172Inhaltliche Erfordernisse an eine (erfolgreiche) Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde
Inhaltliche Erfordernisse an eine (erfolgreiche) Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde
Mit Bescheid vom 1.3.2017 sprach das Arbeitsmarktservice (AMS) den Verlust der Notstandshilfe gem § 38 iVm § 10 AlVG im Zeitraum 8.2. bis 4.4.2017 aus. Mit Bescheid vom 12.4.2017 wurde die aufschiebende Wirkung der vom Leistungsbezieher eingebrachten Beschwerde gem § 13 Abs 2 VwGVG ausgeschlossen, da dieser seit 1.7.2013 Leistungen aus der AlV beziehe und bisher alle 41 Stellenzuweisungen und 5 Wiedereingliederungs- bzw Weiterbildungsmaßnahmen erfolglos verlaufen seien. Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung sei daher aus spezialpräventiven Gründen geboten; die aufschiebende Wirkung der Beschwerde würde außerdem dem öffentlichen Interesse, Leistungen aus der AlV nicht missbräuchlich in Anspruch zu nehmen, widersprechen.
Der Beschwerdeführer brachte auch gegen diesen Bescheid eine Beschwerde ein, brachte darin je-306doch nicht vor, warum ihn der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung unverhältnismäßig belaste.
Das BVwG gab seiner Beschwerde statt und hob den Bescheid vom 12.4.2017 auf. Das AMS gehe zwar zu Recht von einem Interesse der Versichertengemeinschaft aus, den Missbrauch von Leistungen zulasten der Versichertengemeinschaft zu verhindern. Obwohl der Beschwerdeführer diesem öffentlichen Interesse nicht ausdrücklich berücksichtigungswürdige Interessen seiner Person gegenübergestellt habe, ergebe sich jedoch schon aus der existenzsichernden Funktion des Notstandshilfebezuges und dem Umstand, dass der Beschwerdeführer eine Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eingebracht hat, ein relevantes Interesse des Beschwerdeführers.
Eine weitere Auseinandersetzung mit der vorzunehmenden Gewichtung der Interessen erübrige sich aber. § 13 Abs 2 VwGVG fordere ausdrücklich und zusätzlich zum Bestehen eines relevanten Interesses das Vorliegen einer Gefahr im Verzug. Bei Aufschub der Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung müsse konkret ein nicht wiedergutzumachender erheblicher Nachteil für die Partei oder ein gravierender Nachteil für das öffentliche Wohl drohen. Da sich aus dem vorliegenden Sachverhalt nicht ergebe, dass der Aufschub der Vollstreckung des gegenständlichen Bescheids eine konkrete Gefahr für die öffentliche Ordnung, Ruhe oder Sicherheit darstelle und auch kein unverhältnismäßiger finanzieller Nachteil für die Versichertengemeinschaft drohe, sei eine Einschränkung des rechtsstaatlichen Grundsatzes der faktischen Effizienz eines erhobenen Rechtsmittels nicht rechtfertigbar.
Das AMS erhob gegen das Erk Revision und begründete die Zulässigkeit damit, dass Rsp zum Kriterium „Gefahr im Verzug“ fehle. Da diese bei Sperren gem § 10 AlVG im Allgemeinen schwer zu argumentieren sei, gehe der Sanktionscharakter durch den Aufschub des Vollzugs verloren. Die öffentlichen Interessen würden bei Betrachtung des Einzelfalls nie überwiegen. Berücksichtige man jedoch, dass der Argumentation des BVwG folgend, die aufschiebende Wirkung praktisch nie ausgeschlossen werden könne, dann führe das sehr wohl zu einer erheblichen Belastung der Versichertengemeinschaft. Darüber hinaus bemängelte das AMS, dass der Beschwerdeführer kein substanziiertes Vorbringen hinsichtlich eines unverhältnismäßigen Nachteils durch den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erstattet und somit gegen seine Konkretisierungspflicht verstoßen habe.
Der VwGH erklärte die Revision für zulässig und änderte das angefochtene Erk dahingehend ab, dass die Beschwerde als unbegründet abgewiesen wird. Der Entscheidung über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung hat eine Abwägung zwischen dem Interesse der Versichertengemeinschaft an der Einbringlichkeit der Forderung und dem Interesse des Leistungsbeziehers voranzugehen. Stellt sich im Zuge dieser Interessenabwägung heraus, dass der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheids wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist, so kann die Behörde die aufschiebende Wirkung mittels Bescheid ausschließen. Das Tatbestandsmerkmal „Gefahr im Verzug“ bringt zum Ausdruck, dass der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nur das Eintreten erheblicher Nachteile für eine Partei bzw gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl verhindern soll.
Um die vom Gesetzgeber außerdem geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können, hat der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung darzulegen, warum ihn dieser unverhältnismäßig hart treffen würde und wodurch die Einbringlichkeit der Forderung entgegen der Ansicht des AMS gewährleistet ist.
Der VwGH bestätigt die Ansicht des AMS, dass bei der Verhängung einer Sperrfrist mangels Arbeitswilligkeit gem § 10 AlVG der disziplinierende Charakter der Bestimmung verloren gehen würde, wenn sie erst Monate später in Kraft treten würde. Die Interessenabwägung kann daher vor allem dann zugunsten des öffentlichen Interesses ausgehen, wenn für den Fall einer vorläufigen Weitergewährung einer Leistung die Einbringlichkeit des Überbezuges gefährdet ist. Ob eine solche Gefährdung vorliegt, hat das AMS zu ermitteln und gegebenenfalls auf Grund konkret festzustellender Tatsachen über die wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Partei festzustellen. Wirkt der Beschwerdeführer an den Feststellungen über die Einbringlichkeit nicht mit, kann von einer Gefährdung derselben ausgegangen werden (Müller in Pfeil, AlVG-Komm § 56 Rz 19). Eine maßgebliche Gefährdung der Einbringlichkeit des Überbezuges wäre jedoch dann nicht anzunehmen, wenn die prima facie beurteilten Erfolgsaussichten der Beschwerde eine Rückforderung der weiter gezahlten Notstandshilfe unwahrscheinlich machen (vgl zur Erfolgsprognose VwGH 9.5.2016, Ra 2016/09/0035).
Da der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall kein Vorbringen darüber erstattet hat, dass ihn der Vollzug des Bescheids über den Verlust der Notstandshilfe unverhältnismäßig hart treffen würde und auch prima facie nicht ersichtlich ist, dass seine Beschwerde gegen den Leistungsausschluss wahrscheinlich erfolgreich sein wird, führt die erforderliche Interessenabwägung zu einem Überwiegen der öffentlichen Interessen. Angesichts der vom AMS festgestellten Umstände des Einzelfalls ist auch von einem so gravierenden Nachteil für die berührten öffentlichen Interessen auszugehen, dass Gefahr im Verzug vorliegt, sodass die aufschiebende Wirkung der Beschwerde auszuschließen ist.307