Tagungsbericht Arbeitsrechtsforum 2017
Tagungsbericht Arbeitsrechtsforum 2017
Im ersten Vortag beschäftigte sich Dr. Stefan Kühteubl einleitend mit dem Begriff des gesetzlichen Entgeltschutzes und ging in der Folge auf ausgewählte Lohnschutznormen ein. Dabei erläuterte er zunächst die §§ 1152 und 1155 ABGB und setzte sich in der Folge mit dem Lohnschutzcharakter des § 10 AÜG (Sicherung eines angemessenen Überlassungsentgelts) auseinander. Er erörterte die Aliquotierungsvorgabe des Gesetzgebers in § 16 AngG hinsichtlich vereinbarter, periodischer Remunerationen. Er nahm auch Bezug auf § 2g AVRAG und verwies auf den Entgeltschutzcharakter der Norm (zwingende Einrechnung von branchen- und ortsüblichen Überzahlungen).
Als weiteres Beispiel für eine Lohnschutznorm wählte der Vortragende die Regelung des § 19e AZG, der die Abgeltung von Zeitausgleichguthaben sichert. Abschließend ging Dr. Stefan Kühteubl auf § 29 LSD-BG (Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz) ein.
Dr. Stefan Kühteubl verwies darauf, dass § 29 LSDBG nicht auf sämtliche Lohnschutznormen angewendet werden könne. Es scheide mangels betraglich hinreichend konkret fixierter Entgeltbemessung die Anwendung der Norm auf die Tatbestände des § 1151 ABGB (Nichtgewährung des angemessenen Entgelts) und § 2g AVRAG (Fehlen des betragsmäßig konkretisierten Grundgehalts bei Pauschalentgeltvereinbarungen) aus.
Univ.-Prof. Edoardo Ales setzte sich am Beginn seines Vortrages mit jenen Bestimmungen der italienischen Verfassung auseinander, in denen maßgebliche Grundprinzipien des italienischen Arbeitsrechts statuiert seien. Danach berichtete der Vortragende über die aktuellen gesetzlichen Regelungen zu „Smart Working“ (lavoro agile). Darunter verstehe man in Italien die Ausführung eines unselbständigen Arbeitsverhältnisses auf spezifisch geregelte Art und Weise.
Als eine weitere Beschäftigungsform erörterte Univ.-Prof. Ales die sogenannte „koordinierte freie Mitarbeit“. Dabei handle es sich um einen Typ von selbständiger Arbeit, welche allerdings in organisatorischer Abhängigkeit des Auftraggebers erbracht werde. Um Missbrauch vorzubeugen, habe der Gesetzgeber sogenannte Zertifizierungsstellen eingerichtet. Dort könnten die Vertragsparteien die Verträge überprüfen lassen. Die Zertifizierung könne von AN aber angefochten werden.
In der Folge widmete sich der Vortragende dem Thema „Der Schutz der beruflichen Qualifikation des Arbeitnehmers“. Die Parteien des Arbeitsvertrags seien bislang an die bei Vertragsabschluss festgelegte Einstufung in AN-Kategorien und Qualifikationsuntergruppen gebunden gewesen. Der „Jobs Act“ ermögliche dem AG, nun bereits im laufenden Vertragsverhältnis dem AN auch Aufgaben eines niedrigeren Einstufungsranges zuzuweisen. Es könnten nun von den Vertragsparteien auch Änderungsvereinbarungen abgeschlossen werden.
In einem weiteren Kapitel seines Vortrages erläuterte Univ.-Prof. Ales die Schwierigkeiten des allgemeinen Lohnschutzes für AN in Italien, wo neben Kollektivverträgen eine Vielzahl von Unternehmenstarifverträgen mit einer, vom Gesetz und KollV abweichenden Wirkung bestünden.
Zum Abschluss gewährte der Vortragende einen Überblick über die italienischen Regelungen zum395Kündigungsschutz, welche zuletzt 2015 novelliert wurden.
In der Einleitung seines Vortrags gewährte Univ.- Prof. Dr. Rüdiger Krause einen Einblick in die empirischen Grundlagen des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland, welcher 2015 eingeführt wurde. Mit der Verwirklichung eines gesetzlichen Mindestlohns habe man mehrere Ziele verfolgt. Zunächst sei es darum gegangen, einen branchenübergreifenden Schutz der AN vor Niedriglöhnen zu schaffen. Man wollte damit einem fortschreitenden Lohnunterbietungswettbewerb Einhalt gebieten und zu Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme beitragen.
Mit Jänner 2017 sei der gesetzliche Mindestlohn auf € 8,84 brutto pro Zeitstunde angehoben worden. Die Anhebung erfolge gem § 9 MiLoG auf Vorschlag der Mindestlohnkommission. Betrachte man die bislang eingetretenen empirischen Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf die Beschäftigung, so weise Deutschland im Zeitraum 2015–2017 eine robuste konjunkturelle Entwicklung auf. So habe beispielsweise im April 2015 die Gesamtbeschäftigung gegenüber dem Vorjahresmonat 1,3 % zugenommen. Im selben Monat sei die Arbeitslosigkeit um 3,4 % gegenüber dem Vorjahresmonat zurückgegangen.
Was den Charakter des Mindestlohnanspruchs (MiLoG) betreffe, so handle es sich um einen eigenständigen Anspruch, der je Zeitstunde geleisteter Arbeit zu leisten sei. Darunter seien auch Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaft zu subsumieren. Materiellrechtlich abgesichert sei der MiLoG-Anspruch durch seine gesetzliche Ausformung als unabdingbarer Anspruch. Vertragliche Abweichungen seien nicht zulässig. Es gelte ein Verzichtsverbot, allerdings seien gerichtliche Vergleiche hinsichtlich bereits entstandener Ansprüche zulässig.
In der Folge erläuterte der Vortragende die Lohnschutznormen des AEntG. Mithilfe der in den allgemeinen Arbeitsbedingungen festgelegten Mindestentgelte verfolge der Gesetzgeber auch hier das Ziel, angemessene Mindestarbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte AN zu schaffen und durchzusetzen.
Als ein weiteres Beispiel für Lohnschutznormen in Deutschland wurden vom Vortragenden die im Bereich der Leiharbeit vom Gesetzgeber festgelegten Mindestentgelte angeführt. Es gelte der Grundsatz des Equal Pay, demzufolge Leih-AN für die Zeit der Überlassung, was die wesentlichen Arbeitsbedingungen betreffe, den vergleichbaren AN des Entleihers gleichzustellen seien. Durch Tarifvertrag könnten in bestimmten Grenzen Abweichungen zulässig sein.
Abschließend wandte sich Univ.-Prof. Dr. Rüdiger Krause den tariflichen Mindestentgelten und sonstigen Entgeltbestandteilen zu und erläuterte deren Lohnschutzcharakter.
In ihrer Einleitung nahm Univ.-Prof.in Dr.inBettina Nunner-Krautgasser das österreichische Spezifikum Bezug, dass der österreichische Gesetzgeber zwar den Begriff inländische Gerichtsbarkeit verwende, es sich aber bei inländischer Gerichtsbarkeit und internationaler Zuständigkeit um zwei unterschiedliche Verfahrensvoraussetzungen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen handle.
Für das Europäische Recht nahm die Vortragende auf die EuGVVO Bezug. Diese sei 2012 neu gefasst worden. Die EuGVVO neu oder Brüssel 1a-Verordnung als sekundäre Rechtsquelle sei unmittelbar in allen Staaten der EU anzuwenden und genieße daher auch gegenüber dem autonomen österreichischen Recht Vorrang. Regelungsgegenstand seien alle Sachverhalte mit Auslandbezug. Reine Binnenfälle seien nach nationalem Recht zu behandeln. Der Anwendungsbereich der EuGVVO neu erstrecke sich auf alle Zivil- und Handelssachen, zu welchen auch Arbeitsrechtssachen zählten. Als allgemeiner Anknüpfungspunkt gelte gem Art 4 Abs 1 EuGVVO der Wohnsitz des Bekl. Für individuelle Arbeitsverträge enthalte die EuGVVO aber eine spezifische Zuständigkeitsordnung. Das Zuständigkeitsregime sehe Regelungen in Art 20 über den sachlichen Anwendungsbereich, in Art 21 über Klagen gegen AG, und in Art 23 über Klagen gegen AN vor. Art 23 enthalte Bestimmungen über Gerichtsstandvereinbarungen.
Ein AN könne einen AG entweder im Mitgliedstaat des Wohnsitzes des AG oder in einem anderen Mitgliedstaat klagen. Im Falle einer AN-Klage in einem anderen Mitgliedstaat könne der AN an dem Ort, an dem der AN gewöhnlich seine Arbeit verrichte – ersatzweise am Ort der Niederlassung des AG –, klagen, die den AN eingestellt habe. Die Funktion dieser Regelungen bestehe darin, dem AN als der sozial schwächeren Partei einen angemessenen Schutz zu gewähren. Als Beispiel erläuterte die Vortragende die E des EuGH 9.1.1997, C-383/95, Petrus Wilhelmus Rutten/Cross Medical Ltd. Für den Gerichtsstand des Arbeitsortes sei jener Ort ausschlaggebend, den der AN als tatsächlichen Mittelpunkt seiner Berufstätigkeit gewählt habe. Bestünden bei Klagen gegen AG mehrere396mögliche Gerichtsstände, besitze der AN ein Wahlrecht.
Im Zuge ihrer Erörterungen verwies die Vortragende auch kurz auf die Anknüpfungspunkte für AN-Klagen gegen AG im Falle von Entsendungen von AN. Was hingegen Gerichtsstände für Klagen gegen AN betreffe, stünde gem Art 22 EuGVVO lediglich der Wohnsitz des AN als Anknüpfungspunkt zur Verfügung. Von diesem Gerichtsstand könne lediglich in Ausnahmefällen abgewichen werden. Daran anschließend ging die Vortragende auf die konkreten Wirksamkeitsvoraussetzungen von Gerichtsstandvereinbarungen gem Art 25 EuGVVO ein.
Zum Abschluss ihres Vortrages gab Univ.-Prof.in Dr.inNunner-Krautgasser noch einen Überblick über die inländischen Zuständigkeitsregelungen gemäß nationalem Recht.
Abschließend bedankte sich Moderator Dr. Alois Obereder bei den Vortragenden und allen Anwesenden und kündigte an, dass das 4. Symposium des Wiener Arbeitsrechtsforums am 24.5.2018 an einem neuen Ort, und zwar an der Universität Wien in der Sky Lounge, stattfinden wird.
Die Langfassungen sämtlicher Vorträge können dem in Kürze im Manz Verlag erscheinenden Sammelband Kozak (Hrsg), Globales Arbeiten (2017), entnommen werden.