164

Unterschied zwischen Arbeitskräfteüberlassung und Arbeitsvermittlung

MANFREDTINHOF

Die Zahlung des Entgelts zählt zu den zentralen Vertragspflichten des AG im arbeitsvertraglichen Synallagma. Wenn sich der Überlasser im eigenen Namen gegenüber dem AN zur Entgeltzahlung verpflichtet, dann übernimmt er Pflichten und Risiken des AG und es kann von bloßer Arbeitsvermittlung iSd § 2 Abs 4 Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) keine Rede sein.

SACHVERHALT

Die Kl war annähernd zwei Jahre lang im Rahmen eines als „Auftrag“ bezeichneten Vertragsverhältnis-295ses mit der Bekl für ein Projekt tätig. Sie verpflichtete sich zur Übernahme bestimmter Aufgabenbereiche, zur Geheimhaltung aller ihr im Zusammenhang mit der vertraglichen Tätigkeit für die Bekl zur Kenntnis gelangten Umstände und Unterlagen, zur Rückgabe aller Unterlagen an die Bekl nach Beendigung des Vertragsverhältnisses sowie zum Verzicht auf alle Urheber- und Nutzungsrechte an den von ihr erzielten Arbeitsergebnissen zugunsten „ausschließlich und alleine“ der Bekl.

Die Bekl stand in einem Vertragsverhältnis zur Betreiberin des Projekts, der Nebenintervenientin. Sie stellte dieser Personal und diverse Sachleistungen gegen Ersatz der Aufwendungen zur Verfügung, weil die Nebenintervenientin nicht unmittelbare Vertragspartnerin der Projektmitarbeiter sein wollte. Der Inhalt der Einzelverträge und die Höhe der darin vereinbarten Stundensätze beruhten auf Vorgaben der Nebenintervenientin, ebenso entschied sie im Innenverhältnis über den Inhalt von Inseraten und die Auswahl der Suchplattformen für Stellenbewerber, deren Auswahl und über die Beendigung von Vertragsverhältnissen.

Die Verrechnung der Honorare der Auftragnehmer erfolgte durch die Bekl im eigenen Namen. Sie überprüfte die verrechneten Stunden durch Rücksprache mit der Nebenintervenientin und verrechnete dieser dann die an die Auftragnehmer bezahlten Honorare weiter. In der Rahmenvereinbarung zwischen der Bekl und der Nebenintervenientin war bedungen, dass „nur tatsächlich geleistete Projekt- oder begleitende Dienstleistungsstunden“ verrechnet werden durften. Ansonsten hatte die Bekl zu den Auftragnehmern keinen Kontakt.

Da nach Ansicht der Kl die Merkmale eines echten Arbeitsverhältnisses (fixer Arbeitsplatz, feste Arbeitszeiten, Kontrollunterworfenheit, Eingliederung in die Organisation …) überwogen, begehrte sie von der Bekl Urlaubsentgelt, Urlaubsersatzleistung und Kündigungsentschädigung. Das Vertragsverhältnis mit der Bekl sei nicht als Werkauftrag, sondern als unselbstständiges (Leih-)Arbeitsverhältnis zu beurteilen.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Kl sei zwar in persönlicher Abhängigkeit wie eine AN beschäftigt gewesen, ihre AG sei aber nicht die Bekl, sondern die Nebenintervenientin, die sämtliche mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehenden Entscheidungen getroffen habe. Es sei ein sogenanntes „Payroll-System“ gepflogen worden, bei dem der Beschäftiger weitestgehend selbst eine verdeckte AG-Position übernommen habe. Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Kl keine Folge und führte ergänzend aus, das sogenannte „Payrolling“ im Zusammenhang mit Arbeitskräfteüberlassung liege vor, wenn die wesentlichen Personalentscheidungen vom Beschäftiger getroffen würden und der Überlasser nur die Funktion einer Verrechnungsstelle ausübe. Es handle sich um eine Art „arbeitsrechtlicher Treuhandkonstruktion“, die dazu führe, dass in Wahrheit der Beschäftiger als AG anzusehen sei. Die Bekl sei nicht als Arbeitskräfteüberlasser, sondern iSd § 2 Abs 4 AMFG nur als Arbeitsvermittler aufgetreten. Der OGH erachtete die Revision der Kl als zulässig und berechtigt, hob die E der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen E nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1. Nach § 3 AÜG ist die Überlassung von Arbeitskräften die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte. Überlasser ist derjenige, der Arbeitskräfte oder arbeitnehmerähnliche Personen zur Arbeitsleistung an Dritte vertraglich verpflichtet. Der Überlasser ist Arbeitgeber im arbeitsrechtlichen Sinn, der Beschäftiger ist derjenige, der die Arbeitskräfte für betriebsbezogene Aufgaben einsetzt und die Arbeitsleistung faktisch entgegennimmt. Den Beschäftiger treffen nur einzelne Arbeitgeberpflichten, etwa Schutz- und Sorgfaltspflichten (Schindler in ZellKomm2 I, § 3 AÜG Rz 7 ff).

Für die Beurteilung, ob eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt, ist der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform (zB die Bezeichnung des zwischen Überlasser und Beschäftiger bestehenden Vertragsverhältnisses) maßgeblich (§ 4 AÜG).

Auch das sogenannte ‚Payrolling‘, bei dem der Überlasser sich faktisch auf die Aufgaben einer Verrechnungsstelle beschränkt und der Beschäftiger fast alle Arbeitgeberfunktionen übernimmt, insbesondere über die Auswahl der einzustellenden Personen sowie deren Kündigung entscheidet, kann grundsätzlich Arbeitskräfteüberlassung sein. Der Anwendungsbereich des AÜG ist nicht von der internen Verteilung der Verantwortungsbereiche zwischen dem Überlasser als Arbeitgeber und dem Beschäftiger abhängig.

2. Arbeitsvermittlung liegt hingegen vor, wenn ein Arbeitsverhältnis gerade nicht mit dem Vermittler selbst, sondern mit einem Dritten zustandekommen soll.

In diesem Sinn gilt nach § 2 Abs 4 AMFG als Tätigkeit im Sinne des Abs 1 leg cit (Arbeitsvermittlung) auch die Überlassung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte, sofern der Überlasser nicht die Pflichten des Arbeitgebers trägt.

Diese nicht zivil-, sondern verwaltungsrechtliche Bestimmung grenzt den Umfang des Gewerbes der Arbeitskräfteüberlasser von jenem der Arbeitsvermittlung ab, die nur im Rahmen des § 4 AMFG ausgeübt werden darf.

Maßgeblich für die Beurteilung, ob der Überlasser die Pflichten eines Arbeitgebers trägt, ist allein das rechtliche Verhältnis zwischen ihm und dem Ar-296beitnehmer und nicht die Vereinbarung zwischen Überlasser und Beschäftiger. […]

3. Die Zahlung des Entgelts zählt zu den zentralen Vertragspflichten des Dienstgebers im arbeitsvertraglichen Synallagma. Wenn sich der Überlasser im eigenen Namen gegenüber dem Arbeitnehmer zur Entgeltzahlung verpflichtet, dann übernimmt er Pflichten und Risiken des Arbeitgebers und kann von bloßer Arbeitsvermittlung iSd § 2 Abs 4 AMFG keine Rede sein.

Entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts spielt es für diese Beurteilung grundsätzlich keine Rolle, wie der Überlasser seine Personalkosten an seinen Kunden weiterverrechnet. Wie auch die Revision zutreffend darlegt, ist es geradezu selbstverständlich, dass im Rahmen der Arbeitskräfteüberlassung im Ergebnis alle Personalkosten (einschließlich der vorhersehbaren Zeiten der entlohnungspflichtigen Nichtbeschäftigung, Verwaltungskosten und Gewinnspanne) wirtschaftlich am Ende zur Gänze von den Beschäftigern getragen werden sollen und die Überlasser ihre Preise dementsprechend zu kalkulieren trachten. Die Weiterverrechnung des Aufwands hat mit der Frage, wer gegenüber dem Arbeitnehmer als Arbeitgeber anzusehen ist, nichts zu tun.

4. […] In keinem Fall lässt sich daraus die Rechtsansicht der Vorinstanzen ableiten, dass es mit dem Schutzzweck des AÜG vereinbar wäre, einem Arbeitnehmer, der typischerweise überhaupt keinen Einblick in die Vertragsbeziehung zwischen Überlasser und Beschäftiger hat, in einem solchen Fall jeglichen Anspruch gegen den Partner seines schriftlichen Arbeitsvertrags zu versagen (vgl auch RIS-Justiz RS0050887 = 9 ObA 76/87).

In der vorliegenden Rechtssache bedarf diese These aber im Übrigen auch schon deswegen keiner vertieften Betrachtung, weil sich die Nebenintervenientin im unbestrittenen, daher auch ohne Wiedergabe in den erstgerichtlichen Feststellungen der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden, ‚Payroll‘-Rahmenvertrag nur zur Bezahlung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden der überlassenen Mitarbeiter verpflichtet hat. Über diese für eine Arbeitskräfteüberlassung typische Bezahlung der Stundensätze hinaus ist keine Übernahme arbeitsrechtlicher Risiken vereinbart worden, insbesondere auch nicht des Risikos von zusätzlichen Aufwendungen, die sich aus einer rechtlichen Qualifikation der ‚Aufträge‘ als echte Arbeitsverträge ergeben könnten. Dieses ‚wirtschaftliche Wagnis‘ des Arbeitgebers (vgl 9 ObA 233/98z) trägt vielmehr die Beklagte.“

ERLÄUTERUNG

Im gegenständlichen Fall behauptete die Kl das Vorliegen eines Leiharbeitsverhältnisses zur Bekl und nahm daher diese in Anspruch. Die Vorinstanzen gingen hingegen bei der im Sachverhalt geschilderten Konstellation von Arbeitsvermittlung aus und verhinderten dadurch vorerst die erfolgreiche Durchsetzung der Ansprüche der Kl, indem sie die Passivlegitimation der Bekl verneinten und davon ausgingen, dass das Unternehmen, bei dem die Kl tätig war (hier die Nebenintervenientin), die AG gewesen sei. Die Kl wäre von der Bekl lediglich an diese vermittelt worden. Daher stellte der OGH das Instrument der Arbeitskräfteüberlassung dem der Arbeitsvermittlung gegenüber:

Während bei der Arbeitskräfteüberlassung der Überlasser der AG ist, soll bei der Arbeitsvermittlung das Arbeitsverhältnis eines AN eben nicht mit dem Vermittler, sondern mit einem „Dritten“ zustande kommen, also mit dem Unternehmen, zu dem der AN vermittelt wird. Die Arbeitsvermittlung ist in den §§ 2 ff AMFG geregelt und umfasst jede Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, Arbeitssuchende mit AG zur Begründung von Arbeitsverhältnissen zusammenzuführen. Gem Abs 4 leg cit gilt auch die Überlassung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte als Arbeitsvermittlung; dies aber nur dann, wenn der Überlasser nicht die Pflichten eines AG trägt.

In der Beurteilung dieses Punktes war der OGH anderer Ansicht als die Vorinstanzen: Er betonte, dass vor allem die Zahlung des Entgelts zu den zentralen Pflichten eines AG zählt. Auch seien zwischen der Bekl und der Nebenintervenientin keine Vereinbarungen hinsichtlich der Übernahme arbeitsrechtlicher Risiken getroffen worden, welche somit bei der Bekl verblieben. Im Ergebnis habe daher die Bekl und nicht die Nebenintervenientin die Pflichten eines AG getragen.

Der OGH legt auch Wert darauf hervorzuheben, dass vermieden werden soll, dass einem AN die Geltendmachung seiner arbeitsrechtlichen Ansprüche gegenüber seinem Vertragspartner unmöglich gemacht wird. Der Schutzzweck des AÜG verlange vielmehr die Zugriffsmöglichkeit auf den Partner des schriftlichen Arbeitsvertrages, da ja der AN im Normalfall keinen Einblick in die Vertragsbeziehung zwischen Überlasser und Beschäftiger hat.

Die Passivlegitimation der Bekl ist somit gegeben. Da das Erstgericht ausgehend von seiner vom OGH nicht geteilten Rechtsansicht noch keine hinreichenden Feststellungen getroffen hat, die eine Beurteilung von Grund und Höhe der einzelnen Klagsforderungen ermöglichen würden, wurde ihm die neuerliche Entscheidung nach entsprechender Verfahrensergänzung aufgetragen. In diesem Zusammenhang hielt der OGH dem Erstgericht gegenüber „zur Vermeidung von allfälligen Missverständnissen“ abschließend fest, dass sich die Bestimmungsmerkmale der persönlichen Abhängigkeit eines AN beim überlassenen AN typischerweise im Beschäftigerbetrieb – und nicht beim Überlasser – manifestierten.297