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Maßstab der Wahrscheinlichkeit einer Besserung des Gesundheitszustandes nach dem SRÄG 2012

ANDREATUMBERGER

Der 1966 geborene Kl leidet an einer schweren depressiven Erkrankung. Festgestellt wurde, dass die Besserbarkeit des Leistungskalküls durch eine nervenärztliche Behandlung in einbis dreimonatigen Intervallen und durch eine regelmäßige Psychotherapie, die zumindest in 14-tägigen Intervallen durchgeführt wird, erzielt werden kann. Für eine Besserung des Leistungskalküls ist von einem Zeitraum von zwei Jahren auszugehen. Welches Leistungskalkül der Kl erreichen kann, kann nicht festgestellt werden. Der Antrag des Kl auf Weitergewährung der befristeten Berufsunfähigkeitspension wurde in Anbetracht des Gesundheitszustands des Kl von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) mit Bescheid vom 5.6.2014 abgelehnt. Zugleich wurde ausgesprochen, dass ab 1.7.2014 weiterhin vorübergehende Berufsunfähigkeit vorliege. Als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation bleibe der weitere Krankheitsverlauf abzuwarten. Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation seien nicht zweckmäßig. Ab 1.7.2014 bestehe für die weitere Dauer der vorübergehenden Berufsunfähigkeit Anspruch auf Rehabilitationsgeld.

Der Kl brachte daraufhin eine Klage auf Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension ein. Ein darüber hinausgehendes Klagebegehren wurde nicht gestellt. Sowohl das Erst- als auch das Berufungsgericht bestätigten die E der PVA und verneinten einen Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension. Gleichzeitig wurde auch ein Zuspruch von Rehabilitationsgeld mangels entsprechender Antragstellung abgelehnt.

Der OGH hält die ao Revision des Kl für zulässig und auch berechtigt. Er weist darauf hin, dass bereits in den OGH-Entscheidungen vom 30.7.2015, 10 ObS 40/15b, und vom 2.9.2015, 10 ObS 89/15h, ausgesprochen wurde, dass der Versicherte nicht beweisen muss, dass eine Besserung des Gesundheitszustands (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) ausgeschlossen ist, sondern nur, dass sie nicht sehr wahrscheinlich ist, damit feststeht, dass Berufsunfähigkeit (Invalidität) „voraussichtlich dauerhaft“ vorliegt. Es reicht demnach nicht aus, dass irgendeine Besserungsmöglichkeit des Gesundheitszustands des Versicherten besteht, sondern entscheidend ist eine kalkülsrelevante, die Berufsunfähigkeit/Invalidität beseitigende Besserung. Liegt Berufsschutz vor, muss auch eine berufsschutzerhaltende Tätigkeit verrichtet werden können. Nur die mögliche Besserung des die geminderte Arbeitsfähigkeit verursachenden Zustands genügt nicht mehr, um das Vorliegen dauerhaft geminderter Arbeitsfähigkeit verneinen zu können.

Nach dem festgestellten Sachverhalt besteht zwar die Möglichkeit, dass die Arbeitsfähigkeit des Kl durch Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation in einem Zeitraum von zwei Jahren wiederhergestellt wird. Es wurden jedoch keine Feststellungen zur Wahrscheinlichkeit einer solchen Besserung getroffen. Der OGH kommt daher zu dem Ergebnis, dass eine abschließende Beurteilung, ob eine dauerhafte Minderung der Arbeitsfähigkeit vorliegt, noch nicht möglich ist und wies deshalb die Rechtssache an das Erstgericht zurück.

In diesem Zusammenhang stellt der OGH klar, dass der Versicherte auch ohne entsprechende Antragstellung trotz Aufhebung des ursprünglichen Bescheides zumindest Anspruch auf Rehabilitationsgeld habe. Der Versicherte dürfe nämlich darauf vertrauen, dass er jedenfalls die im Bescheid zuerkannte Leistung ohne Rücksicht auf den Ausgang des Prozesses erhalte. Nach § 71 Abs 2 ASGG ist nach Einbringung der Klage ua nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG die Leistungsverpflichtung, die dem außer Kraft getretenen Bescheid entspricht, als vom Versicherungsträger unwiderruflich anerkannt anzusehen. Mit dieser Vorschrift sollte nach dem Willen des Gesetzge-106bers verhindert werden, dass ein gerichtliches Urteil für den Kl weniger günstig ausfällt, als der durch die Klage außer Kraft getretene Bescheid (Verschlechterungsverbot). Das Gericht hat dem Kl daher „zumindest“ die im Bescheid zuerkannte Leistung zuzusprechen. Insoweit ist es weder notwendig, dass der Kl einen diesbezüglichen Antrag stellt, noch für ihn schädlich, dass er eine Antragstellung unterlässt. Da die von der Bekl in den Bescheid aufgenommenen Aussprüche über das Nichtbestehen eines Anspruchs auf Berufsunfähigkeitspension und Zuerkennung eines Rehabilitationsgeldes als Einheit anzusehen sind, ist der Bescheid durch die Klage insgesamt außer Kraft getreten und sind die zugrunde liegenden Ansprüche in ihrer Gesamtheit Gegenstand des Gerichtsverfahrens, daher auch der Anspruch auf Rehabilitationsgeld.