Der faschistische Umbau der Sozialpolitik – Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem austrofaschistischen und nationalsozialistischen Österreich

 EMMERICHTÁLOS (WIEN)

In den ersten Jahrzehnten nach ihrer Konstituierung im ausgehenden 19. Jahrhundert* hat die österreichische Sozialpolitik einen beträchtlichen Ausbau erfahren. Das betraf zum einen den Bereich des Arbeitsrechtes und Arbeiterschutzes insb am Beginn der Ersten Republik – exemplarisch ablesbar an der Einführung des Achtstundentages, des Arbeiterurlaubes, der Betriebsräte oder der Arbeiterkammern. Zum anderen erfolgte ab 1920 die Erweiterung der SV mit der Einführung der AlV sowie der KV und UV der Land- und Forstarbeiter oder mit dem beachtlichen Leistungsausbau in der Angestelltenversicherung.

Auch wenn vor allem in der Zeit der Wirtschaftskrise zu Beginn der 1930er-Jahre der Druck auf die Sozialpolitik enorm verstärkt wurde, so konnten die von den bürgerlichen Parteien und Unternehmervertretungen forcierten Leistungskürzungen unter den Bedingungen der parlamentarischen Demokratie vorerst nur begrenzt realisiert werden. Dies sollte sich unter den Bedingungen faschistischer, sowohl austrofaschistischer als auch nationalsozialistischer Herrschaft ändern. Tiefgehende Einschnitte in bestehende gesetzliche Regelungen betrafen das Arbeitsrecht ebenso wie die SV.

1.
Sozialpolitik im Austrofaschismus

Der damalige Bundeskanzler Dollfuß hatte in der bekannten „Trabrennplatzrede“ vom September 1933 angekündigt: „Wir werden niemals die Lebens- und Grundrechte antasten, im Gegenteil, ein gerechter, christlicher Staat muss gerade den444Ansprüchen der arbeitenden Menschen in erster Linie gerecht werden.* Ganz anders verlief die reale Entwicklung.*

Die austrofaschistische Regierung passte die Sozialpolitik ihren gesellschaftspolitischen, budget- und wirtschaftspolitischen Optionen und Prioritäten an. In wichtigen Punkten erfolgte eine Umgestaltung. Einschneidende Veränderungen betrafen die überbetriebliche und betriebliche Interessenvertretung: Neben den Freien Gewerkschaften waren auch die Betriebsräte ausgeschaltet worden. Ein neuer Einheitsgewerkschaftsbund, für den die Arbeiterkammern als Geschäftsstellen fungierten, war errichtet und die betriebliche Interessenvertretung neu gestaltet worden.* Das neue Gesetz sah für Betriebe der Industrie und des Bergbaues, des Handels und Verkehrs, des Geld- und Kreditwesens und der freien Berufe mit mindestens fünf dauernd beschäftigten Arbeitern und Angestellten die Einrichtung von Vertrauensmännern vor. Und zwar einen Vertrauensmann für fünf bis 19 Beschäftigte, drei für 20 bis 50 Beschäftigte, vier für 51 bis 150 Beschäftigte. Bei mindestens 20 Beschäftigten bildeten die Vertrauensmänner zusammen mit dem Unternehmer die sogenannte Werksgemeinschaft. Durch die Bindung ihres Tätigkeitsbereiches an die Werksgemeinschaft war die Eigenständigkeit dieser Form der betrieblichen Interessenvertretung aufgehoben. Die Beschlüsse der Werksgemeinschaft, deren Aufgabe die Wahrnehmung betrieblicher gemeinsamer Interessen sein sollte, waren an die Übereinstimmung zwischen dem Betriebsinhaber und der Mehrheit der Vertrauensmänner gebunden.

Das Verbot von Streiks,* das Aussperrungsverbot, die Zwangsschlichtung und die Errichtung berufsständischer Ausschüsse* ist Ausfluss autoritärer Eingriffe in die Beziehungen von Lohnarbeit und Kapital. Änderungen der Arbeitsbedingungen erfolgten auf dem Gesetzesweg (Neuregelung der Kollektivvertragsinstanzen* und der Schlichtung, Senkung der Überstundenabgeltung) und entsprachen weitgehend unternehmerischen Interessen. Vor dem Hintergrund der Ausschaltung offener Arbeitskonflikte und des Wegfalls der Freien Gewerkschaften als Kollektivvertragspartner (im Februar 1934) betrieben Unternehmer realen Sozialabbau: Kollektivverträge, der Kündigungsschutz und die Arbeitszeitregelungen wurden nicht eingehalten, Löhne gekürzt, Arbeiter zu unbezahlter Mehrarbeit gezwungen. Gegen diese Praxis protestierte nicht nur der regierungsloyale Gewerkschaftsbund, sondern auch die nicht minder loyale Bischofskonferenz der katholischen Kirche.

Die institutionelle Struktur der SV blieb im Austrofaschismus aufrecht. Die Eingriffe betrafen das Leistungssystem. In Umsetzung ihrer budget- und wirtschaftspolitischen Prioritäten beschloss die Regierung Leistungskürzungen in allen Bereichen der SV. Punktuelle Maßnahmen wurden bereits im Gefolge der Wirtschaftskrise ergriffen. Der systematische Sozialabbau fand dann seinen Niederschlag im wichtigsten Sozialversicherungsgesetz des Austrofaschismus, dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz* aus 1935:

– In der KV wurde eine dreitägige Karenzzeit eingeführt und die Höhe des Krankengeldes reduziert. Die ursprünglich vorgesehene Familienversicherung unterblieb, Mehrleistungen über den gesetzlichen Rahmen hinaus waren unzulässig. War bei einem Unfall die Erwerbsfähigkeit nicht mehr als 50 % vermindert, erfolgte eine Kürzung der Verletztenrente in der UV.

– Am weitreichendsten waren die Leistungskürzungen in der PV der Angestellten. Die Änderung der Rentenbemessung führte beispielsweise zu Kürzungen bis zu 18,7 % bei fünf anrechenbaren Dienstjahren oder bis zu 22 % bei zehn Dienstjahren. Rentenbezieher mussten nunmehr auch zur Kostendeckung in der KV beitragen. Das Gesetz beinhaltete zwar die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter. Doch wie bereits bei deren gesetzlicher Einführung im Jahr 1927 wurde das Inkrafttreten auf „bessere“ wirtschaftliche Bedingungen vertagt. Die österreichischen Arbeiter erhielten erst mit Inkrafttreten der Deutschen Reichsversicherungsordnung am 1.1.1939 Anspruch auf eine, wenn auch realiter sehr geringe Alters- und Invalidenversicherung.

– Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes wurde mit 20 Wochen, im Fall sehr langer Dienstverhältnisse mit 30 Wochen festgelegt. Änderungen betrafen auch die Anschlussleistung an das Arbeitslosengeld, die Notstandsaushilfe. Deren Bezugsbedingungen wurden verschärft, für den Bezug mussten mindestens fünf versicherungspflichtige Jahre in den letzten zehn Jahren nachgewiesen werden. Die Konsequenz dieser Änderung war der Anstieg der Zahl der aus der AlV Ausgesteuerten. Der Anspruch entfiel zudem während der Zeit einer Freiheitsstrafe, wovon auch Häftlinge von „Anhaltelagern“ betroffen waren.

Der massive Sozialabbau entlastete die Unternehmen und das staatliche Budget. Der Anteil der Ausgaben für „Soziale Verwaltung“ an den Gesamtausgaben des Bundes sank von 23,5 % im Jahr 1932 auf 17,2 % im Jahr 1937.

Die Einschränkungen der sozialen Sicherung auf Bundesebene schlugen letztlich auf die Heimatgemeinden durch, die für die Armenfürsorge zuständig waren. Diese wieder versuchten der wachsenden finanziellen Belastung durch Abweisung „fremdzuständiger“ und „umherziehender“ Personen Herr zu werden. In ländlichen Gemeinden dominierten zudem Naturalunterstützungen.

Die Politik des Sozialabbaus war Resultat politischer Entscheidungen: Die Alternativen dazu, Erhöhungen der Beiträge von Unternehmern und Beschäftigten oder die Anhebung des staatlichen Beitrages, wurden dezidiert ausgeschlossen. Die Sozialpolitik des Austrofaschismus lief auf eine extreme Schieflage zu Lasten der Arbeiterschaft445hinaus. Die soziale und sozialpolitische Realität kontrastierte merkbar den wiederholten Ankündigungen und der Selbstdefinition des Austrofaschismus als sozialer Staat.

Im Kontext der enorm gestiegenen Arbeitslosigkeit hatte die Regierung Dollfuß nur zaghaft und selektiv Maßnahmen beschäftigungsrelevanter Art gesetzt. Die Priorität der Stabilität von Währung und Budget stand einer aktiven und konsequenten Beschäftigungspolitik entgegen. Dies wird exemplarisch an der Verwendung der Mittel aus den diversen aufgelegten Anleihen ersichtlich, die der Arbeitsbeschaffung dienen sollten. Anders als propagandistisch kundgetan, wurden diese zu großen Teilen für die Bankensanierung und die Rückzahlung der Bundesschulden eingesetzt. Nur wenige Prestigeprojekte, wie die Reichsbrücke und die Höhenstraße in Wien oder die Großglockner Hochalpenstraße, wurden mit diesen Mitteln realisiert. Die von Schuschnigg 1935 groß angekündigte „Arbeitsschlacht“ hatte nur marginal zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation beigetragen.

Andere Wege der Arbeitsbeschaffung, wie eine generelle Arbeitszeitverkürzung, wurden ausgeschlossen. Beleg für die beschäftigungspolitische Untätigkeit und Selektivität der Politik im Austrofaschismus ist die Tatsache, dass die Arbeitslosenrate im Jahr 1933 bei 26 % lag und 1937 noch immer annähernd 22 % betrug. Im Vergleich dazu erfolgte in Deutschland eine Reduktion der Arbeitslosigkeit von 23,3 % im Jahr 1931 auf 4,6 % im Jahr 1937. Die nationalsozialistische Losung „Brot und Arbeit“ fiel in Österreich auf fruchtbaren Boden.*

2.
Sozialpolitik im Nationalsozialismus (1938–1940)

Mit den ab März 1938 ergriffenen Maßnahmen zur sozialpolitischen Angleichung Österreichs an den deutschen Nationalsozialismus haben die inhaltlichen Konturen staatlicher Sozialpolitik in Österreich neuerlich merkbare und einschneidende Veränderungen erfahren. Diese bewegten sich zum Teil in Richtung des bereits durch den Austrofaschismus eingeschlagenen und 1933 bis 1938 realisierten Weges. Beispiele dafür sind die Beseitigung der frei organisierten Arbeiterbewegung und der Betriebsräte oder die Ausschaltung der traditionellen Formen gesellschaftlicher Konfliktaustragung. Die Veränderungen gingen darüber hinaus, was am Arbeitsrecht, an der Arbeitseinsatz- und Lohnpolitik, vor allem aber an der rassistisch begründeten Ausgrenzungs- und Diskriminierungspolitik deutlich erkennbar ist. Bei der Übertragung der im Nationalsozialismus geltenden sozialpolitischen Normen auf Österreich kamen auch alte Traditionen der deutschen Sozialpolitik, so vor allem in der SV (zB Alterssicherung von Arbeitern), zum Tragen. Diese waren vom Nationalsozialismus nach 1933 weitgehend unverändert fortgeschrieben worden.

Der Anpassungsprozess vollzog sich in mehreren Etappen. Mit Verordnungen über die Einführung sozialrechtlicher Vorschriften wurden Regelungen des nationalsozialistischen „Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit“ (AOG aus 1934) übertragen. Zentrale Punkte dieses Grundgesetzes des nationalsozialistischen Arbeitsrechtes, wie Führerprinzip, alleinige Entscheidungskompetenz des Betriebsführers, Rolle der Gefolgschaft, Treueverhältnis, Vertrauensrat als beratendes Organ, erlangten damit in Österreich Geltung.* Die formale Verankerung der alleinigen Entscheidungsbefugnis des Betriebsführers in allen betrieblichen Angelegenheiten korrespondiert mit dem Ausschluss jeglicher Form einer eigenständigen Interessenorganisierung der Arbeiter und Angestellten. Den Vertrauensräten, die in Betrieben mit mindestens 20 Beschäftigten bestellt werden sollten, war selbst noch die im Austrofaschismus bereits eingeschränkte Selbständigkeit aberkannt. Sie bildeten mit dem Betriebsführer den Vertrauensrat, dessen Aufgabe ausschließlich in der Beratung des Betriebsführers bestand.* Im Unterschied zur Institution BR, die bis 1933 bestand, war der Vertrauensrat nicht Organ der Belegschaft, hatte nicht deren Interessen gegenüber dem AG zu vertreten, sondern war Organ des Betriebes.* Zugleich trat die vom Nationalsozialismus durchgeführte Änderung im Bereich der Tarifregelung in Kraft: Diese fiel in die Kompetenz des Rechtstreuhänders der Arbeit. Mit der Wahrnehmung der Aufgaben des Rechtstreuhänders der Arbeit war vorerst der Reichsstatthalter von Österreich vom Reichsarbeitsminister betraut worden. Nach einem neuerlichen Provisorium bezüglich der Reichstreuhänderverwaltung im Oktober 1938 (ein Reichstreuhänder für das gesamte Wirtschaftsgebiet der „Ostmark“)* kam es im Zusammenhang mit dem Abschluss des Umbaus der politisch-organisatorischen Struktur der „Ostmark“ 1940 zu einer definitiven Regelung. Die „Ostmark“ wurde in vier Wirtschaftsgebiete gegliedert, mit Sitz der Reichstreuhänder in Wien, Linz, Graz und Innsbruck.*

Der Anpassungsprozess bei anderen arbeitsrechtlich relevanten Fragen, wie Arbeitszeit und Jugendschutz, erfolgte mit zeitlichen Verzögerungen. Die Arbeitszeitordnung trat im März 1939 in der Ostmark in Kraft.* Die Arbeitszeitordnung fixierte eine achtstündige regelmäßige Arbeitszeit, sah jedoch sowohl Möglichkeiten zur Verlängerung bis zehn Stunden (zB durch Tarifordnung) als auch darüber hinausgehend (zB aus dringenden „Gründen des Gemeinwohles“) vor. Für die Mehrarbeit war eine Vergütung vorgesehen.

Ebenso wie in anderen sozialpolitischen Bereichen (Lohnpolitik, Arbeitseinsatzpolitik) kam es446im Bereich des Arbeitsrechtes bei Kriegsbeginn zu Veränderungen, „um einen möglichst reibungslosen Anlauf der Kriegswirtschaft zu gewährleisten“.*

Für männliche Beschäftigte über 18 Jahre traten die Bestimmungen der Arbeitszeitordnung über die Dauer der Arbeitszeit außer Kraft, was heißt, dass es keine Begrenzung mehr gab. Der obersten Verwaltungsbehörde wurde zudem die Möglichkeit eingeräumt, auch Arbeitsschutzbestimmungen für Frauen und Jugendliche für einzelne Betriebe ganz oder teilweise außer Kraft zu setzen. Die Kriegswirtschaftsverordnung vom 4.9.1939 enthielt darüber hinaus die Streichung von Zuschlägen für Mehrarbeit, für Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit sowie die Außerkraftsetzung der Vorschriften über den Urlaub.

Die dann in den nächsten Monaten erfolgte Rücknahme einiger Maßnahmen, die zu Kriegsbeginn ergriffen worden waren, wurde von nationalsozialistischen Machtträgern in der Öffentlichkeit damit begründet, dass es sich dabei nur um befristete Umstellungsmaßnahmen gehandelt habe.* Es spiegelt sich darin jedoch ein Dilemma der nationalsozialistischen Sozialpolitik, nämlich Zugeständnisse an Arbeiter und Angestellte versus Erfordernisse der Kriegspolitik, wider. Berichte über Unmut, sinkende Arbeitsmoral und Leistungsabfall, über Beeinträchtigung des Produktionsablaufes sowie Kritik der DAF, von Vertretern der Industrie und der Gauleiter bildeten den Hintergrund für teilweise Revisionen:* Ende November 1939 erfolgte die Wiedereinführung der Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit, im Dezember 1939 die Einführung der Vergütung für Mehrarbeit ab der elften Stunde, im Jänner 1940 die Begrenzung der täglichen Arbeitszeit für männliche Beschäftigte ab 18 Jahren auf zehn Stunden. Darüber hinaus ist das Verbot der Nachtarbeit für Jugendliche und Frauen vom 12.12.1939 sowie die Wiedereinführung der Vorschriften und Vereinbarungen über den Urlaub zu erwähnen.*

Die Mindestarbeitszeit für Frauen betrug 1942 pro Woche 56 Stunden. Formell änderte sich dies nach der Proklamation des „totalen Krieges“ 1943 zwar nicht, allerdings wurde diese Bestimmung oft übertreten.

Abgesehen von Änderungen hinsichtlich der Rolle und der Aktivitäten des Reichstreuhänders im Bereich der Lohnpolitik sei als wichtiger Aspekt der Entwicklung des Arbeitsrechtes in der Kriegszeit die Regelung des Mutterschutzes angeführt. 1940 traten vorerst die geltenden deutschen Bestimmungen über die Beschäftigung vor und nach der Geburt in Kraft – soweit die bisherigen österreichischen Vorschriften nicht günstigere Regelungen (zB für Angestellte und Schauspielerinnen) enthielten. Die Vorarbeiten zu einer Neuregelung des Mutterschutzes* kamen 1942 zum Abschluss. Dieses Gesetz erweiterte nicht nur den Adressatenkreis (Geltung auch für Landarbeiterinnen), sondern brachte auch für die Mehrzahl der Frauen wesentliche Verbesserungen: so zB die Verlängerung der Schutzfrist nach der Niederkunft, den Ausschluss der Mehrarbeit, den Ausbau des Kündigungsschutzes und die Erhöhung des Wochengeldes. Im Mutterschutzgesetz überschneiden sich rassistische, bevölkerungspolitische, biologistische, legitimatorische und arbeitseinsatzpolitische Motivationen. Wie an der realen Entwicklung der Frauenarbeit 1938 bis 1945 deutlich wird, hat der vermehrte Arbeitseinsatz von Frauen weder traditionelle Rollenzuschreibungen (Zuständigkeit der Frau für den sozialen Reproduktionsbereich) noch die Ungleichstellung im Bereich der Entlohnung verändert.* Dennoch beförderten die unterschiedlichen Ansprüche und befürchteten Legitimationsprobleme eine inkonsistente „Frauenpolitik“, ablesbar im Bereich Arbeitseinsatz, an Sicherungs- und Schutzmaßnahmen sowie an Zugeständnissen. Diese Inkonsistenz galt jedoch nur gegenüber deutschen Frauen und Müttern. Mit ihrer Besserstellung korrespondiert – als Ausfluss der rassistischen Komponente in der Sozialpolitik – die formale und reale Ungleichstellung von Jüdinnen und (mit Abstufungen) von Ausländerinnen.

Die nach dem „Anschluss“ Österreichs realisierte Anpassung im Bereich der SV bedeutete zum einen die Übertragung von Regelungen, die der Nationalsozialismus aus der vorausgehenden Tradition weitgehend übernommen hatte, zum anderen die Umgestaltung der SV nach politischen Prioritäten des Nationalsozialismus.

Als Kernpunkte der mit 1.1.1939 in Kraft getretenen Einführungsverordnung* können angeführt werden: Die bestehenden österreichischen Regelungen für die bisher im Bereich der Altersfürsorgerenten Versicherten wurden hinsichtlich der Versicherungspflicht und der Altersgrenzen fortgeschrieben. Die Erweiterung der Dauer der Krankenhilfe (über 26 Wochen bis auf ein Jahr) wurde ermöglicht und der Land- und Forstwirtschaft die Möglichkeit eingeräumt, die Leistungen und Beiträge bis 1944 abweichend vom Reichsrecht zu regeln. Der in Österreich weiter gefasste Personenkreis der UV blieb erhalten. Ein wichtiger Punkt ist, dass die bestehenden reichsrechtlichen Vorschriften über die Leistungen erst auf jene Versicherungsfälle Anwendung fanden, die nach dem 31.12.1938 eingetreten sind. Dh ua, dass nur jene ArbeiterInnen in der „Ostmark“ in den Genuss der neu eingeführten Altersrente kamen, die erst nach dem 31.12.1938 aus der Erwerbstätigkeit ausgeschieden sind. Diese Altersrente setzte sich aus einem Grundbetrag und Steigerungsbeträgen zusammen. Da es vor 1939 diese Altersrente in Österreich nicht gab, wurden nur bestimmte Zei-447ten als Vordienstzeiten angerechnet – und hatten damit ein niedrigeres Niveau. Zugleich bedeutete die Einführung der Altersrente für ArbeiterInnen eine Aufwertung gegenüber FürsorgeempfängerInnen. Die Hinterbliebenen kamen in den Genuss einer Witwen-, Witwer- und Waisenrente. Durch die Einführung der knappschaftlichen PV wurden die Leistungen für die im Bergbau Beschäftigten verbessert.

Kam es im Bereich der neu eingeführten Renten für ArbeiterInnen de facto zu keiner Angleichung an das Niveau der Renten des „Altreiches“, so erfolgte allerdings im Bereich der Angestelltenrenten zum Teil sogar eine Anpassung an das niedrigere Leistungsniveau der deutschen Angestelltenversicherung. Darüber hinaus wurden die im Rahmen des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes in Österreich 1935 realisierten beträchtlichen Leistungskürzungen für Angestellte mit der Einführungsverordnung fortgeschrieben.

Während des Krieges erfolgten einige Leistungsverbesserungen: So sah ein Gesetz aus 1941 die Einführung der KV für PensionistInnen und die Erhöhung der laufenden Renten um 7 Reichsmark vor. Auch in den Jahren 1942/43 gab es noch Änderungen im Leistungsbereich.* Diese hielten sich allerdings – von der Bevorzugung der Bergarbeiter abgesehen* – in engen Grenzen.

Die rassistische Ausrichtung der nationalsozialistischen Sozialpolitik zeigt sich am Ausschluss von Juden, Roma und Sinti aus dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit, aus dem Wirtschaftsleben, aus dem Bezug von Familien- und Kinderzulagen und vom Anspruch auf reguläre Sätze der Arbeitslosenhilfe. Juden im Generalgouvernement wurden explizit aus der Rentenversicherung ausgeschlossen.

3.
Abschluss

Aus der kurzen Skizze der sozialpolitischen Entwicklung im Austrofaschismus und Nationalsozialismus lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede im faschistischen Umbau der Sozialpolitik erkennen:

Deutliche Gemeinsamkeiten zeigen sich an den einschneidenden Veränderungen im Bereich der Interessenvertretung. In beiden Entwicklungsphasen wurden die bestehenden Möglichkeiten überbetrieblicher und betrieblicher Interessenvertretung beseitigt. Während der Austrofaschismus eine systemloyale Einheitsgewerkschaft etablierte, war im Nationalsozialismus eine gewerkschaftliche Organisierung dauerhaft unterbunden. Die Neugestaltung der betrieblichen Vertretung fiel im Nationalsozialismus radikaler als im Austrofaschismus aus. Die neu eingeführten Vertrauensräte waren ein Organ des Betriebes, nicht der Beschäftigten. Im Austrofaschismus wie im Nationalsozialismus unterlag das Arbeitsrecht substantiellen Einschnitten, während die traditionelle Struktur der SV aufrecht blieb – ungeachtet der Beseitigung der in Österreich bestehenden Institutionen durch deren Integration in das reichsdeutsche Sozialversicherungssystem.

Während der Gewerkschaftsbund im austrofaschistischen Österreich in die Tarifbildung integriert war, lag die Tarifregelung im Nationalsozialismus in den Händen der Reichstreuhänder der Arbeit. Der austrofaschistische Eingriff in das bestehende Arbeitszeitrecht war punktueller, der im Nationalsozialismus genereller Art. Eine Zuspitzung erfuhr letzterer im Gefolge des Krieges mit einer Normalarbeitszeit von zehn Stunden.

Die Ankurbelung der kriegswirtschaftlichen Produktion und der Ausweitung des Krieges führte im Nationalsozialismus zu einem Arbeitskräftemangel, während im Austrofaschismus ein hohes Ausmaß der Arbeitslosigkeit ein durchgängiges Phänomen war.

Im Austrofaschismus wurden die Leistungen generell eingeschränkt. Im Nationalsozialismus gab es neben Privilegierten (wie im Bergbau Beschäftigte) soziale Gruppen, die aus rassistischen Gründen von Ausgrenzung und Leistungseinschränkungen betroffen waren.

Das erste halbe Jahrhundert der österreichischen Sozialpolitik ist damit eindrücklicher Beleg dafür, dass deren Entwicklung nicht linear verlief. Sie war geprägt von Schüben und Brüchen, von Kontinuität und Diskontinuität, von graduellen und strukturellen Veränderungen.448