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Unrichtige Angaben über den Behindertenstatus rechtfertigen keine Kündigung des Arbeitnehmers

MARTINACHLESTIL

Die unrichtige Angabe eines AN über seinen Behindertenstatus und die Nichtvorlage von Befunden über seine Behinderung sind nicht geeignet, eine in der (jedenfalls vermeintlichen) Behinderung begründete Kündigung des AN zu rechtfertigen und den Schutz des AN vor einer Beendigungsdiskriminierung wegen Behinderung zu beschneiden.

SACHVERHALT

Der kl AN war von 15.6.2011 bis 11.9.2012 bei der bekl AG, einer Produzentin von Abgasreinigungsanlagen für Nutzfahrzeuge, als Schweißer beschäftigt. Im Zuge seines Einstellungsgesprächs legte er im Personalfragebogen nicht offen, dass er dem Kreis der begünstigten behinderten AN nach dem BEinstG angehört; sein Grad der Behinderung wurde mit 60 vH eingeschätzt. Auch dem Betriebsarzt gegenüber sowie über direkte Nachfrage der bekl AG verschwieg der kl AN seine Begünstigteneigenschaft. Im Zuge der Vorschreibung der Ausgleichstaxe für 2011 durch Bescheid des Bundessozialamtes vom 14.5.2012 erfuhr die bekl AG erstmals, dass der kl AN begünstigter Behinderter iSd BEinstG ist. Die bekl AG sprach daraufhin die Kündigung des kl AN aus, weil dieser unrichtige Angaben über seine Behinderteneigenschaft gemacht hatte und für die AG mangels Vorlage der von ihr geforderten Unterlagen über die Art der Behinderung nicht beurteilbar war, ob der AN für die bisherige Tätigkeit weiter einsetzbar ist oder nicht.

Ein vor der Klage durchgeführtes Schlichtungsverfahren führte zu keiner gütlichen Einigung,78 der AN focht die Kündigung wegen Diskriminierung aufgrund Behinderung nach § 7b Abs 1 Z 7 BEinstG an.

Nach den Feststellungen war und ist der kl AN in der Lage, eine Tätigkeit als Schweißer ohne Gefährdung der eigenen Person oder fremder Personen auszuüben.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der OGH wies – der E des Berufungsgerichts folgend – die Revision der bekl AG zurück. Die Kündigung des kl AN ist im Zusammenhang mit seiner Behinderung erfolgt, weswegen eine unmittelbare Diskriminierung iSd BEinstG vorliegt, die nicht gerechtfertigt werden kann.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…] 4. […] Wie bereits das Berufungsgericht ausführte, steht die Kündigung […] offenkundig im Zusammenhang mit der von der Beklagten angenommenen Behinderung des Klägers, weil erst ihre Kenntnis von der Eigenschaft des Klägers als begünstigter Behinderter Anlass für ihr Verlangen nach weiteren Auskünften über die Behinderung und – weil dieses unbefriedigt blieb – schließlich für die Kündigung war. Mag die Beklagte daher auch bereit gewesen sein, den Kläger bei genauer Kenntnis der Art seiner Behinderungen weiterzubeschäftigen, so ändert dies dennoch nichts daran, dass die Kündigung des Klägers erfolgte und im Zusammenhang mit der von ihr infolge des Bescheides des Bundessozialamtes angenommenen Behinderteneigenschaft des Klägers stand. Im Sinne der dargelegten Rechtsprechung ist daher auch hier das den Kläger benachteiligende Verhalten der Beklagten dem (jedenfalls vermeintlichen) Vorliegen der Behinderteneigenschaft des Klägers zuzurechnen.

5. Damit ist nun noch zu prüfen, ob sich die Beklagte rechtfertigend darauf berufen kann, den Kläger wegen der unrichtigen und später unvollständigen Angaben zu seiner Behinderung gekündigt zu haben. […]

6. Im vorliegenden Fall lagen keine Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers für seine Tätigkeit als Schweißer vor. Dass dies auch für die Beklagte erkennbar sein musste, ergibt sich schon daraus, dass bei den im Auftrag der Beklagten durchgeführten Untersuchungen keine Beeinträchtigungen des Klägers festgestellt wurden, der Kläger anstandslos schon mehr als ein Jahr bei der Beklagten tätig war und bei seinen Tätigkeiten offenkundig auch weder eine Einschränkung der Einsatzfähigkeit noch ein Gefährdungspotenzial aus der Tätigkeit des Klägers für sich oder andere hervorkam. Da im Sinne der dargelegten Rechtsprechung weder für die Begründung noch für das laufende Arbeitsverhältnis des Klägers ein weiteres Informationsbedürfnis der Beklagten ersichtlich ist, das für die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses erforderlich gewesen wäre, musste es hier dem Kläger überlassen bleiben, konkrete Angaben über seine Beeinträchtigungen zu machen. Eine Offenlegungspflicht traf ihn insofern nicht. Die unrichtige Angabe des Klägers über seinen Behindertenstatus und die Nichtvorlage von Befunden über seine Behinderung sind danach ebenfalls nicht geeignet, die in der (jedenfalls vermeintlichen) Behinderung begründete Kündigung des Klägers zu rechtfertigen und den Schutz des Klägers vor einer Beendigungsdiskriminierung wegen Behinderung zu beschneiden.

7. Zusammenfassend ergibt sich daraus, dass die Kündigung des Klägers gegen das Diskriminierungsverbot des § 7b Abs 1 Z 7 BEinstG verstieß. Sie kann daher vom Kläger gemäß § 7f Abs 1 BEinstG angefochten werden.“

ERLÄUTERUNG

Seit 1.1.2006 besteht ein Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Behinderung in der Arbeitswelt (§§ 7a bis 7r BEinstG). Aufgrund einer Behinderung dürfen AN im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, insb auch nicht bei der Beendigung desselben, unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden. Eine Kündigung aus Gründen der Behinderung kann – nach vorheriger Durchführung eines zwingenden Schlichtungsverfahrens – bei Gericht angefochten werden. (Der seit Jahrzehnten bestehende besondere Kündigungsschutz nach § 8 BEinstG wird seit der Novelle des BEinstG 2011 für ab 1.1.2011 neu aufgenommene AN, die bei Begründung des Arbeitsverhältnisses bereits über den Begünstigtenstatus verfügen, erst nach einer Dauer des Arbeitsverhältnisses von vier Jahren wirksam!)

Nach dem OGH ist der Schutz vor Diskriminierung nach dem BEinstG ein weiter: Er gilt unabhängig davon, ob die Behinderung, aufgrund derer die Diskriminierung erfolgt, tatsächlich vorliegt oder bloß vermutet wird. Die Behinderung darf nicht zum Anlass eines Verhaltens des AG genommen werden, das er gegenüber dem AN ohne Kenntnis des geschützten Merkmals nicht gesetzt hätte. Da im vorliegenden Fall dieser Kausalzusammenhang gegeben war – die Kündigung des AN erfolgte im Zusammenhang mit der von der AG infolge des Bescheides des Bundessozialamtes (nunmehr Sozialministeriumservice) angenommenen Behinderteneigenschaft –, kam es auf die Frage, ob ein begünstigter behinderter AN auch ohne feststellbare Funktionsbeeinträchtigungen den Diskriminierungsschutz genießt, nicht weiter an.

Ausdrücklich stellt der OGH klar, dass die AG die Kündigung nicht mit unrichtigen oder un-79vollständigen Angaben des AN über seine Behinderung rechtfertigen kann. So hat der AN weder ein Merkmal verschwiegen, das eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung nach § 7c Abs 3 BEinstG darstellen würde, noch traf den AN eine Offenlegungspflicht hinsichtlich seiner Behinderung. Anzumerken ist, dass der AG zwar grundsätzlich ein berechtigtes Interesse hat, zu erfahren, ob der AN über den Begünstigtenstatus verfügt (ergeben sich daraus doch besondere Fürsorgeverpflichtungen des AG sowie auch Steuerbegünstigungen), dennoch überwiegt nach der Rsp des OGH das Interesse des AN an der Erlangung des angestrebten Arbeitsplatzes das Informationsinteresse des AG. Wenn sich die Behinderteneigenschaft des AN weder auf seine Einsatzfähigkeit auswirkt noch eine Gefährdung anderer Personen iZm der Erbringung seiner Arbeitsleistungen gegeben ist, dann wird laut OGH durch das Unterlassen der Mitteilung das Vertrauen des AG nicht derart erschüttert, dass ihm die Fortsetzung eines bereits längere Zeit andauernden und anstandslos funktionierenden Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar wäre (vgl OGH 2.4.2003, 9 ObA 240/02p; siehe auch Mayr in

Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 § 8 BEinstG Rz 7).

Hinzuweisen bleibt, dass AG im Zuge der Vorschreibung der Ausgleichstaxe durch das Sozialministeriumservice in der Regel ohnehin Kenntnis über die Begünstigteneigenschaft ihrer AN erlangen.