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Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit

HELMUTZIEHENSACK

Eine Schädigungsabsicht oder ein Schadenseintritt ist beim Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nicht erforderlich; entscheidend ist vielmehr die Vertrauensverwirkung, bei der auch nicht jeder einzelne Vorfall für sich allein beurteilt und damit das Gesamtergebnis zerpflückt werden darf, sondern das Gesamtbild des Verhaltens des AN berücksichtigt werden muss.

SACHVERHALT

Nach den Feststellungen hat die Kl einen Gutschein eingelöst, obwohl diese Gutscheine von Mitarbeitern nicht für private Einkäufe verwendet werden dürfen. Die Kl ließ sich darüber hinaus als Marktleiterin von anderen Mitarbeiterinnen regelmäßig (über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren wöchentlich bzw 14-tägig) 15 bis 20 Brötchen herrichten, bezahlte dafür nur den Materialwert und nutzte damit die Arbeitsleistung dieser Mitarbeiterinnen regelmäßig für private Zwecke.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die beiden unteren Instanzen beurteilten die ausgesprochene Entlassung als berechtigt. Der OGH wies die außerordentliche Revision als unzulässig zurück, traf aber aus Anlass der zurückweisenden E klarstellende Ausführungen.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Kündigungs- oder Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0106298). Auch ob der Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit verwirklicht ist, ist nur anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen (RIS-Justiz RS0029733, RS0029547 [T28, T40] ua). Insbesondere hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, ob ein Fehlverhalten eines Angestellten bei Anlegung eines objektiven Maßstabs geeignet war, das Vertrauen des Arbeitgebers soweit zu erschüttern, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses – auch nur bis zum nächsten Kündigungstermin (RIS-Justiz RS0029020) – nicht zumutbar ist (RIS-Justiz RS0103201). An das Verhalten von Arbeitnehmern in leitender Position wird dabei durchgängig ein strengerer Maßstab angelegt (RIS-Justiz RS0029341, RS0029652).

2. Eine Schädigungsabsicht oder ein Schadenseintritt ist beim Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nicht erforderlich; entscheidend ist vielmehr die Vertrauensverwirkung (RIS-Justiz RS0029531 [T3]), bei der auch nicht jeder einzelne Vorfall für sich allein beurteilt und damit das Gesamtergebnis zerpflückt werden darf, sondern das Gesamtbild des Verhaltens des Arbeitnehmers berücksichtigt werden muss (RIS-Justiz RS0029790, vgl auch RS0029600). Der Revision ist darin zuzustimmen, dass einer der dabei zu berücksichtigenden Faktoren auch die Dauer des Arbeitsverhältnisses ist. Ein Arbeitnehmer, der sich während eines langjährigen Arbeitsverhältnisses immer wohlverhalten hat, wird einen größeren Vertrauensvorschuss erwarten dürfen als ein Arbeitnehmer, der sich einer Verfehlung bereits schuldig gemacht hat (RIS-Justiz RS0029790 [T3]). Zur Relation der Dauer des Arbeitsverhältnisses zur Schwere des Entlassungsgrundes lassen sich aber ebenfalls keine generellen, von den Umständen des Einzelfalls losgelösten Aussagen treffen.

3. Das Vorliegen eines Entlassungsgrundes hat der Arbeitgeber zu behaupten und zu beweisen (RIS-Justiz RS0029127, RS0028971). Der Arbeitnehmer trägt dagegen die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen, die die – ansonsten gegebene – Berechtigung zur Entlassung aufheben oder ausschließen (RIS-Justiz RS0029534, RS0029398 [T1], RS0029868).291

4. […]

Darauf, ob der Klägerin die Pflichtwidrigkeit ihres Verhaltens etwa aufgrund einer Weisung offenkundig war, kommt es nicht an, es genügt vielmehr, dass ihr diese bei Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt bewusst werden musste (RIS-Justiz RS0029531 [T4]).“

ERLÄUTERUNG

Die Judikatur zum Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit erweist sich als eher streng. Die Einlösung von Gutscheinen für private Einkäufe war vom AG nicht gestattet, von der ihre Entlassung anfechtenden AN aber doch durchgeführt worden. Trotz dieses eher kleiner anmutenden Fehltritts wurde bereits von hinreichender Schwere der Dienstpflichtverletzung ausgegangen, welche eine Entlassung rechtfertigt, da auch noch eine andere Dienstpflichtverletzung vorgelegen hatte: Die Kl ließ sich als Marktleiterin von anderen Mitarbeiterinnen regelmäßig (über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren wöchentlich bzw 14-tägig) 15 bis 20 Brötchen herrichten und bezahlte dafür zwar ohnedies den Materialwert, nicht aber die Arbeitsleistung ihrer Mitarbeiterinnen. Diese nutzte sie sohin regelmäßig für private Zwecke. Dies wurde als nicht mehr vernachlässigbares Fehlverhalten gewertet, das im Gesamtbild (nämlich Gutscheineinlösung für private Zwecke entgegen der AG-Vorgaben und Fehlverhalten in der Vergangenheit) die Entlassung rechtfertigte.

Die Verteidigungslinie der kl AN bestand einerseits darin, auf die Dauer des Dienstverhältnisses zu verweisen; darüber hinaus brachte sie vor, dass die Dienstpflichtverletzungen keinen oder einen nur geringen Schaden im Vermögen des AG (geringer Wert der unzulässig für Privatkäufe verwendeten Gutscheine) bewirkt hatten und dass zudem kein – vorwerfbares – fehlendes Unrechtsbewusstsein bei der AN bemängelt hätte werden können, zumal diese im Vorstadium nicht ermahnt worden war. Diese Strategie hatte jedoch keinen Erfolg.

Die Gerichte einschließlich des OGH verwiesen darauf, dass allein die Dauer des Dienstverhältnisses AN nicht vor dessen Beendigung durch Entlassung schützt, wenngleich freilich bei einem bereits länger andauernden Dienstverhältnis strengere Anforderungen an das Vorliegen eines die Entlassung rechtfertigenden Vertrauensverlustes zu setzen sind. Da es beim Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit auf einen Schadenseintritt gar nicht ankommt, konnte auch diese Verteidigung keinen Erfolg bewirken. Auch die Argumentation mit der fehlenden vorangehenden Ermahnung blieb ohne positives Ergebnis für die kl AN.

Zudem verwies der OGH auf die Beweislastregeln. Den AG, der eine Entlassung ausspricht, trifft zwar die Behauptungs- und Beweislast hinsichtlich des Vorliegens eines Entlassungsgrundes. Die Behauptungs- und Beweislast hinsichtlich allfälliger Rechtfertigungs- und/oder Entschuldigungsgründe trifft dagegen die AN-Seite. Im vorliegenden Fall konnte der bekl AG seine Behauptungs- und Beweislast hinsichtlich des Vorliegens eines relevanten Fehlverhaltens der Kl (Einlösen eines Gutscheines für private Einkäufe) erfüllen, der entlassenen Kl gelang es dagegen nicht, eine Rechtfertigung ihres Fehlverhaltens (Zuwendung durch einen Vorgesetzten) zu beweisen, weshalb es dann auch nach Meinung der Arbeitsgerichte bei der Entlassung zu bleiben hatte.

Im Übrigen hielt der OGH wenig überraschend auch an seinem Ansatz fest, wonach Beendigungsgründe, hier insb der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit, in der Regel sachverhaltsdominiert sind und von den konkreten Umständen des Einzelfalles abhängen. Wegen dieser Dominanz der Tatfrage und also dem In-den-Hintergrund-Treten der Rechtsfrage erwies sich daher die erhobene außerordentliche Revision als unzulässig.