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Mobbing einer Schuldirektorin

HELMUTZIEHENSACK

Bei Mobbing handelt es sich um eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen und Kolleginnen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder einigen Personen systematisch, oft und während längerer Zeit mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird und dies als Diskriminierung empfindet. Dabei geht es vielfach um die Wiederholung von im Einzelnen nicht als Dienstpflichtverletzung zu wertenden Worten oder Taten, die erst in der Summe mehrfacher Einzeläußerungen und Einzelhandlungen Mobbing ergeben.

SACHVERHALT

Die Kl war seit 1.12.2005 Direktorin einer Höheren Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe. Die Nebenintervenientin war als Landesschulinspektorin des Landesschulrats als Schulaufsichtsorgan für diese Schule unmittelbare Vorgesetzte der Kl.

Ab dem Jahr 2007 empfand die Kl, dass sich das Verhältnis zur Nebenintervenientin verschlechterte. Hintergrund war, dass sich die Kl zwei Mal im Jahr 2007 an den amtsführenden Präsidenten des Landesschulrats gewandt hatte und dieser ihr im Konflikt mit der Nebenintervenientin über verschiedene schulische Fragen Recht gegeben hatte, war die Nebenintervenientin ungehalten und fühlte sich dadurch desavouiert. Sie wollte den von ihr empfundenen Ungehorsam der Kl, die sich in die den Schulpartnern bzw der Schulleiterin vorbehaltenen Bereiche nicht hineinreden lassen wollte, nicht dulden und setzte sie dementsprechend bei mehreren Gelegenheiten unter Druck, mit dem Ziel, sie gefügig zu machen. Die Nebenintervenientin war es gewohnt und erwartete, dass man ihr gehorchte. Aus einer Fülle von in der Folge von der Nebenintervenientin gesetzten Aktivitäten, die in der Sachverhaltsschilderung des Urteils präzise dargestellt werden, eine typische Auswahl:

Die Nebenintervenientin äußerte sich gegenüber dritten Personen abfällig über die Kl und die von ihr geleitete Schule. So sagte sie zB gegenüber einer anderen Schuldirektorin sinngemäß, dass es in B so zugehe. Das Ersuchen der Kl um Klarstellung tat die Nebenintervenientin als „Gequake“ ab, mit dem sie nicht behelligt werden wolle. Ein Inspektionstermin wurde von der Nebenintervenientin an einem Tag festgesetzt, an dem die Kl verhindert war, und Änderungswünsche betreffend die Inspektion der Kl erst am Inspektionstag mitgeteilt, um ihr zu demonstrieren, dass sie sich „ohne Wenn und Aber“ unterzuordnen und den Launen der Landesschulinspektorin zu fügen habe. Von der Nebenintervenientin verfasste Protokolle, die nach Ansicht der Kl Gesprächsverläufe unrichtig wi-76dergaben, musste sie auf Anordnung der Nebenintervenientin dennoch ohne Änderungen oder Ergänzungen unterschreiben. Arbeitsaufträge wurden nachträglich abgeändert, so dass bereits geleistete Arbeit der Kl wertlos wurde. ZB wurde die Kl mit einer Lehrfächerverteilung für Französisch für die nächsten drei Jahre beauftragt. Als die Kl damit fertig war – einschließlich der erfolgreichen Absolvierung von dazu notwendigen Gesprächen mit einer gesundheitlich beeinträchtigten Lehrkraft –, erhob die Nebenintervenientin in Zusammenhang mit letzterer neue Forderungen, die wieder alles zunichte machten. In zahlreichen anderen Schulen übliche Praktiken wurden der Kl untersagt. Bei einer Besprechung äußerte sie gegenüber der Kl: „Ich halte Sie für krank“, „Sie leiden an Realitätsverlust“ und „Ich habe schon zwei bis drei Direktoren in die Pension gelobt. Sie sind die Nächste.“, obwohl die von der Kl geleitete Schule gerade unter ihrer Direktion einen sehr guten Ruf hatte und die Kl im Kreis der Direktorenkollegen persönlich und fachlich anerkannt war.

Seit Mitte 2010 ist die Kl wegen einer reaktiven – mittlerweile chronischen – Depression im Krankenstand. Ursache für die Erkrankung ist das von der Kl als schikanös, herabsetzend und als ungerechtfertigter Angriff auf ihre Person empfundene Verhalten ihrer Vorgesetzten. Ohne diese Ursache wäre die Kl nicht erkrankt. Sonstige die Erkrankung wesentlich bedingende Ursachen stehen nicht fest.

Die Kl begehrte von der Bekl aus dem Titel der Amtshaftung € 86.797,51 sA an Schadenersatz, bestehend aus Verdienstentgang, Schmerzengeld und Therapiekosten, sowie die Feststellung der Haftung der Bekl für künftige Schäden – im Wesentlichen mit der Begründung, bei der Vorgangsweise der Nebenintervenientin habe es sich um Mobbing gehandelt, das den Ausbruch der zur Dienstunfähigkeit führenden Depression mit einem „Burn-Out-Syndrom“ verursacht habe.

Die Bekl wandte zusammengefasst ein, die Nebenintervenientin habe sich rechtskonform verhalten.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht erkannte mit Teil- und Zwischenurteil das Zahlungsbegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend und stellte die Haftung der Bekl für künftige Schäden fest. Das Berufungsgericht gab den dagegen erhobenen Berufungen der Bekl und der Nebenintervenientin Folge und wies das Klagebegehren ua mit der Begründung ab, dass Fehlentscheidungen und Fehlleistungen eines Vorgesetzten als solche keinen der Menschenwürde widersprechenden persönlichen Angriff gegen den Untergebenen darstellten. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu. Die außerordentliche Revision der Kl wurde vom OGH jedoch für zulässig und auch berechtigt erachtet.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Für Mobbing ist das systematische, ausgrenzende und prozesshafte Geschehen über einen längeren Zeitraum typisch, etwa durch systematische Verweigerung jeder Anerkennung, Isolation, Zurückhaltung von Informationen, Rufschädigung etc. Die große Bandbreite möglicher Mobbinghandlungen entzieht sich einer vollständigen Aufzählung. Beispiele von Schikanen bzw ins Mobbing hineinreichende Maßnahmen von Vorgesetzten und Arbeitskollegen sind wiederholte Beschimpfungen, ohne dafür den geringsten Anlass gegeben zu haben, negative Äußerungen vor Kollegen und/oder unbeteiligten Dritten (Außenstehenden), sinnlose oder überflüssige Weisungen, wiederholtes Umstoßen und Leugnen getroffener Abmachungen und das Verbot des schriftlichen Festhaltens von Weisungen, Berufung auf die Amtsverschwiegenheit und daher Ausschluss von dritten Gesprächszeugen, im Vergleich zur Kollegenschaft ungewöhnlich häufige und sachlich nicht indizierte oftmalige Weisungserteilung, Anordnung einer vorherigen Vorlagepflicht sämtlicher Erledigungen, welches Aufsichtsniveau nicht auch bei Kollegen in derart einschränkender Art und Weise zur Anwendung gebracht wird (Ziehensack, AHG [2011] § 1 Rz 1471). […]

Beim Tatbestand ‚Mobbing‘ handelt es sich vielfach nicht um abgeschlossene Einzeltaten, sondern um die Wiederholung von im Einzelnen nicht als Dienstpflichtverletzung zu wertenden Worten oder Taten, die erst in der Summe mehrfacher Einzeläußerungen und Einzelhandlungen einen Verstoß gegen § 43a BDG ergeben (VwGH2011/09/0197). Nicht entscheidend ist, dass die einzelnen Handlungen für sich genommen rechtswidrig sind. […]

Im hier zu beurteilenden Fall liegt in Summe betrachtet gegenüber der Klägerin ein gezieltes und systematisches Mobbingverhalten der Nebenintervenientin vor. Für die von ihr als mit der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht betraute Vorgesetzte und als (weisungsbefugtes) Organ der Schulaufsichtsbehörde unmittelbar gesetzten Mobbinghandlungen hat die beklagte Dienstgeberin gemäß § 1 Abs 1 AHG einzustehen. Darin ist hier durchaus in der Gesamtschau ein schikanöses Verhalten der Nebenintervenientin gegenüber der Klägerin zu sehen.“

ERLÄUTERUNG

Zuweilen stellt die Arbeitswelt bzw der konkrete Arbeitsplatz eines Menschen einen gefährli-77chen Ort dar. AN-Schutzvorschriften sowohl in der Privatwirtschaft wie auch im öffentlichen Dienst versuchen hier, gesundheitliche Schäden zu vermeiden bzw möglichst hintanzuhalten. Im Falle gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch Mobbing bzw Bossing kann es zum Vorliegen von gesundheitlichen Beschwerden kommen, welche nicht urplötzlich auftreten, sondern eine chronologische, typischerweise schrittweise eskalierende Entwicklung nehmen.

Im vorliegenden Fall lagen Mobbinghandlungen einer Vorgesetzten der dadurch (gesundheits-) geschädigten Schuldirektorin vor:

Es ging um ein bewusstes Herabsetzen des Opfers, etwa durch Bezichtigung der „Lüge“ oder in Äußerungen wie „Ich halte Sie für krank“, „Ich zweifle an Ihren Manieren“, „Sie leiden unter Realitätsverlust“ und „Ich habe schon zwei bis drei Direktoren in Pension gelobt. Sie sind die Nächste.“ Das Mobbing bestand auch in abfälligen Äußerungen über die Kl gegenüber Dritten und im Abtun eines Klarstellungsersuchens des Mobbingopfers als „Gequake“. Durch wiederholte Sprunghaftigkeit der mobbenden Vorgesetzten wurde bereits geleistete Arbeit des Opfers wertlos. Der OGH erkannte darin ein für Mobbing typisches „System“ des Täters bzw hier der Täterin und verwies darauf, dass eine gesamthafte Betrachtung und Würdigung des Verhaltens am Arbeitsplatz stattzufinden hat. Diese in einer Gesamtwürdigung zu betrachtenden einzelnen Verhaltensweisen der Mobberin führten zur Erkrankung der Kl. Dass einzelne Handlungen der Nebenintervenientin für sich betrachtet durchaus rechtmäßig gewesen sein mögen, änderte nichts daran, dass nach Einschätzung des OGH insgesamt „ein gezieltes und wiederholt schikanöses Verhalten“ gesetzt worden war, wenn „auch die persönlichen Kontakte nur vereinzelt geblieben“ waren.

Der Verteidigungsansatz des bekl Rechtsträgers hinsichtlich der angewandten Verletzung der Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG durch die Kl, weil sie nicht gegen Weisungen der Mobberin remonstriert hatte, blieb ohne Erfolg. Nach § 2 Abs 2 AHG besteht ein Ersatzanspruch dann nicht, wenn der Geschädigte den Schaden durch ein Rechtsmittel oder eine Beschwerde an den VwGH hätte abwenden können. Die Mobberin arbeitete aber nicht nur mit Weisungen, sondern auch mit Verunglimpfungen, gegen welche Remonstrationen nicht geholfen hätten. Der OGH ließ den Einwand an der fehlenden Rechtswidrigkeit der einzelnen Weisungen, welche in der Gesamtbetrachtung aber Mobbing darstellten, scheitern und rechnete die Unterlassung des Rechtsbehelfs der Remonstration der Kl auch nicht als Mitverschulden iSd § 1304 ABGB an. Ebenso wenig sah das Höchstgericht darin ein Mitverschulden, dass die Kl das Angebot der Dienstbehörde, sich bei weiteren Problemen direkt an diese zu wenden, ebenso wenig aufgriff wie das (nachträgliche) Anbot, sie in einer anderen, zumindest gleichwertigen Funktion zu beschäftigen. Letzteres Anbot kam nämlich erst nach der Erkrankung der Kl und hätte den Eintritt des Schadens nicht mehr verhindern können.