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Austausch des Verfahrensgegenstandes in der Beschwerdevorentscheidung unzulässig

REGINAZECHNER
§ 27 VwGVG
VwGH
8
5
2018
, Ro 2018/08/0011

Das Arbeitsmarktservice (AMS) sprach mit Bescheid vom 9.9.2016 den Verlust des Leistungsanspruchs gem § 10 AlVG im Zeitraum 27.7. bis 6.9.2016 aus, da die Leistungsbezieherin eine vom AMS zugewiesene zumutbare Wiedereingliederungsmaßnahme verweigert habe bzw zum Termin nicht erschienen sei.

In der fristgerecht erhobenen Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin vor, dass es ihr nicht möglich gewesen sei, dermaßen kurzfristig – innerhalb von eineinhalb Tagen – in den Schulferien eine Betreuung für ihre Kinder im Alter von 8 und 14 Jahren zu organisieren, da die üblicherweise in den Ferien die Betreuung übernehmende Großmutter in diesem Sommer an Krebs erkrankt sei.

Im Verfahren erließ das AMS gem § 14 VwGVG iVm § 56 AlVG eine Beschwerdevorentscheidung und änderte darin den Spruch dahingehend ab, dass nunmehr eine Einstellung des Notstandshilfebezuges im Zeitraum 28.7. bis 4.9.2016 gem § 38 iVm § 7 AlVG erfolge. Die alleinerziehende Beschwerdeführerin sei im gegenständlichen Zeitraum auf Grund ihrer in der Beschwerde ins Treffen geführten Betreuungspflichten nicht für eine Beschäftigung verfügbar gewesen.

Das BVwG gab der Beschwerde statt und hob den Bescheid auf, da das AMS den Verfahrensgegenstand überschritten habe und die Beschwerdevorentscheidung damit mit Rechtswidrigkeit belastet habe. Weiters erklärte es die Revision gem Art 133 Abs 4 B-VG für zulässig, da es bisher keine inhaltlichen Entscheidungen des VwGH zum Thema „Austausch des Verfahrensgegenstandes des Ursprungsbescheids durch eine Beschwerdevorentscheidung“ gebe.

Der VwGH erklärte die vom AMS erhobene Revision für zulässig und bestätigte die Ansicht des BVwG, dass das AMS mit der Beschwerdevorentscheidung die Sache des Verfahrens überschritten hat. Die Beschwerdevorentscheidung gem § 14 VwGVG ist eine Entscheidung über die Beschwerde und erledigt diese auch endgültig, sofern kein Vorlageantrag eingebracht wird. Schon daraus folgt, dass die Sache des Verfahrens in diesem Stadium nicht anders begrenzt werden kann als im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht selbst. § 14 VwGVG verweist zudem ausdrücklich auf § 27 VwGVG, der den zulässigen Prüfungsumfang für das Verwaltungsgericht festlegt. Zur Sache des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht und dem äußersten Rahmen seiner Prüfbefugnis hat der VwGH bereits wiederholt ausgesprochen, dass Gegenstand des Verfahrens nur jene Angelegenheit ist, die den Inhalt des Spruchs des Ausgangsbescheides gebildet hat (vgl etwa VwGH 9.9.2015, Ro 2015/03/0031-0032).

Das BVwG hat richtig erkannt, dass das AMS mit der Beschwerdevorentscheidung die so zu verstehende Sache des Verfahrens überschritten hat. Inhalt des Spruchs des Ausgangsbescheides war ein Anspruchsverlust gem § 38 iVm § 10 AlVG; mit der im Gegensatz dazu auf § 38 iVm § 7 AlVG gestützten Einstellung der Notstandhilfe blieb schon auf Grund der abweichenden, auf andere Voraussetzungen abstellenden Rechtsgrundlage die Identität der Sache nicht gewahrt. Es mögen zwar auf Grund eines Lebenssachverhalts zunächst – zu Beginn des Ermittlungsverfahrens – sowohl ein Anspruchsverlust gem § 10 AlVG als auch eine Einstellung der Leistung gem § 7 AlVG in Betracht kommen und zu prüfen sein (wie im vom AMS ins Treffen geführten Erk VwGH 19.9.2007, 2006/08/0324, zum Ausdruck gebracht wurde); wurde aber einmal – auf Grund der Bejahung der Voraussetzungen einer der beiden Normen – ein Bescheid erlassen, so kann im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht mehr auf die andere Variante „umgestiegen“ werden.

Obwohl das AMS mit seiner Beschwerdevorentscheidung die Sache überschritten hat, wäre das BVwG jedoch nicht zur Behebung berechtigt gewesen, sondern hätte aufgrund des Vorlageantrages selbst inhaltlich über die Beschwerde zum Leistungsverlust gem § 38 iVm § 10 AlVG entscheiden müssen. Das angefochtene Erk war daher aufzuheben.

ANMERKUNG DER BEARBEITERIN:
In Folge gab das BVwG mit E vom 4.6.2018, W228 2147462-1, der Beschwerde gegen den Bescheid vom 9.9.2016 statt, da ein wichtiger Grund iSd § 10 Abs 1 Z 2 und 3 AlVG für die Ablehnung der Teilnahme an der Wiedereingliederungsmaßnahme vorlag. Aus Sicht des erkennenden Senats war es der Beschwerdeführerin nicht möglich, innerhalb von eineinhalb bis zwei Tagen eine Kinderbetreuung zu organisieren.

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