„Es ist ein gutes Gesetz geworden“ – Bemerkungen zur politischen Genese des KV-Gesetzes 1947

SABINELICHTENBERGER (WIEN) IN MEMORIAM KARL PROYER (1953-2015)

Vor 70 Jahren, am 26.2.1947, wurde im Nationalrat das österreichische Kollektivvertragsgesetz (KV-Gesetz) beschlossen. Aller Kritik zum Trotz meinte ÖGB-Präsident Johann Böhm: „Es ist ein gutes Gesetz geworden und es wird eine vorzügliche Waffe in den Händen der österreichischen Arbeiter und Angestellten in ihrem weiteren Existenzkampf sein.* In dem folgenden Beitrag soll die politische Debatte über die Gesetzwerdung des KV-Gesetzes näher beleuchtet werden, die in der wissenschaftlichen Literatur meist als „mühevoll, langwierig und hart“ beschrieben wird.*

1.
Historische Entwicklung 1919-1945

Die erste umfangreiche gesetzliche Normierung des sich in den letzten zwei Jahrzehnten vor dem 1. Weltkrieg entwickelten Kollektivvertragswesens erfolgte durch das KV-Gesetz 1919.* Der unmittelbare Anlass zur Erfüllung zur Forderung für das KV-Gesetz war das Gesetz über die Errichtung von Betriebsräten (BR-Gesetz) vom 15.5.1919, das als erstes von den österreichischen Gesetzen davon ausgeht, dass das Arbeitsverhältnis bzw der Arbeitsvertrag in Kollektivvertragsvereinbarungen geregelt sein muss.* Weiters regelt das BR-Gesetz das Tarifproblem zugunsten des „gewerkschaftlichen Prinzips“, dh es versagt den Betriebsräten das Recht auf den Abschluss von Kollektivverträgen und anerkennt die Rolle der Gewerkschaften als Träger der Lohnpolitik.* Die Regelung des KV-Gesetzes erfolgte durch das im Dezember 1919 beschlossene „Gesetz über die Errichtung von Einigungsämtern und über kollektive Arbeitsverträge“. Das Anwendungsgebiet sollte auf die gewerblichen Arbeits- und Dienstverträge beschränkt sein.* Die wichtigsten Bestimmungen gingen auf den Regierungsentwurf über Tarifkommissionen für den Dienstvertrag der Handlungsgehilfen zurück, deren Entwurf von dem Nationalökonomen und Leiter für Sozialgesetzgebung im Sozialministerium Karl Pribram (1877-1973) stammte.* Es ist von dem Gedanken getragen, so Pribram, „den Wünschen der Unternehmerverbände wie der Gewerkschaften* zu entsprechen. Das Gesetz grenzte den Begriff des KollV ab, verfügte über die Registrierung des abgeschlossenen Vertrages beim Einigungsamt und die behördliche Kundmachung der Kollektivverträge. Daran angeknüpft wurde die zivilrechtliche Verbindlichkeit der Bestimmungen des Vertrages für alle innerhalb212des Geltungsbereiches des KollV bestehenden oder künftig zu vereinbarenden Einzelverträge, womit die Unabdingbarkeit lediglich auf zivilrechtlichem Wege geschützt wurde. Sondervereinbarungen sollten nur dann Gültigkeit haben, wenn sie für die AN günstiger wären oder sie Bereiche betreffen, die nicht im KollV geregelt wurden.* Den Einigungsämtern kam die Aufgabe zu, auf das Zustandekommen von Kollektivverträgen hinzuwirken und diese durch Registrierung und Kundmachung „mit verbindlicher Kraft nach außen hin auszustatten“.* In den folgen Jahren kam es zu einer raschen Entfaltung der Kollektivverträge: Ende 1927 gab es 2.737 Kollektivverträge, die 147.528 Betriebe mit 1.007.723 Beschäftigte erfassten (815.878 ArbeiterInnen und 191.845 Angestellte), womit rund 80 % aller AN durch Kollektivverträge erfasst wurden. Die meisten Verträge fanden sich in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie (293), dem Baugewerbe (284) und in der Metallindustrie (228).*

Am 5.4.1930 kam es im Rahmen des von den christlichen und unabhängigen Gewerkschaften geführten Diskurses über ein „Antiterrorgesetz“,* welches sich gegen die in der ArbeiterInnenschaft vorhandene Hegemonie der Freien Gewerkschaften richtete, zu einem von der nationalen Regierungskoalition 1930 beschlossenen „Gesetz zum Schutz der Arbeits- und Versammlungsfreiheit“.* Die historische Entwicklung dieses Gesetzes begann im Jahre 1927 mit dem Antrag des christlichsozialen Gewerkschafters und Politikers Franz Spalowsky (1875-1938) und des großdeutschen Eisenbahnergewerkschafters Dr. Iring Grailer (1888-1979), ein Gesetz „zum Schutze der Koalitionsfreiheit“ zu schaffen, um dem angeblichen Gesinnungs- und Organisationszwang der Freien Gewerkschaften zu begegnen.* Ohne auf die vehement geführte Diskussion über eine „negative Koalitionsfreiheit“ einzugehen,* die auch im Zusammenhang mit den damals von bürgerlicher Seite gewünschten Änderungen um das AK-Gesetz zu beobachten war,* sei als einzig positives Ergebnis dieses unseligen Gesetzes die Bestimmung hervorgehoben, dass sowohl von den freien, als auch von den christlichen Gewerkschaften gewünschte Bestimmungen des KollV auf alle im Betrieb Beschäftigten, also nicht nur auf die Mitglieder der abschließenden Gewerkschaft, Geltung haben sollten.*

Am 1.5.1934 trat der vom austrofaschistischen „Ständestaat“ per Verordnung eingerichtete „Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten“ (mit den Arbeiterkammern als Geschäftsstellen) als Vertragspartner in die in Geltung stehenden Kollektivverträge ein und es wurde sowohl ihm auf Seiten der AN, als auch dem Verband der Landarbeiterschaft („Land- und Forstwirtschaft“) und den Berufskörperschaften der öffentlichen Bediensteten das ausschließliche Recht zum Abschluss von Kollektivverträgen eingeräumt. Auf Seiten der DG erhielten der Industriellenbund, der Gewerbe-, Handels- und Verkehrsbund und der Finanzbund das ausschließliche Recht zum Abschluss von Kollektivverträgen.* Nach dem 12.2.1934 wurden viele bereits ausverhandelte Kollektivverträge nicht mehr eingehalten oder gekündigt, bei Neuverhandlungen kam es vielfach zu Verschlechterungen für AN.

Nach der Machtübernahme durch Hitler-Deutschland wurde die ständestaatliche Einheitsgewerkschaft aufgelöst. Mit der Deutschen Arbeitsfront (DAF) wurden die AN in einer Einheitsorganisation von AG und AN mit Führerprinzip organisiert, in der die Mitgliedschaft der AN zwar formal freiwillig war, durch Propaganda, Druck und kollektive (Zwangs-)Beitritte von AN innerhalb kürzester Zeit zu einem hohen Prozentsatz erreicht werden konnte.* Durch die Einführung deutscher Bestimmungen, wie etwa mit der „Verordnung zur Einführung sozialrechtlicher Vorschriften im Lande Österreich“ vom 9.7.1938* und der dazu erlassenen Durchführungsverordnung des Reichsstatthalters* oder dem „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ (AOG) vom 20.1.1934* wurden die bereits im ständestaatlichen Regime verkommenen österreichischen Bestimmungen des kollektiven Arbeitsrechtes gänzlich außer Kraft gesetzt.* An die Stelle der Kollektivverträge sollten die vom Betriebsführer erlassenen Betriebsordnungen und die vom Reichstreuhänder erlassenen Tarifordnungen treten.*

2.
Die Entwicklung ab 1945

Ab dem 11.4.1945 begannen die Vorbereitungen für den Wiederaufbau einer staatsunabhängigen und überparteilichen Gewerkschaftsbewegung, am41315.4. wurde bei einer Plenarsitzung ein Statut eines „Österreichischen Gewerkschaftsbundes“ (ÖGB) vorgelegt, bei der der ehemalige Baugewerkschafter Johann Böhm (1886-1959) einstimmig zum Vorsitzenden des ÖGB bestimmt wurde. Zugleich mit der Gründung des ÖGB konstituierten sich auch SPÖ, ÖVP und KPÖ.* Bereits am 8.5.1945 thematisierte der Staatssekretär für Finanzen, ÖVP-Minister Dr. Georg Zimmermann (1897-1958), im Kabinettsrat im Zusammenhang mit dem geplanten Umstieg von der Reichsmark auf die Schilling-Währung das Preis- und Lohnniveau, auf welches beim Umrechnungsschlüssel Rücksicht genommen werden muss.* Wichtig werde sein – so geht es aus dem Stichwortstenogramm hervor – die Preise zu halten, was eine Preisüberwachung und daher ein Weiterbestehen der Funktionen des „Reichstreuhänders der Arbeit“ notwendig machen würde.* Staatssekretär und ÖGB-Vorsitzender Johann Böhm sprach sich gegen ein Weiterbestehen der „Treuhänder“ aus und schlug daher am 25.5.1945 dem Kabinettsrat die „Einrichtung eines Staatskommissariates zur Überwachung der Preis- und Lohnpolitik“ vor.* Abgesehen davon, dass – wie Staatskanzler Dr. Karl Renner (1870-1950) zu Recht einwarf – die Institution der „Reichstreuhänder“ bereits durch die beschlossenen Verfassungsgesetze formal „verschwunden“ seien, war man sich einig, dass das Problem zum einem infolge der nicht abschätzbaren Preisbildung wie auch der Preisüberwachung, aber auch der noch geltenden und unhaltbaren NS-Tarifordnungen „die jedem Rechtsempfinden Hohn sprechen“, dennoch schwierig sei. Renner trat daher für eine Kommission ein, „in der mit einer gewissen Parität einerseits das Preisinteresse andererseits das Lohninteresse vertreten werde“.* Es sollte sich dabei um eine Kommission bestehend aus verschiedenen Staatsämtern handeln, so Staatskanzler Renner, in der die verschiedenen Interessengruppen vertreten sind und an die Staatskanzlei angegliedert werden sollte.*

In der Folge tat sich der ÖGB schwer, eine Preis-Lohnstabilität aufrecht zu erhalten und Staatssekretär Böhm musste zugeben, dass die Erklärungen des ÖGB, Lohnerhöhungen würden eine Lohn-Preisspirale in Gang setzen, „nicht überall mit Zufriedenheit aufgenommen“ wurden, denn die AN würden in der gegenwärtigen Situation „sehr schlecht“ entlohnt werden.* Nachdem die Agrarier weniger bereit waren, bei ihren Preisen Zurückhaltung zu üben, selbst Unternehmen Lohnerhöhungen anboten, wurde die Erlassung eines „Lohnamtsgesetzes“ ventiliert, das aber in den restlichen Sitzungen der Provisorischen Staatsregierung nicht mehr behandelt wurde.* Um die in der Folge sukzessive doch einsetzenden Lohnerhöhungen hintan zu halten, plante der Alliierte Rat eine „Lohnkommission“, dh ein „alliiertes Lohnamt in Wien“, zu errichten, was verständlicherweise den heftigen Widerstand des ÖGB hervorrief.* Staatssekretär Böhm ließ dann auch im Staatsamt für soziale Verwaltung einen Gesetzesentwurf über die Gründung einer Lohnkommission vorbereiten, die eine Stabilisierung der Löhne und Gehälter herbeiführen bzw aufrechterhalten sollte. Lohnregulierungen wären seit dem 1.4. nur in solchen Betrieben vorgekommen, so Böhm weiter, „wo die Löhne wirklich nicht zu rechtfertigen waren. Wenn es nun zu einer Rückgängigmachung dieser Lohnregelungen käme, so würde das innerhalb der Arbeiterschaft eine weitgehende Beunruhigung auslösen“.* Die in der Folge am 28.1.1946 per Verordnung durch das BM für soziale Verwaltung eingerichtete provisorische Zentrallohnkommission sollte die Befugnisse und Aufgaben, die bislang den „Reichstreuhändern“ oder „Sondertreuhändern der Arbeit“ zukamen, übernehmen.*) Sie bestand aus dem BM für soziale Verwaltung (Vorsitzender) und einer paritätischen Anzahl von Mitgliedern und Ersatzmitglieder aus Gruppen der DG und der DN aus den wichtigsten Wirtschaftszweigen. Zum Aufgabenkreis sollte die Festsetzung, Regelung, Abänderung und Aufhebung von Tarifordnungen gehören, zudem war sie auch mit der Erlassung von Betriebsordnungen betraut.* Ziel des ÖGB, der Gewerkschaften und der Arbeiterkammern war aber weiterhin ein neues KV-Gesetz als rechtliche Basis zur Ordnung der Lohn- und Arbeitsbedingungen.

3.
Der 1. Entwurf zum KV-Gesetz vom 27.2.1946

Das neue KV-Gesetz sollte auf den Bestimmungen des österreichischen KV-Gesetzes aus dem Jahr 1920 aufbauen, aber den neuen wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten angepasst werden.* Aus dem Sammelakt des BM für soziale Verwaltung geht hervor, dass die erste Sitzung bezüglich des KV-Gesetzes bereits am 19.1.1946 im BM für soziale Verwaltung unter dem Vorsitz des BM Karl Maisel stattfand. Bei dieser Sitzung for-414derten AK-Präsident Karl Mantler (1890-1965) und ÖGB-Präsident Johann Böhm einstimmig, dass die Arbeiter und Angestellten der Land- und Fortwirtschaft in das KV-Gesetz einzubeziehen seien und machten den Vorschlag, die „verfassungsmäßigen Schwierigkeiten“ durch Änderung der „bezüglichen Bestimmungen“ zu klären. Dr. Eugen Margarétha (1885-1963), der Vertreter der Handelskammer, erklärte, dass die Unternehmer des Handels, des Gewerbes und der Industrie an der Frage „desinteressiert“ wären, während die Vertreter der Landwirtschaftskammer für die DN in der Land- und Fortwirtschaft eine einheitliche Regelung der Arbeitsbedingungen in einem eigenen Gesetz forderten, denn nur so könne auf ihre speziellen Belange eingegangen werden. Bezüglich der Frage der Einigungsämter und der Obereinigungsämter ergab sich aus dem Verhandlungsverlauf, dass diese für die Schlichtung von Gesamtstreitigkeiten wiedererrichtet werden sollten. Zur Frage der künftigen Vertragspartner beim Abschluss von Kollektivverträgen erklärte Margarétha, dass die Unternehmer an möglichst großen und umfassenden vertragsfähigen Berufsverbänden interessiert seien und regte an, dem BM für soziale Verwaltung oder einer Unternehmerorganisation das Recht zu erteilen, dort wo es keinen Berufsverband auf Unternehmerseite gäbe, eine Stelle zu bestimmen. Die Standpunkte von Mantler und Böhm waren, wie aus dem Akt hervorgeht, nicht „einheitlich“, sagten aber bis 24.1.1946 eine schriftliche Stellungnahme zu.* Ein erster Vorentwurf eines Gesetzes über die Regelung der Arbeits- und Lohnbedingungen durch KollV wurde am 30.1.1946 von BM Maisel an das „Komitee für Arbeit der Alliierten Kommission für Österreich“ übermittelt. In dem Schreiben verweist BM Maisel darauf, dass es sich, aufgrund des Zeitdruckes nur um einen Vorentwurf handeln würde und deutet bereits an, dass es aufgrund der „künftigen Verhandlungen mit den Berufsvereinigungen und den Ministerien noch manche Änderung, allenfalls auch in grundlegenden Fragen“ geben könnte.*

Der erste Entwurf des KV-Gesetzes des BM, das die gesetzlichen Voraussetzungen für den Abschluss von Kollektivverträgen schaffen und die Regelung der Arbeits- und Lohnbedingungen wieder auf eine demokratische Grundlage stellen sollte, lag schließlich am 27.2.1946 vor und sollte bis längstes 16.3.1946 begutachtet werden; tatsächlich zog sich die Begutachtungsphase aber bis in den Herbst 1946 hinein.* Er wurde ua an das Bundeskanzleramt, an die Bundesministerien, an die Landeshauptmannschaften, an die Kammern und an den ÖGB verschickt. Der Entwurf sah vor, dass der Geltungsbereich des Gesetzes zwar die Dienstverhältnisse der Gutsangestellten miteinschließen würde, der Einbeziehung der übrigen DN der Land- und Forstwirtschaft wären jedoch verfassungsrechtliche Schranken gesetzt, denn nach Art 12 Abs 1 Nr 4 des Bundesverfassungsgesetzes idF von 1929 würde dem Bund in Angelegenheiten des land- und forstwirtschaftlichen Arbeiterrechtes nur das Recht der Grundsatzgesetzgebung zustehen, während die Erlassung von Ausführungsgesetzen Ländersache sei.* In dem Kommentar zum Gesetz heißt es weiter, dass nach dem Einigungsamtsgesetz 1920 die Kollektivvertragsfähigkeit nicht nur den Berufsvereinigungen, sondern auch den AG zukommen sollte. Der vorliegende Entwurf hingegen sollte nur für den ÖGB ein Monopol für den Abschluss von Kollektivverträgen auf DN-Seite schaffen, während auf DG-Seite – abgesehen von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften – grundsätzlich nur die anerkannten Berufsvereinigungen kollektivvertragsfähig sein sollten. Die Wirkung der abgeschlossenen Kollektivverträge sollte sich innerhalb des Geltungsbereiches auch auf DG und DN erstrecken, die nicht zu den vertragsabschließenden Parteien zählen würden.* Dem ersten Entwurf zufolge würden durch den Wegfall der Satzungen die Einigungsämter und das Obereinigungsamt entbehrlich werden. Die Aufgaben dieser Ämter, die ihnen nach dem Einigungsamtsgesetz zukamen, sollten zum größten Teil auf die Gewerbegerichte übergehen, die Beilegung von Gesamtstreitigkeiten sollten Einigungsausschüsse übernehmen.*

Am 1.4.1946 hat die AK zu diesem 1. Entwurf eine Stellungnahme, die in gemeinsamer Beratung mit dem ÖGB entstanden ist, abgegeben. Diesem Entwurf nach sollten durch das KV-Gesetz alle AN erfasst werden, dh sowohl jene des öffentlichrechtlichen Dienstes, die Land- und Forstarbeiter und auch die Hausgehilfen und Hausbesorger. In diesem Entwurf wird auch darauf hingewiesen, dass die Festlegung der Fernwirkung der Kollektivverträge fehlt und daher folgende Textierung vorgeschlagen: „Die Bestimmungen eines Kollektivvertrages, soweit sie das Einzelarbeitsverhältnis betreffen, sind Bestandteile jedes Arbeitsvertrages.* Die Stellungnahme sprach sich auch gegen die im 1. Entwurf vorgesehenen Einigungsausschüsse, die eine Art gesetzliche Schlichtungsstelle darstellen sollten, aus und forderte, dass sich die Genehmigung der Zentrallohnkommission nicht auf den ganzen KollV, sondern nur auf dessen Lohnsätze beziehen darf. Weiters wurden auf Vorschlag der AK Bestimmungen über die Arbeitsordnungen und des § 88a, der diese Bestimmungen bisher geregelt hat, aufgehoben.*

4.
Der 2. Entwurf

Nachdem sich die Begutachtungsphase bis Herbst 1946 hingezogen hat, eines der letzten Gutachten ist mit Oktober 1946 datiert, fand am 15.10.1946 mit Vertretern der Wiener Handelskammer (Präs. Kink, NR Dr. Margarétha, Sektionschef Dr. Wlcek) und dem ÖGB (Präs. Böhm) sowie der Wiener AK eine weitere Besprechung statt, in der der Gesetzesentwurf vom 27.2.1946 aufgrund der415abgegebenen Stellungnahmen „einer durchgreifenden Umarbeitung“ unterzogen wurde. Dieser neu gefasste Entwurf sollte, bevor er einer interministeriellen Beratung unterzogen wurde, nochmals mit Vertretern der Wiener Handelskammer, der AK und dem ÖGB besprochen werden und dann dem Ministerrat vorgelegt werden.*

Heftiger Diskussionspunkt, so BM Maisel in der Ministerratssitzung vom 11.12.1946, war die Monopolstellung des ÖGB, der wie besonders von der KP-Seite heftig kritisiert wurde, von seinem 1945 gefassten Beschluss, ein Monopol zu verlangen, abgegangen war. Zu diesem Zeitpunkt bestand, so wurde seitens des ÖGB argumentiert, zwar schon der einheitliche ÖGB, aber auf der anderen Seite standen als Vertragspartner eine Reihe von Handelskammern gegenüber, denn es gab noch keine einheitliche gesetzliche Interessenvertretung der gewerblichen Wirtschaftstreibenden. BM Maisel weiter: „Um den Preis eines Monopols der zentralisierten Handelskammer wäre das Monopol des Gewerkschafsbunde zu teuer erkauft: denn in diesem Falle stünde die Zwangsorganisation der Handelskammer, die Gesamtheit der österreichischen Unternehmerschaft und mithin deren zusammengeballte Kraft dem Gewerkschaftsbund gegenüber.* Daher wurde davon abgesehen, den ÖGB im vorgelegten Gesetzesentwurf als alleinige zum Abschluss berechtigte Körperschaft von Kollektivverträgen anzuführen.* In § 3 des Gesetzesentwurfes wurde die Bestimmung eingefügt, dass die Kollektivvertragsfähigkeit auch Berufsvereinigungen zuerkannt werden kann, die auf freier Mitgliedschaft beruhen.*

In der Frage der Einbeziehung der Land- und Forstarbeiter, eine Forderung, die seit Verhandlungsbeginn seitens des ÖGB und aller Arbeiterkammern erhoben wurde, äußerte BM Maisel die Befürchtung, „daß das Gesetz, wenn wir es nicht so lassen, wieder zu einer allgemeinen Zersplitterung führen wird“.* In der Frage der Zentrallohnkommission war man sich entgegen des Antrages des BM für Energiewirtschaft und Elektrifizierung darüber einig, dass die Zentrallohnkommission nicht mit Inkrafttreten des KV-Gesetzes auslaufen sollte, sondern dass der lohnrechtliche Teil von Kollektivverträgen weiterhin noch von der Zentrallohnkommission genehmigt werden sollte.* Gem Pkt 28 des Beschlussprotokolls über die Sitzung des Ministerrates am 11.12.1946 wurde der Entwurf eines BG über die Regelung von Arbeits- und Lohnbedingungen durch Kollektivverträge und Arbeitsordnungen als Regierungsvorlage eingebracht.*

5.
Die Beschlussdebatte im österreichischen Nationalrat am 26.2.1947

Das neue KV-Gesetz wurde am 26.2.1947 nach einer ausführlichen Debatte, auf die in der Folge eingegangen werden soll, mit den Stimmen der SPÖ und der ÖVP angenommen. Die vier Abgeordneten der KPÖ haben dem Gesetz nicht zugestimmt.

A) Im Regierungsentwurf war vorgesehen, dass auch die Land- und Forstarbeiter in das KV-Gesetz einbezogen werden sollten. Eine Forderung, gegen die die ÖVP-Vertreter vehement aufgetreten sind, von der die Vertreter der SPÖ zunächst aber nicht abgehen wollten, worauf diese Forderung in der Sitzung am 26.2.1947 als von den Abgeordneten Schneeberger, Jiricek, Krisch und Genossen Minderheitsantrag eingebracht wurde, aber auch hier keine Zustimmung mehr fand.* Im Hinblick auf die KP-Kritik durch Abg. Elser zur der Frage der Nichteinbeziehung der Land- und Forstarbeiter meinte Böhm: „Wir haben uns sehr bemüht ... können aber in einem demokratischen Parlament die Mehrheit nicht dazu zwingen, sich unserer Auffassung anzuschließen.*

B) Zweiter heftiger Diskussionspunkt war die Frage, welche Berufsorganisationen der DN und der DG kollektivvertragsfähig sein sollen. Auch in dieser Frage konnte erst nach langwierigen Verhandlungen ein Übereinkommen erzielt werden. Demnach sollten „in gleicher Weise kollektivvertragsfähig die auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhenden Berufsvereinigungen der Dienstnehmer und Dienstgeber wie auch die gesetzlichen Interessenvertretungen der Dienstnehmer und Dienstgeber, also auch die Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer, sein“.* Eine Kompromisslösung, die ebenfalls von Seite der KPÖ heftig kritisiert wurde. Der ÖGB sei eine Organisation, die auf der völlig freien Mitgliedschaft ihrer Mitglieder beruhe und daher müsse ihm auch „die gebührende rechtliche Anerkennung und Stellung“ eingeräumt werden. Das SPÖ-Argument, dass man damit eine Monopolstellung der Handelskammern hintanhalten konnte, bezeichnete er als „lächerlich“.* Seitens der Wirtschaftskreise wurde der Standpunkt vertreten, dass das Recht, auf der AG-Seite Kollektivverträge abzuschließen, in erster Linie der Kammer der gewerblichen Wirtschaft und ihren Unterorganisationen zustehen müsste, während der ÖGB noch 1945 den Beschluss gefasst hat, dass „lediglich auf freiwilliger Mitgliedschaft aufgebaute Organisationen als kollektivvertragsfähig erklärt werden dürften“.*416Johann Böhm vertrat aber nunmehr die Ansicht, dass entgegen des Beschlusses aus dem Jahr 1945 ein Monopol des ÖGB zu verlangen, er heute auf dem Standpunkt stehe, auf dieses Monopol zu verzichten, da sich die Verhältnisse seither wesentlich geändert hätten. „Denn wie lägen denn die Dinge dann? Der Organisation der Arbeiter, dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, der wie Abg. Elser ganz richtig hervorgehoben hat, eine Gewerkschaft ist, die auf freiwilliger Mitgliedschaft beruht und dem seinen Mitgliedern gegenüber kein anderes Zwangsmittel zur Verfügung steht als die gewerkschaftliche Disziplin, stünde auf der anderen Seite als Vertragspartner die zentralisierte Handelskammer gegenüber, die eine Zwangsorganisation ist und infolgedessen die Gesamtheit der österreichischen Unternehmerschaft umfaßt. Aber nicht nur diese Zwangsorganisation stünde ihm gegenüber, sondern die zusammengeballte Kraft der gesamten österreichischen Unternehmerschaft, die besonders dadurch in Disziplin gehalten werden kann, daß die Handelskammer gegenüber ihren Mitgliedern über ganz andere machtmittelverfügt, als sie dem österreichischen Gewerkschaftsbund zur Verfügung stehen.* Um den Preis eines Monopols der zentralisierten Handelskammer wäre ihm und dem ÖGB daher das das Monopol des ÖGB zu teuer erkauft.*

C) Die Wiedereinrichtung der Einigungsämter war ein weiterer heftiger Diskussionsgegenstand in dieser Sitzung. Dass im vorliegenden Gesetz die Einrichtung von Einigungsämtern und des Obereinigungsamtes vorgesehen waren, dies obwohl sowohl den früheren Freien Gewerkschaften als auch den Christlichen Gewerkschaften bekannt sein müsste, „welch schlechte Erfahrungen“ man mit den Einigungsämtern und dem Obereinigungsamt gemacht hat, die nach der Meinung des KPÖ-Abgeordneten Elserin den meisten Fällen sozialreaktionärer Art war“, schien ihm unverständlich.* Bereits Sozialminister Hanusch hätte 1919/20 vor der Errichtung dieser Einigungsämter gewarnt, die Wiedererrichtung würde das ohnehin unzulängliche KV-Gesetz vollständig entwerten, so die KPÖ-Kritik weiter.* Der Antrag der KPÖ auf die Errichtung der Einigungsämter und des Obereinigungsamtes zu verzichten und die Befugnisse dieser Institutionen den Arbeitsgerichten zu übertragen, wurde mit allen Stimmen abgelehnt. Dazu Johann Böhm: „Wenn Elser im Zusammenhang mit den Einigungsämtern den Altmeister der österreichischen Sozialpolitik Ferdinand Hanusch, den wir Sozialisten in hohen Ehren halten, zitiert ... ist nur zu sagen, daß sich Hanusch, wenn er wüsste, daß er von der Kommunistischen Partei im Parlament als Kronzeuge geführt wird, im Grab umgedreht hätte. (Heiterkeit)“ Sachliche Argumente gegen die Einigungsämter würden nicht bestehen, da sie nicht schlechter als die Arbeitsgerichte seien.* Auch der ÖVP-Abgeordnete Bleyer zeigte sich überzeugt „daß ... durch die paritätische Zusammensetzung aus den Kreisen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer am sichersten eine objektive Auslegung des Gesetzes gewährleistet ist“.*

D) Zuletzt wurde besonders seitens der KPÖ auch die Weiterbelassung der Zentrallohnkommission kritisiert, womit ihrer Ansicht nach die Kollektivverträge nicht nur entwertet, sondern ihnen ihre eigentliche Aufgabe genommen werde. Die Befürchtung war, dass ein vereinbarter KollV dann Wochen und Monate in Kraft treten könnte, weil sich die Zentrallohnkommission über den lohnrechtlichen Teil nicht einig werden würde.* Über die Tätigkeit der Zentrallohnkommission meinte Johann Böhm, dass sie für die AN nicht nur keinen Schaden gebracht hätte, sondern, dass sie vielmehr geholfen hätte, „manche schwierige Situation zu überbrücken“.* Der lohnrechtliche Teil bedurfte also weiterhin der Genehmigung der Kommission, die erst mit dem BG vom 31.3.1950 mit Wirksamkeit 1.7.1950 aufgelöst wurde.* In den abschließenden Worten meinte Johann Böhm zum KV-Gesetz: „... im vollen Bewußtsein der Verantwortung ... möchte ich den österreichischen Gewerkschaftern sagen, daß das Kollektivvertragsgesetz gewiß nicht alle ihre Wünsche vertritt, insbesondere Besteht hinsichtlich der Einbeziehung der Landarbeiter ein schwerer Mangel, der bereits besprochen worden ist. Alle Wünsche im Leben werden aber selten erfüllt, insbesondere in einem Parlament, das so zusammengesetzt ist wie das österreichische Parlament. Wenn man aber von diesen Umständen absieht, dann darf ich mit vollem Recht behaupten: das Kollektivvertragsgesetz hat das gehalten, was wir von ihm erwarten konnten. Es ist ein gutes Gesetz geworden und es wird eine vorzügliche Waffe in den Händen der österreichischen Arbeiter und Angestellten ihn ihrem weiteren Existenzkampf sein.* Der Erfolg würde aber letztlich davon abhängig sein, wie stark und mächtig der ÖGB in Zukunft sein würde, denn „je einiger sie ihn erhalten, desto größer werden auch die Erfolge sein, die sie mit dieser Waffe erringen werden“.*

Am 4.9. wurde durch die Entscheidung des Obereinigungsamtes bei BM für soziale Verwaltung dem ÖGB einschließlich seiner (damals) fünfzehn Gewerkschaften mit Ausnahme der Gewerkschaft der Land- und Forstarbeiter die Kollektivvertragsfähigkeit zuerkannt.* Das KV-Gesetz erfuhr in der Folge nur geringfügige Veränderungen, bemerkens-417werte Maßnahme auf dem Gebiet der kollektiven Rechtsgestaltung sollte die Schaffung des Mindestlohntarifgesetzes (BGBl 1951/156) zum Zweck der unmittelbaren rechtsverbindliche Festlegung von Mindestlöhnen zu ermöglichen, für die keine Kollektivverträge ermöglicht werden sollten, sein.* Mit dem im Dezember 1973 beschlossenen und 1974 in Kraft getretenen Arbeitsverfassungsgesetz konnte die langjährig angestrebte Kodifizierung des Arbeitsrechtes verwirklicht werden.