81

Gleichstellung von Leistungen bei Alter aus zwei Mitgliedstaaten des EWR

MARTINATHOMASBERGER
§ Art 5 VO 883/2004

Die Gleichstellung von Altersrenten aus Systemen mehrerer EU-Mitgliedstaaten iSd Art 5 VO 883/2004 hängt davon ab, ob die Leistungen dasselbe Ziel verfolgen, den Leistungsempfängern im Ruhestand die Beibehaltung ihres Lebensstandards zu gewährleisten.

SACHVERHALT

Die Kl des Vorlageverfahrens, Herr Knauer und Herr Mathis, haben ihren Wohnsitz in Österreich und beziehen sowohl Alterspensionen nach dem österreichischen ASVG als auch Altersrenten aus der liechtensteinischen beruflichen Vorsorge nach dem Gesetz über die betriebliche Personalvorsorge (im Folgenden: liechtensteinische Pensionskasse). Dabei handelt es sich um ein System, das nach dem Kapitalisierungssystem funktioniert und dessen Durchführung einer vom AG zu errichtenden oder verwendeten Vorsorgeeinrichtung obliegt. Liechtenstein hat gem Art 9 VO 883/2004 die Notifizierung vorgelegt, dass das Gesetz über die betriebliche Personalvorsorge in den sachlichen Geltungsbereich der VO 883/2004 fällt. Die liechtensteinischen Pensionskassen sind grundsätzlich obligatorisch und können auch über den gesetzlichen Mindestumfang hinausgehende „überobligatorische“ Beiträge und Leistungen umfassen.

Die Kl sind aufgrund der österreichischen Pension nach österreichischem Recht krankenversichert. Die Vorarlberger Gebietskrankenkasse (VGKK) verpflichtete die Kl zur Zahlung von Krankenversicherungsbeiträgen auch für die Altersrente aus der liechtensteinischen Pensionskasse, da es sich um eine gleichartige Leistung iSd Art 5 VO 883/2004 handle und somit wie die gesetzliche Pensionsleistung der Beitragspflicht zur KV unterliege.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Krankenversicherungsbeiträge für die liechtensteinischen Altersrenten wurden mit Bescheid des Landeshauptmanns für Vorarlberg herabgesetzt, und zwar auf das Maß der gesetzlichen Mindestleistungen, die sich aus der liechtensteinischen Regelung ergeben. Als Begründung wurde angeführt, dass nur die gesetzliche Mindestleistung in den sachlichen Geltungsbereich der Koordinierungsverordnung fällt und damit der Beitragspflicht in Österreich unterliegt.

Die VGKK erhob in beiden Fällen Revision an den VwGH mit der Begründung, der Krankenversicherungsbeitrag sei von der gesamten liechtensteinischen Altersrente zu zahlen. Zugleich erhob Herr Knauer Revision mit der Begründung, dass von der liechtensteinischen Altersrente keinerlei Beitrag zu entrichten sei.

Der VwGH leitete das Vorabentscheidungsverfahren mit der Frage ein, ob die Altersrente der liechtensteinischen Pensionskasse in Anbetracht der bestehenden Systemunterschiede unabhängig von der erfolgten Notifikation als gleichartig iSd Art 5 VO 883/2004 mit den Altersleistungen der im Umlageverfahren finanzierten gesetzlichen PV in Österreich anzusehen ist.

Der EuGH entschied, dass das maßgebliche Kriterium zur Beurteilung der Gleichartigkeit von nationalen Leistungen in ihrem Ziel zu finden ist. Altersleistungen aus mehreren EU- bzw EWR-Mitgliedstaaten sind – unabhängig von der Unterschiedlichkeit der zugrunde liegenden Systeme – dann als gleichartig iSd Art 5 VO 883/2004 zu werten, wenn sie „dasselbe Ziel verfolgen, ihren Empfängern die Beibehaltung eines Lebensstandards zu gewährleisten, der jenem vor ihrem Ruhestand entspricht“ (Rz 38). Das bejahte der EuGH für Leistungen aus der Liechtensteiner Pensionskasse und dem österreichischen gesetzlichen Pensionssystem. Daran ändere auch die Möglichkeit nichts, dass nach liechtensteinischem Recht überobligatorische Leistungen bezogen werden können. Eine unterschiedliche Behandlung der gleichartigen Leistungen hinsichtlich der Krankenversicherungsbeiträge könnte nur gerechtfertigt werden, wenn die liechtensteinischen Behörden einen Krankenversicherungsbeitrag auf diese Leistungen einheben würden. Dies ist jedoch im Ausgangsverfahren nicht der Fall (Rz 37).

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„31 Was das Ziel des Art 5 Buchst a der Verordnung Nr. 883/2004 betrifft, ergibt sich aus deren neuntem Erwägungsgrund, dass der Unionsgesetzgeber im Text dieser Verordnung den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz der Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, und Sachverhalten einführen wollte, damit dieser unter Beachtung des Inhalts und Geistes dieser Gerichtsentscheidungen des Gerichtshofs ausgeformt wird.

32 So ist zunächst festzustellen, dass zwei Leistungen bei Alter nicht allein deshalb als gleichartig im Sinne des Art 5 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 angesehen werden können, weil die beiden in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen. […]115

33 Sodann ist, wenn es sich genauer um Leistungen bei Alter wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden handelt […], der Begriff ‚gleichartige Leistungen‘ […] dahin auszulegen, dass er sich im Wesentlichen auf zwei Leistungen bei Alter bezieht, die vergleichbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Klöppel, C-507/06, EU:C:2008:110, Rz 19).

34 Hinsichtlich der Vergleichbarkeit solcher Leistungen bei Alter ist das durch diese Leistungen und die sie einführenden Regelungen verfolgte Ziel zu berücksichtigen (vgl. entsprechend Urteil O, C-432/14, EU:C:2015:643, Rz 33).

35 Für das Ausgangsverfahren ergibt sich aus dem Wortlaut der Frage selbst, dass die der liechtensteinische berufliche Vorsorge und die vom österreichischen gesetzlichen Pensionssystem Leistungen dasselbe Ziel verfolgen, ihren Empfängern die Beibehaltung eines Lebensstandards zu gewährleisten, der jenem vor ihrem Ruhestand entspricht.

36 Daraus folgt, dass Leistungen bei Alter wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden als vergleichbar anzusehen sind. Insoweit kann […] die Tatsache, dass es insbesondere in Bezug auf die Art und Weise des Erwerbs der Ansprüche […] oder die Möglichkeit […], in den Genuss überobligatorischer Leistungen zu kommen, Unterschiede gibt, keine andere Schlussfolgerung rechtfertigen. […]

38 Daher ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art 5 Buchst. a der Verordnung Nr 883/2004 dahin auszulegen ist, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Leistungen bei Alter, die aus einem System der beruflichen Vorsorge eines Mitgliedsstaats bezogen werden, und solche, die aus einem gesetzlichen Pensionssystem eines anderen Mitgliedstaats bezogen werden, wobei beide Systeme in den Geltungsbereich der besagten Verordnung fallen, gleichartige Leistungen im Sinne dieser Bestimmung sind, wenn die beiden Kategorien von Leistungen dasselbe Ziel verfolgen, ihre Empfängern die Beibehaltung eines Lebensstandards zu gewährleisten, der jenem vor ihrem Ruhestand entspricht. […]“

ERLÄUTERUNG

Mit dieser E schafft der EuGH eine grundsätzliche Klarstellung über die koordinationsrechtliche Beurteilung von Altersrenten, die auf vollkommen unterschiedlichen gesetzlichen und materiellen Grundlagen beruhen. Wenn Renten aus der „zweiten Säule“ und aus einem gesetzlichen Pensionssystem, so der Tenor, dasselbe Ziel verfolgen, nämlich „ihren Empfängern die Beibehaltung eines Lebensstandards zu gewährleisten, der jenem vor ihrem Ruhestand entspricht“, dann sind sie koordinationsrechtlich als „gleichartig“ iSd Art 5 VO 883/2004 anzusehen. Es kommt also weniger auf die Art der Finanzierung (Kapitaldeckungs- oder Umlageverfahren) oder Organisation (durch AG eingerichtete Pensionskasse oder staatliches Pensionsversicherungssystem) der Leistung an, sondern auf ihre Funktion. Damit trägt der EuGH dem Umstand Rechnung, dass es innerhalb Europas eine Vielzahl unterschiedlicher Versorgungssysteme gibt. Ist die Funktion der betreffenden Leistungen vergleichbar, dann sind die Träger des zuständigen Staates dazu berechtigt, diese gleich zu behandeln und Krankenversicherungsbeiträge auch von ausländischen Renten einzuheben (Art 30 VO 987/2009). Das gilt freilich nur, falls im leistungszuständigen Staat keine entsprechenden Abgaben oder Beiträge zu leisten sind. Es entspricht der ständigen Judikatur des EuGH, dass es in grenzüberschreitenden Fällen zu keiner Doppelbelastung durch konkurrierende Beitragspflichten kommen darf.

Der EuGH hatte sich nur zur Vorlagefrage und damit zur Gleichartigkeit der Leistungen zu äußern. Im fortgesetzten Verfahren wird nunmehr der VwGH darüber zu befinden haben, ob nur der Betrag der liechtensteinischen Mindestleistung oder der volle Betrag der Altersrenten für die Beitragsbemessung in Österreich zugrunde zu legen ist.116