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Keine Mitversicherung von Kindern in der österreichischen Krankenversicherung bei eigenständiger Krankenversicherung des Kindes in der Schweiz

MARTINATHOMASBERGER
§ 123 ASVG; Art 11, 17, 32 VO (EU) 883/2004

Die Revisionswerberin hat ihren Wohnsitz in der Schweiz, wo sie mit ihrem dort erwerbstätigen Ehemann und dem gemeinsamen Sohn lebt. Sie ist in Österreich beschäftigt und bezog Wochengeld und anschließend Kinderbetreuungsgeld aus Österreich. Sie beantragte, für ihren Sohn die Anspruchsberechtigung als Angehöriger in der österreichischen KV festzustellen. Die Gebietskrankenkasse lehnte dies mit Bescheid ab. § 123 ASVG könne nur zur Anwendung kommen, wenn die Person, die in die Mitversicherung einbezogen werden soll, im Inland wohnt und weder nach dem ASVG noch nach anderen Rechtsvorschriften krankenversichert sei. Für Personen, die in einem anderen Staat wohnen, der unter die unionsrechtlichen Koordinierungsvorschriften fällt, sei nach Art 32 VO (EU) 883/2004 der Wohnsitzstaat zuständig.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom BVwG abgewiesen ohne die Revision zuzulassen. Art 32 VO (EU) 883/2004 regle nicht nur die Anspruchskonkurrenz zwischen eigenen und abgeleiteten Sachleistungsansprüchen von Angehörigen, er stelle auch eine Kollisionsnorm dar. Es werde der Grundsatz aufgestellt, dass eigene Ansprüche Vorrang vor abgeleiteten Ansprüchen hätten. Davon ausgenommen sei der Fall, dass ein eigenständiger Anspruch allein durch den Wohnsitz begründet werde, nur dieser trete hinter einen abgeleiteten Anspruch aus einem beitragsbasierten Versicherungssystem zurück. Der vorliegende Fall sei aber rein nach nationalen Vorschriften zu beurteilen, weil der Sohn sowohl einen von der Mutter abgeleiteten Anspruch als auch einen vom Vater abgeleiteten Anspruch habe, die in gleichem Rang stünden, weshalb es zu keiner Anspruchskonkurrenz und die VO 883/2004 gar nicht zur Anwendung komme. Eine Mitversicherung nach nationalen Vorschriften sei nicht möglich, weil der Sohn der Revisionswerberin nicht in Österreich lebe.

Der VwGH wies die außerordentliche Revision als unbegründet ab. Unstrittig war, dass der Sohn der Revisionswerberin im verfahrensgegenständlichen Zeitraum in der Schweiz krankenversichert war. In der Revision wurde dazu vorgebracht, dass in der Schweiz eine KV abgeschlossen werden musste und monatlich € 90,– zu bezahlen seien. Der Sohn unterlag somit gem Art 11 Abs 3 lit e VO 883/2004 den Rechtsvorschriften des Wohnsitzmitgliedstaates Schweiz, während die Mutter in diesem Zeitraum dem österreichischen Sozialversicherungsrecht unterlag. Hinsichtlich der Leistungszuständigkeit für Sachleistungen bei Krankheit enthält die VO 883/2004 in den Art 17 ff spezielle Regelungen. So bestimmt Art 17 der VO 883/2004, dass ein Versicherter oder seine Familienangehörigen, die in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnen, in dem Wohnmitgliedstaat Sachleistungen erhalten, die vom Träger des Wohnorts nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden, als ob sie nach diesen Rechtsvorschriften versichert wären. Die konkrete Leistung richtet sich nach den Rechtsvorschriften des Wohnstaates; hinsichtlich der Frage, ob – im Fall von Familienangehörigen – überhaupt eine Anspruchsberechtigung besteht, gilt hingegen das Recht des zuständigen Staates, dh in der Regel des Beschäftigungsstaates. Diese grundsätzliche Anspruchsberechtigung war daher nach Maßgabe des § 123 ASVG zu beurteilen. Es ist jedoch auch Art 32 der VO 883/2004 zu beachten, wonach ein eigenständiger Sachleistungsanspruch auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats oder unmittelbar auf Grund der VO 883/2004 Vorrang vor einem abgeleiteten Anspruch auf Leistungen für Familienangehörige hat. Im vorliegenden Fall ging nach dieser Bestimmung der Anspruch des Sohnes der Revisionswerberin auf Grund seiner in der Schweiz bestehenden eigenen KV dem (allenfalls) von der Mutter abgeleiteten Anspruch auf Sachleistungen (die ihm gem Art 17 der VO 883/2004 ebenfalls nach Maßgabe der Schweizer Rechtsvorschriften, aber auf Rechnung des österreichischen Trägers zu gewähren wären) vor. Eine Anspruchsberechtigung gem § 123 ASVG war daher auf Grund des unmittelbar anwendbaren Art 32 der VO 883/2004 und folglich auch innerstaatlich zu verneinen.