PichlmayerUnternehmensstrafbarkeit beim Arbeitsunfall

LexisNexis Verlag, Wien 2017, 160 Seiten, broschiert, € 38,–

RUDOLFMÜLLER (WIEN/SALZBURG)

Zwei Lehrlingsausbildner wurden vom LG Feldkirch im Jahre 1999 wegen fahrlässiger Körperverletzung zu Geldstrafen verurteilt, weil sie für die schwere Verletzung des jugendlichen Beschäftigten verantwortlich gehalten wurden, welche sich dieser bei Tätigkeiten an einer Abkantpresse durch Quetschungen, verbunden mit einer Amputation des rechten Klein- und Ringfingers, zugezogen hatte. Die Lehrlingsausbildner hatten ihm zuvor diese Arbeit entgegen dem gesetzlichen Verbot, Jugendliche an solchen Pressen zu beschäftigen, zugewiesen (Bl 172/98). Das war die einzige strafrechtliche E mit explizitem Bezug zu einem Arbeitsunfall, die der Rezensent bei einer Abfrage im RIS auffinden konnte. Derartige Fälle hat der Autor wohl im Auge, wenn er die These vertritt, dass die Kombination des Verstoßes gegen eine Verwaltungsvorschrift, zB des AN-Schutzes und der Verwirklichung einer Straftat, wie einer fahrlässigen Körperverletzung oder Tötung eines Menschen, darüber hinaus auch zur Strafbarkeit des Unternehmens nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) führen kann.

Dazu stellt der Autor auf den ersten zirka 50 Seiten des Bandes einerseits die Strafbarkeit von Unternehmen nach dem VbVG in ihren Grundzügen dar und zeigt andererseits „Verbandspezifische Pflichten“ auf, die vom allgemeinen Schutz von AN nach dem Arbeitsvertragsrecht, über den technischen AN-Schutz bis zum Verwendungsschutz für Kinder und Mütter bis zum Arbeitszeitschutz reichen. Diese Darstellung,454die freilich nur überblicksartig erfolgt, enthält durchaus Informatives, geht aber weit über das hinaus, was für Arbeitsunfälle mit strafrechtlich relevanten Folgen praktisch relevant werden kann.

Das darauffolgende Kapitel über den Arbeitsunfall und die Verbandsverantwortlichkeit behält diesen enzyklopädischen Impetus bei: Es wird zunächst der Begriff des Arbeitsunfalls iSd § 175 Abs 1 ASVG eingeführt, woran sich statistische Daten bezogen auf 2015 über die Häufigkeit von Arbeitsunfällen und die hauptbetroffenen Personen anschließen. Bei der Darstellung der zivilrechtlichen Folgen geht der Autor sprachlich verfehlt davon aus, dass in Österreich eine UV „verpflichtend abzuschließen“ sei (58), wohingegen einige Seiten später die UV korrekt als „automatische“ (ipso iure) Pflichtversicherung dargestellt wird. Dazwischen erfährt man in einem Exkurs einiges Statistisches über das Arbeitsinspektorat, seine Organisation und seine Aufgaben. Breiten Raum gibt der Autor dem DG-Haftungsprivileg in all seinen Schattierungen, obwohl es mit dem Thema an sich nicht unmittelbar zu tun hat. Es wird darin ua beklagt, dass DN – sieht man von der Verunstaltungsentschädigung ab, die aber eine andere Funktion hat – aus Arbeitsunfällen keinen Schmerzengeldanspruch haben, obwohl es keine kongruente Leistung der UV gibt, hält es aber für möglich, dass im Wege einer diversionellen Erledigung im Strafverfahren des DG nach dem VbVG dem Geschädigten Schmerzengeld zuerkannt wird. Das „zugesprochen werden“, von dem der Autor spricht, verdeckt aber mE, dass es sich dabei wohl nur um eine freiwillige Bereitschaft des DG handeln kann, im Zuge einer Diversion Schmerzengeld zu leisten, obwohl er zivilrechtlich keines schuldet. Die Diversion dürfte von einer solchen Bereitschaft wohl auch nicht abhängig gemacht werden, wobei ich ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen der zivilrechtlichen Situation nach Arbeitsunfällen und den Ansprüchen, die das Diversionsrecht an den Täter stellt, nicht verkenne.

Das Kapitel über „Fahrlässigkeitsdelikte“ arbeitet die strafrechtliche Dogmatik auf, insb auch den „Vertrauensgrundsatz“ (nämlich: sich nicht nur im Straßenverkehr auf regelkonformes Verhalten anderer verlassen zu dürfen) und dessen Reichweite bei „arbeitsteiligem Verhalten“, um sich dann (82) verbandsspezifischen Fragestellungen zuzuwenden, insb der Strafbefreiung durch Compliance, insb auch im AN-Schutzrecht, wobei die Hauptstoßrichtung in der Kritik an der Rsp des VwGH zum Begriff des „wirksamen Kontrollsystems“ besteht, das nach der Strenge dieser Rsp so gestaltet sein muss, dass es selbst im Falle eigenmächtiger Handlungen von DN seine Wirksamkeit erweist.

Eine Übertragung dieser Rsp auf die Kontrollstandards nach dem VbVG lehnt Pichlmayer entschieden ab. Ein Unternehmen mit nachweislich gut ausgebildeten und verlässlichen Mitarbeitern müsse sich auf diese unter strafrechtlichen Gesichtspunkten verlassen dürfen. Nach Ausführungen zur Strafbarkeit nach dem VbVG bei unbekannter Täterschaft geht der Autor dann eingehend auf die einzelnen Entscheidungsträger ein, deren Verhalten eine Verbandsverantwortlichkeit auslösen kann. Er plädiert insb vor dem Hintergrund des im Arbeitsrecht doch recht schillernden Begriffs der „leitenden Angestellten“ gegen eine schematische Übernahme eine der arbeitsrechtlichen Definitionen in Verfahren nach dem VbVG und mE zutreffend für eine Einzelfallprüfung hinsichtlich der konkreten Kontrollfunktion. Überlegungen zum Doppelvertretungsverbot und zum Verhältnis VbVG und Strafrecht sowie ein Abschnitt „Zusammenfassung und Ausblick“ runden den Band ab.

Angesichts der Vielfältigkeit mitwirkender Ursachen, denen man im Arbeitsunfallrecht begegnet, darf man aber davon ausgehen, dass Verfahren nach dem VbVG im Gefolge von Arbeitsunfällen kein Massenphänomen sein werden.

Der rezensierte Band enthält zum VbVG und zum AN-Schutz manch brauchbare, aber auch manch vor dem Hintergrund des Themas eher redundante Information – als kleines „vade mecum“ für einschlägig interessierte Personen vermag es durchaus Nützliches zu leisten.