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Anspruch auf Notstandshilfe in Österreich nach Erschöpfen der Schweizer Arbeitslosengeldentschädigung

BIRGITSDOUTZ

Der Beschwerdeführer hat am 14.1.2014 sowohl einen Antrag auf Arbeitslosengeld als auch auf Notstandshilfe gestellt. Das Arbeitsmarktservice (AMS) hat den Antrag des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld mit der Begründung abgewiesen, er würde die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld nicht erfüllen, da sein letztes arbeitslosenversicherungspflichtiges Dienstverhältnis in Österreich am 31.12.1987 geendet habe. Im Jahr 1988 habe er zunächst Arbeitslosengeld in Österreich370bezogen, sei in der Folge aber dann in Deutschland unselbständig erwerbstätig und zeitweise arbeitslos gewesen. Ab April 2005 sei er dann auch in der Schweiz unselbständig erwerbstätig gewesen und habe zuletzt Taggeld aus der AlV in der Schweiz bezogen. Dieser Anspruch sei mit 24.7.2009 erschöpft gewesen und er habe anschließend Sozialhilfe in der Schweiz erhalten. Weder habe der Beschwerdeführer innerhalb der Rahmenfrist des § 14 AlVG arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungszeiten vorweisen können, noch könne eine Erstreckung der Rahmenfrist nach § 15 AlVG erfolgen. Den Antrag auf Notstandshilfe hat das AMS mit der Begründung abgewiesen, dass der Beschwerdeführer in Österreich zuletzt bis 31.8.1988 Arbeitslosengeld bezogen und er den Anspruch auf Notstandshilfe nicht innerhalb der fünfjährigen Frist des § 33 Abs 4 AlVG geltend gemacht habe.

Der Beschwerdeführer brachte gegen beide ablehnenden Bescheide Beschwerden ein. Das AMS hat beide Beschwerden abgewiesen. Die Zuständigkeit des AMS in Österreich sei zwar gegeben, der Anspruch auf Arbeitslosengeld sei aber mangels Vorliegens von Anwartschaftszeiten abzulehnen und auch ein Fortbezug eines Restanspruches aus dem Jahr 1988 sei nicht möglich, sodass auch der Anspruch auf Notstandshilfe, der die Erschöpfung eines vorangehenden Anspruchs auf Arbeitslosengeld voraussetze, abgelehnt werden müsse. Gegen beide Beschwerdevorentscheidungen brachte der Beschwerdeführer Vorlageanträge ein. Das BVwG bestätigte die Beschwerdevorentscheidung des AMS.

Der Beschwerdeführer brachte gegen die E des BVwG betreffend die Ablehnung der Notstandshilfe Revision ein. Der VwGH hob das angefochtene Erk auf, dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass Österreich einerseits der für den gegenständlichen Leistungsanspruch zuständige Mitgliedstaat sei und andererseits auch gleichzustellende Sachverhalte iSd Art 5 lit b der VO 883/2004 gegeben seien:

Der Revisionswerber übte seine Beschäftigung in der Schweiz unstrittig nicht als Grenzgänger, sondern als „unechter Grenzgänger“ aus, ist er doch während seiner Beschäftigung im Ausland stets in Österreich gemeldet geblieben und immer wieder (wenngleich nicht wöchentlich) zu seiner hier lebenden Familie gefahren, sodass fallbezogen von einem Wohnort in Österreich ohne mindestens einmalige wöchentliche Rückkehr ausgegangen werden kann. Da der Revisionswerber nach Eintritt der Arbeitslosigkeit zunächst nicht nach Österreich (durch Rückverlagerung seiner Interessen) zurückgekehrt ist, sondern sich weiterhin der Arbeitsverwaltung der Schweiz als ehemaligem Beschäftigungsstaat zur Verfügung gestellt hat, war vorerst die Schweiz der für die Leistungserbringung zuständige Mitgliedstaat. Im Zuge der gegenständlichen Antragstellung kehrte der Revisionswerber letztlich nach Österreich (durch Aufgabe seiner Bezugspunkte zur Schweiz) zurück und unterstellte sich der inländischen Arbeitsverwaltung, sodass ein Statutenwechsel eingetreten ist und nunmehr Österreich der zuständige Mitgliedstaat ist (vgl Art 65 Abs 5 der VO 883/2004).

Was das zweitgenannte Kriterium anbelangt, so stellt der Bezug von Taggeldleistung aus der AlV in der Schweiz einen dem Bezug von Arbeitslosengeld in Österreich entsprechenden Sachverhalt dar, sind doch die Leistungen nach ihrem Wesen und Ziel als identisch zu erachten. Davon ausgehend sind die Voraussetzungen für eine Sachverhaltsgleichstellung iSd Art 5 lit b VO 883/2004 gegeben. Folglich steht hinsichtlich des Revisionswerbers, der seinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung in der Schweiz mit 24.7.2009 erschöpft hat und nach Österreich zurückgekehrt ist, in Bezug auf den Anspruch auf Notstandshilfe die Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung der Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld gleich, sodass der Beginn der fünfjährigen Frist des § 33 Abs 4 AlVG mit dem 25.7.2009 anzusetzen und die Frist im Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs auf Notstandshilfe – auch ohne allfällige Erstreckung nach § 15 AlVG – im Zeitpunkt der gegenständlichen Antragstellung noch nicht abgelaufen war.371

Der Gewährung von Notstandshilfe steht auch die Regelung des Art 65 Abs 5 lit b VO 883/2004 nicht entgegen, wonach auf „unechte Grenzgänger“, die nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats bereits Leistungen in Anspruch genommen haben, bei der Rückkehr in den Wohnsitzstaat gem Art 64 anzuwenden ist, dem zufolge vorerst der Beschäftigungsstaat für grundsätzlich drei Monate weiter leistungspflichtig bleibt bzw die Leistungen in den Wohnsitzstaat „exportiert“, während dessen Leistungen in diesem Umfang ausgesetzt bleiben. Diese Regelung setzt nämlich voraus, dass der Revisionswerber nach den zuletzt für ihn geltenden Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit beanspruchen kann (vgl Art 64 Abs 1 VO 883/2004). Da dies vorliegend nicht der Fall ist (der zuletzt erfolgte Sozialhilfebezug ist keine Leistung bei Arbeitslosigkeit, sondern eine Leistung der sozialen Fürsorge), kommt ein zeitweiser „Export“ einer solchen Leistung durch die Schweiz nicht in Betracht. Demnach ist laut VwGH der Beginn der fünfjährigen Frist des § 33 Abs 4 AlVG mit dem 25.9.2009 anzusetzen, sodass die Frist im Zeitpunkt der Geldendmachung des Anspruches auf Notstandshilfe – auch ohne eine allfällige Erstreckung nach § 15 AlVG – im Zeitpunkt der gegenständlichen Antragstellung noch nicht abgelaufen war.