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Wahrscheinlichkeit von Krankenständen und Anspruch auf berufliche Rehabilitation

WERNERPLETZENAUER

Der 1957 geborene Kl absolvierte eine dreieinhalbjährige Lehre als Elektriker, die er mit der Lehrabschlussprüfung abschloss. Danach war er bis zum 40. Lebensjahr im Außendienst für kältetechnische Anlagen tätig. Seit 1998 geht er keiner Beschäftigung mehr nach. Im Beobachtungszeitraum der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (1.6.2016) war er nicht erwerbstätig. Es ist nicht strittig, dass der Kl keinen Berufsschutz hat, nach seinem medizinischen Leistungskalkül noch Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben kann und daher die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit mangels Berufsunfähigkeit bzw Invalidität (zum Stichtag) nicht erfüllt. Unstrittig ist auch, dass der 1957 geborene Kl die in § 253e Abs 1 Z 2 ASVG geregelte Voraussetzung für den Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation – das Vorliegen von mindestens 36 Pflichtversicherungsmonaten aufgrund einer Erwerbstätigkeit nach § 255 Abs 1 ASVG oder als Angestellte/r – erfüllt.

Thema des gegenständlichen Revisionsverfahren ist daher ausschließlich, ob der Kl die für einen Anspruch auf berufliche Rehabilitation gem § 253e ASVG erforderlichen Voraussetzungen für die Invaliditätspension iSd § 253e Abs 1 Satz 1 ASVG idF BGBl I 2010/111wahrscheinlich erfüllt.

Das Berufungsgericht verneinte dies und bestätigte das Urteil des Erstgerichts, das das auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension gerichtete Klagebegehren abgewiesen hatte.315

Die Revision wurde zugelassen, weil sich der OGH mit der gebotenen Auslegung der alternativen Anspruchsvoraussetzungen für berufliche Rehabilitation, dass der Versicherte die Kriterien für die Invaliditäts-/Berufsunfähigkeitspension „wahrscheinlich erfülle“, bislang noch nicht auseinandergesetzt habe.

Der OGH wies die Revision des Kl jedoch als nicht zulässig zurück.

„Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation haben versicherte Personen gem § 253e Abs 1 Satz 1 ASVG idF BGBl I 2010/111, wenn sie infolge ihres Gesundheitszustandes die Voraussetzungen für die Invaliditätspension (§ 254 Abs. 1) erfüllen, wahrscheinlich erfüllen oder in absehbarer Zeit erfüllen werden.“

Diese Bestimmung, so der OGH, regelt nach ihrem klaren Wortlaut die drei Tatbestände „erfüllen“, „wahrscheinlich erfüllen“ oder „in absehbarer Zeit erfüllen werden“. Auch die Lehre differenziert zwischen den beiden letzten Tatbeständen. Nach Panhölzl (Neuregelung des Bereichs Invalidität und Rehabilitation, DRdA 2011, 309 [310]), Födermayr (SV-Komm [197. Lfg] § 253e ASVG Rz 8) und Sonntag (in Sonntag, ASVG8 § 253e Rz 1a) handelt es sich beim Tatbestandsmerkmal „wahrscheinlich“ um eine Herabstufung des Beweismaßes vom Regelbeweismaß „hohe Wahrscheinlichkeit“ auf einen geringeren Grad der Überzeugung vom Vorliegen der Invalidität. Diese Unterscheidung bringt der Gesetzgeber selbst deutlich zum Ausdruck, indem er in § 253e Abs 2 ASVG im Zusammenhang mit der Eignung von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation „hohe Wahrscheinlichkeit“ fordert, beim zweiten Tatbestandsmerkmal des § 253e Abs 1 Satz 1 ASVG jedoch „wahrscheinlich“ genügen lässt. Von dieser Interpretation geht auch der Revisionswerber aus.

Invalidität (oder Berufsunfähigkeit) liegt nach der stRsp vor, wenn die infolge des vorhandenen Leidens zu erwartenden Krankenständen mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest sieben Wochen jährlich erreichen (RIS-Justiz RS0084429 [T3]). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist der gegenwärtige Gesundheitszustand des Kl durch zumutbare Therapien verbesserbar, eine nachhaltige Änderung im Leistungskalkül ist dadurch jedoch nicht zu erreichen. Aufgrund der diagnostizierten Gesundheitsstörung sind mit hoher Wahrscheinlichkeit regelmäßige Krankenstände im Ausmaß von sieben oder mehr Wochen pro Jahr nicht zu erwarten.

Der Kl interpretiert die zuletzt genannte Feststellung zur prognostizierten Dauer regelmäßiger Krankenstände – seiner Ansicht nach gerechtfertigt durch einen Umkehrschluss – so, dass regelmäßige Krankenstände im Ausmaß von sieben oder mehr Wochen pro Jahr nicht auszuschließen, also mit einiger Wahrscheinlichkeit doch zu erwarten sind, was für die wahrscheinliche Erfüllung der Voraussetzungen iSd § 253e Abs 1 Satz 1 zweiter Fall ASVG ausreichen soll.

Die gewünschte Interpretation der erstinstanzlichen Feststellungen kommt für den OGH jedoch nicht in Betracht. Unter dem Begriff „hohe Wahrscheinlichkeit“ versteht die Rsp im Zusammenhang mit dem Vorliegen von Invalidität/Berufsunfähigkeit den Regelbeweis iSd ZPO.

Mit der Feststellung, dass jährliche Krankenstände von sieben oder mehr Wochen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten sind, steht als Tatsache iSd Regelbeweises fest, dass dieses Ereignis nicht eintreten wird. Eine nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossene (hypothetische) Möglichkeit ist auch nach dem allgemeinen Sprachgebrauch einem wahrscheinlichen Eintritt nicht gleichzusetzen: Der Begriff „wahrscheinlich“ beinhaltet die Forderung, dass gewisse Anhaltspunkte vorliegen müssen, um mit dem Eintritt dieses Ereignisses rechnen zu können.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass bei Ausübung einer Verweisungstätigkeit aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die der Kl nach seinem medizinischen Leistungskalkül noch ausüben kann, Krankenstände von sieben Wochen oder mehr pro Jahr entsprechend dem klaren Wortlaut des § 253e Abs 1 Satz 1 ASVG „wahrscheinlich“ sind. Konkrete Indizien für die Wahrscheinlichkeit einer derartigen Prognose nennt auch der Revisionswerber nicht.