48Besonderes Feststellungsverfahren gem § 54 Abs 2 ASGG bezüglich Anrechnung von Vordienstzeiten
Besonderes Feststellungsverfahren gem § 54 Abs 2 ASGG bezüglich Anrechnung von Vordienstzeiten
Kollektivrechtlich vorgesehene Vordienstzeiten, die vor der Vollendung des 19. Lebensjahres liegen, sind bei der Einstufung zu berücksichtigen.
Daraus ergibt sich ein Nachzahlungsanspruch in Höhe des Differenzbetrages zwischen dem tatsächlich ausgezahlten Entgelt und jenem, was unter Berücksichtigung der Vordienstzeiten vor dem 19. Lebensjahr gebührt hätte.
In gegenständlichem Verfahren handelt es sich um einen Nachfolgeprozess im Anschluss an die EuGH-E in der Rs Hütter (C-88/08). In dieser Rs wurde zum ersten Mal die Frage einer unionsrechtlichen Altersdiskriminierung jener Vordienstzeitenanrechnungssysteme aufgeworfen, die Zeiten vor dem 18. Geburtstag generell außer Acht ließen. Ein solches Anrechnungssystem lag auch dem gegenständlichen Verfahren zu Grunde. Die maßgeblichen Normen befanden sich in einer einzelvertraglichen Schablone, bezeichnet als freie BV, als auch in einem Firmen-KollV. Diese sahen vor, dass Vordienstzeiten dann für die Einstufung nicht zu berücksichtigen sind, wenn diese vor dem 19. Lebensjahr liegen.
Der Zentral-BR leitete ein besonderes Feststellungsverfahren gem § 54 Abs 2 ASGG ein, das dem Zweck dienen sollte, die diskriminierende Wirkung dieser Vordienstzeitenregelung und die daraus resultierenden Ansprüche der betroffenen AN festzustellen.
Die E des OGH erfolgte als Beschluss im Rahmen eines besonderen Feststellungsverfahrens gem § 54 Abs 2 ASGG. Es handelt sich hierbei um eine kollektive Klagsführung, um abstrakte arbeitsrechtliche Fragen, die eine Mehrzahl von AN betreffen, zwischen kollektivvertragsfähigen Körperschaften der AN und AG zu klären. Im Grundsatz bezieht sich dieses Verfahren zwar auf die überbetriebliche Ebene. Da es hier aber um den Sonderfall eines Firmen-KollV ging, war davon gleichfalls die betriebliche Ebene betroffen. Antragsteller war der Zentral-BR, der auf Grund einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung die Kollektivvertragsfähigkeit besitzt.
Eine Besonderheit dieses Verfahren ist, dass der verfahrenseinleitende Antrag direkt an den OGH zur E gerichtet ist. Der Antrag an den OGH muss einen abstrakten Sachverhalt sowie die Feststellung einer bestimmten Rechtsfolge beinhalten. Auch darin unterscheidet sich das besondere Feststellungsverfahren von einem normalen arbeitsgerichtlichen Verfahren. Der OGH hat aufgrund des vorgebrachten Sachverhaltes, der von ihm nicht auf seine Richtigkeit überprüft wird, über die beantragte Rechtsfolge zu entscheiden.81 Der Sachverhalt des Antrages muss daher so gewählt und ausgeführt werden, dass eine eindeutig feststellbare Rechtsfolge abgeleitet werden kann.
Antragsinhalt:
1. Aufgrund der im Wesentlichen gleichlautenden Bestimmungen der kollektivrechtlichen Rechtsquellen wurden keine Beschäftigungs- und Studienzeiten vor dem vollendeten 19. Lebensjahr zur Anrechnung herangezogen. Aufgrund dieses Sachverhaltes, der nach den Antragstellern eine unionsrechtliche Altersdiskriminierung darstelle, sei gegenständlicher Anrechnungsausschluss nicht anzuwenden.
2. Als Rechtsfolge ergäbe sich zum einen die Anrechnung dieser Vordienstzeiten, zum anderen ein sich aus dieser Anrechnung ergebender Anspruch auf Differenzentgelt für die Vergangenheit sowie auf korrekte Einstufung und Bezahlung für die Zukunft.
Der Antrag enthält darüber hinaus als Sachverhaltsangabe die Einschränkung, dass der Anspruch nur soweit bestehen solle, soweit dieser nicht verjährt ist und Verjährung eingewendet wird.
Der Antragsgegner bestritt grundsätzlich die Antragslegitimation des antragstellenden Zentral-BR und beantragte seinerseits die Zurückweisung, in eventu die Abweisung. Er brachte ua vor, dass die Altersdiskriminierung sachlich gerechtfertigt sei.
Entscheidung:
Aufgrund des nicht konkretisierten Sachverhaltes bezüglich der Rechtsfolgen von Anspruchsbeginn und Verjährung wies der OGH diese Teile des Antrags ab. Die Argumente des Antragsgegners zur sachlichen Rechtfertigung der Altersdiskriminierung wurden ebenfalls zur Gänze verworfen, weil der Sachverhalt keine Anhaltspunkte in diese Richtung enthielt.
„Der Oberste Gerichtshof hat schon in früheren Verfahren ausdrücklich oder implizit […] die Parteistellung des Antragstellers […] und des Antragsgegners […] im Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG bejaht. […] Aus dem in § 54 Abs 2 ASGG für den Hauptanwendungsfall enthaltenen Verweis auf §§ 4 bis 7 ArbVG folgt entgegen der Annahme des Antragsgegners für das Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG keine Ausgrenzung jener Einrichtungen, denen erst durch gesetzliche Sonderbestimmungen die Kollektivvertragsfähigkeit zuerkannt wurde. […]
Ein Feststellungsantrag gemäß § 54 Abs 2 ASGG muss einen Sachverhalt enthalten, der ein Feststellungsinteresse iSd § 228 ZPO begründet. Dieses rechtliche Interesse ist vom Obersten Gerichtshof auf der Grundlage des vom Antragsteller behaupteten Sachverhalts, der auch auf das rechtliche Interesse Bezug nehmen muss, von Amts wegen zu prüfen […]. […]
Die Gerichte haben auch Kollektivverträge dahin zu überprüfen, ob sie allenfalls gegen Unionsrecht verstoßen […]. Ein Verstoß gegen das unmittelbar anzuwendende Verbot der Altersdiskriminierung zieht die Unwirksamkeit des davon betroffenen Kollektivvertrags(teils) nach sich […]. Das gilt auch für Betriebsvereinbarungen. […]
Daraus folgt in Verbindung mit der gesetzlichen Vorgabe, dass der Oberste Gerichtshof über den Feststellungsantrag auf der Grundlage des darin angegebenen Sachverhalts zu entscheiden hat […], dass die […] nach dem Alter (Vollendung des 19. Lebensjahres) differenzierende Anrechnung der Vordienstzeiten unmittelbar altersdiskriminierend ist. Da die Anrechnung der Vordienstzeiten für die Gehaltseinstufung von Bedeutung ist, führt die Nichtberücksichtigung von Vordienstzeiten wegen des Alters zu einer Ungleichbehandlung der betroffenen Arbeitnehmer beim Entgelt. […]
Auf Fragen der Rechtfertigung der Altersdiskriminierung aufgrund von ergänzenden tatsächlichen Überlegungen des Antragsgegners konnte der Oberste Gerichtshof mangels eines diesbezüglichen Sachverhalts im Antrag nicht eingehen. […]
Die Frage der Verjährung der Differenzansprüche kann nur bei jedem einzelnen Arbeitnehmer beurteilt werden. […]
Der Sinn des in Verbindung mit dem vorstehenden ersten Zusatz aufgenommenen zweiten Zusatzes ‚und Verjährung eingewendet wird‘ erschließt sich dem Senat mangels näherer Darlegung im Antrag nicht und hat daher ebenfalls zu entfallen. […] Ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Fälligkeitszeitpunkts (sei es jetzt der 28.11.2000 oder der 3.12.2003) hat der Antragsteller nicht dargetan. Dies wäre hier aber umso mehr erforderlich gewesen, als diese Zusätze im korrespondierenden Antragspunkt 1. keinen Niederschlag finden. Zur Entscheidung über einen Antrag unter Zugrundelegung hypothetischer Sachverhaltsannahmen ist der Oberste Gerichtshof im Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG aber nicht berufen.“
Das Bemerkenswerte an diesem Verfahren liegt nicht in der Exekution der Rechtsfolgen, welche die Rs Hütter nach sich zieht, sondern in der Art und Weise, wie deren Durchsetzung erfolgte. So stellte der – auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung – kollektivvertragsfähige Zentral-BR einen Antrag gem § 54 Abs 2 ASGG. Antragsgegner war die ebenfalls durch Sondergesetz kollektivvertrags-82fähige AG. Der OGH stellte klar, dass auch eine durch Sondergesetz verliehene Kollektivvertragsfähigkeit zur Einbringung eines Feststellungsantrages berechtigt.
Die Besonderheiten des Verfahrens bringen es mit sich, dass der Antragsgegner nur eingeschränkt auf den im Antrag enthaltenen Sachverhalt Einfluss nehmen kann. Da im Sachverhalt keine eine Altersdiskriminierung rechtfertigenden Elemente enthalten waren, konnte die Antragsgegnerin die E mit ihren Argumenten nicht erfolgreich beeinflussen. Dementsprechend knapp fällt auch die Begründung des OGH aus. Zur Begründung des Rechtfertigungsvorbringens wären weitere Sachverhaltsausführungen unvermeidlich und notwendig gewesen. Trotzdem weist der OGH darauf hin, dass auch die bloße Behauptung, es existiere keine sachliche Rechtfertigung für eine Altersdiskriminierung, nicht ausreicht. Auch dafür bedarf es konkreter Hinweise im Sachverhalt. Dies wird bei zukünftigen Anträgen zu berücksichtigen sein.
Ebenso müssen sich, wenn eine besondere Rechtsfolge bezüglich Verjährung etc festgestellt werden soll, Sachverhaltselemente dazu im Antrag finden, ansonsten eine Ablehnung durch das Höchstgericht solcher Antragsteile sicher ist. Dies gilt auch für Antragsteile, deren Sinn und Schlüssigkeit sich nicht deutlich aus dem Sachverhalt ergeben. Es zeigt sich also, dass das Mittel der besonderen Feststellungsklage bezüglich der Vermeidung zahlreicher Individualprozesse reizvoll ist, sich die Gestaltung des Antrages aber ausnehmend heikel darstellt und wohlüberlegt sein muss, um ein taugliches Ergebnis erhalten zu können, das die verfahrensökonomischen Erwartungen auch erfüllt.