WildeArbeitnehmerüberlassung im Binnenmarkt

Nomos Verlag, Baden-Baden 2017, 201 Seiten, broschiert, € 54,–

FELIXSCHÖRGHOFER (WIEN)

Das Buch behandelt ein rechtlich herausforderndes und auch politisch intensiv diskutiertes Gebiet des Arbeitsrechts: den grenzüberschreitenden Arbeitseinsatz innerhalb des Binnenmarkts. Wurzel der politischen Brisanz sind die großen Unterschiede bei den Arbeitskosten zwischen den Mitgliedstaaten der EU. Anna Wilde stellt die jeweiligen Arbeitskosten in den Mitgliedstaaten in einer übersichtlichen Tabelle dar. Dabei werden die Arbeitskosten in die drei wesentlichen Teile – Lohnhöhe, Sozial(versicherungs)beiträge und Steuern – aufgeschlüsselt. Geringe Arbeitskosten stellen für Niedriglohnländer im Binnenmarkt einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Hochlohnländern wie Österreich und Deutschland dar. Die Autorin hebt hervor, dass der Wettbewerb um Arbeitsbedingungen vom europäischen Primärrecht auch durchaus bezweckt ist und widerspricht damit dem Vorwurf des unberechtigten „Lohndumpings“.

Bei der rechtlichen Untersuchung wird jeweils zunächst die Rechtslage für „normale“ (Werkvertrags-)Entsendungen dargestellt. Darauf aufbauend wird dann die grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung untersucht. Die Darstellung beginnt mit der456Einordnung der zwei Entsendearten unter die europäischen Grundfreiheiten durch den EuGH. Die „normale“ Entsendung unterliegt nur der Dienstleistungsfreiheit. Der entsandte AN selbst unterliegt nicht der AN-Freizügigkeit, er ist von der Dienstleistungsfreiheit „mitgeschützt“. Demgegenüber fällt die grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung nicht nur unter die Dienstleistungsfreiheit, der überlassene AN unterliegt auch der AN-Freizügigkeit. Die Autorin verteidigt diese Unterscheidung gegen Kritik im Schrifttum. Der wesentliche Unterschied liegt für sie, ebenso wie für den EuGH, darin, dass ein überlassener AN Zugang zum Arbeitsmarkt des Bestimmungsstaates sucht. Bei der „normalen“ Entsendung werde dem Markt des Bestimmungsstaates nur eine Dienstleistung zugeführt, bei der grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung aber ein AN.

In dem Zusammenhang wird ein aktuelles österreichisches Vorabentscheidungsersuchen erwähnt (EuGHC-18/17, Danieli & C. Officine Meccaniche u.a.; Vorlage durch VwGH 13.12.2016, Ra 2016/09/0082 ua). Die Vorlage betrifft – ua – die Beitrittsakte Kroatiens. Aufgrund der darin vorgesehenen Übergangsbestimmungen verlangt Österreich für Überlassungen aus Kroatien (zunächst bis 30.6.2018) eine Beschäftigungsbewilligung. Im gegenständlichen Fall erfolgte jedoch eine Überlassung von einem kroatischen Unternehmen an ein Unternehmen mit Sitz in Italien. Das italienische Unternehmen wollte die AN im Rahmen einer (Werkvertrags-)Entsendung für den Bau eines Drahtwalzwerks in Österreich einsetzen. Der VwGH fragt den EuGH, ob Österreich für die solcherart entsandten AN auf Grundlage des Beitrittsvertrags eine Beschäftigungsbewilligung verlangen darf. Die Autorin geht auf Grundlage der dargestellten Unterscheidung zwischen Arbeitskräfteüberlassung und sonstiger Entsendung davon aus, dass der EuGH diese Frage verneinen wird (aA die SA des GA Wahl Rz 60 ff). Entscheidend sei, wie die kroatischen AN in den österreichischen (Arbeits-)Markt eintreten, konkret also durch eine Dienstleistung aus Italien. Bei dieser Einschätzung wird zwar nicht erwähnt, dass eine Bauleistung erbracht wird, für die in der Beitrittsakte Kroatiens auch eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch Österreich ermöglicht wird (vgl § 32a Abs 6 iVm Abs 11 AuslBG). Es ist jedoch zu bezweifeln, dass der EuGH daraus die Zulässigkeit der Einschränkung der Dienstleistung eines italienischen Unternehmens ableiten wird.

Die Autorin legt dar, dass die europäischen Grundfreiheiten „kollisionsrechtlichen Gehalt“ haben, aus ihnen also Vorgaben zum anwendbaren (Arbeits- und Sozial-)Recht abgeleitet werden können. Die AN-Freizügigkeit spreche für eine Anwendung des Arbeits- und Sozialrechts des Bestimmungsstaates. Die Dienstleistungsfreiheit streite jedoch bei grenzüberschreitendem Arbeitseinsatz für das „Herkunftslandprinzip“, also die Anwendung der arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen des Herkunftsstaates. Jede Anwendung des Rechts des Empfangsstaates durch die Entsende-RL und die nationalen Umsetzungsbestimmungen müsse daher als Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch den Schutz der AN gerechtfertigt sein.

Diese theoretische Grundlage wird in der Folge auf die Bestimmung des anwendbaren Arbeitsrechts nach Art 8 Rom-I-VO angewendet. Die Autorin untersucht dabei besonders den Entsendebegriff des Kollisionsrechts, also die Frage, in welchen Fällen des grenzüberschreitenden Arbeitseinsatzes das Arbeitsrecht des Herkunftsstaates weiterhin auf die betroffenen Arbeitsverhältnisse zur Anwendung kommt. Ihrem wettbewerbsorientierten Ansatz entsprechend argumentiert sie für eine weite Auslegung des Entsendetatbestands. Entscheidend sei, dass der AN einer Niederlassung im Herkunftsstaat angehört, die die Verantwortung für das Anwerben, die Vertrags- und Entgeltgestaltung, die Art der Arbeit sowie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses trägt. Nicht erforderlich sei demgegenüber eine geplante Nachbeschäftigung im Herkunftsstaat nach dem Ende der Entsendung. Daher sollen auch MitarbeiterInnen, die nur für den Auftrag im Empfangsstaat eingestellt worden sind, im Rahmen der Entsendung grundsätzlich dem Recht des Herkunftsstaates unterliegen.

Dieser weite Entsendebegriff wird auch auf die grenzüberschreitende Überlassung übertragen. Es soll daher – soweit ersichtlich – auch für das Vorliegen einer Entsendung in Form einer Überlassung nicht entscheidend sein, dass der konkrete überlassene AN auch im Herkunftsstaat eingesetzt wird, solange der Überlasser seine wirtschaftliche Tätigkeit in einem erheblichen Ausmaß auch im Herkunftsstaat betreibt. Der Tatsache, dass die grenzüberschreitende Überlassung auch der AN-Freizügigkeit unterliegt, werde bereits dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass der Empfangsstaat ohnehin nach der Entsende-RL die Gesetze zum Schutz überlassener AN anwenden könne. Die Autorin prüft und bejaht auch die Qualifikation zahlreicher Bestimmungen des dAÜG als Eingriffsnormen iSd Art 9 Rom-I-VO.

Im aktuellen Vorschlag für die Änderung der Entsende-RL (COM/2016/0128 final) ist ein neuer Art 2a der Entsende-RL geplant, nach dem bei einer geplanten oder tatsächlichen Entsendedauer von über 24 Monaten der gewöhnliche Arbeitsort im Bestimmungsstaat liegt. In diesem Fall ist nach der Rom-I-VO grundsätzlich das Arbeitsrecht des Bestimmungsstaates anwendbar. Die Autorin beschreibt die geplante Einschränkung zutreffend als Abkehr vom Prinzip des freien Wettbewerbs zwischen Niedrig- und Hochlohnstaaten. Sie steht dieser Entwicklung erkennbar ablehnend gegenüber. Die Einführung einer Höchstdauer für Entsendungen ist aufgrund der politischen Entwicklungen seit dem Erscheinen des Buches nichtsdestotrotz noch wahrscheinlicher geworden. Die geplante Bestimmung fördert jedenfalls die Rechtssicherheit.

Die Autorin behandelt das komplexe Thema in klarer Sprache. Es gelingt ihr, die grundlegende Auseinandersetzung mit den Grundfreiheiten für konkrete Rechtsfragen zum Entsenderecht nutzbar zu machen. Der vertretene – wettbewerbsorientierte – Ansatz kann durchaus kritisch hinterfragt werden. Die Autorin begründet ihre Ansichten aber stets mit nachvollziehbaren Argumenten. Das Buch ist auch österreichischen LeserInnen zu empfehlen, die sich mit dem grenzüberschreitenden Arbeitseinsatz grundlegend auseinandersetzen möchten.457