Digitalisierung der Arbeitswelt* – Rechtliche Aspekte neuer Formen der Arbeitsorganisation

MARTINRISAK (WIEN)
Die Digitalisierung der Arbeitswelt und die damit verbundenen Phänomene, die gemeinhin als Arbeiten 4.0 zusammengefasst werden, führen zu tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitsorganisation, die auch zahlreiche Rechtsfragen aufwerfen. Dieser Beitrag greift zwei sich in diesem Zusammenhang stellende Kernfragen, nämlich einerseits die Entgrenzung von Arbeitszeit und Arbeitsort und andererseits das plattformbasierte Arbeiten (das „Crowdwork“) auf und behandelt diese aus arbeitsrechtlicher Perspektive.
  1. Digitalisierung und Arbeiten 4.0

    1. Begriffsbestimmung und technische Grundlagen

    2. Andere Komponenten des Arbeitens 4.0

    3. Von der Input- zur Output-Kontrolle

  2. Zeitliche und örtliche Entgrenzung

    1. Entgrenzung und Arbeitsvertrag

    2. Zeitliche Entgrenzung

    3. Örtliche Entgrenzung

  3. Plattformbasiertes Arbeiten – Crowdwork

    1. Begriffsklärungen

    2. Funktionsweise der Plattformökonomie

    3. Arbeitsrechtliche Einordnung

    4. Arbeitsrechtlicher Änderungsbedarf

  4. Ausblick

1.
Digitalisierung und Arbeiten 4.0
1.1.
Begriffsbestimmung und technische Grundlagen

Der Begriff der Digitalisierung hat eine zweifache Bedeutung. Ursprünglich wurde darunter der Prozess der Überführung von Informationen von einer analogen in eine digitale Speicherform verstanden (so zB von einem Buch in ein Word-Dokument).* In seiner neueren Bedeutung, die auch diesem Vortrag zu Grunde liegt, geht es um eine spezielle Form der Automatisierung, nämlich die (Teil-)Automatisierung mittels Informationstechnologien. Der durch diese hervorgerufene Wandel wird in diesem Zusammenhang auch als „digitale Transformation“ bezeichnet, wobei die neue Qualität der aktuellen Veränderungen darin liegt, dass gerade die Schwelle überschritten wird, an der eine neuartige Durchdringung weiter Teile des täglichen Lebens, der Wertschöpfungsprozesse und des Arbeitens durch die Digitalisierung stattfindet: „Das Internet vernetzt nicht nur kommunizierende Menschen, sondern auch „kommunizierende“, dh Daten aussendende Dinge.* Dies wird vor allem durch den Fortschritt in drei Kernbereichen vorangetrieben, die sich gegenseitig verstärken: (1.) die Informationstechnologie und Software, (2.) die Robotik und Sensorik und (3.) die Vernetzung.* In der Produktion, der sogenannten Industrie 4.0 (dazu sogleich), sollen auf dieser Basis intelligente, digital vernetzte Systeme eine weitestgehend selbstorganisierte Produktion ermöglichen: Menschen, Maschinen, Anlagen, Logistik und Produkte kommunizieren und kooperieren dabei direkt miteinander. Damit werden Produktions- und Logistikprozesse zwischen Unternehmen intelligent miteinander verzahnt, um die Produktion noch effizienter und flexibler zu gestalten.*

Die Arbeit in einem solchen Umfeld wurde in einem umfangreichen Grünbuch 2015 und dem darauffolgenden Weißbuch 2016 des deutschen331 BM für Arbeit und Soziales (BMAS) als „Arbeiten 4.0“ bezeichnet; auch der soeben erschienene österreichische Sozialbericht 2015-2016 enthält ein Kapitel zur Arbeit 4.0.* Damit wird an den Begriff der Industrie 4.0 angeknüpft, der auf die Forschungsunion Wirtschaft-Wissenschaft, ein Beratungsgremium der deutschen Bundesregierung, zurückgeht.* Es wird dabei nach dem mechanischen Webstuhl, dem Fließband und dem Computer sowie dem Internet eine vierte industrielle Revolution postuliert.* Konkret geht es beim Arbeiten 4.0 also um die aktuellen Veränderungen der Arbeitswelt, die vor allem, aber eben nicht nur technikgetrieben sind.

1.2.
Andere Komponenten des Arbeitens 4.0

Neben der Digitalisierung verändern nämlich noch weitere Faktoren derzeit das Arbeitsleben. Das bereits erwähnte Weißbuch „Arbeiten 4.0“* nennt neben der Digitalisierung noch drei weitere, nämlich (1.) die weiter voranschreitende Globalisierung, (2.) die demografischen Veränderungen und (3.) den, in seinen Auswirkungen nicht zu unterschätzenden, fortgesetzten kulturellen und gesellschaftlichen Wandel. Dieser verändert die Selbstwahrnehmung Einzelner und damit auch das Konsumverhalten und Beziehungsgefüge massiv. Er hat entscheidenden Einfluss darauf, welche Neuerungen Akzeptanz finden und sich durchsetzen und welche nicht. Es geht dabei um die Veränderung der Lebensstile und der Werte, wie insb die Individualisierung und Subjektivierung, veränderte Idealbilder des familiären und gesellschaftlichen Zusammenlebens, die Pluralisierung der Lebensentwürfe und der Ansprüche an Arbeit.*

1.3.
Von der Input- zur Output-Kontrolle

Im Zusammenhang mit dem Wertewandel ist ein Phänomen hervorzuheben, das zumindest scheinbar in Widerspruch zur grundsätzlichen Konzeption des Arbeitsverhältnisses zu stehen scheint. Diese beruht ja bekanntlich darauf, dass Selbstbestimmung für einzelne Zeiteinheiten aufgegeben wird und sich die Arbeitenden durch Vertrag der Fremdbestimmung durch ihre VertragspartnerInnen, die AG, unterwerfen. Nach und nach findet jedoch nunmehr eine Verlagerung von inputgesteuerter Kontrolle (zB wann wie lange wo gearbeitet wird) hin zu outputorientierter Ergebniskontrolle statt.* Diese ist nicht unbedingt neu und bspw bei den unterschiedlichen Formen des Akkordsystems schon seit langem üblich. Sie wird aber nunmehr verstärkt bei den unterschiedlichen Formen der Dienstleistungs- und sogar der Kopfarbeit eingesetzt,* was auf mehrere der soeben angesprochenen Phänomene des Arbeitens 4.0 zurückzuführen ist.

Moderne Informationssysteme und die informatorische Durchdringung von Arbeit machen nämlich eine neue Transparenz in den Unternehmen möglich, in der die Leistung immer mehr sogar bis auf die individuelle Ebene adressierbar wird. Dies erlaubt einen permanenten Leistungsvergleich zwischen Abteilungen, Teams und den einzelnen Beschäftigten. Damit wird in der Praxis zur entscheidenden Frage nicht mehr, wer wann und wo wie lange arbeitet, sondern wer die vorgegebenen Ziele erreicht oder auch nicht. Es geht somit weniger um die freiwillige Hinwendung des oder der Einzelnen zum Unternehmen und die Verinnerlichung der ökonomischen Ziele, sondern um die Etablierung eines rigiden „Systems permanenter Bewährung“.* Der Zwang, sich immer wieder neu beweisen zu müssen, und die damit verbundenen Unsicherheiten belasten nicht nur die AN stark, sondern ermöglichen auch eine neue Form der Kontrolle des Arbeitsprozesses, der auf offensichtliche Formen des Command and Control, detaillierte Anordnung und Kontrolle, verzichten kann, aber am Ende eine ähnliche Intensität an Fremdbestimmtheit erreicht.*

Dazu kommt ein weiteres Phänomen, das Zygmut Baumann* als „Überwachen ohne Überwacher“ beschrieben hat und von ihm in Anlehnung an James Burnham* als „zweite Revolution der Manager“ bezeichnet wurde. Diese laden ihre Kontrolltätigkeit auf die Schultern der von ihnen zu Kontrollierenden ab und geben diese Lastenverlagerung dabei als einen Akt der Schenkung von Autonomie- und Selbstbehauptungsrechten oder gar als die „Ermächtigung“ und die „Re-Subjektivierung“ einst passiver Objekte ihres Verwaltungshandelns aus.* Es findet eine Ablösung der „Dienstleistungsökonomie“ durch eine „Erlebnisökonomie“ statt, die sich sämtliche Ressourcen der Persönlichkeit einverleibt und zunutze macht, wobei – und das ist wichtig – keinerR weder Amt noch Macht verliert. Dies funktioniert dergestalt, dass die ManagerInnen zwar die Routine abschafften und die damit vakant gewordenen Kontrollräume den Kräften der Spontaneität überließen – zugleich stellten sie aber auch einen permanenten Wettbewerb her, der bildlich gesprochen täglich in eine neue Runde geht: Es gewinnen die besten und leistungsstärksten SpielerInnen wenngleich nur für die Dauer einer weiteren Runde ohne Garantie oder auch die erhöhte Wahrscheinlichkeit, diese unversehrt zu überstehen.*332

Damit zeigt sich, dass die Lockerung hinsichtlich der Vorgaben, was wann und wie zu arbeiten ist (Inputkontrolle) mit einer massiven Verdichtung der kleinteiligen Outputkontrolle einhergeht, die einerseits erst durch den Einsatz moderner Technologie und vor allem durch die sogenannte „Informatisierung“ der Arbeit ermöglicht wird,* andererseits aber auch eine innere Veränderung bei den Arbeitenden voraussetzt. Diese sorgt dafür – so Byun-Chul Han* – dass der/die Arbeitende, „das Individuum von sich aus auf sich selbst so einwirkt, dass es den Herrschaftszusammenhang in sich selbst abbildet, wobei es ihn als Freiheit interpretiert. Selbstoptimierung und Unterwerfung, Freiheit und Ausbeutung fallen hier in eins.“ Was bedeuten diese Veränderungen nun für das konkrete Arbeitsverhältnis? Ich möchte das an Hand von dessen Entgrenzung, die jedoch nicht automatisch mit einem Freiheitsgewinn verbunden sein muss, illustrieren.

2.
Zeitliche und örtliche Entgrenzung
2.1.
Entgrenzung und Arbeitsvertrag

Das traditionelle Arbeitsrecht geht bekanntlich von einer klaren Bipolarität der selbstbestimmten Freizeit und fremdbestimmter Arbeitszeit ebenso aus wie von einer ebenso klaren Trennung der physischen Räume, dem Betrieb und dem außerbetrieblichen Bereich. Diese Trennung erodiert zusehends, wofür neben den technischen Möglichkeiten auch der soeben beschriebene innere wertemäßige Wandel verantwortlich ist. Wenn sich AG darauf verlassen können, dass in ihrem Sinne gearbeitet wird, bedarf es keiner engen zeitlichen und örtlichen Grenzen mehr – sie wirken dann eher kontraproduktiv, da „[a]nstatt die unreglementierten Potenziale engagierter Arbeitskräfte in den Dienst der Sache zu stellen, [...] kostbare Ressourcen dazu verwendet [werden], diese Potenziale abzutöten und aus dem Spiel zu halten“.* In diesem Sinne ist daher anzunehmen dass das „zeit- und ortsflexibles Arbeiten: jenseits der Präsenzkultur“* weiter vordringen wird. In der Folge möchte ich daher auf einzelne Aspekte der zeitlichen und örtlichen Entgrenzung und die damit verbundenen rechtlichen Probleme eingehen und dabei mit der zeitlichen Entgrenzung beginnen.

2.2.
Zeitliche Entgrenzung

a) (Vermeintliche) Arbeitszeitautonomie

Ausgangspunkt ist dabei jenes Arbeitszeitmodell, das auf der Autonomie der AN aufbaut, nämlich die Gleitzeit nach § 4b AZG. Hier werden zumeist nur geringe Risiken für AN gesehen, weshalb im ersten Regierungsprogramm dieser Gesetzgebungsperiode* die Einführung des 12-Stunden-Tages bei Gleitzeit vorgesehen war, der jedoch – anders als jener bei aktiven Reisezeiten nach dem neuen § 20b Abs 6 AZG* – bislang noch nicht Gesetz geworden ist. Ob er Bestandteil der „Flexibilisierung der Arbeitszeit unter Berücksichtigung der Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie der Arbeitgeber und der Arbeitgeberinnen“ iSd überarbeiten Regierungsprogrammes vom Jänner 2017* sein wird, ist wohl noch offen.

Aber auch unabhängig davon ist in der Praxis ein Vordringen der Gleitzeit in immer unüblichere Tätigkeitsbereiche zu beobachten. Wurde Gleitzeit ursprünglich vor allem dort eingeführt, wo es nicht auf eine Präsenz am Arbeitsplatz zu einem bestimmten Zeitpunkt ankam, wird diese nunmehr in Form einer sogenannten „Funktions- oder Besetzungszeit“ auch dort vereinbart, wo die Anwesenheit vor Ort eigentlich wichtig ist. Nach derartigen Vereinbarungen sollen AN durch entsprechende Absprachen sicherstellen, dass immer eine vorgegebene Mindestbelegschafsstärke gewährleistet ist.* Damit kommt die Gleitzeit einem Job Sharing-Modell immer näher, was AG zusätzliche Vorteile bringen kann: Es kann nämlich so einerseits zuschlagsfrei bis zu zehn Stunden pro Tag gearbeitet werden und es sind auch keine Vorankündigungsfristen für die Änderung der Einteilung der Normalarbeitszeit nach § 19c Abs 2 Z 2 AZG einzuhalten.* Andererseits wird der Konflikt um die konkrete Verteilung der Arbeitszeit weg von den AG bzw Vorgesetzten hin zu den AN verlagert; ein weiteres Beispiel dafür wie sich „die Manager von der Last des Managens befreien“.*

Praktikabel ist die Gleitzeit in vielen Bereichen ohnedies nur dann, wenn nicht nur im Interesse der AN geglitten wird, sondern wenn diese betriebliche Interessen zumindest mitberücksichtigen. ISd oben grundsätzlich gemachten Ausführungen zum „Selbstmanagement“* und der „permanenten Selbstbewährung“* besteht nämlich idR ein Rechtfertigungsdruck für AN, warum sie gerade in Zeiten geringeren Arbeitsbedarfes Zeitguthaben erwerben bzw warum sie diese abbauen, wenn sie doch benötigt werden. Gleitzeit ist somit nicht nur ein emanzipatorisches Arbeitszeitmodell, sondern kann auch eine Risikoverschiebung hin zu den AN bewirken. Nicht mehr die AG sind dann dafür verantwortlich, ausreichend Arbeit während der vereinbarten Arbeitszeit zur Verfügung zu haben, sondern die AN sollen ihre Arbeit autonom so einteilen, dass möglichst wenig Lehrläufe anfallen.*

b) Dauererreichbarkeit

Ein zweites Phänomen der Entgrenzung der Arbeitszeit betrifft die durch die weite Verbreitung insb von Smartphones eröffnete Möglichkeit, AN auch außerhalb der vereinbarten Arbeitszeiten unkom-333pliziert zu erreichen bzw ihnen auf diese Weise auch E-Mails oder sonstige textliche Nachrichten zu übersenden.* Sie sind damit zumindest theoretisch dauernd erreichbar und stehen rund um die Uhr auf Abruf bereit. Das Weißbuch „Arbeiten 4.0“* betont in diesem Sinne, dass mit der Digitalisierung die arbeitsbezogene Erreichbarkeit weiter an Bedeutung gewinnen würde. Dem dortigen Befund, dass kein gesetzlicher Handlungsbedarf bestehe, kann jedoch mE nicht gefolgt werden.*

Bei derartigen Dauererreichbarkeiten ergeben sich nämlich komplexe Fragen im Zusammenhang mit der arbeitszeitrechtlichen Einordnung dieser Erreichbarkeitszeiten.* Das AZG kennt bekanntlich die Kategorie der Rufbereitschaft in § 20a AZG,* die im binären System des AZG nicht als Arbeitszeit, sondern als Ruhezeit einzuordnen ist. Da aber deren Verwendung in einem gewissen Maße eingeschränkt ist, sind gesetzlich Häufigkeitsgrenzen vorgesehen.* Diesen liegt jedoch mE das gesetzgeberische Verständnis zugrunde, dass im Fall eines „Rufs“ eine substanzielle Arbeitsleistung zu erbringen ist; die AN haben sich dann – so geht dies aus der einschlägigen Rsp hervor* – idR in den Betrieb zu begeben und dort „volle“ Arbeit zu leisten. Werden im Rahmen der Rufbereitschaft hingegen nur punktuelle und sehr kurze Leistungen in geringer Frequenz abgerufen, wie dies bei „Smartphone-Dauererreichbarkeit“ in der Praxis wohl häufig der Fall sein wird, so rechtfertigt dies mE eine Vereinbarung über die gesetzlichen Häufigkeitsgrenzen hinaus, da die Bestimmung teleologisch zu reduzieren ist. Dann werden nämlich auch im Fall des Abrufs von Arbeitsleistungen die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten nicht in der Intensität beeinträchtigt, dass eine derartige Einschränkung der Vertragsfreiheit zu rechtfertigen ist.* Anders ist dies von der Zwecksetzung her hinsichtlich der gesetzlich vorgesehenen ununterbrochenen Mindestruhezeit von acht Stunden (§ 20a Abs 2 lit b AZG letzter Satz), die mE jedenfalls eingehalten werden muss.* Hier gibt es somit auch schon nach derzeitiger Rechtslage ein „Recht auf Nichterreichbarkeit“.* Freilich werden diese Ergebnisse auf rein interpretativem Wege erzielt und es fehlt auch an einschlägiger Rsp. Hier würde eine eindeutige gesetzliche Regelung für beide Parteien des Arbeitsvertrages klare Verhältnisse schaffen. Es ist zu hoffen, dass dies bei einer zukünftigen AZG-Novelle im Zusammenhang mit der Arbeitszeitflexibilisierung mitgeregelt wird.

2.3.
Örtliche Entgrenzung

Auch die örtliche Entgrenzung in Form eines home-office oder dem ortsungebundenen mobile working, die ebenfalls durch die Digitalisierung zunehmend möglich werden, wirft zahlreiche Rechtsfragen auf, von denen ich hier nur zwei ansprechen möchte und zwar den Anwendungsbereich des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) und die erst vor kurzem neu geregelte Aufzeichnungspflicht hinsichtlich der Arbeitszeit.

a) ArbeitnehmerInnenschutzrecht

Hinsichtlich der Arbeitsorte außerhalb des Betriebes stellt sich die Frage, inwieweit den/die AG für diese eine Verantwortung trifft. Angelpunkt ist dabei der in § 2 Abs 3 AZG definierte Begriff der Arbeitsstätte und es stellt sich die Frage, ob auch die Wohnung oder ein sonstiger von AN frei gewählter Arbeitsort, wie zB ein Café oder auch das Freibad, unter den Arbeitsstättenbegriff des ASchG fallen.*

Nach wohl hA* fällt jedenfalls die Wohnung nicht unter den Begriff der Arbeitsstätte, was insb mit der Ausweitung der mit BGBl I 1997/9 eingeführten Bestimmungen über Bildschirmarbeitsplätze und Maßnahmen bei Bildschirmarbeit begründet wird. Einige dieser Bestimmungen gelten „auch für die vom Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Erbringung von Arbeitsleistungen außerhalb der Arbeitsstätte zur Verfügung gestellten Bildschirmgeräte, Eingabe- oder Datenerfassungsvorrichtungen sowie Zusatzgeräte, Arbeitstische bzw Arbeitsflächen und Sitzgelegenheiten“ (§ 67 Abs 6 ASchG) sowie „für Bildschirmarbeit außerhalb der Arbeitsstätte“ (§ 68 Abs 6 ASchG). Nach den ErläutRV* tragen diese Regelungen der Entwicklung der sogenannten „Tele-Heimarbeit“ Rechnung, woraus im Gegenschluss ableitbar ist, dass – hätte das ASchG schon bisher für Tele-HeimarbeiterInnen gegolten – die Ausweitung der neuen Bestimmungen auf Tätigkeiten außerhalb der Arbeitsstätte überflüssig gewesen wäre.* Damit kommen die auf die Arbeitsstätte bezogenen Bestimmungen des ASchG, ausgenommen jene über die Bildschirmarbeit sowohl im Home-Office als auch auf sonstige von den AN frei gewählten Arbeitsorte, nicht zur Anwendung.*

Dies ist insofern nachvollziehbar, als für die Ausstattung des Arbeitsplatzes sinnvoll nur dann Verantwortung übernommen werden kann, wenn diese im Einflussbereich der verantwortlichen Person liegt. Dies ist unproblematisch immer dann zu bejahen, wenn es sich um einen betrieblichen Arbeitsplatz handelt. Können AN hingegen ihren Arbeitsort selbst festlegen oder arbeiten sie in ihrer Wohnung, dh jenem Lebensbereich, in dem334sie den größten Einfluss auf deren Ausgestaltung haben, dann würde von AG Unrealistisches bzw gar Unzumutbares verlangt, legte das Gesetz ihnen eine diesbezügliche Verantwortung auf.*

b) Aufzeichnungspflichten nach dem AZG

Da die Arbeitszeit außerhalb des Betriebes im Detail von den AG häufig nur schwierig überprüft werden kann, sieht das AZG eine Lockerung der Aufzeichnungspflichten vor. Die Gesetzgebung anerkennt damit in einem gewissen Grad die Unmöglichkeit der detaillierten Einhaltekontrolle iSd Aufzeichnung von Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie der Arbeitspausen durch die AG und verpflichtet sie nur zu Saldenaufzeichnungen, dh Aufzeichnungen bloß über die Dauer der Tagesarbeitszeit.*

Dies war ursprünglich nur für AN vorgesehen, die sowohl die Lage ihrer Arbeitszeit und ihren Arbeitsort weitgehend selbst bestimmen können als auch ihre Arbeitszeit überwiegend außerhalb der Arbeitsstätte verbringen. Seit dem ASRÄG 2014 (BGBl I 2014/94) entfiel dann die Voraussetzung, dass die Arbeitsleistung überwiegend außerhalb der Arbeitsstätte erbracht werden muss.*

Neu eingeführt wurde 2014 die bloße Saldenaufzeichnungspflicht für jene AN, die überwiegend in ihrer Wohnung tätig sind. Dies auch dann, wenn sie nicht weitgehend selbst über Arbeitszeit und Arbeitsort bestimmen können.* Hier geht die Gesetzgebung offensichtlich trotz mangelnder Autonomie der AN davon aus, dass diese sich entweder an die vereinbarten Regelungen nicht halten oder dass eine Kontrolle von deren Einhaltung realistischerweise nicht tunlich ist.* Jedenfalls verlangt die Lockerung der Arbeitszeitaufzeichnungen des Arbeitens in eigener Wohnung, dass diese dort überwiegend, dh für mehr als 50 %, ausgeübt wird. Wann ist dies aber der Fall? Schrank* vertritt, dass es um die Summe der Arbeitszeit idR innerhalb einer Woche gehe, weil es letztlich da rauf ankomme, dass es den AG nur schwer möglich ist, Beginn und Ende der Arbeitszeit (und wohl insb die Unterbrechungen derselben) zu kontrollieren. Warum dann aber nicht der Schritt weiter unternommen wird, diese Prüfung tagesbezogen anzustellen, ist nicht nachvollziehbar. ME kann nur so dem telos der Bestimmung gerecht werden und damit auch die alternierende häusliche Telearbeit (zB ein oder zwei Home-Office-Tage pro Woche) erfasst werden. Richtigerweise reichen mE Saldoaufzeichnungen an jenen Tagen aus, an denen überwiegend von der Wohnung aus gearbeitet wird. An den Tagen, an denen dies nicht der Fall ist, sind hingegen volle Aufzeichnungen iSd § 26 Abs 1 AZG zu führen.*

3.
Plattformbasiertes Arbeiten – Crowdwork
3.1.
Begriffsklärungen

Zuletzt möchte ich noch auf neue Formen der Zusammenarbeit eingehen, die der digitale Wandel erst möglich gemacht hat, nämlich das sogenannte Crowdsourcing von Arbeit über Internetplattformen, das nach Däubler zu Recht als die „größte Herausforderung für das Arbeitsrecht“* darstellt. Dabei werden Tätigkeiten, die ursprünglich durch einzelne VertragspartnerInnen, idR AN, erbracht wurden, in der Form „ausgelagert“ (outgesourced), dass sie einer größeren Anzahl von Personen (der Crowd) über eine internetbasierte Plattform angeboten und von diesen dann abgearbeitet werden. Dieser Vorgang wird als Crowdsourcing bezeichnet, die AuftraggeberInnen als CrowsourcerInnen, für welche die CrowdworkerInnen Leistungen erbringen. Diese treten jedoch zumeist nicht direkt miteinander in Kontakt, das Verhältnis zwischen ihnen wird vielmehr über eine Zwischenperson, die Crowdsourcing-Plattform, mittelbar abgewickelt.* Der Einsatz von Crowdwork beabsichtigt eine just-in-time-Organisation von Arbeit, die das Risiko unproduktiver Zeiten möglichst auf die Arbeitenden selbst verlagert. Arbeit soll nur dann bezahlt werden, wenn sie tatsächlich geleistet wird. Das führt zu einer Zerschlagung, ja geradezu zu einer Atomisierung bislang durchgängiger Arbeitsverhältnisse.* Dieser Aspekt wird mit dem Begriff der „Gig Economy“ plastisch beschrieben. Es wird damit Bezug genommen auf die Art und Weise wie viele MusikerInnen arbeiten, nämlich in Form einzelner kurzer Auftritte, eben den „Gigs“. Es ist dies eine Wirtschaftsordnung, in der kurze befristete Verhältnisse die Norm sind und in der die Arbeitenden ihren Lebensunterhalt mit einem Mix solcher oft sehr unterschiedlicher und hinsichtlich ihres weiteren Verlaufes sehr unsicherer Vertragsverhältnisse bestreiten müssen.*

3.2.
Funktionsweise der Plattformökonomie

Mit dem Crowdwork kann somit das Risiko von Unterauslastung und unproduktiven Zeiten auf335die Arbeitenden selbst verlagert werden, während gleichzeitig die volle Kontrolle über den Arbeitsprozess beibehalten wird. Damit sollen einerseits die Transaktionskosten als auch die Entgelte möglichst niedrig gehalten werden, während andererseits eine möglichst zeitnahe Erledigung ohne Qualitätsprobleme sichergestellt wird.* Um diese auf den ersten Blick widersprüchlichen Ziele zu erreichen, müssen folgende Vorrausetzungen erfüllt sein:*

  • Die Crowd muss einerseits relativ groß und vor allem aktiv sein, damit immer CrowdworkerInnen in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen, wenn diese gebraucht werden. Was im Arbeitsverhältnis durch die Fixanstellung gewährleistet wird, die aber den für AG unerwünschten Nebeneffekt hat, dass uU nicht über den gesamten Zeitraum tatsächlich Arbeit vorliegt, erzielt das Crowdsourcing-Modell durch die schiere Masse an Personen, die angesprochen werden können.

  • Die CrowdworkerInnen müssen, damit diese just-in-time-Arbeit auch tatsächlich erbracht wird, schnell aktivierbar sein, dh sie müssen dann auch tatsächlich tätig werden, wenn es Arbeit gibt. Dies erzielen Plattformen durch einen mitunter sehr kreativen Mix von Anreiz- und Sanktionsmechanismen wie zB Preismodellen, die, bei viel Nachfrage, die Preise ansteigen lassen (sogenannte surge-pricing bei Uber*) oder der De-Registrierung bei einem Unterschreiten eines Mindest-Aktivitätslevels oder einer vorgegebenen Antwortzeit auf Arbeitsangebote. Bisweilen wird auch aktiveren CrowdworkerInnen eine größere Anzahl von Arbeitsofferten bzw besser bezahlte Angebote eröffnet.*

  • Die Größe der Crowd hat auch den wohl erwünschten Nebeneffekt, dass der Wettbewerb zwischen den einzelnen CrowdworkerInnen die Preise niedrig hält, dh dass immer jemand bereit ist, zu den angebotenen, mitunter sehr geringen, Entgelten zu arbeiten. Im Falle des virtuellen Crowdwork, bei dem online gearbeitet wird, verstärkt der dabei stattfindende globale Wettbewerb diesen Effekt noch weiter, da das Entgelt in Ländern mit unterschiedlichen Lebenshaltungskosten im Hinblick auf die Kaufkraftunterschiede auch unterschiedlich viel wert ist.*

  • Anstatt des klassischen Command and Control-Systems bedienen sich CrowdsourcerInnen und Plattformen der sogenannten Digitalen Reputation zur Auswahl und Kontrolle der CrowdworkerInnen: Sie erhalten Punkte, Sterne oder ähnliche Symbole, nachdem sie einen Auftrag ausgeführt haben.*

  • Diese digitale Reputation stellt auch sicher, dass die CrowdworkerInnen so arbeiten wie in einer langfristigen Arbeitsbeziehung. Auch wenn der einzelne Arbeitsauftrag eine punktuelle Leistung für eineN CrowdsourcerIn darstellt, bewirkt das Reputations- oder Rating-System zugleich auch, dass sich dessen Ergebnis – oder besser: die Bewertung desselben – auf die zukünftigen Erwerbsmöglichkeiten massiv auswirkt.

3.3.
Arbeitsrechtliche Einordnung

Derzeit beruht das Modell des Crowdsourcing von Arbeit wesentlich in der Annahme, dass CrowdworkerInnen als Selbständige und nicht als AN zu qualifizieren seien. Würde das stimmen, so bestünde tatsächlich kein arbeitsrechtlicher Schutz. Ist dem aber tatsächlich so?

Für die Frage der Anwendung des Arbeitsrechts kommt es ja bekanntlich wesentlich auf die Grenzziehung zwischen fremdbestimmten AN und selbständigen LeistungserbringerInnen an. Damit sollen wahrlich schutzbedürftigen Personen von denen abgegrenzt werden, die des Schutzes nicht bedürfen, da sie ihre Interessen ausreichend selbst wahren und durchsetzen können. Zu dieser Abgrenzung wird bekanntlich nicht auf das tatsächlich vorliegende Kräfteungleichgewicht abgestellt, sondern auf ein anderes, praktikableres Kriterium, nämlich auf die, auf die Art der Leistungserbringung Bezug nehmende „persönliche Abhängigkeit“. Es geht dabei um die Aufgabe der Gestaltungsfreiheit der Arbeitenden bei Erbringung der Dienstleistung durch die Einordnung in eine fremde Organisation und die Unterwerfung unter die auch das persönliche Verhalten bei der Arbeit betreffenden Weisungen ihrer AG.* Damit konnte auf verhältnismäßig einfache Weise jener Personenkreis dem Schutzbereich des Arbeitsrechts unterworfen werden, der auf Grund seiner wirtschaftlichen Situation auch schutzbedürftig war – nicht zuletzt die Gig-Economy zeigt aber, dass dieses zweifelsfrei sehr praktikable Kriterium nicht mehr für alle derart Schutzbedürftigen greift.

a) Vorliegen eines Arbeitsvertrages

Auch wenn sich auf Grund der Diversität der sich geradezu täglich ändernden Geschäftsmodelle in der Plattformökonomie keine grundsätzlichen Aussagen machen lassen, spricht doch in gar nicht so wenigen Fällen schon eine Betrachtungsweise nach herkömmlichen Kriterien dafür, dass Arbeitsverhältnisse vorliegen. Dies ist vor allem auf die hohe Kontrolldichte zurückzuführen, die bei der Bearbeitung der einzelnen Aufträge besteht. Im Falle des bereits erwähnten virtuellen Crowdwork, zB dem Online-Schreiben kurzer Produktbeschreibungen, hat diese idR auf einem von der Plattform zur Verfügung gestellten Interface (zB auf dem „workplace“ von clickworker)* stattzufinden, was eine Kontrolle der einzelnen Arbeitsschritte ermög-336licht. Dazu kommt die Möglichkeit der Disziplinierung durch die Bewertungssysteme; weiters findet idR eine weitere Determinierung arbeitsbezogenen Verhaltens insb durch Zeitvorgaben für die Erledigung statt. In Kombination kann daher eine so starke Fremdbestimmung vorliegen, dass die Aufgabenbearbeitung in persönlicher Abhängigkeit erfolgt und somit als Arbeitsvertrag zu qualifizieren ist.* Damit ist aber noch nicht alles geklärt, da sich daran anschließend die Frage stellt, wer denn eigentlich VertragspartnerIn und damit AdressatIn der AG-Pflichten ist.*

b) Wer ist ArbeitgeberIn?

Gerade plattformbasiertes Arbeiten führt uns vor Augen, dass die herkömmliche Analyse des Arbeitsverhältnisses, die von dem nur zwei Parteien aufweisenden Standardfall wegen der Mehrzahl der daran Beteiligten an seine Grenzen geführt wird, wenn sie nicht gar versagt. Prassl* hat einen alternativen Lösungsvorschlag zur Analyse von Arbeitsverhältnissen entwickelt, der den Fokus der Betrachtung auf die „andere Seite“, nämlich die AG, verlagert. In seinem funktionalen Konzept sind fünf AG-Funktionen voneinander zu unterscheiden, auf die hier leider nicht weiter eingegangen werden kann. Als AG kann auf dieser Basis das Unternehmen oder die Kombination von Unternehmen definiert werden, die eine entscheidende Rolle bei der Ausübung dieser AG-Funktionen spielen, und als solche zumindest in einem Bereich des Arbeitsrechts bestimmten Verpflichtungen unterworfen sind.* Dieses funktionale AG-Konzept kann gerade in mehrpersonalen Verhältnissen nutzbar gemacht werden und dabei auch zu einer Mehrzahl von AG führen, wobei nicht jedeR der gesamten Bandbreite an arbeitsrechtlichen Verpflichtungen ausgesetzt ist, sondern nur jenen, die der Ausübung der jeweiligen AG-Funktion entsprechen. Prassl und ich* haben diesen Ansatz an zwei konkreten Fallbeispielen (Uber und TaskRabbit) zur Anwendung gebracht und damit einen differenzierten Zugang zur effektiven Absicherung schutzbedürftiger Personen gefunden, ohne die Konzeption des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich in Frage zu stellen.

3.4.
Arbeitsrechtlicher Änderungsbedarf

Für den Fall, dass eine Einstufung als AN verneint wird, stellt sich die Frage nach deren Qualifikation als arbeitnehmerInnenähnliche Personen. Es geht dabei bekanntlich um Personen, die „ohne in einem Dienstverhältnis zu stehen, im Auftrag und für Rechnung bestimmter anderer Personen Arbeit leisten und wegen wirtschaftlicher Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnlich anzusehen sind* und denen ein gewisser Schutz zuerkannt wird. Die Einstufung von CrowdworkerInnen zumindest als arbeitnehmerähnliche Personen wird in der Literatur jedenfalls für den Fall bejaht, dass auf einer oder nur einer kleineren Zahl von Plattformen gearbeitet wird* – offenbar als Hinweis darauf, wem gegenüber die wirtschaftliche Unselbständigkeit besteht. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ArbeitnehmerInnenähnliche den Schutz des Arbeitsrechtes im Wesentlichen jedoch entbehren. Die zu erwartende Zunahme dieser arbeitnehmerInnenähnlichen Personen im Zuge des digitalen Wandels lässt eine Ausweitung des Schutzes für diese Personengruppe als adäquaten Lösungsweg erscheinen, will man nicht überhaupt gleich den AN-Begriff neu definieren.* Dies geht über die vorgeschlagene Ausweitung des Heimarbeitsgesetzes* hinaus, da damit nur das virtuelle Crowdwork eingefangen werden kann, während in der analogen Welt über Plattformen organsierte Dienstleistungen (wie zB der Transportdienst Uber) damit nicht erfasst wären.

Für die vordingliche Problematik der Regelung von Mindestentgelten in der Plattformökonomie ist im österreichischen Gefüge vor allem die Möglichkeit der kollektiven Rechtssetzung von Bedeutung. Die Antwort darauf, dass die individuell verhandelten bzw von den Plattformen und/oder AuftraggeberInnen vorgegebenen Entgelte sehr niedrig sind, muss ja nicht nur in einer gesetzlichen Regulierung bestehen, sondern auch in einem Zusammenschluss der CrowdworkerInnen und deren kollektiven Verhandeln. So sind zB in Deutschland arbeitnehmerInnenähnliche Personen vom Tarifvertragsgesetz (§ 12a TVG) erfasst und es können für diese Kollektivverträge mit Normwirkung abgeschlossen werden.* In Österreich besteht diese Möglichkeit nur für eine kleine Gruppe, wie die ständigen freien MitarbeiterInnen eines Medienunternehmens oder Mediendienstes (§§ 16 ff Journalistengesetz), literarisch wurde eine Ausweitung immer wieder diskutiert.* Aus meiner Sicht wäre337eine Eröffnung der Möglichkeit des Abschlusses von Kollektivverträgen für arbeitnehmerInnenähnliche Personen rechtspolitisch erstrebenswert und würde die Verhandlungsschwäche dieser Personengruppe beim Aushandeln ihrer Arbeitsbedingungen ausgleichen.*

Europarechtlich ist dies freilich nicht ganz unproblematisch, da ein Zusammenschluss von Selbständigen, die Absprachen treffen, nicht unter einem bestimmten Preis anzubieten als „Preiskartell für Arbeit“ angesehen und im Widerstreit mit dem Kartellverbot in Art 101 AEUV gesehen werden könnte. Der EuGH hatte in der Rs FNV Kunsten* dazu mE noch nicht ganz eindeutig Stellung genommen.*

Eine andere Alternative ist die Neudefinition des AN-Begriffes unter Einschließung der soeben skizzierten arbeitnehmerInnenähnlichen Personen bzw bestimmter Gruppen von freien DN. Inhaltlich stellt sich die Frage, ob die Betonung der organisatorischen Elemente gegenüber den wirtschaftlichen bei aller Praktikabilität noch zeitgemäß ist und alle Schutzbedürftigen erfasst oder eben nicht. ME ist das nicht der Fall, weshalb wir mE à la longue nicht um eine derartige Diskussion der Ausweitung des Schutzes für arbeitnehmerInnenähnliche Personen oder eine Neudefinition des AN-Begriffes herumkommen werden.

Die Komplexität des Vertragsgeflechtes im Zusammenhang mit Crowdwork, die wesentlich auf die Mehrzahl an AkteurInnen zurückzuführen ist, legt letztlich – ähnlich dem AÜG – die Schaffung eines eigenen Gesetzes nahe, das auf die besonderen Ausformungen des Crowdsourcing von Arbeit und das plattformbasierte Arbeiten reagiert. Herzstück eines solchen Gesetzes sollte mE die (widerlegliche) Vermutung eines Arbeitsverhältnisses der CrowdworkerInnen zur Plattform sein.* Zahlreiche in dem von Lutz und mir herausgegebenen Buch „Arbeit in der Gig-Economy“ untersuchten Fallbeispiele haben plastisch gezeigt wie schwierig es ist, in die von der Plattform organisierte Arbeitsorganisation Einblick zu bekommen, der für den Nachweis eines Arbeitsverhältnisses vor Gericht wesentlich ist. Letztlich hat nur die Plattform als jene Vertragspartnerin, die die Leistungsabwicklung organisiert und bei der alle Fäden zusammenlaufen, die faktischen Möglichkeiten, sowohl die konkreten Vertragsgefüge hinsichtlich der VertragspartnerInnen und der Vertragsinhalte bzw die gelebte Vertragspraxis nachzuweisen. Dies rechtfertigt eine Abweichung von der herkömmlichen Beweislastverteilung. Eine derartige gesetzliche Maßnahme würde auch – zumindest vorerst – eine Anknüpfung an das Arbeitsrecht und den Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes iSd Art 8 Rom I-VO ermöglichen, dh an jenen Staat, in dem physisch gearbeitet wird, was insb für das virtuelle Crowdwork wichtig ist.*

4.
Ausblick

Die in diesem Beitrag beschriebenen Veränderungen der Arbeitsorganisation, mögen sie auch durch den technischen Fortschritt ermöglicht werden, sind nicht zwangsläufige Folgen derselben. Sie sind letztlich auf politische sowie auch auf individuelle Entscheidungen zurückzuführen. Es ist eben immer noch eine menschliche Entscheidung, wie mit den durch die Technik eröffneten Möglichkeiten umgegangen und in welchem Rahmen diese, auch rechtlich, eingebettet wird. Eine sinnvolle Diskussion über die Digitalisierung der Arbeitswelt legt daher diese Entwicklungen und die damit einhergehenden Dynamiken ebenso offen wie die mit ihr eintretenden Effekte. Und stellt dann die Frage, ob wir in Zukunft so leben und arbeiten wollen oder eben nicht. Das Arbeitsrecht spielt dabei eine wichtige Rolle zur Gestaltung und Lenkung dieser Veränderungsprozesse, wobei die Diskussion darüber, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll, besser heute denn morgen aufgenommen werden soll.338