LexerAuswirkungen der Arbeitszeitrichtlinie auf die Arbeitszeit der Ärzte

Verlag des ÖGB, Wien 2016 e-book inklusive, 104 Seiten, kartoniert, € 24,90

FLORIANG.BURGER (INNSBRUCK)

Es kommt nicht oft vor, dass juristische Diplomarbeiten so herausragend sind, um sie in einem Fachverlag publizieren und so einem breiteren Leserkreis zugänglich machen zu können. Dies macht dann Sinn, wenn sie wahre Perlen enthalten und es zu schade ist, sie in den Bibliotheksarchiven verstauben zu lassen. Beim vorliegenden Werk ist anzunehmen, dass es sich um die gleichnamige Diplomarbeit handelt, die die Autorin ein Jahr zuvor an der Universität Graz eingereicht hat, die dort als eine der besten Abschlussarbeiten ihres Jahrganges ausgezeichnet und mittlerweile – vermutlich aus markttechnischen Gründen – bis Oktober 2021 gesperrt wurde.

Das vorliegende Werk nimmt sich eines Themas an, um welches Arbeitsrechtsexperten schon seit den EuGH-Entscheidungen SIMAP im Jahr 2000 und Jaeger im Jahr 2003 wussten, das politisch aber erst 2014 wegen eines Aufforderungsschreibens der Europäischen Kommission virulent wurde: nämlich, dass Angehörige von Gesundheitsberufen in Krankenanstalten – vor allem ÄrztInnen – nicht in jeder einzelnen Woche bis zu 72 Stunden arbeiten dürfen, weil dies der Arbeitszeit-RL 2003/88/EG bzw deren Vorgänger-RL 93/104/EG widerspricht, und dass auch Arbeitsbereitschaft als Arbeitszeit gilt. Erst mit der KA-AZG-Novelle 2014 wurde eine weitgehende Unionsrechtskonformität hergestellt, indem stufenweise bis 2021 die wöchentliche Höchstarbeitszeitgrenze reduziert und für die Übergangszeit ein Opting-out-Modell auf Basis der Ausnahmebestimmung des Art 22 Abs 1 RL 2003/88/EG eingeführt wird. Weil sich diese Eindämmung der Überstunden durch den Bundesgesetzgeber auf das Einkommen der Klinikärzte niederschlug, waren die Länder gezwungen, dies mit Gehaltserhöhungen zu kompensieren; der politische Konflikt konnte in den Medien verfolgt werden.

Mit dem vorliegenden Werk werden die einschlägigen Inhalte der Arbeitszeit-RL vorgestellt und die neuen Bestimmungen der KA-AZG-Novelle 2014 juristisch analysiert. Ökonomische Überlegungen, etwa Form und Ausmaß der Kompensationszahlungen, oder Fragen des Ärztemangels bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Patientenversorgung, bleiben – nachvollziehbar, weil424juristische Diplomarbeit – außer Betracht. Das Augenmerk wird auf den ärztlichen Beruf gelegt, wenngleich sich dieselben Rechtsfragen bei allen Angehörigen von Gesundheitsberufen in Krankenanstalten stellen.

Auch wenn Michaela Lexer alle Aspekte von den Höchstarbeitszeitgrenzen über die Opting-out-Klausel bis hin zu den Ruhezeiten in den Blick nimmt, würde man sich als LeserIn an mehreren Stellen eine intensivere Auseinandersetzung – mit möglicherweise auch anderem Ergebnis – wünschen, so beispielsweise an der Schnittstelle zum alles andere als einfachen Bereich des öffentlichen Dienstrechtes: Zwar stellt die Autorin richtig dar, dass auch BeamtInnen dem KA-AZG unterliegen, genaugenommen ist dies aber nicht eine Frage des Rechtsträgers des Krankenhauses (S 22), ist auch keine Frage des Öffentlichkeitsrechts (S 66: „öffentliches Krankenhaus“), sondern eine Frage der Person des DG. Denn bei ausgegliederten Landeskrankenanstalten ist der Rechtsträger eine in Landeshand befindliche GmbH und somit privat – unabhängig davon, ob das Öffentlichkeitsrecht verliehen wurde –, während der DG der dorthin überlassenen BeamtInnen freilich weiterhin das jeweilige Bundesland bleibt. Weiters ist Lexers Aussage „Die Krankenanstalten des Bundes werden, im Gegensatz zu den Krankenanstalten der Länder, nie als Betriebe geführt und gelten daher stets als Dienststellen.165“ (S 64) zu hinterfragen. Denn einerseits gelten die vom Bund geführten Krankenanstalten – vier Heeresspitäler und die beiden Sonderkrankenanstalten der Justizanstalt Wien-Josefstadt – nicht als sonstige Verwaltungsstellen iSd § 33 Abs 2 Z 2 ArbVG (vgl etwa Strasser in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 33 Rz 11), andererseits erfüllen sie dann den Betriebsbegriff des § 34 ArbVG, wenn sie eine organisatorische Einheit bilden, was zwar eine Frage der konkreten Ausgestaltung ist, wohl aber im Regelfall bejaht werden kann (dazu eingehender Stärker, Krankenanstalten: Betriebsrat oder Personalvertretung?ecolex 2003, 431). In FN 165 führt die Autorin zu ihrer Unterstützung Klein, KA-AZG (1998) 59 an, der jedoch in seiner Kommentierung richtig anmerkt, dass Betriebsräte die Interessen von DN „in Krankenanstalten des Bundes, wenn die Krankenanstalt als Betrieb geführt wird (was laut den EB zur RV in der Regel nicht der Fall ist)“ vertreten. Die sakrosankte Aussage in den ErläutRV 386 BlgNR 20. GP 10 („Die Krankenanstalten des Bundes werden als Dienststellen geführt und fallen daher nicht unter das ArbVG“) hätte die Autorin daher näher beleuchten können. Jedenfalls zu überdenken ist es, wenn sie von AN spricht, „deren Arbeitsverhältnis auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruht“ und dabei BeamtInnen meint (S 65).

Auf S 58 stellt Lexer richtigerweise fest, dass die Pflicht des DG, ein aktuelles Verzeichnis der DN zu führen, die einer Verlängerung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit schriftlich zugestimmt haben (§ 11b Abs 3 KA-AZG), nicht im Strafkatalog des § 12 KA-AZG aufgenommen wurde. Doch nach ihrer Ansicht sei dies auch nicht erforderlich gewesen, da die Strafbestimmung des § 24 Abs 1 lit d ArbIG Anwendung fände. Dies ist mE jedoch zu bezweifeln: Nach dem ArbIG ist zu bestrafen, wer als AG entgegen § 8 Abs 3 ArbIG Unterlagen, Ablichtungen, Abschriften oder Auszüge nicht übermittelt. § 8 Abs 3 ArbIG definiert lediglich die Pflicht zur Übermittlung – und § 8 Abs 1 ArbIG die Pflicht zur Vorlage – all jener Unterlagen, die mit dem AN-Schutz im Zusammenhang stehen, worunter unzweifelhaft auch das Verzeichnis des § 11b Abs 3 KA-AZG zu verstehen ist. § 8 ArbIG enthält aber keine Pflicht zur Führung bzw Erstellung dieser Unterlagen, weshalb nur solche Unterlagen vorzulegen bzw zu übermitteln sind, die tatsächlich vorhanden sind (vgl BMAS 60.010/1-3/93 ARD 4481/21/93; VwGH 9.7.1992, 91/19/0284). Wer daher als DG kein Verzeichnis nach § 11b Abs 3 KA-AZG führt, kann daher auch nicht nach § 24 Abs 1 lit d ArbIG wegen Nichtübermittlung bestraft werden. Festzustellen bleibt daher lediglich eine mangelhafte Umsetzung des Art 22 Abs 1 lit c RL 2003/88/EG, weil die Umsetzungsnorm des § 1b Abs 3 KA-AZG nicht effektiv ist.

Gem § 3 Abs 2 Z 1 KA-AZG darf die Wochenarbeitszeit innerhalb eines Durchrechnungszeitraumes von bis zu 17 Wochen im Durchschnitt 48 Stunden nicht überschreiten, gleiches gilt bei verlängerten Diensten nach § 4 Abs 4 Z 2 KA-AZG, soweit vom Opting-out des § 4 Abs 4b KA-AZG nicht Gebrauch gemacht wurde. Erkennbar knüpft diese Regelung an Art 6 RL 2003/88/EG an. Lexer lehnt dabei eine rollierende Durchschnittsbetrachtung (dh Woche für Woche oder gar Tag für Tag beginnt ein neuer, jeweils für sich zu betrachtender Durchrechnungszeitraum; vgl das Beispiel bei Burger in

Reissner/Neumayr
[Hrsg], Zeller Handbuch Betriebsvereinbarungen [2014] Rz 43.29), wie sie für Schrank, Arbeitszeitgesetze-Kommentar3 (2015) § 9 AZG Rz 12 sowie § 3 KA-AZG Rz 10, am naheliegendsten erscheint, mit der Begründung ihrer Kompliziertheit ab (S 41). Abgesehen davon, dass für Arbeitszeitverwaltungssoftware diese zusätzlichen Berechnungen kaum auf Schwierigkeiten stoßen werden, ist auch methodisch fraglich, ob AN-Schutzbestimmungen aus Gründen ihrer Praktikabilität zu Lasten des AN vereinfacht ausgelegt werden können. ME wird man von einem rollierenden Durchrechnungszeitraum ausgehen müssen (anders beim Durchrechnungszeitraum des § 4 Abs 4 oder 6 AZG); wer als AG aus Gründen des administrativen Aufwandes für alle AN einheitliche Durchrechnungszeiträume haben möchte, die obendrein auch nicht rollierend, sondern seriell (dh erst nach Ende des einen Durchrechnungszeitraumes beginnt ein neuer) geordnet sind, kann dies durch entsprechend kürzere Durchrechnungszeiträume – mit acht Wochen ist man auf der sicheren Seite – erreichen. § 9 Abs 4 AZG enthält zwar dieselbe Rechtsfrage, auf die dazu ergangene Literatur nimmt die Autorin hingegen keinen Bezug (zB auf Grillberger in
Grillberger
, Arbeitszeitgesetz3 [2011] § 9 Rz 8).

Im Anwendungsbereich des KA-AZG (S 22) würde sich auch die Untersuchung lohnen, wie jene DN zu behandeln sind, die – beim selben DG – zum Teil innerhalb, zum Teil außerhalb der Krankenanstalt eingesetzt werden, wie etwa soldatische SanitäterInnen eines Heeresspitals im Feld. Eine nähere Untersuchung verdient etwa auch die Frage, wie die VertreterInnen der von der Arbeitszeitgestaltung betroffenen DN – die von Lexer hier verwendete Bezeichnung „Personalvertretung“ ist missverständlich, weil es keine Personalvertretung iSd PVG ist, und auch falsch, wenn sie diese Bezeichnung als wörtliches Zitat dem § 3 Abs 3 KA-AZG entnehmen möchte (S 65; FN 173) – eigentlich ermittelt werden, mit denen das betriebliche Vertretungsorgan das Einvernehmen herzustellen hat. In diesem Zusammenhang425vertritt die Autorin die Ansicht, dass dieses Einvernehmen ein Gültigkeitserfordernis der BV sei, lässt aber beispielsweise Resch, Herstellung des Einvernehmens mit Ärztevertretern beim Abschluss der Betriebsvereinbarung nach KA-AZG, RdM 2011/85, 115 oder Standeker/Fischl, Krankenanstalten-Arbeitszeit NEU (2008) 15 ff ebenso unerwähnt wie die gegenteilige, wenngleich vereinzelt gebliebene E OGH9 ObA 156/09w, DRdA 2012/32, 405 (zust Grillberger).

Besonders interessant sind die im 11. Kapitel in Aussicht genommenen Auswirkungen auf Landesebene, wobei sich Lexer – vor dem Hintergrund der Diplomarbeit verständlich – nur auf Steiermark und Kärnten beschränkt. Dass jedoch in Tirol im Zuge der KA-AZG-Novelle 2014 kein Handlungsbedarf bestanden habe (S 92), wofür Lexer lediglich ein Gespräch mit einem Mitglied des Zentral-BR der Steiermärkischen KrankenanstaltengmbH als Belegstelle anführt, hätte durch eine einfache Medienrecherche leicht widerlegt werden können. Die Ausführungen in diesem 11. Kapitel enthalten leider keine tiefergehenden juristischen Analysen, sondern stellen sich in überwiegenden Teilen als eine mit Gesetzeszitaten angereicherte Umformulierung einer Pressemitteilung dar.

Auch sonst finden sich an verschiedenen Stellen Ungenauigkeiten: So sind etwa Sozialpartner und BR keine „Vertreter des Arbeitnehmers“ (S 52), weshalb allein deshalb die Zustimmung des AN nach § 4 Abs 4b KA-AZG nicht durch KollV oder BV ersetzt werden kann. Fraglich ist auch, ob während eines Bereitschaftsdienstes – auch wenn Arbeitsbereitschaft gemeint war – dem AN wirklich „jegliche Selbstbestimmung über die Gestaltung seiner Zeit genommen“ werde (S 97). Und der Durchrechnungszeitraum setzt sich nicht „entweder aus 17 Wochen, ggf aber auch aus 26 bzw 52 Wochen“ zusammen (S 42), sondern aus bis zu 17, 26 bzw 52 Wochen. Lexer erwähnt auch ausdrücklich, „dass mit dem aus dem KA-AZG entnommenen Begriff des ‚medizinischen Personals‘ in diesem Buch grundsätzlich Ärzte gemeint sind“ (S 22), obwohl der als Wortzitat wiedergegebene Begriff des medizinischen Personals im gesamten KA-AZG kein einziges Mal vorkommt.246