wirkung zu entsprechen. Es geht also darum, wie ein Schadenersatz gestaltet sein muss, dass er den konkreten AG und auch andere AG im Sinne des Präventionsgedankens von Diskriminierung abhält. Der EuGH zieht sich in seiner E auf die Position zurück, dass den Mitgliedstaaten die Wahl der Mittel und eigentlich auch deren Ausgestaltung überlassen bleibt. Dh zum einen, dass, wenn ein Mitgliedstaat die Schadenersatzvariante wählt, es iSd Art 18 ausreicht, wenn der Schaden tatsächlich vollständig ausgeglichen wird und damit die abschreckende Wirkung erzielt wird.

Worin nun im konkreten Fall der Schaden bestand und woraus sich der vom spanischen Gericht als ausreichend bewertete Schadenersatz in Höhe von € 3.000,- zusammensetzt bzw was er alles abdeckt, ist aus dem EuGH-Urteil nicht ersichtlich. In Österreich sieht das Gleichbehandlungsrecht bei einer diskriminierenden Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ein Wahlrecht vor: Der/die AN hat die Möglichkeit, entweder die Beendigung innerhalb von 14 Tagen ab Ausspruch der Kündigung anzufechten oder stattdessen einen Schadenersatz zu verlangen. Der Schadenersatz umfasst zum einen den Ausgleich für Vermögenseinbußen sowie zum anderen für die erlittene persönliche Beeinträchtigung (immaterieller Schadenersatz für die durch die Diskriminierung verursachte Kränkung). In der Praxis wird als Vermögensschaden grundsätzlich der Verdienstentgang (zB bis zum Auffinden eines gleichwertigen Arbeitsplatzes) betrachtet und bewegt sich der zugesprochene immaterielle Schadenersatz in einer Bandbreite von etwa € 1.000,- bis € 6.000,-.

Einen zusätzlichen Strafschadenersatz müssen die Mitgliedstaaten laut dem EuGH-Urteil also nicht einführen. Der EuGH stellt aber jedenfalls auch klar, dass die Mitgliedstaaten auf Basis des Art 25 sehr wohl einen (über den tatsächlichen Schadensausgleich hinausgehenden) Strafschadenersatz gesetzlich verankern können. Dann wiederum bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, die Kriterien für den Umfang dieses Schadenersatzes festzulegen.