Eppel/Leoni/Mahringer/Hausegger/Reidl/WeberEinsatz und Wirkung aktiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen für Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Eine Evaluierung für Oberösterreich
Verlag des ÖGB, Wien 2017, 230 Seiten, kartoniert, € 20,–
Eppel/Leoni/Mahringer/Hausegger/Reidl/WeberEinsatz und Wirkung aktiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen für Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Eine Evaluierung für Oberösterreich
Die Gesundheit der Erwerbsbevölkerung ist aus unterschiedlichen Gründen ein ganz zentrales Thema in der modernen Arbeitswelt. So setzt etwa die vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in Zukunft wohl erforderliche längere Erwerbsbeteiligung älterer Menschen voraus, dass deren Gesundheitszustand einen verlängerten Verbleib am Arbeitsmarkt überhaupt zulässt. Zunehmende Belastungen am Arbeitsmarkt, zB durch den Vormarsch prekärer Beschäftigungsformen oder durch höheren Flexibilisierungsdruck auf die AN, stehen dieser Zielsetzung entgegen. Die steigenden Anforderungen am Arbeitsmarkt führen darüber hinaus dazu, dass sich gesundheitliche Einschränkungen nach dem Verlust des Arbeitsplatzes zunehmend auch in jenen Fällen als massive Hürde für die Rückkehr ins Erwerbsleben erweisen können, in denen sie zunächst nicht der auslösende Grund für die Arbeitslosigkeit waren.
Diese Zusammenhänge zwischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Arbeitslosigkeit sind auch das zentrale Thema der hier rezensierten Studie. Nach den einleitenden Ausführungen der StudienautorInnen Rainer Eppel, Thomas Leoni und Helmut Mahringer vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) sowie Trude Hausegger, Christine Reidl und Friederike Weber (Prospect Unternehmensberatung GmbH) fehlt es bislang in Österreich an empirisch fundierter Evidenz zu den gesundheitlichen Problemlagen der Erwerbspersonen bzw zur Wirksamkeit arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen für gesundheitlich beeinträchtigte Erwerbspersonen. Zur Schließung dieser Lücke will die im Auftrag des BMASK erstellte Studie einen Beitrag leisten, wobei sich die erhobenen Daten nur auf das Bundesland Oberösterreich beziehen. Grundlage der quantitativen Analysen ist ein eigens erstellter Datensatz, der auf einer pilothaften Verknüpfung von Daten des Arbeitsmarktservice (AMS), der Versicherungsdatei des Hauptverbands sowie gesundheitsrelevanten Daten der Gebietskrankenkasse (GKK) OÖ basiert, die auf ein erhöhtes Risiko für gesundheitliche Einschränkungen schließen lassen (zB häufige Krankenstände, Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte; erhöhter Heilmittelkonsum). Auf dieser Grundlage werden zunächst Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Typen gesundheitlicher Probleme und der Erwerbslaufbahn untersucht; in weiterer Folge bildet der Datensatz dann auch die Grundlage für die Analyse von Einsatz und Wirkung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen für Personen mit gesundheitlichen Problemen.
Die quantitativen Auswertungen der untersuchten Daten bestätigen zunächst jene Zusammenhänge zwischen Erwerbsstatus und Gesundheit, die schon früher auf der Basis stichprobenbasierter und zum Teil international standardisierter Umfragen (wie SHARE oder EU-SILC) festgestellt wurden: Demnach sind Arbeitslose sowie Personen in geförderter Beschäftigung deutlich häufiger mit gesundheitlichen Problemlagen konfrontiert als Personen in ungeförderter unselbständiger Beschäftigung; sie sind von allen Arten von Erkrankungen häufiger betroffen, vor allem aber von psychischen Erkrankungen – die Betroffenheitsquote unter Arbeitslosen ist nach den Ergebnissen der Studie mit 12 % fast fünfmal so hoch wie unter ungefördert Beschäftigten.
Besonders interessant sind die Ergebnisse der Analysen zur Bedeutung gesundheitlicher Beeinträchtigungen für spätere Arbeitslosigkeit (S 85 ff): Es wurde untersucht, in welchen Erwerbssituationen sich die oberösterreichischen Beschäftigten des Jahres 2012 zwei Jahre später befanden, wobei danach unterschieden wurde, ob im Jahr 2012 eine arbeitsmarktrelevante gesundheitliche Belastung vorlag oder nicht. Die Beschäftigungseinbindung gesundheitlich belasteter Personen erweist sich nach den Ergebnissen der Untersuchung als wirksamer Stabilitätsfaktor: Von den gesundheitlich belasteten Beschäftigten des Jahres 2012 waren gut 80 % auch im Jahr 2014 beschäftigt. Das ist ein hoher Anteil, dennoch liegt er um sieben Prozentpunkte unter dem Wert der nicht gesundheitsbelasteten Beschäftigten. Das Risiko, aus der Beschäftigung zu fallen, ist also bei Personen mit gesundheitlichen Problemen erkennbar erhöht, und wenn sich dieses Risiko verwirklicht, dann hat das gerade für diese Personengruppe uU fatale Folgewirkungen, wie ein Vergleich der gesundheitlich belasteten und der gesundheitlich nicht belasteten Arbeitslosen im Vergleichszeitraum zeigt: Lediglich 27 % der gesundheitlich belasteten Arbeitslosen des Jahres 2012 befanden sich zwei Jahre später in Beschäftigung, während der entsprechende Anteil in der Gruppe der nicht Belasteten mit über 55 % mehr als doppelt so hoch lag. Zum Großteil verbleiben gesundheitlich Belastete in Arbeitslosigkeit (43,8 %), daneben spielt auch der Übergang in Pension eine wichtige Rolle (16,1 %). Bereits diese Zahlen unterstreichen in eindrucksvoller Weise die Bedeutung präventiver Maßnahmen zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit (gerade) bei Menschen mit gesundheitlichen Problemen.
Zusätzliche Argumente liefert dann der Abschnitt der Studie, in dem Einsatz und Wirkung aktiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen für Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen untersucht werden. Die Bandbreite möglicher Maßnahmen der Arbeitsmarktförderung ist breit und reicht von Bewerbungstrainings, Berufsorientierungs- und Trainingsmaßnahmen, fachlichen Qualifizierungen über Eingliederungsbeihilfen, befristeten Transitarbeitsplätzen in Sozialökonomischen Betrieben (SÖB) bzw Gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten (GBP) bis hin zu Beratungs- und Betreuungsangeboten, im Rahmen derer auch spezifische Vorfeld-459probleme (zB Schulden, psychische Beeinträchtigung, Sucht) sowie begleitende Unterstützung während einer Beschäftigung (Arbeitsassistenz) angeboten werden. Gesundheitlich eingeschränkte Arbeitslose nehmen nach den Ergebnissen der Untersuchung wesentlich häufiger an derartigen Maßnahmen teil – die Teilnahmequote liegt in dieser Gruppe bei über 40 %, während nur etwas mehr als ein Viertel der nicht gesundheitlich belasteten Arbeitslosen an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik teilnimmt. Bemerkenswert erscheint allerdings das Ergebnis, dass Arbeitslose mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zwar offensichtlich sehr rasch in Förderangebote einbezogen werden, dass dann aber bei länger anhaltender Arbeitslosigkeit die Förderquote sogar unter diejenige von Arbeitslosen ohne gesundheitliche Belastungen sinkt.
Die Untersuchung der Wirkung der verschiedenen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen stellte die StudienautorInnen vor besondere Herausforderungen. Zielsetzung war die Beantwortung der Frage, inwieweit die vom AMS gesetzten Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu einer Verbesserung der Beschäftigungschancen der geförderten Arbeitslosen mit gesundheitlichen Einschränkungen beitragen. Umgesetzt wurde diese Analyse durch einen Vergleich der nachfolgenden Erwerbsintegration zwischen MaßnahmenteilnehmerInnen und ähnlichen Arbeitslosen ohne Maßnahmenteilnahme. Um dabei eine „Selektionsverzerrung“ der Ergebnisse zu vermeiden – ein unmittelbarer Vergleich zwischen TeilnehmerInnen und NichtteilnehmerInnen würde zu Verzerrungen führen, weil sich die geförderten Personen typischerweise in wesentlichen Merkmalen von nichtgeförderten Arbeitslosen unterscheiden –, mussten für die Kontrollgruppe der Nichtgeförderten jene „statistischen Zwillinge“ ausgesucht werden, die hinsichtlich relevanter Eigenschaften (zB Dauer der Arbeitslosigkeit, personenbezogene Merkmale, Vorliegen eines Behindertenstatus etc) den MaßnahmenteilnehmerInnen sehr ähnlich sind. Somit beruhen die angestellten Vergleiche auf zT sehr geringen Fallzahlen und sind entsprechend mit Vorsicht zu interpretieren. Nichtsdestotrotz fördert der angestellte Vergleich interessante Ergebnisse zutage:
Alle evaluierten Maßnahmen steigern demnach insofern die Erwerbsbeteiligung der geförderten Personen, als sich diese seltener als Ungeförderte aus dem Arbeitskräfteangebot zurückziehen und stattdessen mehr Zeit in Beschäftigung oder aber auch in Arbeitslosigkeit verbringen. Die prozentuelle Steigerung bewegt sich dabei im Bereich weniger Prozentpunkte, die Unterschiede zwischen geförderten und nichtgeförderten Personen sind aber jedenfalls durchgehend statistisch signifikant.
Bei genauerer Betrachtung der Ergebnisse fällt auf, dass die Teilnahme an verschiedenen Maßnahmen (wie zB Berufsorientierung, trägerbezogene fachliche Qualifizierung, Transitarbeitsplatz in einem SÖB bzw GBP) zunächst zu einem Rückgang der anschließend in ungeförderter unselbständiger Beschäftigung verbrachten Zeit führt – was auf den ersten Blick gegen das erklärte Ziel der Reintegration der MaßnahmenteilnehmerInnen in den freien Arbeitsmarkt zu sprechen scheint. Die StudienautorInnen erklären dieses Phänomen sehr plausibel mit dem Auftreten von „Lock-in-Effekten“, die sich daraus ergeben, dass die TeilnehmerInnen durch die Maßnahme zunächst für längere Zeit dem regulären Arbeitsmarkt entzogen sind und diesem erst nach Absolvierung der Maßnahme wieder zur Verfügung stehen. Dieser These entsprechend zeigen sich positive Integrationseffekte in der Regel erst – dann aber in statistisch signifikanter Weise – mit großer zeitlicher Verzögerung, also meist erst zwei bis drei Jahre nach Förderbeginn.
Die Analyseergebnisse geben auch Hinweise auf mögliche Wirkungsunterschiede zwischen unterschiedlichen Arten gesundheitlicher Einschränkung. So profitieren Personen mit psychischer Erkrankung offensichtlich überdurchschnittlich stark von geförderter Beschäftigung auf dem zweiten Arbeitsmarkt, die bei dieser Personengruppe deutlich häufiger zu einer nachfolgenden Integration in ungeförderte unselbständige Beschäftigung führt als bei Personen mit anderen gesundheitlichen Problemen.
Vor dem Hintergrund der Studienergebnisse leiten die AutorInnen unterschiedliche Empfehlungen ab, deren wichtigste wahrscheinlich die nach einer Verstärkung präventiver Ansätze ist: Die erhobenen Zahlen belegen ganz klar die stabilisierende Wirkung einer bereits bestehenden Beschäftigungsmöglichkeit. Ist Arbeitslosigkeit einmal eingetreten, so bedarf es ungleich größerer Anstrengungen und Aufwendungen, um eine Wiedereingliederung gesundheitlich belasteter Personen in den Arbeitsmarkt zu bewerkstelligen. Ein wichtiger Schritt wurde in der Zwischenzeit bereits vom Gesetzgeber mit der Einführung der Wiedereingliederungsteilzeit gesetzt. Die AutorInnen plädieren aber dafür, auch die AG noch stärker in die Pflicht zu nehmen, etwa indem diese dazu motiviert werden, erforderliche Veränderungen am Arbeitsplatz vorantreiben, um auf eine Früherkennung von Risiken wirkungsvolle Maßnahmen folgen zu lassen, oder indem Unternehmen – nach dem Vorbild Deutschlands – zu einem innerbetrieblichen Eingliederungsmanagement verpflichtet werden, wenn ein bestimmtes Ausmaß an Krankenständen beobachtet wird.
Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik werden aber in jedem Fall auch in Zukunft erforderlich bleiben, wenn man weiterhin ernsthaft das Ziel verfolgen möchte, auch gesundheitlich belasteten Arbeitslosen eine intakte Chance zur Reintegration in den Arbeitsmarkt zu bieten. Dass hier nicht auf rasche Lösungen gesetzt werden kann, sondern eine nachhaltige Rückkehr ins Arbeitsleben einerseits differenzierte Maßnahmenangebote und andererseits ausreichend zeitliche Ressourcen voraussetzt, ist eine wichtige Schlussfolgerung aus den Ergebnissen der Studie. Die AutorInnen plädieren hier angesichts der nachweislich oft erst mit großer Zeitverzögerung einsetzenden positiven Integrationseffekte von Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik ua auch dafür, die Maßnahmenbewertung zu optimieren, da die Betrachtung bloß des kurzfristigen Arbeitsmarkterfolges zu kurz greift. Andernfalls könnte ein – den in der Regel privaten Trägern aufgrund restriktiver Erfolgsvorgaben nur schwer vorwerfbares – „Cream Skimming“ iSd Selektion von MaßnahmenteilnehmerInnen mit a priori besseren Arbeitsmarktchancen einsetzen, das gerade die Zielgruppe der gesundheitlich belasteten Arbeitslosen besonders benachteiligt.460