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Entlassungsschutz nach VKG: Auswirkungen des Wahlrechts auf die Wirksamkeit einer Entlassung

GREGORKALTSCHMID

Die Entlassung eines DN während seiner Elternteilzeit gegen nachträgliche Zustimmung (des Gerichts) ist schwebend unwirksam. Das Dienstverhältnis bleibt daher bis zu einer allfälligen Zustimmung vorerst aufrecht. Der DN hat bei bestehendem besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz im Fall einer unwirksamen Auflösung bzw unzulässigen Beendigung des Dienstverhältnisses ein Wahlrecht zwischen der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Auflösung und der Forderung einer Kündigungsentschädigung bei rechtswidriger Beendigung. Die Klage auf nachträgliche Zustimmung zur Entlassung muss unverzüglich erhoben werden. Eine verspätete Zustimmungsklage führt zur Verwirkung des Entlassungsgrundes.

Wird ein DN entlassen, so ist aus dem Umstand, dass er nicht mehr zur Arbeit erscheint, im Allgemeinen kein Verzicht auf einen bestehenden Bestandschutz anzunehmen.

SACHVERHALT

Der Kl befand sich aufgrund der Geburt seines Kindes am 9.3.2010 in Elternteilzeit. Am 30.1.2014 sprach die Bekl die Entlassung aus. Dem Kl wurde ein Diebstahl vorgeworfen.363

Am 11.2.2014 machte die Arbeiterkammer für den Kl Kündigungsentschädigung und die gesetzliche Abfertigung geltend. Die Bekl brachte am 19.2.2014 eine Klage auf Zustimmung zur Entlassung ein.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Urteil vom 7.4.2014 wurde diese Zustimmungsklage mit der Begründung (rechtskräftig) abgewiesen, dass sich der DN der Wirksamkeit der Beschäftigungsbeendigung durch Entlassung unterworfen habe und der DG daher kein Rechtsschutzinteresse in Bezug auf die Zustimmungsklage zukomme.

Im vorliegenden Verfahren begehrte der Kl ua Kündigungsentschädigung und Abfertigung. Er habe keinen Diebstahl begangen. Der Entlassungsgrund sei jedoch gar nicht zu prüfen, da ihn die Bekl ohne gerichtliche Zustimmung entlassen habe. Das Entlassungsrecht und der angezogene Entlassungsgrund seien daher verwirkt. Er habe von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht, die Beendigung zu akzeptieren. Die Entlassung sei daher ohne weitere Prüfung als unberechtigt anzusehen.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt.

Der OGH ließ die Revision zwar zu, weil zur Wechselwirkung zwischen Wahlrechtsausübung und Verfristung der Zustimmungsklage keine Rsp des OGH besteht. Er gab der Revision jedoch keine Folge.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

2. Die Vorinstanzen gehen – so wie die Beklagte und auch der Kläger im bisherigen Verfahren – davon aus, dass der Kläger von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht hat, die Entlassung gegen sich gelten zu lassen. Das Berufungsgericht führt dazu aus, dass das Dienstverhältnis infolge Wahlrechtsausübung als zum Entlassungszeitpunkt (31.1.2014) [richtig 30.1.2014] beendet anzusehen sei.

Die Ansicht des Klägers, dass das Dienstverhältnis unmittelbar durch die Entlassungserklärung (schwebend) beendet worden sei, ist nicht zutreffend. Nach der Rechtsprechung ist eine gegen (wie hier) nachträgliche Zustimmung ausgesprochene Entlassung schwebend unwirksam. Das Dienstverhältnis bleibt daher (schwebend) aufrecht. Erst aufgrund der nachträglichen Zustimmung tritt rückwirkend die Rechtswirksamkeit der Entlassung und damit die Auflösung des Dienstverhältnisses ein (vgl 9 ObA 148/97y mwN). Diese Grundsätze gelten auch für den Bestandschutz nach dem Väterkarenzgesetz.

3. Entgegen der nunmehrigen Ansicht des Klägers in der Revisionsbeantwortung ist ihm auch ein Wahlrecht, die Entlassung gegen sich gelten zu lassen, zugekommen. Nach der Rechtsprechung hat der Dienstnehmer im Fall einer unwirksamen Auflösung bzw. unzulässigen Beendigung des Dienstverhältnisses (hier Entlassung) bei bestehendem besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz ein Wahlrecht zwischen der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Auflösung und der Forderung einer Kündigungsentschädigung bei rechtswidriger Beendigung (RISJustiz RS0101989; 9 ObA 55/07i; 9 ObA 180/07x; Thomasberger in

Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Thomasberger
, MSchG und VKG2 § 12 MSchG 268 und 281). Auch bei einer „schwebend“ unwirksamen Entlassungserklärung handelt es sich vorerst um eine unwirksame Auflösung des Dienstverhältnisses.

Im Anlassfall stellt sich somit die Frage der Konsequenz des vom Kläger ausgeübten Wahlrechts in Wechselwirkung zur Zustimmungsklage im Vorverfahren. Die Beklagte meint dazu, dass in diesem Fall ohne Bedachtnahme auf den Bestandschutz die Frage der Berechtigung der Entlassung zu prüfen sei.

4.1 Das Berufungsgericht geht nicht etwa generell davon aus, dass es bei Ausübung des Wahlrechts durch den entlassenen bestandgeschützten Dienstnehmer auf die Frage, ob die Entlassung berechtigt oder unberechtigt gewesen sei, nicht ankomme. Dementsprechend führt es aus, dass eine Überprüfung der Begründetheit der Entlassung im Leistungsverfahren (auf Geltendmachung der Kündigungsentschädigung) nur dann stattzufinden habe, wenn der Dienstnehmer innerhalb der dem Dienstgeber zustehenden Klagefrist für die Einbringung der Zustimmungsklage von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht habe. Diesem Ergebnis liegt folgende Beurteilung des Berufungsgerichts zugrunde: Die Klage auf nachträgliche Zustimmung zur Entlassung müsse unverzüglich, also ehebaldigst, erhoben werden (vgl. dazu schon 8 ObA 78/99z). Die Zustimmungsklage der hier Beklagten im Vorverfahren (vom 19.2.2014) sei verfristet gewesen. Diese sei auch schon zum Zeitpunkt der Wahlrechtsausübung durch den Kläger (am 11.2.2014) verfristet gewesen, weil die (hier) Beklagte besondere Gründe, die ein 12tägiges Zuwarten mit der Klageerhebung rechtfertigten, nicht behauptet habe. Die verspätete Einbringung der Zustimmungsklage habe nicht nur eine Verfristung des Klagerechts, sondern auch des Entlassungsgrundes zur Folge (vgl. 8 ObA 306/99d; Wolfsgruber in ZellKomm2 § 12 MSchG, Rz 9; Trost in

Jabornegg/Resch
, ArbVG § 120 Rz 107). Die Verfristung des Klagerechts ziehe die Verwirkung des Entlassungsgrundes nach sich. Sei der Entlassungsgrund verwirkt, so sei dieser im Leistungsverfahren nicht mehr überprüfbar.

4.2 Diese zutreffende Beurteilung des Berufungsgerichts zieht die Beklagte in der Revision gar nicht in Zweifel. Vor allem bestreitet sie den364Grundsatz nicht, wonach die Verfristung des Klagerechts hinsichtlich der Zustimmungsklage gleichzeitig zur Verwirkung des Entlassungsgrundes führe.

4.3 Dem Beklagten kommt aufgrund der Inanspruchnahme von Elternteilzeit im Sinn des § 8 Abs 1 VKG der Kündigungs- und Entlassungsschutz gemäß § 8f Abs 1 VKG zu. Nach § 8f Abs 1 Satz 3 VKG iVm § 7 Abs 3 VKG iVm § 12 Abs 2 und 4 MSchG ist die Entlassung in den Fällen des § 12 Abs 2 Z 4 und 5 MSchG (§ 12 Abs 4 MSchG) – wie hier – nur bei (auch) nachträglicher Zustimmung des Gerichts wirksam (Thomasberger, aaO § 12 MSchG 268 und 281; Wolfsgruber, aaO § 7 VKG Rz 1 sowie § 12 MSchG Rz 2, 8 und 37).

Aufgrund des dem Kläger vorgeworfenen Diebstahls (Entlassungsgrund nach § 12 Abs 2 Z 5 MSchG) wäre eine gerichtliche Zustimmung zur Entlassung – unter der Voraussetzung einer fristgerechten Klageerhebung – an sich in Betracht gekommen. Wenn sich der Dienstgeber auf einen Entlassungsgrund nach § 12 Abs 2 Z 4 oder 5 MSchG berufen kann, der eine nachträgliche Zustimmung des Gerichts zur Entlassung ermöglicht (§ 12 Abs 4 MSchG), so kann ihm bei fristgerechter Zustimmungsklage die Prüfung dieses Entlassungsgrundes nicht dadurch abgeschnitten werden, dass der Dienstnehmer von seinem Wahlrecht Gebrauch macht, die Entlassung gegen sich wirken zu lassen. Wird die Ausübung des Wahlrechts innerhalb der Klagefrist für die nachträgliche Zustimmungsklage oder im Zustimmungsprozess nach rechtzeitiger Klageerhebung erklärt, so bewirkt dies daher, dass sich der Dienstgeber auf den ins Treffen geführten Entlassungsgrund im Sinn des § 12 Abs 2 Z 4 oder 5 MSchG auch im nachfolgenden Leistungsprozess noch berufen kann.

Diese Voraussetzungen sind im Anlassfall allerdings nicht gegeben, weil die Zustimmungsklage der hier Beklagten zum Zeitpunkt der Wahlrechtsausübung durch den Kläger bereits verfristet war.

5. Das Hauptargument der Beklagten in der Revision besteht darin, dass der Kläger schon vor Erhebung der Zustimmungsklage im Vorprozess auf den Entlassungsschutz verzichtet habe. Aufgrund der schwebend unwirksamen Entlassung sei der Kläger weiterhin verpflichtet gewesen, zur Arbeit zu kommen. Da er nicht mehr zur Arbeit erschienen sei, habe sie schon am Tag der Entlassung davon ausgehen können, dass der Kläger auf seinen Entlassungsschutz verzichte. Das Wahlrecht könne auch konkludent ausgeübt werden.

Diese Argumentation ist nicht stichhaltig, weil für die Annahme einer Verzichtserklärung ein eindeutiges Erklärungsverhalten erforderlich wäre, das ein redlicher Erklärungsempfänger nach der Vertrauenstheorie als Verzicht werten dürfte. Wird ein Dienstnehmer entlassen, so ist aus dem Umstand, dass er nicht mehr zur Arbeit erscheint, im Allgemeinen kein Verzicht auf einen bestehenden Bestandschutz anzunehmen, weil einem Dienstnehmer in einem solchen Fall zunächst die Inanspruchnahme einer fachkundigen Beratung zugebilligt werden muss. In diesem Sinn führt auch Thomasberger (aaO, § 12 MSchG 269) aus: ‚Unterlässt die Arbeitnehmerin (hier der Arbeitnehmer) im Fall einer (hier schwebend) rechtsunwirksamen Beendigung eine Äußerung, so kann dies nicht unmittelbar als konkludenter Verzicht auf das Gestaltungsrecht (den Bestandschutz) gedeutet werden. Nach Ausspruch einer unbegründeten (unwirksamen) Entlassung durch den Arbeitgeber kann die Arbeitnehmerin (hier: der Arbeitnehmer) ohne Verletzung ihrer Pflichten aus dem Arbeitsvertrag und ohne Verstoß gegen die Treuepflicht mit der Aufnahme der Arbeit warten, bis sie vom Arbeitgeber wieder dazu aufgefordert wird (bzw. ihr eine Nachfrist gesetzt wird).‘

Im Anlassfall war für die Beklagte erst mit dem Schreiben der Arbeiterkammer vom 11.2.2014 klar, dass sich der Kläger nicht mehr auf seinen Bestandschutz nach dem Väterkarenzgesetz beruft.“

ERLÄUTERUNG

Der Bestandschutz von DN gem MSchG/VKG erfordert für die Wirksamkeit einer Entlassung ein besonderes Element, welches vom DG einzuhalten ist:

Die Klage auf Zustimmung zur Kündigung/Entlassung.

Wird dem DN eine besonders schwere Verfehlung vorgeworfen – wie im vorliegenden Fall eine strafbare Handlung –, kann diese Klage nachträglich, also nach Ausspruch der Entlassung, bei Gericht eingebracht werden.

Eine vom Gesetz bestimmte Frist für die Einbringung dieser Klage existiert nicht. Nach der Rsp ist die Klage jedoch unverzüglich einzubringen (so schon OGH 18.5.1999, 8 ObA 78/99z). Je klarer sich der Sachverhalt für den DG im Entlassungszeitpunkt darstellt, desto kürzer ist natürlich auch die zulässige Frist zur Einbringung der Klage.

Versäumt der DG die (im Einzelfall zu beurteilende) einzuhaltende Frist, hat er den Entlassungsgrund und somit auch das Entlassungsrecht verwirkt. Die Entlassung ist aus diesem Grund – aufgrund des Bestandschutzes – unwirksam. Das hätte den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zur Folge.

Die Rsp gesteht bestandgeschützten DN bei einer an sich unwirksamen Beendigung des Dienstverhältnisses durch den DG jedoch das Wahlrecht zu, zwischen dem aufrechten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und den Ansprü-365chen wie aufgrund einer unberechtigten Entlassung zu entscheiden.

Für die Ausübung des Wahlrechts existiert ebenfalls keine gesetzliche Frist.

Gibt der DN keine anderslautende Erklärung ab, ist vom Bestandschutz auszugehen und daher vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, außer die Entlassung erlangt durch rechtskräftiges Urteil aufgrund der Zustimmungsklage Rechtswirksamkeit. Prinzipiell muss der DN daher ohne Ausübung des Wahlrechts, im Zeitraum bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die vom DG eingebrachte Zustimmungsklage oder auch sonst – wenn der DG es unterlässt, eine Zustimmungsklage einzubringen – wie gewöhnlich seinen Dienst antreten und seine Arbeit verrichten. Hiezu muss er jedoch vom DG aufgefordert werden. Er kann aufgrund der ausgesprochenen Entlassung darauf vertrauen, dass der DG ihn zum Dienstantritt auffordern wird, sollte er dies wünschen.

Macht der DN hingegen von seinem Wahlrecht Gebrauch, so ist der Zeitpunkt der Ausübung von essentieller Bedeutung.

Übt der DN das Wahlrecht in einem Zeitpunkt aus, in dem die Zustimmungsklage des DG noch zulässig ist, so hat dies zur Folge, dass der DG mangels Rechtsschutzbedürfnis keine Zustimmungsklage hinsichtlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mehr einbringen kann/muss. In diesem Fall ist im Leistungsprozess des DN inhaltlich zu prüfen, ob beendigungsabhängige Ansprüche – wie hier auf Abfertigung und Kündigungsentschädigung – bestehen.

Macht der DN hingegen von seinem Wahlrecht zu einem Zeitpunkt Gebrauch, in dem die Frist für den DG zur Einbringung der Zustimmungsklage bereits abgelaufen ist, führt dies dazu, dass der Entlassungsgrund in einem folgenden Leistungsprozess auf Kündigungsentschädigung und Abfertigung nicht mehr zu überprüfen und der Klage stattzugegeben ist. Der DN erhält die Kündigungsentschädigung und die Abfertigung.

Genau diese zweite Variante hatte der OGH im vorliegenden Fall zu beurteilen.