UlriciArbeitnehmerüberlassungsgesetz – Handkommentar
Nomos Verlag, Baden-Baden 2017, 725 Seiten, gebunden, € 89,–
UlriciArbeitnehmerüberlassungsgesetz – Handkommentar
Dieses umfangreiche und topaktuelle Werk stammt aus der Feder von PD Dr. Bernhard Ulrici, der seit 2003 als Rechtsanwalt in Leipzig tätig ist, seit vielen Jahren an der Universität Leipzig lehrt und sich 2014 habilitiert hat. Daher verwundert es nicht, dass der gegenständliche Kommentar dogmatisch fundierte sowie praktisch einschlägige Ergebnisse liefert. Besondere Erwähnung soll die Tatsache finden, dass das zu besprechende Werk, abgesehen von einer klassischen Gesetzeskommentierung (bereichert um detaillierte Hinweise auf tarifvertragliche Abweichungen und spezielle Besonderheiten einzelner Branchen), drei Schwerpunktbeiträge enthält, welche die eine AN-Überlassung prägenden Rechtsbeziehungen thematisch geordnet erschließen, nämlich das Leiharbeits-, das Einsatz- und das AN-Überlassungsverhältnis. Eingangs arbeitet der Autor relevante Vorfragen im Rahmen einer recht umfangreichen Einleitung auf und erörtert dabei ua die Abgrenzung der echten und unechten Leiharbeit, skizziert die Rechtsentwicklung und gibt einen rechtsvergleichenden Kurzüberblick.
Angesichts der zahlreichen auf seinem Konto verbuchten Publikationen zum AN-Überlassungsrecht erscheint Ulrici als Idealbesetzung für die Aufarbeitung der am 1.4.2017 in Kraft getretenen Reform des deutschen Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (dAÜG). Diese hat die bis dahin geltende Rechtslage um einiges an Komplexität angereichert, die zahlreiche Auslegungsfragen mit sich bringt. Das spiegelt sich bereits in der Stärke des Kommentars wider; dem § 1 dAÜG alleine sind 100 Seiten gewidmet.
Intention der „Reregulierung“ ist vor allem die Bekämpfung missbräuchlicher Vertragsgestaltungen, die insb über die Zurückführung auf die Kernfunktion der Arbeitskräfteüberlassung erreicht werden will. So soll eine dauerhafte Substitution von „Normalarbeitsverhältnissen“ grundsätzlich nicht möglich sein. Daher führt der Gesetzgeber erneut in § 1 Abs 1 Satz 4 iVm Abs 1b dAÜG eine Überlassungshöchstdauer von grundsätzlich 18 Monaten (vorbehaltlich Tarifvertrag bzw uU BV) ein und entspricht damit nach Ansicht des Autors einer Fehlinterpretation der LeiharbeitsRL 2008/104/EG, die sE entgegen der hA (stellvertretend Düwell, Die vorübergehende Überlassung im Ersten AÜG-Änderungsgesetz, ZESAR 2011, 450) kein Verbot der nicht bloß vorübergehenden AN-Überlassung enthält. In Österreich ist die Zulässigkeit längerfristiger Arbeitskräfteüberlassungen zumindest aus § 10 Abs 1a AÜG ableitbar, wonach ein Anspruch auf Einbeziehung in Pensionskassenzusagen bzw betriebliche Kollektivversicherungen des Beschäftigerbetriebs erst nach vier Jahren entsteht. Zu Recht hinterfragt Ulrici, ob durch die Einführung einer Höchstdauer denn tatsächlich dem ursprünglichen Telos entsprochen wird. Er vertritt vielmehr die Ansicht, die Beachtung dieser Grenze wirke sich ausschließlich zum Nachteil des Leih-AN aus (§ 1 Rz 13). Tatsächlich wird Leiharbeit als ein entscheidender Faktor für die Schaffung von Arbeitsplätzen gewertet. Abgesehen von diesem volkswirtschaftlichen Nutzen kann es auch im Interesse des einzelnen AN liegen, im Zuge von Überlassungen Erfahrung zu sammeln, diese Tätigkeit als Sprungbrett zu nutzen bzw in Sektoren, die von kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen gekennzeichnet sind (zB künstlerische Berufe), eine gewisse Stabilität zu erwirken (Hießl/Runggaldier, Grundzüge des europäischen Arbeits- und Sozialrechts4 [2014] 78 mwN).
Im Wege der Reregulierung des deutschen AN-Überlassungsrechts wurde des Weiteren das Verbot der Kettenüberlassungen (Ketten-, Zwischen- oder Weiterverleih) gesetzlich verankert, wonach AN grundsätzlich nur von ihrem vertraglichen AG als Verleiher überlassen werden dürfen (siehe § 1 Rz 83 ff). Erwähnt sei auch die Möglichkeit, tarifvertraglich vom Equal Pay-Prinzip bis zu 15 Monate abzuweichen (§ 8), zum einen, da sie sich von der österreichischen Regelung in §§ 1 Abs 3 iVm 10 AÜG unterscheidet und zum anderen, weil sie doch mit der neuen Überlassungshöchstdauer idH von 18 Monaten zu kontrastieren scheint. Die Einführung452der Überlassungshöchstdauer wurde abgesehen davon durch die Ausweitung der sogenannten Festhaltenserklärung ergänzt. Gem § 9 Abs 1 Nr 1b dAÜG kann der Leih-AN nunmehr bis zum Ablauf eines Monats nach Überschreiten der zulässigen Höchstdauer schriftlich erklären, an dem Arbeitsvertrag festhalten zu wollen. Die Ausführung Ulricis zu den (überwiegend zivilrechtlichen) Folgen solcher Konstellationen beweist dessen Fachexpertise und hinterlässt die Autorin dieser bescheidenen Besprechung zutiefst beeindruckt (siehe § 9 Rz 3 ff).
Die Besonderheit eines Gesetzeskommentars verleitet dazu, sich individuellen Interessen entsprechend gewissen Themen vertiefend zu widmen. Beispielhaft sei daher die für österreichische Rechtsanwender aktuell überaus interessante Frage der Abgrenzung von Arbeitskräfteüberlassung und Werkvertrag herauszugreifen; zumal Ulrici in seinen Ausführungen auf die österreichische Regelung des § 4 Abs 2 AÜG rekurriert und zu meinen scheint, dass ein derartiger Indizienkatalog die Abgrenzung erleichtert (§ 1 Rz 60). Bekanntlich ist es aber gerade diese Regelung, die vielen in Österreich tätigen Unternehmen bzw den zu verantwortlich Beauftragten bestellten Personen Kopfzerbrechen bereitet. Daher enthält auch das gut 100 Tage alte Regierungsprogramm einen Passus, wonach hierzu eine „Klarstellung analog dem EU-Recht unter Gesamtabwägung aller Umstände“ erfolgen soll. Damit tragen die Regierungspartner offensichtlich dem in diesem Zusammenhang jüngsten Entscheid des VwGH (22.8.2017, Ra 2017/11/0068) Rechnung. Dieser hat nämlich im Sommer 2017 entgegen der bisherigen stRsp (aus Anlass des EuGH-Urteils in der Rs Martin Meat [18.6.2015, C-586/13]) festgestellt, es reiche für die Annahme einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung iSd AÜG nicht aus, dass der Tatbestand auch nur einer der vier Ziffern des § 4 Abs 2 AÜG erfüllt ist, selbst wenn die zu Grunde liegende Vereinbarung zivilrechtlich als Werkvertrag einzustufen wäre. In der Literatur wird hierzu nun die Auffassung vertreten, dass diese Kriterien auch bei reinen Inlandssachverhalten angewendet werden müssten, um eine Inländerdiskriminierung zu vermeiden (siehe Brodil/Dullinger, Zur Abgrenzung von Werkvertrag und Arbeitskräfteüberlassung, ZAS 2017/2, 4 [11 f]). Eine dahingehende Änderung des § 4 Abs 2 AÜG lässt allerdings genauso auf sich warten wie ein Erlass des BMASGK zum LSD-BG, in dessen Anwendungsbereich auch die Arbeitskräfteüberlassung fällt. Insofern ist es besonders erfreulich, dass sich der hier zu besprechende Kommentar auch der Abgrenzung von Leiharbeit und Werkvertrag bzw Selbstständigkeit widmet und die von Rsp und Literatur anerkannten Indizien darstellt (siehe § 1 Rz 65 ff). Schließlich konstatiert Ulrici allerdings, dass Indizien die Feststellung der dem Gesetz entsprechenden Rechtslage ermöglichen und nicht die geltende Rechtslage inhaltlich ändern sollen. Die weitere Entwicklung sowohl in Deutschland als auch in Österreich bleibt daher gespannt abzuwarten. Abschließend bleibt nur, eine uneingeschränkte Empfehlung der Kommentierung an alle auszusprechen, unabhängig davon, ob ihnen diese Materie Kopfzerbrechen bereitet.