Kietaibl/Resch (Hrsg)Atypische Beschäftigungsformen

Verlag des ÖGB, Wien 2017, 136 Seiten, kartoniert, € 29,90

RUDOLFMÜLLER (WIEN/SALZBURG)

Das Buch ist im Rahmen eines Praktikerseminars entstanden, und zwar in einer gemeinsamen Veranstaltung der Arbeiterkammer (AK) Kärnten und der Alpen Adria Universität Klagenfurt. Zunächst behandelt Peter Wenig (AK Kärnten) eine Reihe häufig vorkommender Vertragsmuster atypischer Arbeitsverträge anhand konkreter Textbeispiele, die er rechtlich würdigt, wobei die Palette von All-In-Verträgen für Angestellte, einem kollektivvertragswidrigen Industriearbeitervertrag, über Vertragsmuster eines freien Dienstvertrages, der sich als echter Dienstvertrag entpuppt, und freien Dienstverträgen an einer Universität, sowie eines Verkaufsberaters mit Gewerbeschein bis hin zu einem Dienst- und Ausbildungsvertrag bei einem Rauchfangkehrermeister reicht, der immerhin Eingriffe in die Privatsphäre, merkwürdige Entlohnungsregeln betreffend die Arbeitszeit, eine Erfolgshaftung bei Verlust von Betriebsmitteln und eine gesetzwidrige Ausbildungskostenrückerstattungsregelung enthält. Nicht alles würde ich freilich als „atypisch“ kategorisieren, was schlicht gesetzwidrig ist und in der einen oder anderen Form schon immer da war. Praktikantenverhältnisse, geringfügige Beschäftigung als Massenerscheinung, Leiharbeit, Teleworking, Crowdworking – das wären so meine bevorzugten Atypischen. Zu diesen Themen enthält dieser Sammelband aber leider keinen Beitrag.

Marta Glowacka (Industriellenvereinigung) gibt aus arbeitsrechtlicher Sicht einen Überblick über die Abgrenzung des Dienstvertrages bzw freien Dienstvertrages vom Werkvertrag in Lehre und Rsp und setzt sich dann eingehend mit drei Beispielen freier Dienstverträge auseinander. Sie untersucht vor diesem Hintergrund eine ganze Reihe „kritischer Vertragsklauseln“ auf ihre Zulässigkeit. Bei der Abdingung des § 1155 ABGB postuliert sie ein Verbot einer pauschalen Abdingung wegen der damit verbundenen Gefahr einer sittenwidrigen Überwälzung von AG-Risken auf AN (wann diese Grenze freilich erreicht wird, bleibt dunkel). Die Überwälzung der Kostentragung für Arbeitskleidung und für sonstigen Aufwandersatz sei auch bei privater Nutzungsmöglichkeit zulässig, nicht aber dann, wenn der AG nach AN-Schutzrecht zur Zurverfügungstellung gesetzlich verpflichtet sei, sowie bei Bezahlung nur des kollektivvertraglichen Mindestlohns, es sei denn, der KollV selbst sehe Anderes vor. Weitere Themen sind ua kollektivvertragliche Aufsaugungsklauseln, der Ausbildungskostenrückersatz, Probezeit, Pauschalentgeltvereinbarungen und das Verbot privater Nutzung von Diensthandys und Dienstcomputer. Über die eine oder andere Auffassung ließe sich diskutieren, aber insgesamt gibt die Autorin einen praxisbezogen fundierten Überblick über die Rechtslage.

Thomas Pfalz (Universität Wien) beschäftigt sich kritisch mit der (sozialversicherungsrechtlichen) Rsp des VwGH zum DN-Begriff. Er kritisiert allgemein die „formelhafte“ Rsp des VwGH, womit die Wiedergabe von Rechtssätzen aus der Vorjudikatur gemeint ist. Die Segnungen der elektronischen Datenverarbeitung und453der Schreibprogramme haben zweifellos zu einer Vermehrung des Umfanges durchschnittlicher gerichtlicher Entscheidungen geführt, wie man anhand der amtlichen Sammlungen einst und jetzt mühelos nachvollziehen kann. Der vermehrte Umfang bedeutet freilich nur selten ein Mehr an rechtlicher Begründung: „copy und paste“ lädt zu umfassender Wiedergabe des bisherigen Verwaltungsgeschehens ein (statt zu einer gerafften, am Thema der Entscheidung orientierten Zusammenfassung), aber auch zur Wiedergabe von tatsächlich oder vermeintlich einschlägigen Rechtssätzen in extenso. Ein gewisser Vorteil besteht aber darin, dass man den Adressaten der Entscheidungen, vollständiger und umfangreicher als dies früher der Fall war, die Vorjudikatur vermitteln kann, ohne dass dies großen Aufwand erfordern würde. Die Gefahren einer „Rechtssatzjudikatur“ liegen auf der Hand, nämlich die Verselbständigung und generelle Anwendung von Rechtssätzen, losgelöst von jeweils ganz unterschiedlichen Sachverhalten der Ausgangsfälle. Insoweit trifft die Kritik von Pfalz auf die eine oder andere E des VwGH zu, in der die Auseinandersetzung mit den Umständen des Falles etwas ausführlicher hätte ausfallen können. Darin die Gefahr eines „Lagerdenkens“ zu wittern (97), geht freilich deutlich zu weit und verlässt den Rahmen wissenschaftlicher Argumentation zugunsten einer Polemik.

Das Argument verkennt vor allem die Ausgangslage: Das Misstrauen der Sozialverwaltung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit in die Vertragsgestaltung der DG ist wohl mehr als gerechtfertigt, wenn Verträge über regelmäßig zu erbringende Dienstleistungen, die jahrzehntelang problemlos als Arbeitsverträge gestaltet wurden, plötzlich zB eine Vertragsklausel aufweisen, nach denen der AN die Befugnis haben soll, sich jederzeit beliebig vertreten lassen zu können. Jeder, der die soziale und wirtschaftliche Stellung von DN einerseits und die üblichen Abläufe in Unternehmen nur ein wenig kennt, dem sagt schon der Hausverstand, dass eine solche Befugnis weder den Interessen eines DN (der dadurch ja keiner mehr wäre und der idR wohl auch niemanden wüsste, der ihn vertreten sollte) dient, noch dass sie der an einem klaglosen Funktionieren der Unternehmensorganisation interessierten DG ernsthaft wollen kann. Hinzukommt, dass die Verfahren über die Versicherungspflicht dadurch charakterisiert sind, dass meist ein „Beweismonopol“ einer Seite (je nach Interessenlage DG/DN) besteht, der die Sozialverwaltung an eigenen Beweisen nur Momentaufnahmen entgegensetzen kann, sofern vor Ort eine gemeinsame Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben stattgefunden hat. Die Sozialverwaltung kann also nur am Vorbringen und den Beweisanboten der anderen Seite anknüpfen und diese kritisch hinterfragen. Und wo ein Vertretungsrecht eingeräumt wird, geht es fast immer um die Vermeidung der Sozialversicherungspflicht. Es mag Ausnahmen geben, die in der Natur der Arbeitsleistung oder der Natur der Betriebsorganisation begründet sind – dann steht es den DG aber frei, diese Umstände im Einzelnen zunächst einmal darzutun und die Beweise dafür anzutreten. Gerade daran fehlt es aber in der Regel: Über eine den Vertragstext bekräftigende Behauptung geht das Vorbringen in den Verfahren so gut wie nie hinaus.

Christoph Kietaibl (Universität Klagenfurt) beschäftigt sich schließlich mit „Rechtsfolgen bei Fehlqualifikation der Erwerbstätigkeit“. Es geht dabei um Fälle der Scheinselbständigkeit, bei denen im Nachhinein das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses festgestellt wird. Es werden sowohl arbeitsrechtliche (insb entgeltrechtliche) als auch sozialversicherungsrechtliche Folgen der Rückabwicklung behandelt. Im letztgenannten Zusammenhang spricht sich der Autor für eine Umqualifikation ex nunc aus, einer Anregung, der der Gesetzgeber im mittlerweile ergangenen Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz, BGBl I 2017/125, in gewisser Hinsicht gefolgt ist, nämlich für den Fall, dass davor ein spezifisches Zuordnungsverfahren stattgefunden hat (§ 412c ASVG). Auch die von Kietaibl kritisierte Beitragsnachverrechnung bei gleichzeitiger Rückerstattung der SVA-Beiträge an den DN ist mittlerweile nicht mehr geltendes Recht (§ 41 Abs 3 GSVG). Damit teilt der Beitrag Kietaibls das Schicksal vieler wissenschaftlicher Arbeiten zum Sozialversicherungsrecht: Kaum geschrieben, werden sie durch einen Federstrich des Gesetzgebers zur Rechtsgeschichte.

Ein schmales, wohlfeiles Buch, das gleichwohl zu einem Ausschnitt des gewählten Themas einen guten Überblick über die Probleme und den Stand der Rsp gibt. Man liest es nicht zuletzt dank der Qualität der AutorInnen mit Gewinn.