151Angebot des Arbeitgebers zur einvernehmlichen Auflösung maßgeblich für Anzeigepflicht gem § 45a AMFG
Angebot des Arbeitgebers zur einvernehmlichen Auflösung maßgeblich für Anzeigepflicht gem § 45a AMFG
Spiegelt sich die Absicht des AG, innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen die Dienstverhältnisse einer den Schwellenwert des § 45a Abs 1 Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) überschreitenden Anzahl von AN zu beenden, bereits in den diesen AN unterbreiteten Angeboten zur einvernehmlichen Auflösung der Dienstverhältnisse wider, so löst dies die Anzeigepflicht nach § 45a Abs 1 AMFG aus.
Der Kl war bei der Bekl (bzw ihrer Rechtsvorgängerin) seit 1978 beschäftigt. Bei einer Mitarbeiterversammlung am 2.10.2013 informierte der Geschäftsführer der Bekl die Mitarbeiter über Umsatzrückgänge sowie über die Erforderlichkeit eines Personalabbaus, ohne jedoch Zahlen oder konkrete Namen zu nennen. In Folge wurden seitens285der Bekl sieben der zu diesem Zeitpunkt 118 Beschäftigten ausgewählt, von denen man sich trennen wollte. Diesen AN wurde in Einzelgesprächen am 30.10.2013 (bzw in einem Fall Anfang November 2013) der Entwurf einer Vereinbarung über die einvernehmliche Auflösung vorgelegt, der ua ein Beendigungsdatum sowie einen Frühabschlussbonus für den Fall der Annahme des Angebots bis zum 20.11.2013 enthielt. Es war allen Mitarbeitern klar, dass sie gekündigt werden, wenn sie dem Angebot einer einvernehmlichen Auflösung nicht innerhalb der vorgesehenen Frist zustimmten.
Nur einer der betroffenen AN nahm das Angebot der Bekl an, die einvernehmliche Auflösung wurde am 12.11.2013 vereinbart. In der Folge kündigte die Bekl am 28.11.2013 die Dienstverhältnisse von zwei Mitarbeitern und mit Schreiben vom 19.12.2013 die Dienstverhältnisse des Kl und von drei weiteren AN jeweils zum 30.6.2014. Darüber hinaus wurde am 13.11.2013 einer weiteren (achten) Mitarbeiterin mitgeteilt, dass sie gekündigt werden müsse. Diese nahm das ihr gleichzeitig unterbreitete Angebot einer einvernehmlichen Auflösung an.
Soweit revisionsgegenständlich beantragte der Kl die Feststellung des aufrechten Fortbestands seines Dienstverhältnisses über den 30.6.2014 hinaus. Die Kündigung sei rechtsunwirksam, weil keine Verständigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) gem § 45a AMFG erfolgt sei.
Das Erstgericht sah die Kündigung des Kl wegen Verletzung der Frühwarnpflicht als rechtsunwirksam an. Es seien auch vom AG initiierte einvernehmliche Auflösungen zu berücksichtigen. Art 2 Abs 1 der MassenentlassungsRL sehe vor, dass die Konsultation vom AG vorzunehmen sei, wenn er „beabsichtigt, Massenentlassungen vorzunehmen“. Nach Art 3 Abs 1 der MassenentlassungsRL habe der AG „alle beabsichtigten Massenentlassungen […] anzuzeigen“. Die vom Gemeinschaftsgesetzgeber verwendeten Begriffe seien nach der Rsp des EuGH ein Indiz dafür, dass die Anzeigepflicht vor einer Entscheidung des AG zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen entstehe. Bei einvernehmlichen Auflösungen sei dem entsprechend nicht auf den vereinbarten Beendigungstermin, sondern auf jenen Zeitpunkt abzustellen, in dem der AG seine Absicht zur Beendigung des Dienstverhältnisses erkläre. Da die Bekl neben dem Kl sieben weiteren Personen zwischen 30.10.2013 und 20.11.2013 eine einvernehmliche Auflösung angeboten habe, sei der Schwellenwert des § 45a AMFG überschritten worden und die Kündigung des Kl gem § 45a Abs 5 AMFG rechtsunwirksam.
Das Berufungsgericht bestätigte diese E, stellte jedoch in der Frage der Überschreitung des Schwellenwertes des § 45a Abs 1 AMFG auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärungen bzw des Abschlusses der einvernehmlichen Auflösungen ab, weil sich spätestens darin die Kündigungsabsicht manifestiere.
Die von der Bekl eingebrachte außerordentliche Revision ist nach Ansicht des OGH zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.
„2. […] Hervorzuheben ist, dass die Verständigungspflicht nach dem klaren Wortlaut des § 45 [gemeint: 45a] Abs 1 AMFG schon dann ausgelöst wird, wenn ein Arbeitgeber beabsichtigt, eine den jeweiligen Schwellenwert überschreitende Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb von 30 Tagen aufzulösen. Damit soll dem Zweck des Frühwarnsystems entsprechend erreicht werden, bereits vor Freisetzung einer arbeitsmarktpolitisch relevanten Zahl von Arbeitskräften Beratungen durchführen zu können (s § 45a Abs 6 AMFG), eine bessere Abstimmung der personalpolitischen Maßnahmen der Betriebe auf die arbeitsmarktpolitischen Möglichkeiten zu erreichen und durch die Erfüllung der in den §§ 45a bis 45c auferlegten Verpflichtungen die Voraussetzungen für einen optimalen Einsatz des Instrumentariums nach dem AMFG zu schaffen […]. Soll aber bereits die Absicht zur Freisetzung einer relevanten Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums von 30 Tagen die Verständigungspflicht auslösen, um frühzeitig besondere Vermittlungsbemühungen anzustellen und den Arbeitsplatz gegebenenfalls noch sichern zu können, so wird daraus ersichtlich, dass die Verständigungspflicht nicht erst an den erfolgten Ausspruch der Kündigung oder die erfolgte einvernehmliche Auflösung eines Dienstverhältnisses anknüpfen kann.
3. Im Hinblick auf einvernehmliche Auflösungen wurde schon in der Entscheidung 8 ObA 258/95 festgehalten, dass die Absicht des Arbeitgebers, Arbeitsverhältnisse aufzulösen (§ 45a Abs 1 AMFG), sowohl zu einseitigen, empfangsbedürftigen Kündigungen als auch zu annahmebedürftigen Anboten von Aufhebungsverträgen führen kann. Die unterschiedliche Gestaltung der Erklärung und die unterschiedliche Verhaltensweise des Erklärungsempfängers ändern nichts an der Gemeinsamkeit beider Erklärungsformen des Arbeitgebers, nämlich als wesentlichen Kern seiner rechtsgeschäftlichen Erklärung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beabsichtigen […].
4. […] Eine entsprechende Absicht der Beklagten geht […] aus den Einzelgesprächen und den Auflösungsangeboten hervor:286
Die Beklagte unterbreitete sechs Mitarbeitern am 30.10.2013 und einer Mitarbeiterin Anfang November 2013 das Angebot zur einvernehmlichen Auflösung ihrer Dienstverhältnisse mit verschiedenen Abfertigungsleistungen und einem entsprechenden Frühabschlussbonus bis zum 20.11.2013, wobei klar war, dass die Mitarbeiter bei Nichtannahme des Angebots gekündigt würden. Das Interesse und die Absicht der Beklagten, mehr als 5,95 […] Arbeitsverhältnisse iSd § 45a Abs 1 AMF innerhalb von 30 Tagen aufzulösen, hat sich damit schon mit der Unterbreitung (des letzten) dieser Angebote, nicht erst mit den nachfolgenden Kündigungen manifestiert, war doch die Vereinbarung der Auflösung des jeweiligen Dienstverhältnisses nur noch von einer Annahme durch die Arbeitnehmer, aber keinem weiteren Zutun der Beklagten mehr abhängig. Die Beklagte konnte zwar noch nicht wissen, ob die Mitarbeiter die Anbote annehmen und die Dienstverhältnisse tatsächlich innerhalb von 30 Tagen aufgelöst sein würden. Fraglos war hier aber die Anbotsannahme durch die Mitarbeiter nach dem Willen der Beklagten sogleich möglich und verdeutlichte auch der angebotene Frühabschlussbonus für Anbotsannahmen innerhalb einer Frist von ca drei Wochen (20.11.2013) die Absicht der Beklagten, die sieben Arbeitnehmer frühzeitig abzubauen. Schon mit diesen Angeboten bestand daher jene Gefahr, der § 45a AMFG vorzubeugen sucht, nämlich die Gefahr, dass eine relevante Zahl von Arbeitnehmern innerhalb kurzer Zeit (30 Tage) den Arbeitsplatz verlieren könnte und auf den Arbeitsmarkt freigesetzt würde. Wäre erst der tatsächliche Ausspruch der Kündigung oder – bei einvernehmlicher Auflösung – die Einigung darüber relevant, bliebe kein Raum für die Anzeige einer erst beabsichtigten Beendigung innerhalb von 30 Tagen und für die an die Anzeige anknüpfende Wartefrist von mindestens 30 Tagen (§ 45a Abs 2 AMFG). Derartige Kündigungen oder einvernehmliche Auflösungen müssten mangels Einhaltung des vorgeschriebenen Procedere daher von vornherein als rechtsunwirksam angesehen werden. Die Absicht zur Beendigung der Dienstverhältnisse von sieben Mitarbeitern innerhalb von 30 Tagen ist hier daher schon mit den zwischen 30.10.2013 und Anfang November 2013 unterbreiteten einvernehmlichen Angeboten auszumachen.“
§ 45a AMFG verpflichtet AG im Rahmen des sogenannten Frühwarnsystems vor umfangreicheren Personalkürzungen zur schriftlichen Verständigung des AMS. Die Anzeige muss mindestens 30 Tage vor der ersten Erklärung der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses erstattet werden. Kündigungen sind gem Abs 5 dieser Bestimmung rechtsunwirksam, wenn sie vor einer entsprechenden Anzeige oder vor Ablauf der 30-tägigen Wartefrist (Ausnahmen sind diesbezüglich mit Zustimmung des AMS aber möglich) ausgesprochen werden. Der Schwellenwert, ab dem die Anzeigepflicht ausgelöst wird, ist nach Betriebsgröße gestaffelt und lag im vorliegenden Fall gem § 45a Abs 1 Z 2 AMFG (Betriebe mit 100 bis 600 Beschäftigten) bei 5 % der AN.
Dass nicht nur vom AG beabsichtigte Kündigungen im relevanten Ausmaß die Anzeigepflicht an das AMS auslösen, sondern auch vom AG initiierte einvernehmliche Auflösungen zu berücksichtigen sind, hat der OGH bereits in früheren Judikaten klargestellt (so zuletzt etwa OGH 9 ObA 75/17wDRdA-infas 2017/187, 345). Im gegenständlichen Verfahren stand nun aber die Frage im Mittelpunkt, zu welchem Zeitpunkt die Pflicht zur Verständigung des AMS entsteht. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil es nach dem Wortlaut der Regelung auf die innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen beabsichtigten Beendigungen ankommt. Nach der Rsp des OGH handelt es sich dabei nicht um einen starren, sondern um einen kontinuierlich wandernden Zeitraum (ein Tag fällt weg, einer kommt dazu), sodass der AG mittels zeitlicher Streuung der Kündigungen bzw der einvernehmlichen Auflösungen ein Überschreiten des Schwellenwertes verhindern kann (vgl OGH9 ObA 76/09f infas 2010 A 15). Im vorliegenden Verfahren war strittig, ob es für das Vorliegen einer den Schwellenwert übersteigenden Anzahl von Beendigungen auf den Zeitpunkt des Unterbreitens der Angebote zur einvernehmlichen Auflösung ankommt oder aber auf jenen der erst späteren (und möglicherweise über einen längeren Zeitraum gestreuten) Kündigungen und einvernehmlichen Auflösungen.
Der OGH bestätigt in der konkreten Fallkonstellation – anders als das Berufungsgericht – die Ansicht des Erstgerichts, dass sich die Absicht des AG zur Auflösung der Dienstverhältnisse bereits mit der Unterbreitung der Angebote zur einvernehmlichen Auflösung an die betroffenen Mitarbeiter ausreichend manifestiert habe, sodass im Ergebnis die in weiterer Folge ausgesprochene Kündigung des Kl unter Missachtung der Anzeigepflicht rechtsunwirksam war. Maßgeblich war in diesem Zusammenhang, dass es sich um bereits sehr konkrete Angebote zur einvernehmlichen Auflösung handelte, die nur mehr der Annahme durch die jeweiligen Mitarbeiter bedurften, dass völlig außer Zweifel stand, dass bei Nichtannahme die Kündigung durch den AG folgen würde und dass die Absicht des AG zur Beendigung der betreffenden Dienstverhältnisse binnen 30 Tagen ua im angebotenen „Frühabschlussbonus“ zum Ausdruck kam.287