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Kein Erwerb von Schwerarbeitszeiten bei Mandatsausübung einer freigestellten Betriebsrätin?

MAXIMILIANBELL (SALZBURG)
  1. Die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit ist für die Beurteilung, ob ein Schwerarbeitsmonat vorliegt, ausschlaggebend.

  2. Es können keine Schwerarbeitszeiten während der Tätigkeit als freigestellte Zentralbetriebsratsvorsitzende erworben werden.

I. Sachverhalt

Strittig ist allein die Rechtsfrage, ob – neben den im Zeitraum von 1.10.1996 bis 31.12.2005 erworbenen Schwerarbeitszeiten – auch die von der Kl im Zeitraum von 1.1.2006 bis 31.1.2016 erworbenen Versicherungszeiten als Schwerarbeitszeiten festzustellen sind. Die am 14.6.1961 geborene Kl war im gesamten Zeitraum von 1.10.1996 bis 31.1.2016 als diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester im Landespflegezentrum S in B beschäftigt; im Zeitraum von 1.1.2006 bis 31.1.2016 war sie freigestellte Zentralbetriebsratsvorsitzende.

Mit Bescheid vom 7.3.2016 hat die bekl Pensionsversicherungsanstalt die im Zeitraum von 1.10.1996 bis 31.12.2005 erworbenen 111 Versicherungsmonate als Schwerarbeitszeiten anerkannt und die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von 1.1.2006 bis 31.1.2016 abgelehnt.

Die Vorinstanzen haben [...] das auf Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von 1.1.2006 bis 31.1.2016 gerichtete Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass die Feststellung von Schwerarbeitszeiten die tatsächliche Ausübung von Schwerarbeit voraussetze; das Beschränkungs- und Benachteiligungsverbot des § 115 Abs 3 ArbVG richte sich nur an den AG. [...]

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem den OGH nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zum Zweck der Klärung der Rechtslage zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

In ihrem Rechtsmittel an den OGH weist die Kl darauf hin, dass ein Betriebsratsmitglied nicht nur im Verhältnis zum AG, sondern auch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht nicht wegen der Ausübung des Mandats benachteiligt werden dürfe (etwa in Bezug auf die Qualifikation eines Unfalls als Arbeitsunfall und die Erhaltung des Berufsschutzes). Während einer Freistellung des Betriebsratsmitglieds werde die Fortsetzung der früheren Tätigkeit fingiert, was sich auch aus einer analogen Anwendung des § 115 ArbVG ergebe.

Die Bekl wiederum weist in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung darauf hin, dass zwar ein Berufs- oder Tätigkeitsschutz nach §§ 255, 273 ASVG trotz Freistellung aufrecht bleibe; für die Feststellung von Schwerarbeitszeiten sei dagegen die tatsächliche Verrichtung von Schwerarbeit notwendig.

Dazu ist auszuführen:

1. Mit dem Budgetbegleitgesetz 2003 (BGBl I 2003/71) wurde für weibliche Versicherte, die –400wie die Kl – nach dem 31.12.1958 und vor dem 1.1.1964 geboren sind, in § 607 Abs 14 ASVG die so genannte Schwerarbeitspension eingeführt, die ab Vollendung des 55. Lebensjahres angetreten werden kann. Im Dauerrecht ist im neu geschaffenen Allgemeinen Pensionsgesetz (APG) in § 4 Abs 3 und 4 eine Schwerarbeitspension vorgesehen. [...]

2. Der Anspruch auf Schwerarbeitspension setzt gem § 607 Abs 14 ASVG und § 4 Abs 3 APG voraus, dass der (die) Versicherte innerhalb der letzten 240 Kalendermonate vor dem Stichtag mindestens 120 Beitragsmonate „auf Grund von Tätigkeiten, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht wurden“, erworben hat.

2.1. Auf der Grundlage der genannten Gesetzesbestimmungen wurde die Verordnung der Bundesministerin für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz über besonders belastende Berufstätigkeiten (im Folgenden: SchwerarbeitsV, BGBl II 2006/104) erlassen, die mit 1.1.2007 in Kraft trat. Diese Verordnung legt in ihrem § 1 fest, was unter „besonders belastenden Berufstätigkeiten“ zu verstehen ist und definiert in ihrem § 4, wodurch der Begriff „Schwerarbeitsmonat“ qualifiziert ist.

2.2. Eine besonders belastende Berufstätigkeit liegt gem § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV vor, wenn eine schwere körperliche Arbeit verrichtet wird. Schwere körperliche Arbeit ist dadurch definiert, dass bei einer achtstündigen Arbeitszeit von Frauen mindestens 1400 Arbeitskalorien verbraucht werden.

Nach § 3 SchwerarbeitsV ist nach den in der Anlage zur SchwerarbeitsV festgeschriebenen Grundsätzen festzustellen, ob eine bestimmte Tätigkeit als schwere körperliche Tätigkeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV gilt. Schwere körperliche Tätigkeit setzt eine in Bezug auf Intensität oder die Dauer der Belastung über das normale Kräftepotential hinausgehende Verausgabung von Arbeitskraft voraus. Kriterien für die Einstufung sind neben der energetischen Belastung die Herz-Kreislaufbelastung sowie Belastungen des Stütz- und Bewegungsapparates (Milisits, Schwerarbeitsverordnung [2008] 25).

2.3. Außerdem ist eine besonders belastende Berufstätigkeit nach § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV bei Tätigkeiten gegeben, die zur berufsbedingten Pflege von erkrankten oder behinderten Menschen mit besonderem Behandlungs- oder Pflegebedarf, wie beispielsweise in der Hospiz- oder Palliativmedizin, geleistet werden. Bei den in § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV beschriebenen Tätigkeiten ist nicht die physische, sondern gerade die psychische Belastung für die Qualifikation als Schwerarbeit maßgeblich (10 ObS 149/12b, SSV-NF 26/86).

In dem von den Sozialversicherungsträgern in Zusammenarbeit mit dem Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz erarbeiteten Fragen-Antworten-Katalog zur SchwerarbeitsV wird in Teil 3 zu § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV ausgeführt, dass berufsbedingte Pflege nur dann vorliegt, wenn die Pflege im Rahmen einer Berufstätigkeit von einer hiezu ausgebildeten Person unmittelbar durchgeführt wird (ARD 5813/7/2007).

2.4. Ein Schwerarbeitsmonat iSd § 4 SchwerarbeitsV ist ein Kalendermonat, in dem eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV zumindest in jenem Ausmaß ausgeübt wurden, das einen Versicherungsmonat iSd § 231 Z 1 lit a ASVG begründet. Arbeitsunterbrechungen bleiben dabei außer Betracht, solange die Pflichtversicherung in der PV weiter besteht.

3. Die bisherige höchstgerichtliche Rsp nahm zur Frage, ob und inwieweit Schwerarbeit tatsächlich ausgeübt werden muss, damit Schwerarbeitszeiten begründet werden können, folgendermaßen Stellung:

3.1. Die Entscheidungen 10 ObS 103/10k (SSV-NF 24/58) und 10 ObS 23/16d betrafen einen geschäftsführenden Gesellschafter einer Diskothek, der in der Nacht und am Tag bei variierenden Öffnungszeiten arbeitete, bzw eine Diplomkrankenschwester auf einer Intensivstation, die 12-13-stündige Dienste leistete und die Umrechnung auf (fiktive) 8-Stunden-Tage begehrte.

In beiden Fällen sprach der OGH aus, dass die konkrete Ausgestaltung der vom Versicherten im maßgebenden Zeitraum verrichteten Tätigkeit für die Beurteilung als Schwerarbeitszeiten entscheidend sei. In der E 10 ObS 23/16d wies der OGH zusätzlich darauf hin, dass maßgeblich sei, ob eine Schwerarbeit darstellende Tätigkeit tatsächlich im Mindestmaß von 15 Tagen im Kalendermonat ausgeübt worden sei.

3.2. Nach der zu einer Diplomkrankenschwester auf einer onkologischen Station ergangenen E 10 ObS 30/16h gelten nur jene Tage als Schwerarbeitstage, an denen die besonders belastende Tätigkeit auch tatsächlich geleistet wurde, zumal das Gesetz auf tageweise Belastung abstelle.

3.3. In der E 10 ObS 96/10f (SSV-NF 24/54) qualifizierte der OGH Zeiten des Urlaubs eines LKW-Fahrers als Schwerarbeitszeiten (der LKW-Fahrer hätte während des Urlaubs, hätte er gearbeitet, Schwerarbeit verrichtet).

4. Die von der Kl im Zeitraum von 1.10.1996 bis 31.12.2005 tatsächlich ausgeübte Tätigkeit als diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester ist unstrittig als Schwerarbeit iSd SchwerarbeitsV zu qualifizieren. Zu beurteilen ist allein die Frage, ob auch die unmittelbar anschließenden Zeiten der Freistellung für die Betriebsratsmandatsausübung als Schwerarbeitszeiten qualifiziert werden können.

4.1. Die in § 607 Abs 14 ASVG („Tätigkeiten ... erbracht wurden“), § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV („Tätigkeiten, die geleistet werden“) und § 4 SchwerarbeitsV („Tätigkeiten ... ausgeübt wurden“) verwendeten Formulierungen stellen auf die tatsächliche Erbringung von Tätigkeiten unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen ab.

4.2. Darauf deutet auch der – wenn auch nicht eindeutig – aus den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 653 BlgNR 22. GP 9) hervorleuchtende Zweck der Regelung hin, wonach die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten jenen Versicherten offen stehen soll, die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit tatsächlich401besonders belastenden Formen von Schwerarbeit ausgesetzt waren.

4.3. Diese Ansicht wird auch durch die bisherige höchstgerichtliche Rsp gestützt: Der OGH hat bei der Beurteilung von Schwerarbeitszeiten auf die konkrete Ausgestaltung der vom Versicherten im maßgebenden Zeitraum verrichteten Tätigkeit abgestellt (10 ObS 103/10k, SSV-NF 24/58, und 10 ObS 23/16d). Hinsichtlich der Beurteilung, ob in einem Monat ausreichend Schwerarbeitstage für eine Beurteilung als Schwerarbeitsmonat erbracht wurden, sprach der OGH aus, dass nur jene Tage als Schwerarbeitstage gelten sollen, an dem die besonders belastende Tätigkeit auch tatsächlich geleistet wurde (10 ObS 30/16h).

4.4. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass zur Beurteilung, ob ein Schwerarbeitsmonat vorliegt, auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit abzustellen ist. Die Kl übte während des fraglichen Zeitraums ihre eigentliche Tätigkeit als diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester nicht aus, sondern war als freigestellte Zentralbetriebsratsvorsitzende tätig. Bei dieser Tätigkeit werden nicht – wie für das Vorliegen von § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV gefordert – 1400 Arbeitskalorien pro Tag verbraucht. Ebenso wenig kommt es, mangels ausgeübter Pflegetätigkeit, zur Anwendung von § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV.

4.5. Gegen dieses Ergebnis spricht auch nicht die Rsp des OGH zur Anerkennung von Zeiten des Urlaubsverbrauchs als Schwerarbeitszeiten (10 ObS 96/10f, SSV-NF 24/54).

Beim Urlaubsanspruch handelt es sich um einen verpflichtenden gesetzlichen Freistellungsanspruch, der nach der Intention des Gesetzgebers vor allem der Erholung und Wiederherstellung der Arbeitskraft des AN dienen soll (Reissner in ZellKomm2 § 2 UrlG Rz 6). Demgegenüber entscheiden AN freiwillig, ob sie durch eine Mandatsausübung die Interessen der Belegschaft vertreten möchten.

Ein weiterer Wertungsunterschied in Bezug auf die mögliche fiktive Annahme von Schwerarbeitszeiten besteht im zeitlichen Ausmaß der Freistellung: Im Fall des Urlaubs geht es um ein Ausmaß von in der Regel fünf Wochen pro Urlaubsjahr, die als Schwerarbeitszeiten gewertet werden, obwohl in diesem Zeitraum tatsächlich keine Schwerarbeit geleistet wurde. Demgegenüber würde die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Bereich von Freistellungen zur Mandatsausübung möglicherweise ein jahrelanges Erwerben von Schwerarbeitszeiten bedeuten, obgleich tatsächlich über mehrere Jahre hinweg keine Schwerarbeit geleistet wurde.

4.6. Aus diesen Gründen ist der Ansicht des Berufungsgerichts zuzustimmen, dass eine Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum einer Freistellung zur Mandatsausübung zu verneinen ist.

5. In der Revision beruft sich die Kl in erster Linie auf eine Verletzung des Benachteiligungsverbots nach § 115 Abs 3 ArbVG.

5.1. Ebenso wie das Beschränkungsverbot ist das Benachteiligungsverbot in § 115 Abs 3 ArbVG geregelt. Damit wird dem Betriebsinhaber untersagt, jene AN, die ein Betriebsratsmandat haben, hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen zu benachteiligen (Schneller in

Gahleitner/Mosler
, ArbVG III5 [2015] § 115 Rz 29). Als Beispiele für verbotene Benachteiligungen nennt das Gesetz in einer demonstrativen Aufzählung solche hinsichtlich des Entgelts, der Aufstiegsmöglichkeiten oder Versetzungen (Schneller in
Gahleitner/Mosler
, ArbVG III5 § 115 Rz 40).

Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Benachteiligungsverbots ist, dass die Maßnahme des Betriebsinhabers (AG) objektiv einen Nachteil bedeutet und dass beim AG auch subjektiv das Motiv vorliegen muss, dem Betriebsratsmitglied wegen der Mandatsausübung diesen Nachteil zuzufügen. Nach herrschender Ansicht muss die Mandatsausübung für die Verletzung des Benachteiligungsverbots ursächlich sein (Resch in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG [19. Lfg 2007] § 115 Rz 65 mwN; Klug, Die Grundsätze der Mandatsausübung des Betriebsrates [2001] 85).

5.2. Nach der Rsp darf das Betriebsratsmitglied vom Betriebsinhaber nicht schlechter gestellt werden, als es gestellt wäre, wenn es Dienst gemacht hätte. Das Betriebsratsmitglied darf aber aus dem Mandat auch keinen Vorteil ziehen (RIS-Justiz RS0051346 [T1]).

5.3. Das OLG Wien als seinerzeitiges Höchstgericht in Sozialversicherungssachen dehnte die Pflicht zur Gleichbehandlung von (freigestellten) Betriebsratsmitgliedern insofern auf das Leistungsrecht der SV aus, als es aussprach, dass die Zeit, in der ein Versicherter, der in einem erlernten oder angelernten Beruf tätig war und von dieser Arbeitsleistung als BR freigestellt wurde, für die Beurteilung des Berufsschutzes mitzuzählen sind (OLG Wien 16 R 3/62, SSV 2/17). Die weitere Aussage, dass das freigestellte Betriebsratsmitglied weiterhin DN sei und wegen seiner Betriebsratstätigkeit weder eine dienstrechtliche noch eine sozialversicherungsrechtliche Benachteiligung erleiden dürfe, wurde in einer weiteren Entscheidung obiter wiederholt (OLG Wien 31 R 298/81, SSV 21/112).

6. Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass sich das Diskriminierungsverbot auch auf Schwerarbeitszeiten in der Form auswirkt, dass einem freigestellten Betriebsratsmitglied, das vor seiner Freistellung Schwerarbeit verrichtet hat, auch die Zeiten der Freistellung als Schwerarbeitszeiten zuzurechnen sind.

6.1. Betrachtet man die Bestimmung des § 115 Abs 3 ArbVG in ihrem Zusammenhang (systematische Auslegung), handelt es sich um eine Regelung des Betriebsverfassungsrechts, die die Beziehungen zwischen Belegschaft und Betriebsinhaber regelt. Dies spricht dafür, dass Adressat des Beschränkungs- und Benachteiligungsverbots der Betriebsinhaber bzw AG ist.

Auch ein Blick auf § 16 Abs 1 Betriebsrätegesetz 1947, der Vorgängerbestimmung des § 115 Abs 3 ArbVG, kann für diese Ansicht ins Treffen geführt werden. § 16 Abs 1 BRG spricht davon, dass der Betriebsinhaber die Mitglieder des BR in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht beschränken oder aus diesem Grund nicht benachteiligen darf.

Obwohl § 115 Abs 3 ArbVG allgemeiner formuliert ist als die Vorgängerbestimmung und den Betriebsinhaber nicht mehr erwähnt, sollten nach402den Gesetzesmaterialien zum ArbVG (ErläutRV 840 BlgNR 13. GP 90) die Bestimmungen über die Grundsätze der Mandatsausübung weitgehend dem geltenden Recht entsprechen. Insofern ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber – trotz Änderung der Formulierung in § 115 Abs 3 ArbVG – die Zielrichtung (gegenüber dem Betriebsinhaber und nicht gegenüber Dritten) nicht ausweiten wollte.

Aufgrund des Entgeltschutzes dürfen freigestellte Mitglieder des BR in Bezug auf ihr Entgelt nicht benachteiligt werden. Das bedeutet für den Fall, dass eine vor der Freistellung ausgeübte Schwerarbeit mit einem höheren Entgelt verbunden war, dass dieses höhere Entgelt auch während der Freistellung gebührt. Eine darüber hinausgehende Qualifikation der Monate der Freistellung als Schwerarbeitsmonate ist jedoch vom Entgeltschutz nicht umfasst.

6.2. Das OLG Wien hat in der schon genannten E 16 R 3/62 (SSV 2/17) ausgesprochen, dass ein Mitglied des BR wegen einer Freistellung auch keine sozialversicherungsrechtliche Benachteiligung erleiden dürfe. In dieser E wurde die Frage bejaht, ob die Zeit der Freistellung als Ausübung des Berufs, der einen Berufsschutz vermittelte, gerechnet werden könne.

Dieser Standpunkt wurde damit begründet, dass der Gesetzgeber weder angeordnet habe, dass die Tätigkeit eines freigestellten BR derjenigen Tätigkeit, von der er freigestellt worden sei, iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG gleichzusetzen sei, noch das Gegenteil angeordnet habe. Daher liege eine Gesetzeslücke vor, die – ausgehend vom erkennbaren Willen des Gesetzgebers – dadurch zu schließen sei, dass die Zeit der Freistellung als Ausübung des Berufs, der einen Berufsschutz vermittelt, zu rechnen sei.

6.3. Darin liegt ein maßgeblicher Unterschied vom hier zu entscheidenden Fall, in dem keine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt. Wie unter 4.4. zusammenfassend dargestellt wurde, will der Gesetzgeber bei der Beurteilung, ob ein Schwerarbeitsmonat vorliegt, erkennbar auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit abstellen. Wird tatsächlich keine Schwerarbeit geleistet, können auch keine Schwerarbeitszeiten erworben werden.

6.4. Der Kl geht es um den Erwerb von Schwerarbeitszeiten durch fiktive Ausübung von Schwerarbeit. Sie wird nicht benachteiligt, wenn der nach dem Gesetz ausschlaggebende Umstand, dass sie die belastende Tätigkeit tatsächlich nicht ausgeübt hat, zur Nichtanrechnung von Schwerarbeitszeiten führt. Im Gegenteil würde sie – wenn sie die belastende Tätigkeit tatsächlich nicht ausüben musste, aber trotzdem die Zeiten der Freistellung als Schwerarbeitszeiten qualifiziert würden – einen nicht zu rechtfertigenden Vorteil aus der Betriebsratsmitgliedschaft ziehen.

7. Der Revision ist daher nicht Folge zu geben. [...]

ANMERKUNG

Die nun vorliegende E des OGH weicht von der bisher ergangenen höchstgerichtlichen Rsp zum Erwerb von Schwerarbeitszeiten iSd SchwerarbeitsV nicht ab. Mit dieser E wurden die bereits bekannten Grundsätze zum Erwerb von Schwerarbeitszeiten jedoch um eine Facette reicher, da der OGH den Erwerb von Schwerarbeitszeiten während Ausübung eines Betriebsratsmandates verneinte. Die zu beurteilende Rechtsfrage wurde mE nicht richtig gelöst.

Der OGH begründet seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass keine Schwerarbeitszeiten erworben werden könnten, sofern tatsächlich keine Schwerarbeit geleistet werde. Hierin sieht der OGH keine Benachteiligung des AN.

Für den Erwerb von Schwerarbeitszeiten muss jedoch nicht immer tatsächlich Schwerarbeit geleistet werden. § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV etwa normiert eine fiktive Ausübung von Schwerarbeit. Gem § 4 Satz 1 SchwerarbeitsV liegt ein Schwerarbeitsmonat vor, wenn in einem Kalendermonat eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV zumindest in jenem Ausmaß ausgeübt wurden, das einen Versicherungsmonat iSd § 231 Z 1 lit a ASVG begründet.

Arbeitsunterbrechungen bleiben dabei gem § 4 Satz 2 außer Betracht, solange die Pflichtversicherung in der PV weiter besteht (vgl OGH 27.7.2010, 10 ObS 96/10f; OGH 27.7.2010, 10 ObS 103/10k; OGH 13.4.2016, 10 ObS 23/16d; Milisits, Schwerarbeitsverordnung [2008] 31). Arbeitsunterbrechungen wie Urlaub oder Krankenstand haben auf die Gewährung der Schwerarbeitspension somit keine Auswirkung. Vielmehr ist zu prüfen, ob die Kl während der Arbeitsunterbrechung ansonsten Schwerarbeit verrichtet hätte (Milisits, Schwerarbeitsverordnung 31).

Die Argumentation des OGH, dass es sich beim Urlaubsanspruch um einen verpflichtenden gesetzlichen Freistellungsanspruch handle, ändert nichts an dem Umstand, dass eine Arbeitsunterbrechung, die die PV nicht beendet, keinen Einfluss auf den Erwerb von Schwerarbeitszeiten iSd Schwerarbeitsverordnung hat (vgl OGH10 ObS 96/10fRdW 2010, 610 = infas 2011, 20; Milisits, Schwerarbeitsverordnung 31).

Das Benachteiligungsverbot gem § 115 Abs 3 Satz 1 ArbVG verbietet Formen der Benachteiligungen ua hinsichtlich Entgelt und Aufstiegsmöglichkeiten der AN (Lindmayr, Handbuch der Arbeitsverfassung8 § 115 ArbVG Rz 752). Die Aufzählung im Gesetz ist demonstrativ, sie erfasst damit auch alle anderen denkbaren Benachteiligungen (Resch in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 115 Rz 64; Strasser/Jabornegg, ArbVG3 § 115 Anm 14; Klug, Mandatsausübung [2001] 84 ff). Kommt es beispielsweise zu einer Verbesserung der Lohn- oder sonstigen Arbeitsbedingungen bei AN, die eine gleichartige Tätigkeit wie das Betriebsratsmitglied ausüben, dann muss die Verbesserung auch dem Betriebsratsmitglied zukommen (vgl OGH 15.3.1989, 9 ObA 21/89).

Dieser Grundsatz ist auch dann anzuwenden, wenn das Betriebsratsmitglied von der Arbeitspflicht freigestellt und deshalb von Veränderungen in arbeitsmäßiger Hinsicht nicht unmittelbar, aber doch in seiner künftigen Karriere und Entgeltentwicklung berührt ist (Schneller in

Gahleitner/Mosler
, Arbeitsverfassungsrecht12 § 115 ArbVG Rz 41).403

Schutzobjekt des Benachteiligungsverbotes ist grundsätzlich die Gesamtbelegschaft mit ihrem Interesse an einer ungestörten und unbeeinflussten Interessenvertretung. Darüber hinaus schafft § 115 Abs 3 Satz 1 ArbVG aber auch individuelle Ansprüche des Betriebsratsmitglieds (Schneller in

Gahleitner/Mosler
, Arbeitsverfassungsrecht12 § 115 ArbVG Rz 32; Resch in
Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 115 Rz 53; Winkler in
Tomandl
, ArbVG § 115 Rz 16).

Die Kl war im strittigen Zeitraum 1.1.2006 bis 31.1.2016 freigestellte Zentralbetriebsratsvorsitzende. § 117 ArbVG normiert die Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes auf Antrag des BR. Die Freistellung führt zu einem Ruhen all jener Arbeitspflichten, die sich aus dem Arbeitsvertrag ergeben (Schneller in

Gahleitner/Mosler
[Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht12 § 117 ArbVG Rz 16). Die übrigen Vertragspflichten des freigestellten Betriebsratsmitglieds und auch die Pflichten des AG bleiben allerdings aufrecht (Mosler in
Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 § 117 ArbVG Rz 18).

Für die Dauer einer Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes gelangt zur Berechnung der Höhe des Entgelts die Fiktionsmethode zur Anwendung (Schneller in

Gahleitner/Mosler
[Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht12 § 117 ArbVG Rz 21).

Das freigestellte Betriebsratsmitglied soll nämlich auch weiterhin in den Genuss aller jener Begünstigungen kommen, auf die ein nicht freigestellter AN Anspruch hätte, der die gleiche Arbeit verrichtet, wie sie das Betriebsratsmitglied vor seiner Freistellung verrichtete. Der Begriff Entgelt iS von § 117 Abs 1 ArbVG umfasst auch alle Zulagen wie Schmutz-, Hitze-, Erschwernis-, Entfernungs- und Gefahrenzulagen für besondere Arbeiten, die wegen der Betriebsratstätigkeit unterbleiben mussten (vgl OGH 13.2.1991, 9 ObA 1/91).

§ 6 UrlG statuiert in Bezug auf das Urlaubsentgelt ebenso wie § 117 ArbVG für den Bezug eines Betriebsratsmitgliedes eine Fiktion. Gem § 6 UrlG hat der AN jenes Entgelt zu erhalten, das er ins Verdienen gebracht hätte, wenn er während dieser Zeit seiner Arbeit nachgegangen wäre (vgl OGH10 ObS 96/10fARD 6082/4/2010). Als Argument für eine unterschiedliche Betrachtung des Erwerbs von Schwerarbeitszeiten während der Konsumation von Urlaub und der Freistellung als Betriebsrätin wird vom OGH die „Planbarkeit“ angeführt. Der jährliche Urlaubsanspruch beträgt in der Regel fünf Wochen. Hingegen könnten Betriebsratsmitglieder im Bereich von Freistellungen möglicherweise jahrelang Schwerarbeitszeiten erwerben, ohne tatsächlich über mehrere Jahre hinweg Schwerarbeit geleistet zu haben. Das Argument der Voraussehbarkeit in Bezug auf die Dauer des Erwerbes fiktiver Schwerarbeit ist nicht tragbar. Der OGH hat bereits entschieden, dass auch während Krankenständen ein fiktiver Erwerb von Schwerarbeitszeiten stattfindet (vgl OGH 27.7.2010, 10 ObS 103/10k). Die Dauer eines Krankenstandes ist auch nicht planbar und kann mehrere Monate oder Jahre andauern.

Sowohl § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV als auch den Materialien der SchwerarbeitsV ist nicht zu entnehmen, dass der Verordnungsgeber nur bei Konsumation von Urlaub oder Inanspruchnahme eines Krankenstandes die fiktive Ausübung von Schwerarbeit zuerkennt (vgl Materialien zur SchwerarbV, 3). Der Verordnungsgeber stellt lediglich auf den Umstand ab, dass die Pflichtversicherung in der PV weiter besteht. Eine konkrete Dauer oder Planbarkeit einer Arbeitsunterbrechung, die die Pflichtversicherung in der PV nicht beendet, wird vom Verordnungsgeber nicht verlangt. Diese Auslegung des § 4 Satz 2 der SchwerarbeitsV wird im vorliegenden Fall insb durch den Entgeltbegriff iS von § 117 Abs 1 ArbVG untermauert. Gem § 117 Abs 1 ArbVG sind auch alle Zulagen wie Schmutz-, Hitze-, Erschwernis-, Entfernungs- und Gefahrenzulagen für besondere Arbeiten, die wegen der Betriebsratstätigkeit unterbleiben müssen, dem freigestellten Betriebsratsmitglied zu bezahlen. Eine taugliche Begründung zur Differenzierung von Schmutz-, Hitze-, Erschwernis-, Entfernungs- sowie Gefahrenzulagen und der Verrichtung von Schwerarbeit, im Falle eines freigestellten Betriebsratsmitgliedes, besteht mE nicht. Dem freigestellten Betriebsratsmitglied gebühren Schmutz-, Hitze-, Erschwernis-, Entfernungs- sowie Gefahrenzulagen auch für die Dauer seiner Funktionsperiode. Eine Tätigkeit, die besondere Zulagen rechtfertigt, wird während der Freistellung nicht ausgeübt. Wird eine Unterscheidung zwischen Schmutz-, Hitze-, Erschwernis-, Entfernungs- sowie Gefahrenzulagen und dem Erwerb von Schwerarbeitszeiten vorgenommen, werden die AN, die Schwerarbeit iSd SchwerarbeitsV leisteten, gegenüber allen anderen AN bei Ausübung ihres Mandates als freigestelltes Betriebsratsmitglied benachteiligt.

Richtig ist, dass die Ausübung des Betriebsratsmandates freiwillig ist, jedoch wollte der Gesetzgeber in den Regelungen des ArbVG eine Sicherung der Rechte der Belegschaftsfunktionäre normieren. Die Rechtsansicht des OGH führt zu einer Schlechterstellung all jener Belegschaftsfunktionäre, die vor ihrer Freistellung Schwerarbeit iSd SchwerarbeitsV leisteten. Der Umstand, dass während der Zeiten als freigestellter BR keine Schwerarbeitszeiten erworben werden können, wird mE nach die hiervon betroffenen Personen womöglich von einer Kandidatur abhalten. Die Verneinung der Anerkennung von Schwerarbeit während der Ausübung des Mandates als freigestelltes Betriebsratsmitglied kann bei den Betroffenen zu einem Verlust ihres Anspruches auf Schwerarbeitspension iS von § 4 Abs 3 APG führen, da nicht die gesetzlich geforderte Anzahl an Versicherungsmonaten vorliegen, in denen Schwerarbeit geleistet wurde.

Eine Rechtfertigung der Differenzierung zwischen der Ausübung des Mandates als freigestelltes Betriebsratsmitglied und der Konsumation von Urlaub einerseits und den Erwerb von Schwerarbeitszeiten iSd SchwerarbeitsV andererseits kann nicht erblickt werden. Der vom OGH vorgenommenen Differenzierung zwischen Urlaubsanspruch und Ausübung des Betriebsratsmandates als freigestellte Betriebsrätin ist daher nicht zu folgen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Tätigkeit der Kl grundsätzlich als Schwerarbeit in einem Ausmaß von 111 Monaten anerkannt wurde. Für den Zeitraum, in welchem die Kl ihrem Mandat als freigestellte Betriebsratsvorsitzende nachkam,404wurde der Erwerb von Schwerarbeitszeiten hingegen verneint. Dies obwohl weiterhin die Pflichtversicherung zur PV bestand und die Kl zuvor nachweislich für 111 Monate Schwerarbeit leistete. Die Rechtsansicht des OGH führt zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung der Kl, da diese bei Ausübung ihrer bisherigen Tätigkeit auch weiterhin Schwerarbeitszeiten erworben hätte. Die Zeiten des Krankenstandes oder der Urlaubskonsumation werden jedoch als fiktive Schwerarbeitszeiten durch den OGH anerkannt. Die Beurteilung des gegenständlichen Falles durch das Höchstgericht ist daher überraschend. Einer Auslegung der SchwerarbeitsV, wie vom OGH vorgenommen, kann aus den dargelegten Überlegungen nicht beigepflichtet werden.