Viertes Symposium des Wiener Arbeitsrechtsforums zum Generalthema „Das Verhältnis zwischen Arbeitsrecht und Kriminalstrafrecht“

MICHAELHAIDER

Bereits zum vierten Mal fand am 24.5.2018 das Symposium des Wiener Arbeitsrechtsforums zum Generalthema „Das Verhältnis zwischen Arbeitsrecht und Kriminalstrafrecht“ statt, wobei erstmals der neue Veranstaltungsort in der Sky Lounge (Universität Wien) genutzt wurde.

In der arbeitsrechtlichen Praxis lässt sich gerade zwischen den Rechtsgebieten des Arbeitsrechts und Kriminalstrafrechts eine immer intensivere Wechselwirkung erkennen, die teilweise in einer Instrumentalisierung des Kriminalstrafrechts für arbeits- bzw zivilrechtliche Zwecke endet. Die334ganztägige Veranstaltung widmete sich in vier wissenschaftlichen Vorträgen dieser wesentlichen Schnittstelle, wobei in einem Vortrag – über die österreichischen Grenzen hinaus – auch das Schweizer Arbeitsrecht behandelt wurde. Den rund 50 TeilnehmerInnen wurde im Anschluss an jedes Referat ausreichend Raum für Diskussionsbeiträge geboten.

Herr Univ.-Prof. RA Dr. Richard Soyer nutzte seinen das Symposium einleitenden Vortrag zum Thema „Rechtsvertretung im Fokus des Kriminalstrafrechts“ dazu, die (bedenkliche) Entwicklung der (Aus-)Nutzung des Strafrechts als Druckmittel in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten zu beschreiben und in Erinnerung zu rufen. Als Ausgangspunkt seines Vortrags griff der Vortragende einen Fall auf, in welchem eine AN sich nach der Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses rechtlich beraten ließ. Aufgrund des daraus resultierenden Aufforderungsschreibens, in welchem die AN Ersatzansprüche nach dem GlBG aufgrund erlittener Diskriminierung und sexueller Belästigung geltend machte und gleichzeitig mit einer Strafanzeige drohte, wurde gegen die AN ein Strafverfahren wegen dem Vorwurf der versuchten Erpressung (§§ 15, 144 Abs 1 StGB) in die Wege geleitet. Unter Aufbereitung der Tatbestandsmerkmale der Nötigung nach § 105 StGB erörterte der Vortragende, ob die Drohung mit einer Strafanzeige strafbar iSd genannten Bestimmung sei. Dabei wies Soyer darauf hin, dass – bei Vorliegen der subjektiven Tatbestandsmerkmale – eine Drohung mit einer inhaltlich unrichtigen Strafanzeige als tatbestandsmäßig iSd § 105 StGB anzusehen ist. Eine Drohung mit einer inhaltlich richtigen Anzeige sei hingegen zwar als Nötigungsmittel geeignet und stelle eine drohende Rechtsgutverletzung dar, sei jedoch kein sittenwidriges Mittel bzw verfolge keinen sittenwidrigen Zweck und es sei auch die Mittel-Zweck-Relation im Ergebnis nicht sittenwidrig, sofern der notwendige sachliche Zusammenhang zwischen der Drohung mit der Anzeige und dem Tatbestand gegeben ist. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte der Vortragende im Zusammenhang mit dem Erpressungstatbestand nach § 144 StGB: Bestehe ein rechtsgültiger Anspruch auf die geforderte Leistung, sei eine Strafbarkeit mangels Bereicherungsvorsatz nicht gegeben. Bei Nichtbestehen eines rechtsgültigen Anspruchs und Vorliegen eines (bedingten) Vorsatzes (dass vielleicht doch kein Anspruch besteht) handle der Täter jedoch mit Bereicherungsvorsatz. Ausgehend davon sei § 144 StGB grundsätzlich erfüllt. Auch eine Drohung mit rechtlich Erlaubtem könne sittenwidrig und daher strafbar nach § 144 StGB sein, sofern damit unberechtigte Geldzahlungen gefordert werden würden und die Forderung nicht zB durch Schadenersatzrecht gedeckt sei. Drohungen mit rechtlich Erlaubtem oder jedenfalls Unverbotenem würden hingegen in der Regel keine Drohung mit einer Verletzung am Vermögen darstellen. Für die RechtsvertreterInnen ist in der Praxis jedoch zu beachten, dass lediglich der Mandant als unmittelbarer Täter fungiert, der Rechtsvertreter ist bloß Beitrags- oder BestimmungstäterIn. So wies Soyer darauf hin, dass dann, wenn RechtsanwältInnen nach § 9 RAO nicht wider besseres Wissens handeln würden, diese über einen Rechtfertigungsgrund verfügen und deren Verhalten nicht strafbar ist. Ebendies gilt für nicht-anwaltliche RechtsvertreterInnen/BeraterInnen, wie zB MitarbeiterInnen der Gewerkschaft bzw Arbeiterkammer. Eine allfällige Strafbarkeit wäre somit nur in sehr seltenen Fällen gegeben.

Im zweiten Vortrag beschäftigte sich Frau Ass.-Prof.in Dr.inJulia Eichinger mit Fragen der offensiven Strafrechtsdurchsetzung und Gleichbehandlung. Anhand eines Musterfalls einer offensichtlichen sexuellen Belästigung beschrieb die Vortragende in äußerst anschaulicher und nachvollziehbarer Art und Weise die Vorgehensweise bei Prüfung des Tatbestands einer sexuellen Belästigung iSd GlBG, des Vorliegens eines Entlassungsgrunds und ob eine strafbare Handlung vorliegt. Dabei betonte Eichinger, dass die geschützten Merkmale im GlBG taxativ aufgezählt seien und im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis ein umfassendes Diskriminierungsverbot bestehe, das selbstverständlich auch (sexuelle) Belästigungen umfasse. Es sei jeweils zu prüfen, ob ein „unerwünschtes unangemessenes Verhalten“ im Zusammenhang mit einem geschützten Merkmal, das sowohl das biologische Geschlecht als auch das soziale Geschlecht sein könne, vorliege. Das belästigende Verhalten muss für den betroffenen AN unerwünscht (oder unangebracht oder anstößig) sein und ist auf die Beeinträchtigung der Würde gerichtet. Plakativ verwies die Vortragende dabei auf die E des OGH vom 20.4.2017, 9 ObA 38/17d, wonach die ausdrückliche oder stillschweigende Zurückweisung oder Ablehnung eines sexuell belästigenden Verhaltens keine Tatbestandsvoraussetzung der sexuellen Belästigung iSd § 6 Abs 2 Z 1 GlBG sei. Unter Prüfung sämtlicher weiteren relativen Tatbestandsmerkmale kam die Vortragende zu dem Ergebnis, dass das Verhalten des AN im Musterfall jedenfalls als sexuelle Belästigung iSd GlBG anzusehen sei und darüber hinaus – unabhängig davon, ob der AN als Arbeiter oder Angestellter zu qualifizieren sei – einen Entlassungsgrund darstellen würde. Auch strafrechtlich wäre das Verhalten als sexuelle Belästigung iSd § 218 Abs 1 Z 1 StGB bzw § 218 Abs 1a StGB zu werten. Auch mit diesem Beispiel wurde die Verknüpfung des Arbeits- und Strafrechts in der heutigen Praxis anschaulich dargelegt.

Nach der Mittagspause, die zu fruchtbaren Diskussionen über die Inhalte der Vorträge des Vormittags genutzt wurde, gewährte Herr Prof. Dr.335Roger Rudolph den TeilnehmerInnen des Symposiums einen Einblick in das Arbeitsrecht und dessen Durchsetzung in der Schweiz. Dabei zeigten sich wesentliche Unterschiede im Verhältnis zum Österreichischen Arbeitsrecht: Im Rahmen des Individualarbeitsrechts, welches im Wesentlichen im Obligationenrecht geregelt ist, finden sich zB Regelungen zur Lohnfortzahlung bei unverschuldeter Arbeitsverhinderung (Art 324a OR), wobei die Dauer der Lohnfortzahlung in Abhängigkeit des Dienstalters entsprechend der Zürcher Skala ansteigt (der Vortragende wies jedoch darauf hin, dass in der Praxis diese Regelungen oftmals durch Taggeldversicherungen ersetzt bzw ergänzt werden, die eine Lohnfortzahlung von bis zu zwei Jahren vorsehen). Zwar sei der AG zum Persönlichkeitsschutz, zur Geschlechtergleichstellung und zum Datenschutz verpflichtet, der Gleichbehandlungsgrundsatz ist jedoch äußerst schwach ausgeprägt und in der Schweiz besteht kein allgemeines Diskriminierungsverbot. An bezahltem Mutterschaftsurlaub gewährt das Schweizer Arbeitsrecht 14 Wochen, ein Vaterschaftsurlaub ist nicht gesetzlich verankert. Befristete Arbeitsverträge sind bis zu einer Maximalbefristung von zehn Jahren sachgrundlos zulässig. Erst bei fortgesetzter Befristung ist eine sachliche Rechtfertigung erforderlich. Anders als im Österreichischen Arbeitsrecht sieht das Obligationenrecht in der Schweiz einen befristeten zeitlichen Kündigungsschutz bei Krankheit und Unfall vor. Abgesehen davon finden sich jedoch kaum Schutzvorschriften bei Kündigungen des Arbeitsverhältnisses. Derartige Beendigungserklärungen können nur bei Rechtsmissbrauch ausgesprochen werden, wobei die diesbezügliche Judikatur sehr restriktiv ist. Auch bei Vorliegen einer rechtsmissbräuchlichen Kündigung sei diese, so Rudolph, nicht rechtsunwirksam, sondern gebühre dem AN lediglich eine Entschädigungszahlung von maximal sechs Monatslöhnen. Auch bei fristlosen Kündigungen kann eine Rechtsunwirksamkeit der Auflösung in der Regel nicht begehrt werden. Das nachvertragliche Konkurrenzverbot sei in der Praxis recht stark verbreitet, eine Karenzentschädigung für die Einhaltung des Konkurrenzverbotes werde gesetzlich jedoch nicht gefordert. In Bezug auf das kollektive Arbeitsrecht verwies der Vortragende darauf, dass rund 50 % der Arbeitsverhältnisse in der Schweiz in den Anwendungsbereich von Gesamtarbeitsverträgen (vergleichbar mit Kollektivverträgen) fallen würden, wobei oftmals individualvertraglich deren Geltung vereinbart werde. Zusammen mit Österreich verfüge die Schweiz über die niedrigste Streikquote im Jahresdurchschnitt 2006 bis 2015 (nämlich zwei Arbeitstage pro 1.000 Angestellte im Jahr). Das Schweizer Arbeitsrecht sieht wöchentliche Höchstarbeitszeiten von 45 oder 50 Stunden vor, wobei zB im Mutterschutz ein absolutes Beschäftigungsverbot während acht Wochen nach der Niederkunft besteht, bis zur 16. Woche bedarf es des Einverständnisses der AN. Obwohl das Unionsrecht nicht unmittelbar in der Schweiz zur Anwendung kommt, hat dieses nach Rudolph dennoch Auswirkung auf das Schweizer Arbeitsrecht, so zB durch richterliche Rechtsanwendung im Wege der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe iS einer unionsrechtskonformen Interpretation, durch autonomen Nachvollzug in der Gesetzgebung und Behördenpraxis (zB Betriebsübergangsproblematik) oder durch staatsvertragliche Verpflichtungen. Im Rahmen der Rechtsdurchsetzung verwies der Vortragende darauf, dass sich der Zivilprozess deutlich vom österreichischen Verfahren unterscheidet. So verlangt das Schweizer Prozessrecht einen obligatorisch vorgelagerten Schlichtungsversuch bei FriedensrichterInnen, bei Streitwerten bis 30.000 Franken besteht ein vereinfachtes Verfahren ohne Gerichtskosten und mit Untersuchungsmaxime. Laut Rudolph spiele das Strafrecht in der arbeitsrechtlichen Praxis eine eher untergeordnete Rolle.

Im abschließenden Vortrag des Symposiums beschäftigte sich Herr Univ.-Prof. Mag. Dr. Thomas Garber mit dem Thema der Reichweite der Bindungswirkung von Urteilen der Strafgerichte im Zivilverfahren. Dabei wies der Vortragende darauf hin, dass die ursprüngliche Fassung des § 268 ZPO eine Bindungswirkung des Zivilrichters an den Inhalt eines ergangenen, rechtskräftig verurteilenden Erkenntnisses des Strafgerichts vorsah. Telos der Regelung waren insb prozessökonomische Erwägungen, der Schutz des Vertrauens in die Gerechtigkeit des strafgerichtlichen Erkenntnisses und die Verhinderung divergierender Entscheidungen. Beschränkt war die Bindungswirkung auf verurteilende Straferkenntnisse und – im Umfang – lediglich hinsichtlich des Nachweises der strafbaren Handlung, ihrer Zurechnung und des Kausalzusammenhangs zwischen der strafbaren Handlung und ihren Folgen. Gebunden war das Zivilgericht zudem nur an „tragende“ Feststellungen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Urteilsspruch. In persönlicher Hinsicht umfasste die Bindungswirkung den Verurteilten, Personen, die im Strafverfahren als Privatbeteiligte/PrivatanklägerInnen teilgenommen haben sowie Personen, die nicht teilgenommen haben und daher kein rechtliches Gehör hatten. Die alte Judikatur sah § 268 ZPO im Hinblick auf Art 6 EMRK als unbedenklich an. Im Jahr 1990 entschied der VfGH (12.10.1990, G 73/89) in Abänderung dieser Judikatur jedoch, dass § 268 ZPO dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein rechtliches Gehör widerspreche und aufzuheben sei. Der VfGH hielt gleichzeitig fest, dass die Regelung einer allfälligen Bindung des Zivilrichters an ein Strafurteil nicht Aufgabe des VfGH oder der Strafgerichte, sondern vielmehr des Gesetzgebers sei. Eine neue gesetzliche Regelung fehlt bis dato. Der OGH (verst Senat, 17.10.1995, 1 Ob612/95)336ging in der Folge unter Verweis auf den VfGH davon aus, dass sich eine Bindungswirkung lediglich auf den Verurteilten in dessen Rechtskreis beschränke und es nur Verurteilten verwehrt sei, zu behaupten und zu beweisen, dass sie die im Strafurteil zur Last gelegte Tat nicht begangen hätten. Garber kritisierte diese Entscheidung, da sich diese Schlussfolgerungen aus den Ausführungen des Erkenntnisses des VfGH nicht ableiten lassen würden. Dennoch wird diese Ansicht in nunmehr stRsp angewendet. In sachlicher Hinsicht binden rechtskräftig verurteilende Straferkenntnisse nunmehr Zivilgerichte hinsichtlich des Strafausspruchs und der Feststellungen zur Begehung der Tat, jedoch nur hinsichtlich solcher Feststellungen, die die Subsumption unter einen bestimmten Straftatbestand ermöglichen. Auch bestehe eine Bindung an die rechtliche Qualifikation des Strafgerichts, dies zumindest insoweit, als sich die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale des Zivilrechts mit jenen des Strafrechts decken (OGH 23.11.2000, 6 Ob 265/00i). Eine Bindung an einen Freispruch besteht hingegen nicht, ebenso nicht eine Bindung an diversionelle Erledigungen. Zur Frage, ob eine Bindung an ausländische Straferkenntnisse besteht, führt Garber aus, dass eine solche unter der Voraussetzung, dass das Zivilprozessrecht des ausländischen Staates eine solche Bindung vorsieht und die strafgerichtliche Verurteilung in Österreich anzuerkennen ist, gegeben sei. Eine Bindung an Erkenntnisse von Verwaltungs- oder Disziplinarbehörden bestehe hingegen nicht, ebenso nicht eine Bindung an Strafverfügungen. Bei Verstoß gegen diese Bindungswirkung liege nach dem Vortragenden ein Nichtigkeitsgrund vor und stellte dies auch einen Grund für eine Wiederaufnahmsklage gem § 530 Abs 1 Z 5 ZPO dar.

Langfassungen sämtlicher Vorträge können dem in Kürze erscheinenden Sammelband Kozak (Hrsg), Das Verhältnis zwischen Arbeitsrecht und Kriminalstrafrecht (2018) entnommen werden, die Vortragsunterlagen stehen unter http://forumarbeitsrecht.at/http://forumarbeitsrecht.at/ zur Verfügung.

Das fünfte Symposium des Wiener Arbeitsrechtsforums wird am 23.5.2019 in der Sky Lounge (Universität Wien) stattfinden.