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Trotz regelmäßigen Arbeitseinsatzes in Deutschland – keine Anwendung des Mindestlohngesetzes

WOLFGANGKOZAK (WIEN)
  1. Der Zweck des deutschen Mindestlohngesetzes, AN vor unangemessen niedrigen Löhnen zu schützen, betrifft vorrangig AN, die ständig bzw längerfristig und nicht nur vorübergehend ihre Arbeitstätigkeit in Deutschland verrichten.

  2. Weiterer Zweck des deutschen Mindestlohns ist es, die finanzielle Stabilität der sozialen Sicherungssysteme zu schützen.

  3. Bei der Entscheidung, ob den Eingriffsnormen iSd Art 9 Abs 1 Rom I-VO Wirkung zu verleihen ist, sind vom Gericht Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden.

  4. Eine Unterzahlung des deutschen Mindestlohnes wiegt bei lediglich kurzen Aufenthalten des AN in Deutschland geringer als die Einschränkungen eventueller Erwerbsmöglichkeiten durch die rechtlichen Erfordernisse bei Anwendung des deutschen Mindestlohngesetzes.

Der Kl war bei der Bekl vom 16.11.2013 bis 6.2.2015 als Mietwagenfahrer in Vollzeit (173 Stunden im Monat) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war der KollV für das Personenbeförderungsgewerbe mit Pkw anwendbar. Der Bruttomonatslohn des Kl betrug 1.207,11 €, der Bruttostundenlohn daher 6,98 €.

Die Bekl betreibt ein Mietwagengewerbe und bietet insb Flughafentransfers an. Die Zentrale der Bekl befindet sich in der Stadt Salzburg, von wo aus der Kl jeweils seinen Dienst mit Übernahme des Fahrzeuges begann und mit dessen Abstellen auch wieder beendete. Der Kl holte hauptsächlich Fluggäste des Flughafens München von deren Wohnsitz in Salzburg oder in der Umgebung von Salzburg ab und chauffierte sie nach München bzw von dort wieder zurück nach Salzburg. In der Zeit zwischen den Transporten hatte der Kl bis zum Rücktransport der nächsten Gäste Pause. In dieser Pausenzeit konnte er sich frei bewegen und über seine Pausenzeiten frei disponieren. Auch diese Zeiten entlohnte die Bekl mit einem Stundenlohn von 6,98 € brutto. Ab und zu hatte der Kl auch Dienst am Flughafenschalter der Bekl in München zu versehen. Der Kl verrichtete im Jänner 2015 in Deutschland tatsächlich Arbeit im Ausmaß von 50 Stunden und 52 Minuten. Die Zeiten der Rufbereitschaft betrugen 41 Stunden und 41 Minuten.

Der Kl begehrt von der Bekl 125,46 € brutto sA an restlichem Lohn. Für die von ihm im Jänner 2015 in Deutschland erbrachten Arbeitsleistungen im Ausmaß von 23,92 Normalarbeitsstunden und 39,08 Überstunden stehe ihm nach dem auch für AG mit Sitz in Österreich anwendbaren deutschen Mindestlohngesetz (MiLoG) ein Arbeitsentgelt von mindestens 8,50 € brutto je Zeitstunde (für die Überstunden mit einem Zuschlag von 50 %) zu.

Die Bekl bestritt das Klagebegehren und – soweit für das Revisionsverfahren relevant – die Anwendbarkeit des deutschen MiLoG auf das Arbeitsverhältnis des Kl. Dieses greife unzulässigerweise in die Dienstleistungsfreiheit ein. Im Übrigen habe der durchschnittliche Stundenlohn des Kl gar nicht weniger als 8,50 € betragen. Dem Kl sei nämlich auch für Rufbereitschaftszeiten ein Bruttostundenlohn von 6,98 € bezahlt worden. Nach dem MiLoG gebühre der Mindestlohn aber nur für konkrete Einsatzzeiten. In Deutschland gebührten auch keine Sonderzahlungen.

Mit Beschluss vom 16.7.2015 verwarf das Erstgericht die von der Bekl erhobene Einrede der internationalen Unzuständigkeit.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Auf den vorliegenden grenzüberschreitenden Sachverhalt komme gem Art 8 Rom I-VO österreichisches Arbeitsrecht zur Anwendung. Die Niederlassung der Bekl liege in Salzburg, die Fahrten des Kl hätten jeweils dort begonnen und geendet, und es wären hauptsächlich Fluggäste aus dem Raum Salzburg befördert worden. § 20 MiLoG, der AG mit Sitz im In- oder Ausland verpflichte, ihren im Inland beschäftigten AN ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohnes nach § 1 Abs 2 MiLoG (8,50 € je Zeitstunde) zu zahlen, könne nicht als Eingriffsnorm iSd Art 9 Rom I-VO angesehen werden. Die Transitfahrten der Bekl berührten nämlich den Arbeitsmarkt und Wettbewerb des Transitlandes Deutschland nicht erheblich.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Richtig sei, dass auf das gegenständliche Arbeitsverhältnis gem Art 8 Abs 2 Rom I-VO österreichisches Arbeitsrecht Anwendung finde. Die Frage, ob § 20 MiLoG auf den vorliegenden Fall anzuwenden sei, könne aber letztlich dahin gestellt bleiben, weil der Kl daraus keine Ansprüche ableiten könne. Gehe man nämlich davon aus, dass die Regelung als Eingriffsnorm anzusehen sei, wäre Art 9 Abs 3 Rom I-VO anzuwenden. Danach könne den Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, Wirkung verliehen werden, soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden ließen. Die Erfüllung des gegenständlichen Arbeitsvertrags wäre bei einer Tätigkeit des Kl in Deutschland dann unrechtmäßig gewesen, wenn der deutsche Mindestlohn von 8,50 € pro Zeitstunde nicht erzielt worden wäre. Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz (ArbZG) fielen aber nur Zeiten der Arbeitsbereitschaft und des Bereitschaftsdienstes, nicht jedoch jene der Rufbereitschaft unter den Begriff der nach dem MiLoG zu entlohnenden Arbeitsstunde. Rechne man die von der Bekl vorgenommene Entlohnung für diese Rufbereitschaftszeiten, die auch ein Entgelt für die Leistungserbringung in Deutschland darstelle und die monatlich unwiderruflich gewährt worden sei, auf die Zeitstundenvergütung an, werde der deutsche381Mindestlohn für die in Deutschland erbrachten Arbeitsleistungen weit übertroffen. [...]

Rechtliche Beurteilung

[...]

1. Auf den gegenständlichen, nach dem 16.12.2009 geschlossenen Arbeitsvertrag findet die Verordnung (EG) Nr 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) Anwendung (Art 28 Rom I-VO). Nach deren Art 8 Abs 2 unterliegt der Individualarbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem oder andernfalls von dem aus der AN in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, soweit das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht nicht durch Rechtswahl bestimmt ist. Der Staat, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird, wechselt nicht, wenn der AN seine Arbeit vorübergehend in einem anderen Staat verrichtet.

Dass nach dieser Kollisionsnorm auf das vorliegende Arbeitsverhältnis grundsätzlich österreichisches Arbeitsrecht Anwendung findet, weil die Arbeitsvertragsparteien keine Rechtswahl vorgenommen haben, der Kl seine Dienste jeweils von Österreich aus antrat und auch dort beendete und sein Arbeitseinsatz in Deutschland nur vorübergehend war (vgl Erwägungsgrund 36 Rom I-VO; EuGH 15.3.2011, C-29/10, Koelzsch, Rn 49 f), wird von den Parteien im Revisionsverfahren nicht weiter in Frage gestellt.

Der Kl beruft sich im Verfahren auch nicht (iSd Art 23 Rom I-VO) auf die Anwendung der RL 96/71/EG des europäischen Parlaments und des Rates über die Entsendung von AN im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vom 16.12.1996 (Entsende-RL) und die sich aus deren Art 3 Abs 1 allenfalls ergebende Anwendung des § 20 MiLoG auf das Arbeitsverhältnis. Insb erstattete er kein Sachverhaltsvorbringen zum Vorliegen eines Entsendetatbestands iSd Art 1 Abs 3 lit a bis c der Entsende-RL.

2. Somit stellt sich die Frage, ob die Bestimmungen der §§ 1, 20 des deutschen MiLoG als Eingriffsnormen iSd Art 9 Rom I-VO angesehen werden können und auf das gegenständliche, dem österreichischen Arbeitsrecht unterliegende Arbeitsverhältnis einwirken. Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insb seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen (Art 9 Abs 1 Rom I-VO). Eingriffsnormen – diese können öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur sein (2 Ob 122/11x) – stellen staatliche Zwangsvorschriften dar, die im öffentlichen Interesse aus ordnungspolitischen Gesichtspunkten, also insb aus beschäftigungs-, gesundheits- oder sozialpolitischen Überlegungen auf das Arbeitsverhältnis am jeweiligen Beschäftigungsort einwirken, selbst wenn dieser nur vorübergehend wäre (9 ObA 65/11s; Wolfsgruber in ZellKomm2 Art 9 Rom I-VO Rz 32; Pfeil, Grenzüberschreitender Einsatz von Arbeitnehmern [Teil I], DRdA 2008, 3 [8]; Musger in KBB4, Art 9 Rom I-VO Rz 1 unter Bezugnahme auf EuGH 23.11.1999, C-369/96 ua, Arblade, Rz 30). Ob eine Norm internationalen Geltungswillen beansprucht, bestimmt der Staat, der eine solche Vorschrift erlässt (9 ObA 65/11s; 2 Ob 40/15v; Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR [2016] Art 9 Rom I-VO Rn 8 f).

3. Nach § 20 des – gem Art 15 Abs 1 des Tarifautonomiestärkungsgesetzes am 16.8.2014 in Kraft getretenen – deutschen Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG) sind AG mit Sitz im In- oder Ausland verpflichtet, ihren im Inland beschäftigten AN ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns nach § 1 Abs 2 spätestens zu dem in § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 2 genannten Zeitpunkt zu zahlen. Jede/r AN hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den AG (§ 1 Abs 1 MiLoG). Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1.1.2015 brutto 8,50 € je Zeitstunde (§ 1 Abs 2 Satz 1 MiLoG), ab dem 1.1.2017 8,84 €. Die Fälligkeit des Mindestlohns regelt § 2 MiLoG. In § 21 Abs 1 Z 9 MiLoG finden sich Bußgeldvorschriften auch für den Fall eines Verstoßes gegen § 20 MiLoG.

4. Selbst wenn man nun unter Anwendung der unter Pkt 2 genannten Erwägungen in Einklang mit der österreichischen (Niksova, Das deutsche Mindestlohngesetz in grenzüberschreitenden Sachverhalten, ZAS 2016/28, 156 [162]; Windisch-Graetz, Grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse im Spannungsfeld von Rom I und Entsenderichtlinie, ZfRV 2015/24, 192 [197]) und deutschen Lehre (BeckOK ArbR/Greiner MiLoG § 20 Rn 1-2; ErfK/Franzen MiLoG § 20 Rn 1; Franzen, Mindestlohn und kurzzeitige Beschäftigung in Deutschland, EuZW 2015, 449; Pfeiffer, Der internationale Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes, in FS Coester-Waltjen [2015] 612 mwN; Sittard, Gilt das Mindestlohngesetz auch beim Kurzeinsatz in Deutschland?NZA 2015, 78 [79]) davon ausgeht, dass die §§ 1, 20 MiLoG Eingriffsnormen iSd Art 9 Abs 1 Rom I-VO sind, wäre für den Kl nichts gewonnen.

5.1. Die unmittelbare Anwendung von Eingriffsnormen iSd Art 9 Abs 1 Rom I-VO setzt nämlich nach Art 9 Abs 3 Satz 1 Rom I-VO voraus, dass den Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, Wirkung verliehen wurde, soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen. Unter „Wirkungsverleihung“ ist sowohl die unmittelbare Anwendung einer im Recht des Erfüllungsorts enthaltenen Sanktion (Nichtigkeit, Anfechtbarkeit) als auch die Berücksichtigung der Norm als Erfüllungshindernis im Rahmen des Vertragsstatuts (Unmöglichkeit der Leistung) zu verstehen (Musger in KBB4 Art 9 Rom I-VO Rz 4 mwN).

5.2. Bei der Entscheidung, ob den Eingriffsnormen iSd Art 9 Abs 1 Rom I-VO Wirkung zu verleihen ist, werden Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus382ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden (Art 9 Abs 3 Satz 2 Rom I-VO). Die Einbeziehung von Art und Zweck der ausländischen Eingriffsnorm in diese Ermessensentscheidung des Gerichts ermöglicht dem Richter eine materiellrechtliche Bewertung der ausländischen Eingriffsnorm (Rauscher/Thorn, EuZPR/EuIPR [2016] Art 9 Rom I-VO Rn 71).

5.3. Der deutsche Gesetzgeber wollte, wie aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 18/1558, 2) hervorgeht, durch die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns AN vor unangemessen niedrigen Löhnen schützen. Zugleich trage der Mindestlohn dazu bei, dass der Wettbewerb zwischen den Unternehmen nicht zu Lasten der AN durch die Vereinbarung immer niedrigerer Löhne, sondern um die besseren Produkte und Dienstleistungen stattfinde. Das Fehlen eines Mindestlohns könne ein Anreiz sein, einen Lohnunterbietungswettbewerb zwischen den Unternehmen auch zu Lasten der sozialen Sicherungssysteme zu führen, weil nicht existenzsichernde Arbeitsentgelte durch staatliche Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende „aufgestockt“ werden könnten. Der Mindestlohn schütze damit die finanzielle Stabilität der sozialen Sicherungssysteme.

Der Zweck des deutschen Mindestlohngesetzes, AN vor unangemessen niedrigen Löhnen zu schützen, betrifft vorrangig AN, die ständig bzw längerfristig und nicht nur vorübergehend ihre Arbeitstätigkeit in Deutschland verrichten. Denn sie kommen nicht unerheblich mit den deutschen Lebenshaltungskosten in Berührung. Dass auch der Kl, der nur fallweise und kurzfristig mit Arbeitseinsätzen in Deutschland betraut und nach dem österreichischen KollV für das Personenbeförderungsgewerbe mit Pkw entlohnt wurde, einen besonderen Bezug zu den deutschen Lebenshaltungskosten aufwies und einen dazu im Verhältnis unangemessenen Lohn bezog, hat er nicht behauptet. Berücksichtigt man weiters, dass den vom AG in Österreich – im Gegensatz zu jenen in Deutschland – beschäftigten Taxilenkern nach Art XV des Bundes-KollV für das Personenbeförderungsgewerbe mit Pkw (Arbeiter) bzw Art XIV Bundes-KollV für das Personenbeförderungsgewerbe mit Pkw (Angestellte) an Sonderzahlungen eine Urlaubs- und Weihnachtsremuneration zusteht, dann ist auch die Gefahr des Lohndumpings durch österreichische AG in Deutschland nicht evident. Gegenteiliges hat auch der Kl nicht behauptet.

Der Stundenlohn nach dem in Rede stehenden KollV beträgt in Österreich inklusive der Sonderzahlungen 8,14 € brutto ([1.207, 11 x 14:12]:173). Der Unterschied zwischen dem kollektivvertraglichen Stundenlohn in Österreich und dem deutschen Mindeststundenlohn nach dem MiLoG von 8,50 € beläuft sich daher auf 0,36 Cent pro Arbeitsstunde. Der Kl hätte somit bei Nichtanwendung des deutschen MiLoG für seine festgestellten Arbeitsverrichtungen in Deutschland einen um diesen Betrag geringeren Grundstundenlohn erhalten.

Der Zweck des deutschen Mindestlohns, die finanzielle Stabilität der sozialen Sicherungssysteme zu schützen, kommt im vorliegenden Fall nicht zum Tragen. Der Kl hat nämlich auch nicht behauptet, am deutschen sozialen Sicherungssystem teilzunehmen.

5.4. Die Folgen der Anwendung des deutschen MiLoG für den bekl AG mit Sitz in Österreich sind hingegen gravierend. Wird ein AN vom österreichischen AG, wie im Anlassfall, an einzelnen Tagen und kurzfristig mit der teilweisen Verrichtung von Arbeitstätigkeiten in Deutschland betraut, wird er durch die umfassenden, ihn treffenden Melde- und Dokumentationspflichten gem §§ 16, 17 MiLoG beschränkt (BeckOK ArbR/Greiner, MiLoG § 22 Rn 5; ErfK/Franzen, MiLoG § 20 Rn 2; Franzen, Mindestlohn und kurzzeitige Beschäftigung in Deutschland, EuZW 2015, 449 [450]). Damit wäre unter Umständen – wie im vorliegenden Fall – jede spontane Tätigkeit der Bekl in Deutschland (zB eine sofortige Taxifahrt nach Anruf eines Kunden von Salzburg nach München) faktisch unmöglich (vgl Sittard, Gilt das Mindestlohngesetz auch beim Kurzeinsatz in Deutschland?NZA 2015, 78 [82]). Gem § 16 Abs 1 MiLoG sind AG mit Sitz im Ausland nämlich verpflichtet, schon vor Beginn jeder Werk- oder Dienstleistung eine schriftliche Meldung in deutscher Sprache bei der zuständigen Behörde der Zollverwaltung vorzulegen, in der ua Name, Beginn, Dauer und Ort der Beschäftigung zu nennen sind. § 17 Abs 1 MiLoG verpflichtet in bestimmten Fällen ausländische AG – wie auch hier die Bekl –, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der in Deutschland beschäftigten AN spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertags aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Die seit 1.8.2015 in Kraft getretene Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung (MiLoDokV) sieht zwar eine Erleichterung dahingehend vor, dass die Melde- und Dokumentationspflichten der §§ 16, 17 MiLoG für solche AN nicht gelten, deren monatliches Entgelt 2.985 € brutto überschreitet oder 2.000 € brutto, wenn der AG dieses Entgelt nachweislich für die letzten vollen 12 Monate bezahlt hat, doch trifft dies auf das gegenständliche Arbeitsverhältnis nicht zu.

6. Die abschließende Abwägung der unter Pkt 5.3. beschriebenen Folgen für den Kl durch die Nichtanwendung des MiLoG mit jenen unter Pkt 5.4. dargelegten für die Bekl durch eine Anwendung des MiLoG lässt es unter Berücksichtigung von Art und Zweck der Bestimmungen der §§ 1, 20 des deutschen Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG) gerechtfertigt erscheinen, diesen Bestimmungen im vorliegenden Fall keine Wirkung iSd Art 9 Abs 3 Satz 2 der VO (EG) Nr 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) zu verleihen. Dies führt im Ergebnis dazu, dass die Bestimmungen der §§ 1, 20 MiLoG auf das konkrete im Anlassfall zu beurteilende Arbeitsverhältnis nicht anzuwenden sind. Es bleibt daher nach Art 8 Abs 2 Rom I dabei, dass der dem Kl zustehende Lohn nach österreichischem Recht zu beurteilen ist. [...]383

ANMERKUNG

Vorliegende E stellt im Arbeitsrecht die erste Beschäftigung des OGH mit der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen dar. Zusätzliche Brisanz erhält die E dadurch, dass es sich um eine Eingriffsnorm mit dem Inhalt der Festlegung einer Mindestlohnhöhe eines Mitgliedstaates der EU, nämlich Deutschland, handelt und die E daher für den Unionsraum als exemplarisch angesehen werden kann. Nichtsdestoweniger überrascht der gesamte Entscheidungsgang dadurch, dass der Rechtsfragenkomplex der Entsendung in der rechtlichen Beurteilung zur Gänze ausgeblendet blieb.

1.
Unvollständiges Sachverhaltsvorbringen?

Die ausschließliche Beschäftigung mit der Anwendung von ausländischen Eingriffsnormen argumentiert der OGH damit, dass der klagenden Partei (Kl) im Verfahren kein Sachverhaltsvorbringen hinsichtlich des Vorliegens einer Entsendung und auch keinerlei rechtliches Vorbringen hinsichtlich Anwendung der Entsende-RL erstattet hat. Da jedenfalls im Verfahren gerade bei Erörterung schwieriger Rechtsprobleme (und bei Vertretung durch Rechtsanwälte) Rechtsausführungen geboten sind (Brenn in

Fasching/Konecny
, Zivilprozessgesetze II/33 § 177 ZPO (Stand: 1.10.2015, rdb. at), erschien dies dem Gericht als wesentliches Versäumnis im Rahmen des Vorbringens der Kl mit der Folge, dass rechtliche Überlegungen bezüglich des Vorliegens einer Entsendung letztlich auch in der Revisionszurückweisung nicht angestellt wurden. Gerade bei vorliegendem Sachverhalt spielt die Einordnung, ob eine Entsendung vorliegt, eine wesentliche Rolle, auch wenn fraglich ist, ob die Qualifizierung des Sachverhaltes als Entsendung im unionsrechtlichem Sinn die nähere Beschäftigung mit der Wirkung von Eingriffsnormen dem Höchstgericht erspart hätte.

2.
Vorliegen einer Entsendung

Unionsrechtlich gesehen ist eine Entsendung iSd Entsende-RL dann gegeben, wenn – eingeschränkt auf gegenständlichen Fall – eine Dienstleistung grenzüberschreitend mit AN aufgrund eines Vertrages mit einem im Empfangsstaat ansässigen Dienstleistungsempfänger erbracht wird. Neben Unternehmen können Dienstleister auch Privatpersonen sein, die lediglich eine tatsächliche Tätigkeit im Empfangsstaat entfalten müssen (vgl Rebhahn in

Franzen/Gallner/Oetker
[Hrsg], Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht [2016] Art 1 RL 96/71/EG Rz 52).

Diese Rechtsansicht führt jedenfalls dazu, dass danach unterschieden werden müsste, ob a) Kunden die Taxifahrt in Salzburg gebucht und angetreten haben, oder b) vom Münchner Flughafen aus eine Taxifahrt buchen, ohne dass das Unternehmen Fahrer und Wagen am Flughafen bereithält oder, ob c) am Schalter des Taxiunternehmens am Flughafen die Fahrt nach Österreich vereinbart wurde. Lediglich bei b) und c) könnte ab Vertragsabschluss von einer Entsendung gesprochen werden, wobei im zweiten Fall die Fahrt nach München und zurück umfasst wäre, im dritten Fall lediglich die Fahrt vom Flughafen nach Österreich der Definition der Entsendung entspräche.

Inwieweit ein Überwiegen des Aufenthalts des Dienstleistungsempfängers eine Rolle spielt (10 Minuten Fahrt in Salzburg Stadt, zumindest eine Stunde nach München), wurde – soweit ersichtlich – bis dato im Schrifttum nicht behandelt, da sich dieses Kriterium regelmäßig aus der Dienstleistungserbringung im Empfangsstaat ergibt.

Führt man die Überlegungen von Rebhahn hinsichtlich des Schutzzwecks der Entsende-RL vor Wettbewerbsverzerrungen durch Ausnützen zwischenstaatlicher Lohngefälle weiter (Rebhahn, Europäisches Arbeitsrecht, Art 1 RL 96/71/EG Rz 53), so wäre mE auch vertretbar, Reisebewegungen des Dienstleistungsempfängers, die entweder den Endpunkt oder den Anfangspunkt im Empfangsstaat aufweisen, unter den unionsrechtlichen Entsendebegriff grundsätzlich zu subsumieren, um willkürliche Ergebnisse – wie oben dargestellt – im Rahmen vergleichbarer Sachverhalte zu vermeiden, da nun alle Sachverhalte unter einen kollisionsrechtlichen Entsendungsbegriff subsumierbar wären. So stellt Niksova (Keine Anwendung des Mindestlohngesetzes bei Flughafentransfers aus Österreich nach Deutschland – Eine Frage der Auslegung des Art 9 Abs 3 Rom I-VO, EuZA [erscheint im Jahr 2017]) darauf ab, dass die Dienstleistung nur im Empfangsstaat konsumiert werden muss, unabhängig davon, wo der Dienstleistungsempfänger seinen Aufenthalt hat, damit von einer Dienstleistungsentsendung ausgegangen werden kann. Ebenso spricht das Schutzinteresse der Unternehmen im Empfangsstaat an einem fairen Wettbewerb für eine weite Auslegung des Richtlinientextes (Windisch-Graetz in Franzen/Gallner/Oetker [Hrsg], Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht Art 1 RL 96/71/EG Rz 53).

Sieht der Empfangsstaat in seiner Rechtsordnung auch keine Ausnahmen für kurzfristige Entsendungen hinsichtlich der Wirksamkeit seines gesetzlichen Mindestlohnes vor, so spricht auch die Beachtung des effet utile hinsichtlich des Regelungszwecks der Entsende-RL für diese auch bereits in der Literatur geäußerte Rechtsansicht (vgl zur Kabotage: Gagawczuk, Zum Mindestlohn beim grenzüberschreitenden Transitverkehr, DRdA 2016, 407 [404]).

Im gegenständlichen Fall hätte also bei geeignetem Vorbringen jedenfalls vom Vorliegen einer Entsendung ausgegangen werden können.

3.
Entsendung und Eingriffsnorm

Der Unterschied, der sich in der Annahme des Bestehens einer Entsendung ergibt, besteht darin, dass die Entsende-RL Sonderkollisionsrecht enthält. Aufgrund des Art 23 Rom I-VO gehen besondere Kollisionsnormen, die in Verordnungen oder Richtlinien enthalten sein können, der allgemeinen Anordnung des Art 9 Rom I-VO vor. Grundsätzlich ist dies bezüglich Art 9 und der Anwendung der384Eingriffsnormen noch nicht endgültig geklärt (vgl Thorn in

Rauscher
[Hrsg], EuZPR/EUIPR [2011] Art 23 Rom I-VO Rz 6). Gerade aber bei der eingeschränkten Anwendungsmöglichkeit forumsfremder Eingriffsnormen durch inländische Gerichte, wird aber iS einer effektiven Rechtsdurchsetzung hinsichtlich des Niveauschutzes durch den harten Kern der gesicherten Ansprüche der Entsende-RL davon auszugehen sein, dass diese Regelungen keinen Anwendungsbereich für Art 9 Abs 3 Rom I-VO lassen. Der Zweck der Sicherung des fairen Wettbewerbs und der Schutz vor Lohn- und Sozialdumping wären nicht ausreichend effektiv gegeben, wenn es der Wertung der nationalen Gerichte anheimgestellt wäre, die Umsetzung der Entsende-RL im Rahmen forumsfremder Eingriffsnormen anzuwenden oder nicht.

Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass bei verpflichtender Beachtung des deutschen Mindestlohns, bei Unterzahlung der Straftatbestand des LSD-BG nicht erfüllt ist, da der Geltungsbereich und Schutzzweck des Gesetzes nur österreichische Mindestlohnnormen erfasst.

Hätte der OGH vom Vorliegen einer Entsendung ausgehen müssen, so wäre es jedenfalls bei der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen aufgrund des Sonderkollisionsrechtes der Entsende-RL geblieben.

4.
Eingriffsnorm: Charakter und Anwendung

Die Problematik, die sich in gegenständlichem Fall eröffnet, kommt nur dann zustande, wenn das auf den Arbeitsvertrag anwendbare Recht von jenem Recht jenes Staates unterscheidet, der die Eingriffsnorm erlassen hat. Eine Eingriffsnorm kann also lediglich dann zur Anwendung kommen, wenn das Vertragsstatut nicht das Recht des Staates der Eingriffsnorm darstellt. Damit eine Eingriffsnorm vorliegen kann, muss ihr ein Anwendungswille unabhängig vom geltenden Vertragsstatut immanent sein und dieses muss im öffentlichen (in der politischen, sozialen wirtschaftlichen Organisation) Interesse des erlassendenden Staates begründet sein (Krebbler in

Franzen/Gallner/Oetker
[Hrsg], Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht Art 9 VO 593/2008/EG Rz 5 f).

Forumsfremde Eingriffsnormen, wie im vorliegenden Fall, sind vom Gericht nicht zwingend zu beachten (vgl Art 9 Abs 3 Rom I-VO), sondern diesen kann unter bestimmten Voraussetzungen zwingende Wirkung verliehen werden. Neben dem Faktum, dass diese zum Normenkanon der Rechtsordnung des faktischen Erfüllungsortes des Arbeitsvertrages zuzurechnen sein müssen, besteht eine weitere Anwendungsvoraussetzung darin, dass der Arbeitsvertrag in diesem Punkt gegen diese Norm verstoßen muss. Zusätzlich ist neben einer teleologischen Betrachtung der Norm auch eine Folgenabschätzung, also eine Ermessensentscheidung des Gerichtes über die Anwendung, zu treffen (vgl Thorn in

Rauscher
[Hrsg], EuZPR/EUIPR § 9 Rom I-VO Rz 64 ff). Erstere Voraussetzungen des faktischen Erfüllungsortes und der unrechtmäßigen Unterentlohnung sind erwiesen (gleicher Rechtsmeinung Niksova, EuZA Punkt V 2 b + c), auf die Ermessensentscheidung des OGH ist aber näher einzugehen:

4.1.
Geschäftsmodellbetrachtung – Einzelereignisbetrachtung

Der OGH zieht in seine Beurteilung der Anwendbarkeit des deutschen Mindestlohnes auch ein Zeitdauerargument in Betracht, indem er ua darauf abstellt, dass das Schutzziel der Mindestlohnregelung des MiLoG nur längerfristig in Deutschland tätige AN seien. Eine vorübergehende kurze Tätigkeit, wie diese der AN mit seinen Taxifahrten und Akquisen von, zu und am Münchner Flughafen tätigte, seien davon nicht umfasst. Das Höchstgericht legt den Beurteilungsfokus damit auf die einzelne Fahrt und den einzelnen AN. Offenkundig ist aber nach der Wiedergabe der Feststellungen, dass diese Fahrten nicht zufällig erfolgen, sondern Teil des Geschäftsmodells des Unternehmens sind, das sogar einen eigenen Schalter am Flughafen München unterhält. Solche Investitionen werden typischerweise nicht getätigt, wenn die Beförderungsleistung aus einzelnen, vernachlässigbaren Fahrten besteht. Die Wertung des OGH beruht darauf, dass der Schutzzweck der Mindestlohnnorm alleinig in einem AN-Schutz und Schutz an der Teilnahme des deutschen Sozialsystems gesehen wird. Dass Geschäftsmodelle gerade darauf abzielen, höhere Kosten zu vermeiden, indem AN so eingesetzt werden, dass diese nicht am Sozialsystem des Einsatzstaates teilnehmen und Vorteile von Lohnkosten und Lohnnebenkosten gerade als Vorteile im internationalen Wettbewerb eingesetzt werden, finden in der Argumentation des Höchstgerichtes keine Beachtung, so dass gerade der überaus gewichtigere Schutz der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen bei dieser Entscheidung außer Acht gelassen wurde (vgl bspw dazu mwN Gagawczuk, Mindestlohn, DRdA 2016, 407 [409]).

Legt man den Fokus nämlich auf dieses grundlegende Ziel, welches die Verhinderung von Lohndumping und Sozialabbau als Folge enthält, kommt man nicht umhin, das Geschäftsmodell zu betrachten, wobei mE evident ist, dass die Dienstleistung des Transits von Flugpassagieren von und nach Österreich wohl auf Dauer angelegt ist. Von diesem Verständnis ausgehend hätte die wertende Annahme bezüglich der Rechtsfolgen der Anwendung der ausländischen Eingriffsnormen geradezu entgegengesetzt ausfallen müssen.

4.2.
Relevanz von Eingriffsnormen für die Beurteilung

Der OGH argumentiert die Nichtanwendung der Eingriffsnorm des § 20 MiLoG mit der Erschwerung der unternehmerischen Tätigkeit des AG, die die Anwendung der verpflichtenden Meldebestimmungen desselben Gesetzes mit sich brächten. Die Validität dieser Argumentation setzt aber voraus, dass das innerstaatliche Gericht gerade diese Mel-385debestimmungen auch zur Lösung der Rechtsfrage anwenden müsste.

Gegenständliche Meldebestimmungen dienen aber lediglich dazu, die Einhaltung des Mindestlohnes durch Kontrollen der Behörden jenes Staates zu ermöglichen, der für sein Territorium die Mindestlohnbestimmungen erlassen hat. Charakteristikum dieser Bestimmungen ist, dass der Vertrag, aufgrund dessen die Arbeitsleistung auf dem Staatsgebiet des erlassenden Staates verrichtet wird, gerade nicht unrechtmäßig wird, sondern die Verletzung der Meldeverpflichtung „lediglich“ ein Bußgeld, im österreichischen Sinne eine Verwaltungsstrafe für den Täter, nach sich zieht. Eine wesentliche Voraussetzung der Anwendung einer forumsfremden Eingriffsnorm ist daher nicht gegeben. Da diese Normen lediglich Meldeverpflichtungen gegenüber deutschen Behörden regeln und somit das Verhältnis des AG zu Dritten behandeln, sind diese daher auch nicht als relevant für die Vertragsbeziehung zwischen AG und AN anzusehen. Eine Einschätzung, ob und wie §§ 16 ff MiLoG gelten und anzuwenden sind, unterliegt daher ausnahmslos deutschen Behörden. Einen Zusammenhang zwischen diesen Normen ist daher nur für diese relevant, wobei die Fragestellung aber gerade umgekehrt zu erfolgen hat: Wenn die Mindestlohnbestimmung von § 20 MiLoG nicht anzuwenden ist, gelten die Bestimmungen über die Meldeverpflichtung als Eingriffsnormen in Deutschland trotzdem; dürfen also deutsche Behörden dann kontrollieren?

Im Ergebnis sind die Eingriffsnormen von §§ 16 und 17 MiLoG also dogmatisch nicht für die Wertung heranzuziehen, ob § 20 MiLoG Wirkung verliehen wird, da sie zwischen den Vertragspartnern des Arbeitsvertrages auch am Erfüllungsort keine Wirkung entfalten.

4.3.
Dienstleistungsfreiheit und Anwendung der Eingriffsnormen

Eine Wirkungsverleihung muss jedenfalls auch den Vorgaben der Dienstleistungsfreiheit von Art 56 AEUV entsprechen. Dazu müssen mE zwei Kriterien gegeben sein: Zum einen muss die forumsfremde Eingriffsnorm selbst dem Unionsrecht entsprechen, zum anderen muss auch die Rechtsfolge, wenn diese Wirkung verliehen wird, im Rahmen von Art 56 AEUV liegen, wobei es zu beachten gilt, dass die Entsendungs-RL aufgrund des Prozessverlaufs nicht zu beachten war.

Die Norm kann aber dann als mit Art 56 AUEV vereinbar gelten, wenn die Rechtsfolge der betreffenden Schutznorm nicht über das Schutzniveau der Entsende-RL hinausgeht (vgl Rebhahn in

Franzen/Gallner/Oetker
[Hrsg], Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht Art 3 96/71/EG Rz 2 Ende, zu Rechtsnormen). Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit können grundsätzlich überdies nur dann vorgenommen werden, wenn zwingender Gründe eines Allgemeininteresses, wozu der AN-Schutz zählt, vorhanden sind (vgl Ausführungen EuGH 15.3.2001, C-165/98, Mazzoleni, Rz 27). Diese Einschränkung muss jedoch erforderlich und verhältnismäßig sein (vgl Budischowsky in
Mayer/Stöger
[Hrsg], EUV/AEUV, Art 56, 57 AEUV Rz 25 [Stand: April 2011, rdb.at]). Nach der Ansicht des EuGH 2001 ist bei kurzfristigen Einsätzen von AN in der Grenzregion in anderen Mitgliedstaaten eine Verhältnismäßigkeitsprüfung dahingehend vorzunehmen, ob das Schutzniveau der AN im Entsendestaat gleichwertig zu jenem der Empfangsstaaten ist, wobei eine Berücksichtigung von Lohnhöhe, Sozialabgaben, Steuer und Dauer der Arbeit vorzunehmen ist. Ebenso ist zu prüfen, ob die Beachtung des Mindestlohns im Aufnahmestaat nicht zu unverhältnismäßig hohen Verwaltungskosten führt (EuGH Rs Mazoletti, Rz 33 und 37). Überdies ist nach Rebhahn zu prüfen, ob im Empfangsstaat ansässige Unternehmen und AN durch einen Wettbewerb über Lohndumping verdrängt werden, da die Verhinderung eines unfairen Wettbewerbs die Anwendung des Mindestlohnes rechtfertigen würde (vgl Rebhahn in
Franzen/Gallner/Oetker
[Hrsg], Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht Art 3 96/71/EG Rz 51). Eine solche Prüfung führte aber unweigerlich dazu, dass aufgrund der faktischen Schwierigkeiten der Durchführung eine schnelle und transparente Feststellung der Geltung von Mindestlöhnen, wie dies der EuGH ansonsten fordert, nicht möglich wäre und Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Geltung von der verpflichtenden Anwendung von Mindestlöhnen zur Folge hätte. Gerade diese Rechtsunsicherheit könnte aber Unternehmen von der Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit abhalten und so eine nicht gewünschte beschränkende Wirkung entfalten (vgl zum Beschränkungsverbot: Budischowsky in
Mayer/Stöger
[Hrsg], EUV/AEUV, Art 56, 57 AEUV Rz 24 [Stand: April 2011, rdb.at]). Eine solche Rechtslage würde daher den elementarsten Grundsätzen der Dienstleistungsfreiheit widersprechen, eine generelle Übertragung der in der Rs Mazzoleni geäußerten Rechtsausführungen des EuGH ist daher untunlich und nicht zielführend.

Da in gegenständlichem Fall die Dauer der Arbeitsleistung in Deutschland überwog, der AN regelmäßig die Touren zum und vom Flughafen betreute, ein Geschäftsmodell vorliegt, dass Vorkehrungen zur Berechnung der unterschiedlichen Lohnhöhen jedenfalls verhältnismäßig erscheinen lässt und auch bei Anrechnung aller österreichischen Entgeltbestandteile eine Lohndifferenz von 30 Eurocent pro Stunde vorliegt, wäre allein aufgrund des Schutzes des fairen Wettbewerbs die Anwendung der forumsfremden Eingriffsnorm europarechtlich geboten, da diese im öffentlichen Interesse liegt und nicht nur das Interesse der (einzelnen) Kl zu bewerten ist. Auch bei diesem würde immerhin eine Unterentlohnung für ca ein Drittel seiner Arbeitszeit vorliegen.

4.4.
Wertung der Forumsrechtsordnung

Der Anwendungsvorbehalt von Art 9 Abs 3 Rom I-VO dient dazu, nur jene forumsfremden Eingriffsnormen im Rahmen der innerstaatlichen Rechtsordnung zur Anwendung zu bringen, die den Wertungsgrundsätzen dieser Rechtsordnung entsprechen. Man könnte daher von einer Art „ordre386public-Prüfung“ sprechen (vgl Thorn, EuZPR/EuIPR Art 9 Rom I-VO Rz 71).

Gerade die österreichische Rechtsordnung hat aber mit dem besonderen Entsendungsbegriff von § 1 Abs 5 LSD-BG, der über den Entsendebegriff der Entsende-RL hinausgeht (vgl Kozak, LSD-BG [2016] § 1 Rz 119 f) und der damit einhergehenden Anwendung von Mindestlohntarifen gerade auch auf gegenständlichem Sachverhalt vergleichbare Fälle (da keine anwendbare Ausnahme von § 1 Abs 5 LSD-BG erfüllt ist) normiert und somit Regelungen von einer § 20 MiLoG vergleichbaren Wertung gesetzt. Gerade aus dem österreichischen Wertungsverständnis hätte das Gericht zur Anwendung der forumsfremden Eingriffsnorm kommen müssen, da in diesem Fall übergeordnete gleichlaufende und gegenseitige Interessen von Mitgliedstaaten vorhanden sind.

4.5.
Prinzip der „Gemeinschaftstreue“

Zwar ist durch den Anwendungsvorbehalt forumsfremder Eingriffsnormen keine Korrektur des Unionsnormsetzers vornehmbar, jedoch ist davon auszugehen, dass Eingriffsnormen im Unionsgebiet von anderen Mitgliedstaaten aufgrund einheitlicher Vorgangsweise rechtspolitisch zur Anwendung gebracht werden sollten, was durch eine Einschränkung des Ermessensspielraumes der Gerichte erreicht werden könnte (vgl Thorn, EuZPR/EuIPR Art 9 Rom I-VO Rz 73).

5.
Zusammenfassung

Soweit überblickbar ist die erste Entscheidung eines österreichischen Gerichtes über die Anwendung von forumsfremden Eingriffsnormen mit arbeitsrechtlichem Bezug. Allein für die Bewältigung der komplexen Rechtsfragen ist Respekt zu zollen. Es zeigt sich aber typischerweise an gegenständlichem Fall, dass gerade bei Sachverhalten mit grenzüberschreitendem Bezug, die dogmatische Einordnung und Abhandlung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Gerade die vollständige Ausblendung von Annahmen einer Entsendung oder eines gewöhnlichen Arbeitsortes in Deutschland macht die vorliegende E so speziell. Letztlich kann der dogmatischen Begründung aber so nicht gefolgt werden. Bei Berücksichtigung der Elemente des Vorliegens eines Geschäftsmodells des Unternehmens sowie, dass die österreichische Rechtsordnung eine gleiche Wertung trifft wie § 20 MiLoG und dass ausländische Meldungsgebote in gegenständlicher Rechtssache nicht zu beachten sind, wäre man zur Anwendbarkeit von § 20 MiloG gekommen:

Fraglich ist aber, ob und inwieweit die in der Rs Mazzoleni des EuGH aufgestellten Grundsätze anzuwenden sind. Dieser Weg führt aber ebenfalls zu einer Ermessensentscheidung des Gerichtes hinsichtlich der Größe und Intensität der Abweichung der Unterzahlung (36 Cent pro Stunde) und deren Rechtfertigung iSd Ausübung der Dienstleistungsfreiheit. Eine Lösung, die aufgrund der extremen Rechtssicherheit für die Rechtsunterworfenen und im Interesse der einschränkungsfreien Ausübung der Dienstleistungsfreiheit abzulehnen ist, da eine zweifelsfreie Anwendung von Mindestlöhnen nicht mehr möglich wäre. Der Anspruch an transparente Rechtsansprüche und einen fairen einheitlichen Wettbewerb im Binnenmarkt würden nicht mehr verwirklichbar sein (vgl Art 5 RL 2014/67/EU vom 15.5. „Durchsetzungs-RL“). Eine vorbehaltlose Anerkennung von normierten (und somit leicht feststellbaren und vom Unionsrecht erlaubten) Mindestlohnansprüchen durch die nationale Rsp und auch der Rsp des EuGH ist dazu unabdingbar.

Dass aus Sicht des Autors insgesamt die Unterentlohnung nicht als vernachlässigbar insb iS eines gleichen und fairen Wettbewerbs der am Binnenmarkt teilnehmenden Länder zu betrachten ist, und eine andere Ermessensentscheidung als die getroffene für angemessen gehalten hätte, sei nicht verhehlt (im Speziellen anderer Auffassung Niksova, EuZA 2017).

Im Endeffekt kann also lediglich die geringe Unterzahlung im Lichte der Rs Mazzoleni für das Entscheidungsergebnis sprechen. Im Gegensatz zu diesem einzigen stärkenden Argument sprechen andere dargestellten Elemente zur Anwendung des Mindestlohntarifs. Da eine solche Anwendung grundsätzlich eine Einzelfallbeurteilung darstellt, bleibt abzuwarten, ob sich der nun eingeschlagene Weg des Höchstgerichtes verfestigt, oder ob doch in Zukunft auch andere Argumente in die Entscheidungsfindung einfließen werden.387