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Zur Rechtsmissbräuchlichkeit einer Berufung auf eine Verfallsklausel

BIRGITSCHRATTBAUER

Die Berufung auf eine an sich zulässige Verfallsklausel kann sittenwidrig sein, wenn der AG dem AN die rechtzeitige Geltendmachung eines Anspruchs in einer Art und Weise erschwert oder praktisch unmöglich macht, die die spätere Berufung auf die Verfallsklausel als rechtsmissbräuchlich erscheinen lässt. Voraussetzung ist jedoch, dass dem AG dabei ein bewusstes rechtsmissbräuchliches Verhalten vorzuwerfen ist, das von der Absicht getragen ist, die Anspruchsdurchsetzung durch den AN zu verhindern oder zumindest ernsthaft zu erschweren. Dies ist dann nicht der Fall, wenn die Ablehnung der Ansprüche auf einer nicht offenkundig unrichtigen bzw unvertretbaren Rechtsansicht beruht.

SACHVERHALT

Beim Kl handelte es sich um einen Facharzt in Ausbildung, in dessen Arbeitsvertrag betragsmäßig ein bestimmtes Jahresbruttoentgelt als Ausbildungsbeitrag festgelegt worden war. Ausdrücklich vereinbart war ferner, dass dieser Betrag bei Inkrafttreten eines allfälligen KollV für die Universitäten (im Folgenden: KollV) mit einer höheren Mindestentlohnung für Fachärzte in Ausbildung automatisch auf das neue Minimum angehoben werden sollte. Obwohl in dem mit 1.10.2009 in Kraft getretenen KollV tatsächlich ein höheres Mindestentgelt vorgesehen war, lehnte die Universität eine Anhebung des Entgelts in weiterer Folge aber unter Hinweis auf die Übergangsbestimmung des § 78 KollV ab. Diese Regelung sieht ua vor, dass für nach dem 31.12.2003, aber vor Inkrafttreten des KollV in ein Arbeitsverhältnis aufgenommene wissenschaftliche MitarbeiterInnen abweichend von den kollektivvertraglichen Regelungen das im Arbeitsvertrag festgelegte Entgelt als zwingender Mindeststandard gilt.

Dem mit der Klage geltend gemachten Anspruch auf die Entgeltdifferenz hielt die Bekl neben § 78 KollV die sowohl im Arbeitsvertrag als auch im KollV vorgesehenen Verfallsfristen entgegen.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Alle drei Instanzen gingen – wenn auch mit teils unterschiedlichen Begründungen – davon aus, dass die erwähnte Übergangsbestimmung im72 KollV nicht gegen die vom Kl geltend gemachte Entgelthöhe eingewendet werden könne, wiesen allerdings den Großteil der geltend gemachten Ansprüche als verfallen ab. Entgegen der Rechtsansicht des Kl beurteilten sie weder die kollektivvertragliche Verfallsfrist als unzulässig noch die Berufung der Bekl auf diese Frist als rechtsmissbräuchlich.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Verfallsfristen von drei Monaten sind in Kollektivverträgen durchaus üblich und werden von der Rechtsprechung akzeptiert (vgl RIS-Justiz RS0034517; 9 ObA 86/01i; 9 ObA 19/10z). Dies gilt auch für sogenannte ‚doppelte Verfallsbestimmungen‘, bei denen in der Regel eine zunächst einzuhaltende längere Frist für eine außergerichtliche Geltendmachung der Ansprüche beim Arbeitgeber im Fall der Ablehnung mit einer kürzeren Frist für die gerichtliche Geltendmachung (kollektivvertragliche Klagsfrist) kombiniert wird (vgl 8 ObA 79/13w; Geiblinger, Die Geltendmachung von Ansprüchen und deren Verfall nach den Kollektivverträgen, ASoK 2012, 295). […]

5.3 Nach Ansicht des Klägers verstößt der Verfallseinwand der Beklagten gegen Treu und Glauben, weil die Beklagte durch Nicht- und/oder Falschinformation bzw durch Vorgabe des Nichtbestehens der Ansprüche deren Durchsetzung verhindert habe, weil sie die Einstufung entgegen § 76 Abs 3 und § 47 Abs 4 KV nicht mitgeteilt habe, und schließlich weil sie bei Inkrafttreten des neuen Kollektivvertrags entgegen § 2 Abs 6 AVRAG keinen Dienstzettel ausgestellt habe.

Auch die Berufung auf eine an sich zulässige Verfallsklausel kann sittenwidrig sein, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die rechtzeitige Geltendmachung eines Anspruchs in einer Art und Weise erschwert oder praktisch unmöglich macht, die die spätere Berufung auf die Verfallsklausel als rechtsmissbräuchlich erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0051974; RS0034487). Gegen Treu und Glauben verstößt es zudem auch, wenn sich der Arbeitgeber auf dem im Kollektivvertrag vorgesehenen Verfall beruft, obwohl er es beharrlich unterlassen hat, eine ordnungsgemäße Lohnabrechnung im Sinn des Kollektivvertrags auszufolgen (9 ObA 92/01x). Ein Verstoß gegen Treu und Glauben ist schließlich auch dann anzunehmen, wenn es der Arbeitgeber geradezu darauf anlegt, die (rechtzeitige) Anspruchsdurchsetzung durch den Arbeitnehmer zu verhindern (9 ObA 86/01i mwN).

Nach diesen Grundsätzen wäre für eine Unzulässigkeit des Verfallseinwands vorausgesetzt, dass dem Arbeitgeber ein bewusstes rechtsmissbräuchliches Verhalten vorzuwerfen wäre, das von der Absicht getragen ist, die Anspruchsdurchsetzung durch den Arbeitnehmer zu verhindern oder zumindest ernsthaft zu erschweren.

Davon kann im Anlassfall nicht ausgegangen werden. Entgegen der Argumentation des Klägers war die Rechtsauffassung der Beklagten zu § 78 KV (Anwendbarkeit; Immunisierung des Entgelts laut Arbeitsvertrag) nicht offenkundig unrichtig bzw unvertretbar. Dieser Themenkomplex wird vielmehr erstmals durch die hier vorliegende Entscheidung geklärt. Damit im Zusammenhang steht die Pflicht des Dienstgebers zur Bekanntgabe der Einreihung (Einstufung) samt Höhe des Entgelts durch Dienstzettel oder Arbeitsvertrag nach § 47 Abs 4 KV bzw § 2 Abs 6 AVRAG. Die Beklagte ist davon ausgegangen, dass sich für den Kläger durch Inkrafttreten des Kollektivvertrags keine Änderung ergibt und keine neue Einstufung vorzunehmen ist. […]

5.4 Als Ergebnis folgt somit, dass die Verfallsbestimmung nach § 64 KV als wirksam anzusehen ist und sich die Beklagte im Anlassfall auch darauf berufen durfte.“

ERLÄUTERUNG

Im Mittelpunkt dieser E stand zum einen die Auslegung der im Sachverhalt erwähnten Übergangsbestimmung im KollV für Universitätsbedienstete, worauf hier jedoch nicht näher eingegangen wird. Kurz zusammengefasst liest der OGH § 78 KollV als Schutzbestimmung hinsichtlich eines allenfalls höheren einzelvertraglich festgelegten „Altgehalts“, nicht aber als Grundlage für die Aufrechterhaltung einer das kollektivvertragliche Mindestgehalt unterschreitenden Altregelung.

Über die Gruppe der Universitätsbediensteten hinaus von Bedeutung sind jedoch die Aussagen des OGH betreffend den Verfall der geltend gemachten Ansprüche. Wenig überraschend hält der Gerichtshof an seiner bisherigen, im Schrifttum wiederholt kritisierten Linie fest, wonach die Verkürzung der Verjährungsfrist durch vertragliche oder kollektivvertragliche Vereinbarung selbst dann als zulässig anzusehen ist, wenn es um die Geltendmachung unabdingbarer Ansprüche während des aufrechten Arbeitsverhältnisses geht. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verfallsklausel ist freilich, dass sie nicht sittenwidrig iSd § 879 Abs 1 ABGB ist. Diese Grenze ist nach der Rsp insb dann überschritten, wenn die Geltendmachung von Ansprüchen durch die Verfallsklausel ohne sachlichen Grund übermäßig erschwert wird.

Dreimonatige Verfallsfristen in Kollektivverträgen hat der OGH bereits in der Vergangenheit mehrmals als unproblematisch beurteilt, ebenso zulässig sieht er in stRsp sogenannte „doppelte Ausschlussfristen“ an, bei denen eine längere Frist für die außergerichtliche Geltendmachung der Ansprüche mit einer kürzeren Frist für die gerichtliche Geltendmachung im Falle der Ab-73lehnung der Ansprüche durch den AG kombiniert wird. Damit war auch die hier in Frage stehende Fallfrist des Universitäten-KollV inhaltlich nicht zu beanstanden.

Der Kl stützt sich aber zusätzlich auf das Argument, dass, wenn schon nicht die Verfallsfrist selbst, so doch zumindest die Berufung des AG auf dieselbe im konkreten Fall als sittenwidrig zu beurteilen sei. Er bezieht sich damit auf jene Judikatur des OGH, wonach eine rechtsmissbräuchliche und somit sittenwidrige Berufung des AG auf die Verfallsklausel anzunehmen ist, wenn dieser dem AN die rechtzeitige Geltendmachung seiner Ansprüche erschwert oder praktisch unmöglich gemacht hat. Konkret hat der OGH dem AG die Berufung auf die Fallfrist etwa dann verwehrt, wenn dieser es beharrlich unterlassen hat, dem AN eine ordnungsgemäße Lohnabrechnung iSd KollV auszufolgen, weil der AN in diesem Fall keine Gelegenheit hat, sich Klarheit darüber zu verschaffen, welche Leistungen der AG berücksichtigt hat und welche nicht. Ebenfalls sittenwidrig ist die Berufung des AG auf eine Fallfrist nach der Judikatur dann, wenn dieser es mit seinem Verhalten gerade darauf angelegt hat, die rechtzeitige Anspruchsdurchsetzung durch den AN zu verhindern, so etwa wenn er für den Fall der Geltendmachung des Anspruchs mit Kündigung droht (vgl OGH9 ObA 86/01iinfas 2002 A 46).

Aus dieser Vorjudikatur leitet der OGH nun den Grundsatz ab, dass die Unzulässigkeit des Verfallseinwands ein bewusstes rechtsmissbräuchliches Verhalten des AG voraussetzt, das von der Absicht der Erschwerung oder Verhinderung der Anspruchsdurchsetzung durch den AN getragen ist. Damit scheint der OGH die Latte für die Sittenwidrigkeit der Berufung des AG auf eine Fallfrist de facto noch einmal höher zu legen als bisher, da etwa in den Fällen, in denen dem AG Mängel in der ordnungsgemäßen Lohnabrechnung vorzuwerfen waren, bislang keine bewusste Schädigungsabsicht des AG gefordert wurde. Der Kl hat die Sittenwidrigkeit der Berufung des AG auf die Verfallsklausel insb auf die Verletzung der kollektivvertraglichen Verpflichtung zur schriftlichen Bekanntgabe der Einreihung in die Verwendungsgruppen des KollV bzw allfälliger Änderungen derselben sowie der Höhe des Entgelts gestützt. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten ist dem AG laut OGH hier deshalb nicht vorzuwerfen, weil er nicht von der Notwendigkeit einer Neueinstufung ausgegangen ist und diese Rechtsauffassung auch nicht offenkundig unvertretbar war, sondern erst der gerichtlichen Klärung bedurfte.

An der im gegebenen Fall nicht vorliegenden Unvertretbarkeit der Rechtsauffassung des AG scheiterte im Übrigen auch der Versuch des Kl, die Gehaltsdifferenzen im Wege des Schadenersatzes geltend zu machen. In der bloßen Verletzung der Entgeltzahlungspflicht liegt nach der Rsp des OGH noch kein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht, es muss vielmehr ein besonderer Umstand hinzutreten, der die Annahme rechtfertigt, der AG habe in vorwerfbarer Weise und über den Verzug mit den geschuldeten Entgeltzahlungen hinaus die vermögensrechtlichen Interessen des AN verletzt. Wenn jedoch der AG, so wie im vorliegenden Fall, irrtümlich davon ausgegangen ist, dass er das zustehende Entgelt vollständig bezahlt hat, und seine Rechtsauffassung dabei auch nicht schlechthin unvertretbar war, so kommt auch ein Schadenersatzanspruch nicht in Frage.