Club of Vienna (Hrsg)Arbeit: Wohl oder Übel? Diagnosen und Utopien

Mandelbaum Verlag, Wien 2015 172 Seiten, Klappenbroschur, € 15,–

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)

Der schmale Sammelband thematisiert unter einem unnötig zugespitzt formulierten Titel grundlegende Fragen der Neugestaltung der Arbeitswelt. Entstanden sind die Texte in Zusammenhang mit einer Tagung des Club of Vienna im Mai 2014. Das Buch besteht aus einem lesenswerten Vorwort von Hermann Knoflacher, fünf Beiträgen und einem Diskussionsprotokoll.

Die Beiträge sympathisieren durchwegs mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Darüber hinaus prägen feministische Perspektiven maßgeblich das Gesamtbild der Publikation. Die AutorInnen machen sich auf die Suche nach Alternativen zum fordistischwohlfahrtsstaatlichen Arbeitssystem, das sich tatsächlich im freien Fall, in einer Phase gnadenloser Erosion befindet. Zugrunde gelegt wird zumeist ein weiter Arbeitsbegriff, der die strikte Bindung an die Erwerbsarbeit überwinden soll.

Einleitend wird von Knoflacher festgestellt, dass wir in verrückten Zeiten leben. Dem ist schon deswegen zuzustimmen, weil die Überlegungen der AutorInnen keine Gedanken mehr daran verschwenden, die Grundpfeiler des bisherigen Umgangs mit Arbeit (Vollbeschäftigung, rechtlich gut abgesicherte Arbeitsverhältnisse, starke kollektive Regulierungen, ausreichende Existenzmittel durch Arbeit) – allenfalls auch mit Hilfe neuer Instrumente und Strategien (zB einer Supranationalisierung der Arbeitspolitik) – abzusichern. Es raubt einem schon den Atem, mit welch gefestigter Selbstüberzeugung sich ein Teil des (vermeintlich) fortschrittlichen, sozialen und emanzipatorisch orientierten Lagers von einer modernen, auf Wachstum, Technik und kraftvolle staatliche Regulierungen setzende Gestaltung der Arbeitsbeziehungen ohne weiteres verabschiedet hat und auf Utopien setzt, deren Realisierung derzeit de facto sehr unwahrscheinlich ist. Weder kommen europapolitische Optionen ins Blickfeld noch wird versucht, neue makroökonomische Rahmenbedingungen oder auch die kollektive Gegenmacht des Faktors Arbeit als Abhilfe gegen die weitgehend richtigen Diagnosen in Stellung zu bringen. Dass das Kapital einen radikalen Klassenkampf gegen die wertschöpfende Lohnarbeit führt, dazu sucht man vergeblich auch nur eine kleine Randbemerkung.

Der Beitrag von Kellermann bietet dem Leser eine systematische Aufbereitung der Problematik einer angemessenen und zeitgemäßen Organisation der Arbeitswelt und der Arbeitsbeziehungen. Kellermann kritisiert einen verkürzten Arbeitsbegriff. Das heute419proklamierte Recht auf Arbeit sei eigentlich als ein Recht auf Einkommen anzusehen. In Wahrheit ginge es aber um ein Recht auf ein zeitgemäßes Leben. Kellermann betont den anthropologischen Zusammenhang von Bedürfnis und Arbeitsvermögen. Von einem bedingungslosen Grundeinkommen erwartet er sich, anstelle der Fokussierung der Arbeit auf Einkommen, eine Betonung der Qualität der Arbeitsprozesse und seiner Produkte. Ausschlaggebend für geglückte Arbeit sei weniger der finanzielle, sondern der soziale und psychische Lohn. Das Arbeitsvermögen ausschließlich auf den Gelderwerb zu konzentrieren sei der Grundfehler der heutigen Konzeption.

Interessante Facetten finden sich im Beitrag von Hildegard Nickel. Sie stellt die Frage, inwieweit Frauen Pionierinnen des Wandels sind und untersucht das Versprechen auf Selbstbestimmung durch Erwerbsarbeit. Konstatiert wird, dass die Subjektpotenziale der Arbeitenden zunehmend zur Produktivitätsressource werden. Die Individuen müssten zunehmend sich selbst und ihren ambivalenten Arbeits- und Lebenszusammenhang organisieren. Dadurch sei Druck auf die arbeitsweltlichen Rahmenbedingungen zu erwarten. Inzwischen würden zunehmend (vor allem qualifiziertere) Frauen und auch jüngere Männer ihre Ansprüche auf ein „Leben jenseits der Erwerbsarbeit“ geltend machen. Ein derartiger Transformationsprozess könne aber ohne Demokratisierung von unten nicht gelingen. Skeptisch beurteilt sie die These, die Dienstleistungsgesellschaft werde die Ungleichheiten im Geschlechterverhältnis abschleifen. Die Frauenfrage sei nach wie vor eine soziale Frage. Geschlechterungleichheit entstehe vor allem durch die gesellschaftliche Missachtung von Reproduktionsarbeit. Das herrschende System kennzeichnet sie als „makroökonomischen Androzentrismus“. Ist damit gemeint, dass die Bewegungsgesetze und ökonomischen Dynamiken kapitalistischer Ökonomien feministisch unterlaufen werden können? Das wäre ein theoretischer Rückfall, nämlich eine Gleichstellung feministischer Perspektiven mit den Kernwidersprüchen kapitalistischer Gesellschaften.

Höchst gewinnbringend ist die Lektüre des Beitrags von Karin Sardadvar und Ursula Holtgrewe. Sie beschäftigen sich unter dem Titel „Zum Glück ein Job?“ mit den Arbeitsbedingungen und der Verwundbarkeit in Niedriglohnbranchen ausgewählter europäischer Wachstumsbranchen, gestützt auf europaweite Studien, die „Work and Life Quality in New and Growing Jobs“ in 11 Ländern untersucht haben. Dabei wird ein präzises, durch überzeugende Kommentierungen begleitetes Bild von den Ursachen und Wirkungsmechanismen prekärer Niedriglohnarbeit gezeichnet. Beschrieben werden Kombinationen von flexiblen Arbeitszeiten, atypischen Arbeitsformen, Wettbewerbsdruck, physischen und psychischen Belastungen und der schwachen Repräsentation dieser Arbeitskräfte im System der tradierten kollektiven Akteure. Als besonders prekär erweisen sich die Branchen Altenpflege, Reinigung und Catering. Der Beitrag endet mit einer Reihe von Forderungen und Maßnahmen, die die Situation nachvollziehbar verbessern könnten.

Manuela Vollmann und Daniela Hirsch stellen in ihrem Beitrag „Arbeit neu bewerten – neu verteilen – neu managen“ neue Zugänge zur gesellschaftlichen Arbeit vor, wobei sie den sehr weiten Arbeitsbegriff von Frigga Haug übernehmen. Mit Adelheid Biesecker sollte es in den Unternehmen zu einer Umverteilung von hohen zu niedrigen Lohneinkommen kommen. Erforderlich sei auch eine massive Arbeitszeitverkürzung, die auch eine gerechtere Aufteilung der Sorgearbeit bewirken soll. Besonders hervorgehoben werden Lösungsansätze, die auf Unternehmensebene ansetzen. In concreto sind die Vorschläge aber eher enttäuschend: Gemeinwohlorientierte Unternehmen, flexible Arbeitszeitmodelle und Job Sharing können hilfreich sein, werden aber die angestrebte große Wende nicht herbeiführen. Bei der Umsetzung hoffen die Autorinnen etwa auf die „Generation Y“ und auf eine Neuorientierung der Führungskräfte. Auch das wird wohl nicht genügen.

Theo Wehner und Sascha Liebermann stellen eine große Frage: „Würden Menschen arbeiten, wenn sie über ein bedingungsloses Grundeinkommen verfügen?“ Überzeugende Antworten bleibt der Beitrag – das kommt nicht unerwartet – schuldig. Sie betrachten Sinnstiftung und Einkommenserzielung als zwei voneinander unabhängige Dimensionen. Kernthese ist, dass bei Gewährung eines Grundeinkommens die Erwerbsarbeit nicht an Attraktivität verlieren würde. Mit den in großer Zahl vorhandenen, unangenehm harten Gegenargumenten setzen sie sich nicht auseinander. Sie verweisen zB auf die bestehenden Sozialhilfesysteme, die nicht zu einer Verweigerung von Arbeitsleistungen geführt haben. Ja, das ist soweit nicht ganz falsch, aber die Autoren verschweigen oder übersehen, dass dieser Typus der sozialen Absicherung genau gegenteilig zu einem bedingungslosen Grundeinkommen konstruiert ist. Seltsam ist ihre Haltung zu feministischen Positionen, die befürchten, die Sorgearbeit werde bei Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wieder an den Frauen hängen bleiben. Sie treten für einen „sozialisatorischen Schonraum“ für die Kinder ein, der durch Erwerbsarbeit (professionelle Kinderbetreuung) nicht bereitgestellt werden könne. Im Klartext: Sie zeigen sich erfreut über die besondere Anerkennung der Mutterrolle, die unter dem Regime eines bedingungslosen Grundeinkommens ermöglicht wird. Frauen hätten nämlich für die Sorgebeziehungen „auf Grund ihrer Leiberfahrung“ eine höhere Sensibilität. Man muss den Autoren für diese wenig diskutierte Facette des bedingungslosen Grundeinkommens dankbar sein. Sie liefern ungewollt einen weiteren Beweis dafür, dass das bedingungslose Grundeinkommen eine prä- oder postmoderne, gemütliche und biedermeierhafte Gesellschaft mit einem hohen Stellenwert der Gemeinschaften und mit dem Ziel von Selbstverwirklichung in Nischen abstützen soll. Es zeigt sich, dass für die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens eine moderne Arbeitsgesellschaft mit ihrer hohen Komplexität und ihren hohen Anforderungen unerwünscht ist.

Als besonders spannenden Teil des Bandes habe ich den Abdruck der Podiumsdiskussion empfunden. Hier werden einige der vorab präsentierten Thesen (etwa durch Christoph Klein) auf ihre Widersprüche und ihre Realisierbarkeit hin kritisch hinterfragt. Gerade der bedingungslosen Grundeinkommensidee, die zunehmend als Patentlösung für nahezu alle Probleme herhalten muss, wird damit ein Rendezvous mit der Realität offeriert. Hoffentlich nicht vergebens.420