Wer trägt die Anwalts- und Verfahrenskosten bei dienstbedingter strafrechtlicher Verurteilung?*

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)
AN geraten bisweilen in die Mühlen des Strafrechts, wenn sie im Interesse ihres AG, auf dessen Weisung oder in loyaler Pflichterfüllung gehandelt haben. Solche Fälle häufen sich, manche dringen spektakulär an die Medienöffentlichkeit, viele Dramen spielen sich im Verborgenen ab. Eine wirksame Verteidigung ist oft kostspielig, gerade bei Delikten wie Untreue, Amtsmissbrauch, Korruption oder Steuerhinterziehung. Derzeit überwiegt die Meinung, dass der AG im Falle einer Verurteilung des AN für die Anwalts- und Verfahrenskosten (im Folgenden: AV-Kosten) nicht aufkommen muss. Dieses Ergebnis steht in einem beträchtlichen Spannungsverhältnis zum arbeitsrechtlichen Schutzprinzip. Es erstaunt, dass diese Fälle ausschließlich auf der Grundlage von § 1014 ABGB erörtert werden, stellt doch das Arbeitsrecht mit der Fürsorgepflicht ein Instrument zur Verfügung, das dazu geeignet scheint, den Schutz der Vermögens- und Persönlichkeitsinteressen der AN umfassend zu gewährleisten. Die folgende Abhandlung stellt die Frage, ob es nicht dogmatisch geboten ist, auf der Basis der Fürsorgepflicht ein arbeitsrechtsspezifisches Auftragsrecht zu entwickeln, das die allzu engen Schranken des § 1014 ABGB überwindet und dass auf diese Weise eine Kostenübernahme des AG auch dann zu erfolgen hat, wenn der AN verurteilt wird.
  1. Zum Stand der Diskussion

  2. Offene Fragen

  3. Hindert § 1014 ABGB an der Heranziehung der Fürsorgepflicht?

  4. Verschiebungen der Risikoverteilung

  5. Aufwandsfälle ohne Heranziehung des DHG

  6. Eine systematische Verortung der entscheidungsrelevanten Kriterien

  7. Zur Problemlösungskapazität der Fürsorgepflicht im Vergleich zu § 1014 ABGB

  8. Überlegungen zu einer Erweiterung der Kostenübernahmepflicht des Arbeitgebers

    1. Schutzpflichten des Arbeitgebers auch bei Verurteilung

    2. Gewährleistung eines effektiven Zugangs zum Recht

    3. Zur These von der Unterbrechung des dienstlichen Zusammenhangs durch Straftaten

      1. Weisungsgebundenheit, Abhängigkeit und Loyalitätspflichten

      2. Der Arbeitnehmer als Betriebspolizei?

      3. Rückkoppelung mit den Folgen

      4. Zur Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Prüfung und Einhaltung strafrechtlicher Grenzen

    4. Ergebnis

  9. Anmerkungen zur Rechtslage im öffentlichen Dienst

  10. Vorschlag für eine neue Grenzziehung zwischen den Risikosphären

1.
Zum Stand der Diskussion

Der Stand der Diskussion zum Ersatz von AV-Kosten ist uneinheitlich, fragmentarisch und vom Umfang an einschlägiger Literatur und Rsp eher dürftig. Zu einigen Grundfragen zeichnet sich aber eine deutlich überwiegende Meinung ab. Diese betrifft vor allem die Tragung der AV-Kosten im Falle einer Verurteilung in Strafverfahren – und hier wiederum im Besonderen bei Vorsatzdelikten. In diesen Fällen wird die Übernahme der Kosten des AN für das Strafverfahren durch den AG durchwegs abgelehnt.

Rsp und Lehre ziehen für die Lösung der Fallgruppe „Verfahrenskostenaufwand“ praktisch ausschließlich § 1014 ABGB heran. Auf diese Weise3kommen die anerkannten Kriterien für die Prüfung einer Kostenübernahme durch den Auftraggeber zur Anwendung.* Als Ausreißer hat sich nur eine E des OLG Wien profiliert:* Sie stützt sich auf die Fürsorgepflicht, mit der Begründung, diese verpflichte den AG dazu, den AN von der Tragung besonderer betriebsspezifischer Gefahren freizustellen. Das Gericht griff deswegen auf die Fürsorgepflicht zurück, weil § 1014 ABGB mangels „Notwendigkeit“ bzw „Nützlichkeit“ nicht herangezogen werden konnte.

Einige der Fälle, die in der Rsp erörtert wurden, sind durch atypische Besonderheiten geprägt. Insoweit mangelt es nicht selten an einer Verallgemeinerbarkeit der Begründungen. Das gilt zB für Fälle, in denen es um Geschäftsführer geht* oder in denen der AG den AN zu einem Verfahren geraten hat. Eine E bejaht den Ersatz der AV-Kosten auch bei strafrechtlicher Verurteilung wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts, auch hier lagen aber besondere Umstände vor.* Hervorzuheben ist die Feststellung, dass eine Verurteilung die Arbeitsadäquanz nicht (per se) ausschließt.* Aufmerksamkeit verdient auch die Qualifizierung der AV-Kosten als „Eigenschaden“* und die (daran anschließende) Heranziehung des Dienstnehmerhaftpflichtgesetzes (DHG) zur Frage der Teilung des Aufwandes nach dem Verschuldensgrad des AN.* Grundsätzlich wird anerkannt, dass das Risiko einer strafgerichtlichen Verfolgung ein dienstliches sein kann. Bei Vorliegen einer „ordentlichen Geschäftsführung“, daher wohl einer zu Unrecht erfolgenden Involvierung in das Strafverfahren, sind die AV-Kosten durch den AG zu tragen. Es geht primär (nur) um den Schutz vor ungerechtfertigter Verfolgung.* Verlangt wird das Vorliegen eines typischen betrieblichen Risikos.* Am deutlichsten ist die Positionierung des OGH in einer E aus dem Jahr 2000 ausgefallen,* die einen Ersatzersatzanspruch für die Verteidigerkosten ablehnt, wenn das Strafverfahren mit einem Schuldspruch endet. Zweifel an der Heranziehung von § 1014 ABGB als Entscheidungsgrundlage werden in keiner der vorliegenden Entscheidungen laut.

Die Behandlung des Problems im Schrifttum zieht zur Lösung der gegenständlichen Frage ausschließlich § 1014 ABGB heran.* Zur Frage der Aufteilung des Schadens wird wiederum auf das DHG zurückgegriffen. (Nur) bei „ordnungsgemäßer Geschäftsführung“ ist für Radner – der Rsp folgend – das Risiko, einer Strafverfolgung oder einem Zivilprozess ausgesetzt zu sein, ein typisches Folgerisiko der Geschäftsführertätigkeit.* Die Kosten der Rechtsverteidigung in einem Strafverfahren sowie verhängte Geldstrafen sind für ihn kein ersatzfähiger Aufwand iSd § 1014 ABGB, wenn das Verfahren mit der Verhängung einer Strafe endet. Radner beruft sich für die Fälle einer strafgerichtlichen oder verwaltungsstrafrechtlichen Verurteilung bei Vorsatzdelikten auf „rechtsstaatliche Grundsätze“, die der Annahme einer „typischen Betriebsgefahr“ entgegenstehen sollen. Bei weisungsgebundenen Angestellten auf unterer Ebene könne, was zuvor auch schon von Kerschner vertreten wurde, ein zivilrechtlicher (rechtfertigender oder entschuldigender) Notstand vorliegen.* Für vorsätzliches verwaltungsstrafrechtliches Handeln sei der AG dann ersatzpflichtig, wenn er den AN zu einem solchem Handeln angewiesen hat.* Die Strafverfolgung muss aber auch hier ein typisches Risiko der Arbeitsverrichtung sein und das Verfahren muss mit Verfahrenseinstellung bzw Freispruch geendet haben. Im Falle von Fahrlässigkeitsdelikten muss die Verteidigung auch im Interesse und zum Nutzen des AG erfolgt sein. Letzteres sei im Falle einer strafgerichtlichen Verurteilung streng zu prüfen.* Ganz ähnlich macht Zankel* die Ersatzpflicht des AG von zwei Faktoren abhängig: vom Resultat des Strafverfahrens und vom Verschulden des AN an der Einleitung eines Strafverfahrens. Endet ein Strafverfahren mit einem Schuldspruch, besteht kein Ersatzersatzanspruch für die Verteidigerkosten. Auch für Zankel muss das Risiko der Strafverfolgung typische Folge des durchzuführenden Arbeitsauftrages und die Geschäftsführung muss als ordentliche anzusehen sein. Bei Vorsatz schließt er einen Ersatz von Strafverteidigungskosten komplett aus. Auch Kerschner lehnt in den Fällen einer strafgerichtlichen Verurteilung einen Ersatzanspruch ab:* Er meint, „zu Strafgesetzwidrigem kann niemand gezwungen werden“ und entsprechende Weisungen seien unwirksam. (Zumindest) Vorsätzliches strafbares Handeln fällt daher in das „eigene allgemeine Lebensrisiko“. Bei Verwaltungsstrafen sei eine Überwälzung auf den AG möglich, wenn beim AN keine persönliche Vorwerfbarkeit vorliegt.

Die bis heute einzige (veröffentlichte) Gegenposition zu den erwähnten Stellungnahmen vertritt Lehner.* Die Risikohaftung des Geschäftsherrn gem § 1014 ABGB schaffe dem Grunde nach einen verschuldensunabhängigen Freistellungsanspruch für ex causa mandati aus der Betriebsgefahr erwachsende Aufwendungen. Auch Gesetzesverletzungen im Interesse des Gewaltgebers begründeten einen Ersatzanspruch innerhalb des tätigkeitsspezifischen4Risikos.* Eine vertragliche Übernahme von Geldbußen oder Verfahrenskosten sei aber erst nach abgeschlossener Tatbegehung und ausschließlich im überwiegenden Interesse des Gewaltgebers zulässig.

Ziehen wir an dieser Stelle ein kurzes erstes Resümee: Die bei weitem überwiegende Literatur steht einem Ersatz der AV-Kosten sehr reserviert gegenüber. Entschieden wird durchwegs auf der Grundlage von § 1014 ABGB. Damit kommen Kriterien wie das Vorliegen eines typischen betrieblichen Risikos, die ordentliche Geschäftsführung und die ex-ante-Erkennbarkeit des Aufwands ins Spiel. Dem Ergebnis des Verfahrens kommt eine entscheidende Rolle zu. Die wesentlichen Argumente für die Unterbrechung des betrieblichen Zusammenhangs ergeben sich aber nicht unbedingt zwingend aus § 1014 ABGB, wie etwa die These, dass strafbares Verhalten automatisch in die Privatsphäre fällt oder dass „rechtsstaatliche Überlegungen“ dafür sprechen, bei strafrechtlicher Verurteilung die AV-Kosten dem AN aufzubürden. Differenzierungen und Ausnahmen werden am Rande in unterschiedlichem Ausmaß erwähnt, mE aber nicht systematisch hergeleitet.

Am meisten erstaunt aber, dass die Fürsorgepflicht – abgesehen von einer Ausnahme – als mögliche Anspruchsgrundlage nicht ins Spiel kommt. Dazu hätte man sich zumindest eine methodische Begründung erwartet. Vom Ergebnis her stehen die vertretenen Lösungen in einem massiven Spannungsverhältnis zum Schutzgedanken im Arbeitsrecht. Aufgefallen ist das leider nicht.

2.
Offene Fragen

Die bisherigen Stellungnahmen zur Problematik dienstbedingter AV-Kosten werfen gleich mehrere Rechtsfragen auf. Es bestehen Zweifel, ob das dogmatische Programm des § 1014 ABGB auf die Besonderheiten und Interessenlagen bei Vorliegen von dienstbedingten Straftaten von AN ausreichend Bedacht nimmt. Die ganz atypische Situation besteht darin, dass die Straftaten im Interesse, auf Anordnung oder im Auftrag des AG begangen werden. Es scheint, dass der Lösungsansatz über § 1014 ABGB dazu zwingen würde, die für die Zuordnung des Aufwands entscheidende Frage der Dienstbedingtheit sehr eng zu definieren und diese selbst dann zu verneinen, wenn das strafbare Verhalten auf Weisung des AG erfolgte.

Fraglich ist auch, ob das DHG auf diese besondere Fallgruppe der „Aufwandsfälle“ überhaupt anwendbar ist.* Relativ unbekümmert wird hier von einem Schaden gesprochen („Eigenschaden“).* In weiterer Folge würde dann wohl jede Haftung des AG bei strafrechtlichen Vorsatztaten entfallen müssen. Eine Schadensteilung für vorsätzliches Verhalten des AN ist im DHG bekanntlich nicht vorgesehen.*

Zu hinterfragen sind schließlich auch die von der Mehrheitsmeinung angeführten Gründe dafür, warum eine strafrechtliche Verurteilung den Zusammenhang zur betrieblichen Sphäre unterbrechen soll. Die unausgesprochene Hintergrundhypothese ist vermutlich, dass der AN strafrechtskonform hätte handeln können (müssen) und aus diesem Grund das Fehlverhalten in seine „Privatsphäre“, jedenfalls nicht in die Sphäre des AG bzw Auftraggebers, fällt. Diese Vorstellung verdient nähere Aufmerksamkeit, da sie mit den Realitäten der Arbeitswelt wenig zu tun hat.

3.
Hindert § 1014 ABGB an der Heranziehung der Fürsorgepflicht?

Die für die Lösung der vorliegenden Problematik entscheidende, sehr grundsätzliche und methodisch anspruchsvolle Frage ist, warum die Fürsorgepflicht, in deren Anwendungsbereich das Problem zweifelsohne fällt – einfach deswegen, weil es bei den AV-Kosten ganz eindeutig um durch § 1157 ABGB und § 18 AngG usw geschützte Rechtsgüter geht –, völlig außer Betracht geblieben ist. Nur ungern möchte man annehmen, dass dabei schlicht übersehen wurde, dass es für diese Fallkonstellation auch eine einschlägige genuin arbeitsrechtliche Grundlage gibt. Gehen wir daher von der Vermutung aus, dass unter Anwendung der lex-specialis-Regel die vorhandenen „Sonderbestimmungen“ – § 1014 ABGB, zT iVm dem DHG, bzw die im öffentlichen Dienstrecht einschlägigen Regelungen* als „problemnähere“, „speziellere“ bzw „sachadäquatere“ Normen – die allgemeine Generalklausel der Fürsorgepflicht aus dem Rennen werfen. § 1014 ABGB uä käme auf diese Weise eine Sperrwirkung gegenüber der Anwendung der Fürsorgepflicht zu.

Das Argument scheint nicht denkunmöglich, für manchen ist es vielleicht sogar überzeugend. Auch der Anspruch auf Erholungsurlaub* und die in den Gleichbehandlungsgesetzen geregelten Gleichbehandlungspflichten des AG* können als „Konkretisierungen“ der Fürsorgepflicht verstanden werden, sie verdrängen diese aber. Daher kann es nicht angehen, auf der Basis der Fürsorgepflicht5zusätzliche Urlaubstage zu begründen, die Diskriminierungsgründe der Gleichbehandlungsgesetze zu erweitern oder etwa iS einer Fürsorge für die Erhaltung des Arbeitsplatzes einen über die konkreten Regelungen hinausgehenden erweiterten Kündigungsschutz abzuleiten.

Der Rückgriff auf die Fürsorgepflicht ist aber nur dann „gesperrt“, wenn eine Norm oder ein Normenkomplex als abschließende und damit auch „lückenlose“ Regelung eines Problembereichs angesehen werden können. Ein bekanntes Beispiel dafür sind die Regelungen des ASchG:* Auch wenn Bestimmungen über den Gesundheits- und Sicherheitsschutz, zB des technischen Arbeitsschutzes, als ungenügend angesehen werden, was in nicht wenigen Fällen argumentiert werden kann, ist eine Erweiterung des Schutzes zugunsten der AN auf der Basis der Fürsorgepflicht ausgeschlossen.* So sind etwa die Regelungen über die Bildschirmarbeit als abgeschlossener Regelungskomplex anzusehen. Anders fällt die methodische Beurteilung zum Recht auf Beschäftigung aus.* Die bestehenden konkreten Normen (§§ 9 und 18 BAG)* und § 18 TAG können nicht als abschließende Regelung der Beschäftigungspflicht angesehen werden, so dass auf der Grundlage der Fürsorgepflicht (zurückhaltend dosierte) Ausweitungen der Beschäftigungspflicht des AG auch außerhalb der Geltungsbereiche dieser beiden Gesetze vertretbar sind.*

Eine derartige methodische Vorgangsweise kennzeichnet auch den Umgang mit der Treuepflicht, die der Fürsorgepflicht dogmatisch-strukturell sehr ähnlich ist. Obwohl zahlreiche Einzelnormen bestehen, die konkrete Interessenwahrungspflichten der AN regeln,* werden diese nicht als „abschließende“ Regelung mit Sperrwirkungen für die Generierung weiterer Nebenpflichten der AN aus einer „allgemeinen Treuepflicht“ verstanden. Vielmehr sprießen diese sehr ergiebig und ergänzen auf diese Weise die punktuell statuierten Loyalitätspflichten der AN.*

Eine allgemeine und absolute Vorrangregel zugunsten der spezielleren Normen ist also methodisch nicht vertretbar.* Es führt kein Weg daran vorbei, das Verhältnis der „spezielleren Normen“ des „Auftragsrechts“ zur Fürsorgepflicht näher zu bestimmen. Ist § 1014 ABGB als abschließende Regelung der konkreten Problematik („Aufwandsersatz des AN bei dienstbedingten Verfahren“) zu verstehen und deswegen ein Rückgriff auf die Lückenfüllungsfunktion der Fürsorgepflicht unstatthaft?

Diese Frage ist eindeutig zu verneinen. § 1014 ABGB ist nach Ursprung, dogmatischer Struktur und Ratio eine typisch allgemein-zivilrechtliche Norm, die auf die signifikanten – allseits anerkannten – Besonderheiten eines Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisses, wie es für das Arbeitsverhältnis charakteristisch ist, nicht eingeht.* Die Regelung ist für die unterschiedlichsten Situationen und Vertragskonstellationen anwendbar. Insb ist sie – schon auf Grund ihres Entstehungszeitpunkts – vor allem für solche Beauftragte gedacht, die relativ selbständig agieren und bei der Erfüllung des Auftrags in erheblichem Umfang eigenverantwortlich tätig sind. Die Auftraggeber und Beauftragten, die § 1014 ABGB im Auge hatte (die analoge Anwendung von § 1014 auf Arbeitsverhältnisse ist bekanntlich eine recht junge Entwicklung),* werden daher regelmäßig auch für strafbare Verhaltensweisen in Zusammenhang mit dem Auftrag voll (eigen-)verantwortlich sein. Es wäre in diesen Fällen absurd, die AV-Kosten dem Auftraggeber aufzubürden. Wer darüber selbst entscheidet, ob er sich strafbar macht, kann sich nicht auf den Auftrag berufen.

Im Arbeitsverhältnis herrschen hinsichtlich der Verantwortlichkeit für das Verhalten bei Erfüllung der Dienstpflichten jedoch Bedingungen, die mit anderen Vertragsverhältnissen nicht vergleichbar sind (eigentlich sollte es nicht nötig sein, daran zu erinnern). In die Bestimmung dessen, was notwendiger oder nützlicher Aufwand ist, müssen diese besonderen Umstände mit einbezogen werden, wenn die Frage der Zurechnung zur einer der beiden Sphären halbwegs treffsicher beurteilt werden soll.

Es darf nicht vergessen werden, dass der AN funktional als profiterzeugendes (nutzengenerierendes) Betriebsmittel des AG tätig wird. Der6Arbeit- und (auch) Auftraggeber nimmt hier in kaum zu überbietender Intensität die Rolle eines Gesamtorganisators aller Vorgänge, Entscheidungen, Projekte und Aufträge ein. Der AG ist einfach das Steuerungs- und damit auch das umfassende Verantwortungszentrum für betriebliche Vorgänge, gerade hinsichtlich des Einsatzes der Arbeitskräfte. AN sind, egal ob die „Leine“ kürzer oder länger ist, ein Instrument des AG zur Umsetzung der Betriebs- und Unternehmensziele. Ihre Tätigkeit ist „definitionsgemäß“ als abhängige und fremdorganisierte Dienstleistung „für einen anderen“ (§ 1151 ABGB) anzusehen.

Für die Zurechnung strafbarer Handlungen müssten schon deswegen besondere (abweichende) Kriterien gelten. Schlussfolgerung ist, dass die Ausübung dienstlicher Tätigkeiten im Regelfall der Betriebssphäre zuzurechnen ist – der Nutzen für den Betrieb besteht nämlich schon in der unselbständigen Ausführung der geschuldeten Arbeitsleistung, die weitestgehend vom AG bestimmt wird. Die Tätigkeit des AN wäre daher bei genauer Betrachtung schon ex definitione und per se als „nützlich“ und „notwendig“ iSd § 1014 ABGB anzusehen, solange er sich an die Vorgaben und Vertragspflichten hält.

In die Dogmatik des § 1014 ABGB ist eine so untypisch intensive Anbindung eines „Beauftragten“ an die betrieblichen Interessen des Auftraggebers nur schwer zu integrieren* – was sich an den von der hM vertretenen Ergebnissen denn auch eindrucksvoll zeigt. § 1014 ABGB ist der Gedanke fremd, dass ein Beauftragter regelmäßig als betriebliches Werkzeug weder im Eigeninteresse noch eigenverantwortlich tätig ist und auch allenfalls vorhandene Spielräume durch Abhängigkeiten und Loyalitätsanforderungen überformt werden. Auf Grund dieser Profit- und Nutzenverschaffung für den AG kommt diesem in Bezug auf einen dienstbedingten Aufwand eine deutlich weiter gehende Verantwortung für die „menschlichen Betriebsmittel“ zu als dies im allgemeinen Zivilrecht abgebildet wird.

Um solche besonderen Umstände rechtlich zu implementieren, kennt das Arbeitsrecht eine ausgedehnte, zwingend ausgestaltete und grundsätzlich alle schutzwürdigen Interessen des AN erfassende Fürsorgepflicht und ermöglicht auf diese Weise eine andere Behandlung von Aufwendungen als bei der Beauftragung von zB Rechtsanwälten, Unternehmensberatern, Spielervermittlern, Wohnungsmaklern oder Werkunternehmern aller Art. Wenn es um die Verteilung von Haftungsrisiken zwischen Ungleichen, Untergebenen und persönlich wie wirtschaftlich Abhängigen geht, muss man konstatieren, dass § 1014 ABGB auf diesem Auge blind ist und es schon deswegen in den Schadens- und Aufwandsverteilungsfällen (zumindest) einer Ergänzung bedarf. Es handelt sich dabei nur um einen von zahlreichen Fällen, in denen sich die fundamentale Inadäquanz des „Sozialmodells“ des ABGB in Bezug auf Arbeitsverhältnisse offenbart* – ein alter Konflikt, der immer wieder aufbricht und der diskursiv – ohne Rücksichtnahme auf die manchmal aufblitzenden imperialen Ansprüche des bürgerlichen Rechts – bewältigt werden muss.

4.
Verschiebungen der Risikoverteilung

Das sich hier manifestierende Spannungsverhältnis zwischen Arbeitsrecht und ABGB ist keineswegs ungewöhnlich. Die damit angesprochene Konfliktlage ist ja im Grunde – historisch wie systematisch – geradezu die Existenzgrundlage des Arbeitsrechts. Dieses reagiert, inzwischen zu einem imposanten Normenkomplex angewachsen, auf die Unzulänglichkeiten des „zivilrechtlichen Normalmodells“, indem per Gesetz, KollV oder BV oder auch durch Auslegung die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien zugunsten der AN geändert ist. Anhand einer Vielzahl arbeitsrechtlicher Bestimmungen wird deutlich, wie sehr im Arbeits- und Dienstrecht die Abgrenzung der Risikosphären (man kann auch sagen: die soziale Verantwortung) auf den AG verschoben ist. Anders als nach dem ABGB-Leitmodell grundsätzlich gleich starker Vertragspartner trägt zB der AG das Betriebsrisiko (§ 1055 ABGB),* er zahlt im Falle persönlicher Dienstverhinderungen (= Privatsphäre, zB einer Eheschließung) das Entgelt, er ist für den „privaten“ Erholungsurlaub und seine Finanzierung verantwortlich usw. Auch die Pflege kranker Angehöriger ist ein „privates“ Risiko, das der AG in hohem Umfang zu tragen hat. Erleidet ein AN einen Schiunfall – Paradebeispiel für das Fehlen jeglichen Bezugs zur Betriebssphäre –, trägt der AG für eine gewisse und keineswegs kurze Zeit das Entgeltrisiko. Generell werden gewisse Risikoverschiebungen des Unternehmerrisikos in die AN-Sphäre als sittenwidrig angesehen.

Es ließen sich noch viele weitere Leistungen anführen, die nicht der „betrieblichen Sphäre“ zuzuordnen sind, die also „privat“ im Verständnis der Abgrenzungskriterien des § 1014 ABGB bei der Entstehung eines „Aufwands“ sind, bei denen der Gesetzgeber aber anders entschieden hat. Im Hinblick auf die spezielle persönliche und wirtschaftliche Schutzbedürftigkeit und mit Blick auch auf den Gewinn, den der AG aus der Nutzung der Arbeitskraft erzielt, ist dies nicht nur gerechtfertigt, es handelt sich schlicht um geltendes Recht und um ein Strukturmerkmal des österreichischen Arbeitsrechts.

Dem AG sind eine Vielzahl von Interessen des AN anvertraut, die aus dessen Unterlegenheit resultieren.* Dieses fundamentale Schutzprinzip gilt auch dann, wenn der Gesetzgeber ein gewichtiges Schutzbedürfnis nicht ausdrücklich in konkreten7Normen umgesetzt hat.* In solchen Fällen greift als Auffangbecken für Neben- und Schutzpflichten, die nicht ausdrücklich geregelt sind, das komplexe dogmatische Programm der Fürsorgepflicht zumindest grundsätzlich ein. Sich im Falle von dienstbedingtem AV-Kosten kommentarlos über diese Interessenwahrungspflicht der AG hinwegzusetzen, hat schon etwas Sonderbares an sich. Es bedürfte sehr guter Gründe, den Aufwandsersatz des AN nicht unter dem Aspekt sozialer Interessen und der bestehenden Abhängigkeitssituation zu betrachten. Diese könnten methodisch korrekt ausschließlich in einer expliziten und nachweisbaren Entscheidung des Gesetzgebers liegen, § 1014 ABGB als abschließende Regelung für Aufwandsfälle im Arbeitsverhältnis anzusehen. Dieser Nachweis kann nicht gelingen.

Es ist nicht nachweisbar, dass § 1014 ABGB eine vollständige und abgeschlossene Regelung für Arbeitsverhältnisse beabsichtigt hat oder dies der Ratio der Regelung plausibel unterstellt werden kann. Somit gelten beide Normen nebeneinander, auch für die Fälle des Ersatzes von dienstbedingtem Aufwand in Verfahren. Wegen der Unabdingbarkeit der Fürsorgepflicht* steht ihrer Anwendung gegenüber § 1014 ABGB ein gewisser Vorrang zu. Für den AN günstigere Ergebnisse haben Vorrang vor den sich aus § 1014 ABGB ergebenden Lösungen.

Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass § 1014 ABGB keine abschließende Normierung von Rechtsfragen in Zusammenhang mit dienstbedingten Aufwendungen der AN darstellt. Eine Verdrängungswirkung gegenüber arbeitsrechtlichen Schutzgarantien, wie sie die Fürsorgepflicht mit ihrer klassischen Lückenfüllungsfunktion verkörpert, kommt § 1014 ABGB nicht zu. Nichts anderes gilt auch für die das Problem betreffenden Spezialnormen im öffentlichen Dienst, die sich auf die gegenständliche Frage beziehen.* Auch hier bleibt die Fürsorgepflicht zumindest ergänzend anwendbar.*

Einzuräumen ist, dass die gegenteilige Ansicht wohl auch durch entschuldbare Missverständnisse befördert wurde, aber wohl auch auf das Fehlen von signifikanten Anlassfällen zurückzuführen ist, die dazu motiviert hätten, das Problem systematischer zu untersuchen. Übersehen wird ua, dass die Fürsorgepflicht ein sehr alter Rechtsbestand des Arbeitsrechts ist, § 1014 ABGB wurde hingegen erst recht spät für das Arbeitsrecht entdeckt. Dabei hat man es insofern „gut gemeint“, als mit § 1014 ABGB eine Lücke im DHG (bei den sogenannten „Eigenschäden“) zugunsten der AN geschlossen werden konnte. Auf diese Weise schlitterte § 1014 ABGB in die Rolle einer Generalnorm für alle Aufwandsfälle im Arbeitsrecht. Das Verhältnis von § 1014 ABGB zur Fürsorgepflicht wurde in der Folge kaum mehr thematisiert.* Im Zuge dieser zT durchaus nützlichen Erschließung des § 1014 ABGB für das Arbeitsrecht wurde übersehen, dass § 1014 ABGB im Vergleich zur Fürsorgepflicht bei bestimmten Fallgestaltungen keinen ausreichenden sozialen Schutz gewährleistet, dass es also mit fatalen Folgen verbunden ist, wenn diese Norm das „arbeitsrechtliche Auftragsrecht“ monopolisiert. Unbeachtet blieb dabei auch, dass die Fürsorgepflicht einseitig zwingend ist, § 1014 ABGB aber dispositiv.* Schon das müsste zu denken geben.

5.
Aufwandsfälle ohne Heranziehung des DHG

Es ist an dieser Stelle angebracht, einen Blick auf die doch recht enge Verbundenheit von § 1014 mit dem DHG zu werfen. Die „Verteilung“ des Aufwands ex causa mandati müsste zwischen AG und AN in weiterer Folge nach den Verschuldensabstufungen des DHG erfolgen.* Das DHG setzt aber einen Schaden voraus. Bei aller Dehnbarkeit des Schadensbegriffs sind die AV-Kosten kein Schaden, sondern „schlichter“ Aufwand. Diese Differenzierung scheint geboten, weil die Begehung einer Straftat als solche noch keinen Schaden darstellt. Die Frage ist für Vorsatztaten relevant: Bei vorsätzlicher Herbeiführung eines Schadens (und dann wohl auch bei Vorsatztaten wie Untreue oder Amtsmissbrauch) müsste alleine der AN den Aufwand tragen.

Für die Fallgruppe der Eigenschäden ist das Ausschlusskriterium Vorsatz gut nachvollziehbar. Das DHG erfasst Schäden in Zusammenhang mit der Erbringung der Dienstleistung bei mangelnder Sorgfalt. In den Fällen eines dienstbedingten strafbaren Verhaltens, aus dem sich dann AV-Kosten ergeben, geht es aber nicht um einen Schaden, sondern um einen Aufwand ohne Schadenszufügung. Im Mittelpunkt steht ja nicht ein „Schaden“ aus der strafbaren Handlung (dieser wäre durchaus unter Heranziehung des DHG zu behandeln), sondern die Erfüllung eines dienstlichen Auftrags, der zu Aufwendungen geführt hat. So haben etwa Bedienstete der Stadt Salzburg im sogenannten „Swap-Prozess“ ihrem DG keinen Schaden zugefügt, sondern – soweit heute erkennbar – einen nicht unerheblichen Nutzen.

Die Meinung, bei den AV-Kosten handle es sich um eine Art „Eigenschaden“ des AN, ist daher unzutreffend. Die aus einer betrieblich veranlassten Straftat entstehenden Kosten resultieren aus der dienstlichen Verrichtung selbst, nicht anders als etwa der notwendige Einsatz eines Dolmetschers, der vom8AN vorerst bezahlt wird, um einer Weisung nachzukommen, die Beschaffung einer „Fahrerkarte“, die für den Betrieb eines LKW erforderlich ist,* die Bezahlung einer Schuld des AG im Ausland, in dem eine Nichterfüllung der Forderungen strafbar ist oder die Kosten, die in den stark zunehmenden Fällen eines „Bring Your Own Device“ für den AN entstehen. Es ist kein Zufall, dass § 1014 ABGB im ersten Teil von Aufwand und erst im zweiten Teil von Schaden spricht.

Als Ergebnis ist festzuhalten, dass für die Frage, ob bei Vorsatztaten der AN die AV-Kosten alleine tragen muss, das DHG (mit seinem Vorsatzausschluss) nicht herangezogen werden kann. Zwischen der Verursachung eines Aufwands wie etwa im „Fahrerkarten-Fall“ und der Verursachung eines Prozesskostenaufwands im Zuge der Erfüllung von Arbeitspflichten besteht kein relevanter Unterschied. Die scheinbar „elegante“ Lösung, die AG aus der Pflicht zu nehmen, soweit es sich unter Bezugnahme auf das analog herangezogene DHG um eine Vorsatztat handelt, überzeugt daher nicht.

6.
Eine systematische Verortung der entscheidungsrelevanten Kriterien

Es ist nunmehr angebracht, die vorliegende Fallkonstellation systematisch zu verorten, vor allem auch, um das Kernproblem besser zu identifizieren. Unabhängig von den jeweils herangezogenen Rechtsgrundlagen steht ganz klar die Frage der Zurechnung – zur „betrieblichen“ Sphäre oder zur Privatsphäre des AN – im Mittelpunkt des Interesses. Auch die Kernargumente der Anhänger der Hypothese, für strafbares Verhalten müsste der AG die AV-Kosten nicht übernehmen, suchen nach einer Begründung dafür, warum der betriebliche Zusammenhang bei prima vista dienstbedingten Verhaltensweisen „unterbrochen“, „gestört“, „aufgehoben“ oder „ohne Relevanz“ ist. Die herangezogenen Normen, § 1014 ABGB bzw die einschlägigen Regelungen im öffentlichen Dienst bilden nur den äußeren Rahmen für die Beantwortung dieser Frage. Die eine Position, die mit § 1014 ABGB ein leichtes Spiel hat, plädiert dafür, strafbares Verhalten dem Täter auch arbeitsrechtlich individuell zuzurechnen. Sie übernimmt damit strafrechtliche Wertungen in das Zivilrecht oder bezieht sich vage auf „rechtsstaatliche Überlegungen“.* Auf einen kurzen Nenner gebracht, wird der Loyalität gegenüber dem Strafrecht eine höhere Wertigkeit zuerkannt als der Einhaltung von (wohl letztlich auch rechtsunwirksamen) Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis.

Anders als nach § 1014 ABGB werden bei Heranziehung der Fürsorgepflicht auch soziale Aspekte und die Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses mit einbezogen, auch hinsichtlich der Frage, welcher Sphäre das Verhalten des AN zuzurechnen ist. Das ist ein signifikanter und für das Ergebnis entscheidender Unterschied zu den Denkmustern und Vorverständnissen, denen § 1014 ABGB verhaftet ist. Nach § 1014 ABGB geht es nicht um sozialen Schutz, sondern um eine funktionale Trennlinie zwischen eigenen und fremdnützigen Aufwendungen. Pointiert gesagt, eine Zurechnung zur Sphäre des Beauftragten kann nicht deswegen unterbleiben, weil sie unsozial ist oder ein „Betriebsrisiko“ unzulässig verschiebt. Die von § 1014 ABGB geforderten Abgrenzungen sind auf das Leitbild einer Person zugeschnitten, die nicht nur dazu verpflichtet, sondern auch rechtlich wie de facto dazu in der Lage ist, strafrechtliche Normen einzuhalten.

Die Fürsorgepflicht stellt hingegen die Frage in den Mittelpunkt, ob in Fällen Entstehung vermögensrechtlicher Nachteile aus der abhängigen Beschäftigung für den AG Schutzpflichten bestehen. Dabei geht es um dem AG anvertraute Interessen, aber auch um den Grundsatz, dass einem AN bei Durchführung einer „im Innenverhältnis“ korrekten dienstlichen Tätigkeit kein Schaden/Aufwand etc entstehen soll, da sonst das Unternehmensrisiko unzulässig auf ihn verlagert wird. Es geht um die Übernahme dienstbedingter Nachteile, die, wenn man sie der Sphäre des AN zurechnen würde, im Ergebnis eine Entgeltminderung darstellen. Derartige Überlegungen führen aber unweigerlich zu einem Spannungsverhältnis zum Strafrecht, das dem AN bei Erfüllung des Arbeitsvertrages keine (ausreichende) „Immunität“ gewährt. Zu vermuten ist, dass nicht wenige deswegen mit einem Vorrang des Strafrechts liebäugeln, weil dieses auch AN mit Sanktionen bedroht, die ihre Dienstpflichten erfüllt haben.

Die Kontroverse spitzt sich somit auf die Frage zu, ob der dienstbedingte Aufwand, der aus einem Verfahren entsteht, auch bei strafrechtlicher Verurteilung, unter Berücksichtigung von Kriterien wie Abhängigkeit, Schutzbedürfnis, Entgeltminderung, Risikoverschiebung und Verteilung des Unternehmerrisikos betrachtet werden soll. Die (derzeit einzige) dogmatische Brücke für diese Topoi ist die Fürsorgepflicht.* Nur auf dieser Basis scheint es möglich, eine gesicherte Basis für eine Art „Sonder-Auftragsrecht“ für Arbeitsverhältnisse zu entwickeln.

7.
Zur Problemlösungskapazität der Fürsorgepflicht im Vergleich zu § 1014 ABGB

Mit der Fürsorgepflicht lassen sich Schutzbedürfnisse erfassen, die nicht, nur teilweise oder nur unzulänglich in spezielleren Normen konkretisiert9wurden. Diese ergänzende Funktion hat prominente Pflichtenbündel des AG, wie Gleichbehandlungspflicht, Beschäftigungspflicht, Abhilfepflichten bei Übergriffen* und vor allem auch den Schutz der Persönlichkeitsrechte, wo ja nur vereinzelt gesetzliche Konkretisierungen bestehen,* hervorgebracht. Die Auffang- und Lückenfüllungsfunktion mündet in eine grundsätzliche Offenheit für alle wesentlichen Interessen des AN, die auf den Schutz des AG angewiesen sind.* Es gibt keinen Grund, sie nicht auch in Zusammenhang mit einem verfahrensbedingten Aufwand des AN heranzuziehen. Ohnehin weist die Fürsorgepflicht für Aufwandsfälle im Arbeitsverhältnis im Vergleich zu § 1014 ABGB ein höheres Ausmaß an Sachangemessenheit auf. Sie ermöglicht einen subtil austarierten, differenziert abwägenden Ausgleich der beiderseitigen Interessen. Die Fürsorgepflicht geht auf die soziale Verantwortung des AG ein und nimmt auch die Fähigkeit des AN ins Blickfeld, ob und inwieweit er dazu in der Lage ist, sich strafrechtskonform zu verhalten. Sie achtet zudem darauf, dass es zu keinen Verschiebungen des Unternehmerrisikos auf den AN kommt, soweit dieser den Interessen des AG gefolgt ist. Sie zieht aber auch Grenzen gegenüber unzumutbaren und unangemessenen Anforderungen an den AG. Im Gegensatz zu § 1014 ABGB ist das der Fürsorgepflicht inhärente Kriteriensystem optimal auf das Arbeitsverhältnis zugeschnitten.

8.
Überlegungen zu einer Erweiterung der Kostenübernahmepflicht des Arbeitgebers
8.1.
Schutzpflichten des Arbeitgebers auch bei Verurteilung

Die Frage ist mithin, welche Schutzbedürfnisse auf Seite der AN in Zusammenhang mit Strafverfahren vorliegen und ob aus der Fürsorgepflicht begründbar ist, dass der AG auch in Fällen einer Verurteilung und insb bei Verurteilung wegen einer strafrechtlichen Vorsatztat Ersatz für die entstandenen (erforderlichen) AV-Kosten zu leisten hat.

Die hM schränkt (auf der Basis von § 1014 ABGB) die geschützten Interessen des AN weitgehend auf jene Fälle ein, in denen der AN dazu in die Lage versetzt werden soll, in einem dienstbedingten Verfahren seine „Unschuld“ (sein strafrechtlich korrektes Verhalten) nachzuweisen.* Daneben werden nur vereinzelt gewisse atypische Situationen berücksichtigt, wie ein Handeln auf Weisung des AG, Notstandsfälle oder auch fahrlässige Verwaltungsdelikte, wobei die Ratio der Differenzierungen nicht wirklich nachvollziehbar ist.* Bei der strafrechtlichen Vorsatztat ist aber Schluss mit solchen Zugeständnissen. Sind die geschützten Interessen aber wirklich so eng zu sehen?

Auszugehen ist von folgenden Eckpunkten:

  1. Die Fürsorgepflicht schützt nicht nur das Vermögen, sondern auch die Persönlichkeit des AN. Es ist zu fragen, ob dieser Aspekt nicht auch bei den Verfahrenskostenfällen zum Tragen kommt. Generell sind die Anwendungsbereiche der Fürsorgepflicht nicht begrenzt. Es muss sich nur um „gerechtfertigte Interessen“ handeln.

  2. Die Fürsorgepflicht gebietet eine Abwägung mit den Interessen des AG. Sie darf diese nicht unzumutbar und unverhältnismäßig belasten. Daher besteht bei Anwendung der Fürsorgepflicht keine – wie bisweilen befürchtet – Gefahr einer Ausuferung der Rechte der AN.* Die Bemühungen um eine Konkretisierung der Fürsorgepflicht durch die Rsp haben eindrucksvoll gezeigt, dass bei der Ausweitung der arbeitgeberseitigen Pflichten sehr zurückhaltend vorgegangen wird.

  3. Auch bei Heranziehung der Fürsorgepflicht muss ein dienstlicher Zusammenhang iS einer Zurechnung zum Verantwortungsbereich des AG bestehen. Für außerdienstliche, private oder über das Notwendige hinausgehende Aufwendungen kann der AG auch aus der Fürsorgepflicht nicht verpflichtet werden.* Somit ist im Folgenden* in besonderer Weise die Frage zu thematisieren, ob strafbares Verhalten, so wie behauptet, in die Privatsphäre des AN fällt, bzw allgemeiner, ob die Kostentragungspflicht des AG vom Ergebnis des Verfahrens (Freispruch, Einstellung, Verurteilung) abhängig ist.

  4. Maßgeblich ist auch, ob und welche der betroffenen Interessen des AN wirklich schutzbedürftig sind. Dabei geht es um die Intensität der Schutzbedürftigkeit (wie schwerwiegend sind die Nachteile), um die Bedeutung des Beitrags zu den betrieblichen Interessen und um die Nähe der in Frage stehenden Schutzpflicht zu dem vom AG zu tragenden Unternehmerrisiko. Dabei sind nicht nur Wertungen der Gesamtrechtsordnung zu beachten, sondern auch die konkrete Situation der AN, wenn sie sich zB in Erfüllung ihrer Dienstpflichten zwischen Strafrecht und betrieblichen Interessen zu entscheiden haben, also die Frage, ob es im Einzelfall überhaupt zumutbar war, sich trotz dienstlicher Vorgaben für eine Einhaltung des Strafrechts zu entscheiden.10

Erwartungsgemäß ergibt die Anwendung des dogmatischen Programms der Fürsorgepflicht im Vergleich zu § 1014 ABGB eine größere Bandbreite an rechtlich geschützten Interessen der AN. Die Vermögensinteressen stehen auch hier im Mittelpunkt. Insb in „Wirtschaftsprozessen“ (Untreue, Amtsmissbrauch, Korruption, Steuerhinterziehung etc) kann der Aufwand existenzbedrohend sein. Aber auch wenn die Aufwendungen für die Verteidigung geringer sind, stellt sich die Frage, warum der AN für klassische Unternehmensrisiken einstehen soll. Mit den Vermögensinteressen sind die schutzwürdigen Interessen der AN keineswegs erschöpft. Bekanntlich können Interessen, die sich unter dem Oberbegriff der „Persönlichkeitsrechte“ zusammenfassen lassen, ebenfalls Nebenpflichten des AG auslösen.* Hier sind in Bezug auf die dienstbedingten Verfahren die Herbeiführung einer möglichst geringen Strafhöhe, die Vermeidung von nachteiligen Rechtsfolgen einer Verurteilung (Verlust des Arbeitsplatzes, Amtsverlust, Verlust von Berufsberechtigungen, Verlust von Anwartschaften auf Sozialleistungen uä) oder das Ansehen in der Öffentlichkeit zu nennen.

Ganz entscheidend ist die Erkenntnis, dass sich von der Fürsorgepflicht erfasste Interessen des AN begründen lassen, die mit dem Ausgang des Verfahrens und der Frage, ob der AN eine Straftat begangen hat, nichts zu tun haben. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens geht es zB darum, dass (zB in Gutachten entwickelte) alternative Auslegungen zugunsten des AN vorgelegt werden und alle Chancen genutzt werden, das Verfahren iSd AN zu beeinflussen. Es geht um die Entkräftung von für den AN nachteiligen Gutachten, um die Erschütterung von Zeugenaussagen, um die volle Nutzung aller verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sowie um die Auslegung komplexer, uU bisher nicht entschiedener Rechtsfragen.* Maßgeblich wird sein, im Strafverfahren nachzuweisen, auf Grund welcher Sachverhalte der AN nur eingeschränkt dazu in der Lage war, die Strafnormen zu befolgen. Nochmals, ein zentraler Punkt der Interessen des AN ist nicht nur die Vermeidung einer Verurteilung, sondern auch ein geringes Strafausmaß – und bisweilen wohl auch das Hinauszögern einer rechtskräftigen Verurteilung. Es geht zusammenfassend darum, das Verfahren für den AN auch bei Vorliegen einer Straftat so vorteilhaft wie möglich zu gestalten. Aber auch die Öffentlichkeitsarbeit ist für das Resultat des Verfahrens und für das Ansehen des Beschuldigten und damit für den Schutz der Persönlichkeitsrechte bedeutsam.

8.2.
Gewährleistung eines effektiven Zugangs zum Recht

Zusammenfassend wird erkennbar, dass dem Aspekt der Ausschöpfung der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten iS von Waffengleichheit mit der Staatsanwaltschaft und einer wirksamen Verteidigung unabhängig vom Ausgang des Verfahrens und damit unabhängig vom Vorliegen einer strafbaren Handlung eine zu geringe Bedeutung beigemessen wird. Schutzbedürftig ist der AN nicht nur, wenn er „unschuldig“ ist, sondern auch dann, wenn er dienstbedingt strafrechtlich verantwortlich ist und letztlich dann auch verurteilt wird. Der zentrale Aspekt dabei ist, um es etwas vergröbert auf den Punkt zu bringen, dass der AN schlicht anstelle seines Patrons gehandelt hat. Indem er an die Stelle des Unternehmens getreten ist, dem er dient, hat er sich für das Unternehmen in der denkmöglich extremsten Weise, nämlich strafrechtlich, exponiert. Daraus ergibt sich mE zwingend, dass unabhängig von der strafrechtlichen Verantwortung des AN alle daraus entstehenden Nachteile durch den AG auszugleichen sind. Es ist schon befremdend, wenn eine derartige Beistandspflicht in einer betriebsbedingten Notlage des AN abgelehnt wird. Zwischen der dienstbedingt erforderlichen, mit Kosten verbundenen Nutzung des privaten Mobiltelefons des AN und einer dienstbedingten Bestrafung besteht vermögensrechtlich unter dem Aspekt der Fürsorgepflicht kein Unterschied.

Dieses Ergebnis wird auch durch einen Blick auf die Gesamtrechtsordnung und auf verfassungsrechtliche Garantien unterstützt, die dem effektiven Zugang zum Recht und der Nutzung aller verfahrensrechtlichen Möglichkeiten einen hohen Stellenwert einräumen. Neben der Gewährleistung materieller Rechtspositionen handelt es sich dabei zweifelsohne um das Herzstück eines funktionsfähigen Rechtsstaats. Dass AN diese Möglichkeiten auch dann zugänglich gemacht werden, wenn sie wegen eines Handelns im Fremdinteresse letztlich verurteilt wurden, ist ein so hochrangiges Rechtsgut, dass kein Zweifel daran bestehen kann, dass es von der Fürsorgepflicht erfasst ist.

8.3.
Zur These von der Unterbrechung des dienstlichen Zusammenhangs durch Straftaten

Wie oben schon angemerkt, muss sowohl im Falle der Heranziehung von § 1014 ABGB als auch bei Ableitungen, die sich auf die Fürsorgepflicht stützen, ein dienstlicher Zusammenhang bestehen. Dieser wurde bisher als plausibel unterstellt und durch Hinweise auf die funktionale Stellung von AN in Betrieben und Dienststellen untermauert. Erforderlich ist nun aber eine genauere Prüfung der Argumente, die für eine Loslösung der dienstlichen Zurechnung bei AN, die sich strafbar verhalten, plädieren.

Die Frage stellt sich auch für die Fürsorgepflicht. Schutzpflichten des AG können nur in (engem) Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis entstehen. Die Hypothese von der Zuweisung strafbaren Verhaltens in die außerdienstliche (private) Sphäre würde auch die Heranziehung der Fürsorgepflicht ausschließen. Im Folgenden wird lediglich auf den „härtesten“ Fall, die gerichtlich strafbaren Vorsatz-11taten, eingegangen. Zeigt sich bei diesen, dass der AG die AV-Kosten bestreiten muss, gilt dies auch für die anderen, minder gravierenden Fälle.

Kerschner argumentiert, kein AN sei dazu gezwungen, strafrechtswidrige Weisungen auszuführen.* Im Anschluss daran liegt der Schluss nahe, dass die Entscheidung des AN, sich dennoch strafgesetzwidrig zu verhalten, in seine persönliche Risikosphäre und nicht in die Betriebssphäre fällt. Die Meinung von Kerschner deckt sich mit der in Dienstrechtsgesetzen enthaltenen Verpflichtung, die Ausführung strafgesetzwidriger Weisungen zu verweigern.* Art 20 Abs 1 B-VG, § 44 BDG und § 5a Abs 2 VBG sehen ein Recht (!)* auf Verweigerung solcher Weisungen vor. Für Radner stehen nicht näher spezifizierte „rechtsstaatliche Grundsätze“ der Annahme einer „typischen Betriebsgefahr“ entgegen. Für Zankel* scheint die Antwort offenbar so evident, dass er sich gar nicht um eine Begründung bemüht. Mehr ist zur Frage der Unterbrechung des Zusammenhangs zur Betriebssphäre leider nicht zu berichten. Tomandl meint, das Verhalten des AN in einem Strafverfahren liege jenseits des mit dem Arbeitsvertrag übernommenen Pflichtenkreises des AN. Eine AG-Weisung wäre unzulässig und damit unwirksam.*

Die Begründungen für die Unterbrechung des erforderlichen dienstlichen Zusammenhangs wegen strafrechtlicher Verurteilung überzeugen nicht. Sie lassen wieder außer Acht, dass der AN bei den das Verfahren auslösenden Verhaltensweisen voll in den betrieblich-unternehmerischen Kontext eingebettet ist. Dieser ist funktional Werkzeug des AG, dient dessen Interessen und bewegt sich in einem durch Machtungleichgewichte und Abhängigkeiten geprägten sozial-ökonomischen Gefüge.

8.3.1.
Weisungsgebundenheit, Abhängigkeit und Loyalitätspflichten

Der AN ist den Entscheidungen des AG in vielfacher Weise ausgeliefert. Dies betrifft das Einkommen, die Qualität des Arbeitsplatzes, das Fortkommen und die Arbeitsplatzsicherheit. Ein betrieblicher Zusammenhang von Straftaten der AN besteht nicht nur bei Weisungen. Über die explizite oder konkludente Ausübung des Weisungsrechts durch den AG hinaus bestehen Verpflichtungen, das Verhalten des AN an die Unternehmens-(Organisations-)interessen zu binden. Zu beachten ist dabei immer auch die Verpflichtung (!), sich bei der Durchführung der Arbeitsaufgaben von den Interessen des AG leiten zu lassen. Das Fehlen einer solchen Grundhaltung kann und wird sich nachteilig auf die berufliche, finanzielle und soziale Stellung des AN auswirken.

Maßgeblich ist auch zu berücksichtigen, dass dem AN nur begrenzt eigenständige Entscheidungsbefugnisse eingeräumt sind, und selbst dort, wo er über solche verfügt, ist er auch ohne Vorliegen von expliziten Weisungen verpflichtet, iSd Interessen des AG zu entscheiden, den betrieblichen Zielen zu dienen und die Aufträge iS fremdbestimmter Vorgaben und Ziele bestmöglich durchzuführen. Es spielen hier (was sinnvoll ist und einem „modernen Personalmanagement“ entspricht) schlicht auch Erwartungen, unausgesprochene Vorgaben, Leitbilder, Bewertungssysteme etc eine maßgebliche Rolle.

Neben Weisungen bestehen den Tätigkeitsbereich betreffende und begleitende Erwartungen des AG, denen der AN folgen sollte. Die immer häufiger permanente Überwachung des Gesamtverhaltens und der Einstellungen der AN durch „Personalbeurteilungssysteme“ und ähnliche Instrumente erzeugt massiven Druck. Es gibt immer wieder Arbeitsaufträge und Zielvorgaben, bei deren Erfüllung es zu Konflikten mit dem Strafrecht kommen kann, ohne dass Weisungen erteilt wurden. Es kommt damit dem AN auch dort, wo eine gewisse eigenständige Aufgabenerfüllung erwünscht und geboten ist, wenig wirklich eigenständige Entscheidungsmacht zu.

Geht man von dieser Situation aus, so liegt es auch deswegen nahe, die Verhaltensweisen des AN, auch wenn sie strafbar sind, der betrieblichen Risikosphäre zuzuordnen und die „betriebliche“ Zurechnung nicht nur bei Weisungen vorzunehmen. Die Aussage, AN seien nicht gezwungen, sich strafbar zu machen, erweist sich in vielen Fällen als reine Fiktion.

8.3.2.
Der Arbeitnehmer als Betriebspolizei?

Die dargestellten Positionen der hM führen im Ergebnis dazu, den AN die Rolle eines Garanten des Strafrechts im Betrieb oder in der Dienststelle aufzuerlegen. Er wird dadurch gezwungen, zu prüfen, ob sein dienstliches Verhalten strafrechtlich problematisch ist, er müsste die entsprechenden Erkundigungen einholen, Sachverhalte aufklären und letztendlich dann auch Weisungen oder ein vom AG erwartetes Verhalten verweigern.

Der Einwand, der AN müsse sich schon deswegen gegen den AG stellen, weil er sonst strafrechtlich belangt wird, und das sei doch das größere Übel, ist nicht überzeugend. Viele Straftaten in Ausübung von Dienstpflichten erfolgen nicht in bewusster, geplanter Verabredung mit dem AG. Vielmehr schlittern die AN gleichsam in strafbare Verhaltensweisen hinein, oft in Unkenntnis der nicht selten komplexen Rechtslage und ohne ausreichenden Zugang zu den für die Beurteilung der Rechtslage erforderlichen Informationen, oder einfach nur deswegen, weil es für sie keine sinnvolle Motivation gibt, die Frage nach der strafrechtlichen Situation zu stellen oder den strafrechtlichen Status einer Weisung oder eines Arbeitsauftrags zu hinterfragen.* Sie fühlen sich wohl auch zumeist und mit guten Gründen nicht dafür zuständig, Fragen nach der strafrechtlichen Vereinbarkeit ihres dienstlichen Verhaltens zu stellen und dann entsprechend zu handeln. AG erwarten zu Recht, dass die AN auch in „kritischen“12und „riskanten“ Situationen „ihren Job machen“ und nicht als „Sand im Getriebe“, damit auch nicht als verlängerter Arm des Strafrechts oder des Verwaltungsstrafrechts, fungieren.

8.3.3.
Rückkoppelung mit den Folgen

Zu fragen ist auch, welche Folgen sich für die AG wie für die AN aus der mehrheitlich vertretenen Rechtsmeinung ergeben. Will man methodisch lege artis entscheiden, ist eine Rückkoppelung mit den Auswirkungen der jeweiligen Auslegung unverzichtbar, also die Beantwortung der Frage, inwieweit das Ergebnis der inneren Ratio der relevanten Normen entspricht. Auch unter diesem Gesichtspunkt überzeugt die Mehrheitsposition nicht.

Zu vermuten ist schon, dass die AG keine besondere Freude daran haben, wenn AN (zur Vermeidung von Verfahrenskosten oder auch von Strafverfahren) die Weisungen, Aufträge und Vorgaben einer rechtlichen – und möglichst genauen, allenfalls auch aufwendigen – Prüfung unterwerfen. Es ist vor allem Aufgabe der AG und der von ihm dafür beauftragten Vorgesetzten, auf die Strafrechtskonformität der Vorgänge in den Betrieben zu achten. Es ist nicht Aufgabe des Verkäufers, zu prüfen, ob eine Ware in Österreich verboten ist oder ob die Angaben auf Hinweisschildern der Wahrheit entsprechen. Es ist nicht Sache des Werkmeisters in einer Automobilfabrik, zu prüfen (und in der Folge entsprechend zu handeln) ob Abgaseinrichtungen manipuliert wurden. Es ist nicht Sache eines Abteilungsleiters, im Falle einer von ihm zu vollziehenden Finanzierungsentscheidung zu kontrollieren, ob damit der Untreuetatbestand oder ein Amtsmissbrauch verwirklicht wird. Es ist nicht Aufgabe des Leiters der Finanzabteilung, zu prüfen, ob allenfalls Korruptionsabsprachen bestehen, auch dann nicht, wenn ein Verdacht darauf besteht. Inwieweit in solchen Fällen das Strafrecht Möglichkeiten bietet, die AN von Verantwortung zu entlasten, kann hier nicht näher erörtert werden.*Tatsache ist, dass auch AN, die auftrags- und weisungsgemäß handeln, strafrechtlich verurteilt werden.

Eine weitere Konsequenz der Mehrheitsmeinung ist, dass damit der AN in eine geradezu ausweglose Situation gebracht wird. Die dadurch ausgelöste Konfliktlage kann man als eine nahezu sittenwidrige Zwangslage ansehen, die mit Grundwertungen der Rechtsordnung unvereinbar ist. Dass ein AN zum Zwecke der Einhaltung des Strafrechts im Betrieb seine eigene Existenz aufs Spiel setzen muss, kann aus arbeitsrechtlicher Sicht nicht hingenommen werden. Der AN verdient Schutz bei Bestehen einer Konfliktsituation zwischen der vom AG erwarteten Loyalität und den Strafansprüchen des Staates. Ein strafrechtlich verpöntes Verhalten darf nicht dazu führen, dass er dann auch noch den Aufwand aus dem Verfahren aus eigener Tasche finanzieren muss. Allerdings wird die durch das Strafrecht bedingte Konfliktsituation dadurch nicht bereinigt, sondern nur abgemildert.

Und schließlich ist auch ein Vorrang des Strafrechts gegenüber dem Arbeitsrecht nicht begründbar. Daraus, dass der AN strafrechtlich verantwortlich ist, ergibt sich für die privatrechtliche Frage der Tragung des Aufwands für ein Verfahren schlicht gar nichts. Es ist kein Widerspruch, wenn das Strafrecht vom AN die Einhaltung der dort normierten Verhaltensregeln verlangt, die AV-Kosten aber dem AG aufgebürdet werden. Strafrecht und Arbeitsrecht haben ganz unterschiedliche Funktionen. Im einen Fall geht es um den Strafanspruch des Staates, im anderen um den sozialen Schutz der AN. Strafrecht und Arbeitsrecht sind funktional nicht deckungsgleich und zwingen daher nicht zu einer Parallelschaltung der Ergebnisse – schon gar nicht unter der Dominanz des Strafrechts. Der Staat sorgt über das Strafrecht auch bei zivilrechtlich abhängigen Personen (die Weisungsempfänger sind) für die Durchsetzung der materiellen strafrechtlichen Bestimmungen. Es gibt diesbezüglich (zT leider) keine arbeitsrechtliche Immunität. Die Frage, wer die Kosten eines Verfahrens zu tragen hat, hängt aber mit dem Strafanspruch des Staates nicht zusammen. Die Funktionalität des Strafrechts wird durch die Übernahme der AV-Kosten nicht gestört, anders als etwa bei einer vorweg vereinbarten Übernahme von Geldstrafen.* Aus strafrechtlicher Sicht ist gegen die Bezahlung der AV-Kosten somit nichts einzuwenden.

8.3.4.
Zur Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Prüfung und Einhaltung strafrechtlicher Grenzen

In Zusammenhang mit der arbeitsrechtlichen Frage der Zurechnung von Straftaten der AN zur betrieblichen Risikosphäre sollte auch beachtet werden, dass diese nur über begrenzte Möglichkeiten verfügen, sich ein verlässliches Bild von der Rechtslage und den relevanten Sachverhalten zu machen. Es handelt sich um eine wirklichkeitsfremde Sicht auf die real vorhandenen Chancen, wenn vom AN verlangt wird, sich in einer Situation der Unsicherheit der Beurteilung von Rechts- und Tatsachenfragen ex ante (!) gegen Weisungen zu stellen, die sich möglicherweise nachträglich als strafrechtswidrig erweisen. Regelmäßig wird ex ante keine verlässliche Aussage über die Frage der Strafbarkeit möglich sein. Oft werden die erforderlichen Rechtskenntnisse nicht vorliegen oder (aus Zeit- und Kostengründen) nicht beschaffbar sein. Gerade „Wirtschaftsdelikte“ weisen, wie man am Beispiel der „Untreue“ zeigen kann,* einen hohen Grad an Unschärfe und Auslegungsbedürftigkeit auf.13Oft sind verlässliche Prognosen über den Ausgang eines Verfahrens selbst für die darauf spezialisierten Experten nicht möglich. Es widerspricht den Grundwertungen zur Risikoverteilung zwischen AG und AN, letztere mit dem Risiko von Fehleinschätzungen zu belasten.

8.4.
Ergebnis

Zusammenfassend ist zur Frage der Unterbrechung des erforderlichen Zurechnungszusammenhangs zur betrieblichen Sphäre bei strafrechtlichen Delikten des AN festzuhalten, dass eine in Erfüllung der Dienstpflichten (Weisungen, Arbeitspflicht, Treuepflicht) erfolgte Straftat einschließlich von Vorsatztaten nach dem StGB, soweit es sich um typische Unternehmens- bzw Wirtschaftsdelikte handelt, der betrieblichen Sphäre zuzurechnen ist und der dadurch entstandene (angemessene) Aufwand für AV-Kosten unabhängig vom Ausgang des Verfahrens vom AG zu tragen ist. Es besteht ein Recht auf Bevorschussung. Ausgeschlossen ist somit auch im Fall einer Verurteilung die Rückforderung der vorgeschossenen Kosten.

9.
Anmerkungen zur Rechtslage im öffentlichen Dienst

Im öffentlichen Dienst bestehen spezielle Regelungen zur Frage des Ersatzes eines dienstbedingten Aufwands. Die Lösungen sind etwas komplexer als im „privaten Arbeitsrecht“, im Ergebnis unterscheiden sie sich aber nicht.

Anerkannt ist, dass auch für den öffentlichen Dienst einschließlich öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse § 1014 ABGB analog* bzw für Beamte in Kombination mit dem Gleichheitssatz anzuwenden ist. Die auch im öffentlichen Dienstrecht bestehende Fürsorgepflicht* wird aber auch hier nicht verdrängt. Jene Regelungen, die vorsehen, dass in bestimmten Fällen bei dienstbedingten Strafverfahren ein Vorschuss zu gewähren ist,* der unter bestimmten Bedingungen zurückzuzahlen ist, sind als Mindeststandard zu begreifen, der weitergehende Ansprüche nicht ausschließt.

Auch zu den Kosten im Disziplinarverfahren bestehen mitunter spezielle Regungen. So sehen Regelungen im Landes-Dienstrecht des Bundeslandes Salzburg* vor, dass im Falle der Verhängung einer Disziplinarstrafe im Erkenntnis auszusprechen ist, ob und inwieweit der Beamte mit Rücksicht auf den von ihm verursachten Verfahrensaufwand seine persönlichen Verhältnisse und seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit die Kosten des Verfahrens zu ersetzen hat. Dasselbe gilt, wenn im Schuldspruch von der Verhängung einer Disziplinarstrafe abgesehen wird. Die aus der Beiziehung eines Verteidigers erwachsenden Kosten hat in allen Fällen der Beamte zu tragen.

Bestimmungen dieser Art sind auf die hier diskutierten Fälle nicht übertragbar. Diese Regelung bezieht sich auf einen Konflikt zwischen dem Beamten und dem DG. Dies setzt voraus, dass der Beamte gegen Dienstpflichten verstoßen hat und daher der dienstliche Zusammenhang schon deswegen gelöst ist. In Fällen, in denen der Beamte im Interesse des DG gehandelt hat, kann es gar nicht zu einem Disziplinarverfahren kommen bzw müsste das eingeleitete Disziplinarverfahren eingestellt werden, womit die Kosten des Verfahrens vom DG zu tragen sind.

Die Regelungen des öffentlichen Dienstrechts zur Geldaushilfe zur Unterstützung in den gegen Bedienstete eingeleiteten Verfahren (zB § 23 Abs 4 GehG) sind Sondernormen, die weder § 1014 ABGB noch die Fürsorgepflicht verdrängen. Sie stellen auf den Ausgang des Verfahrens zugunsten des Beamten ab und sichern dadurch lediglich einen Basisanspruch.

Gem § 20 Abs 1 GehG (und zB auch § 189 SbgMagBeG) steht den Bediensteten (Beamten) ein Anspruch auf Ersatz des Mehraufwandes zu, der ihm in Ausübung des Dienstes oder aus Anlass der Ausübung des Dienstes notwendigerweise entstanden ist. § 1014 ABGB hat den VwGH* zu einer weiten Auslegung des „Mehraufwandes“ angeleitet. Auch AV-Kosten würden demnach unter diesen Aufwand zu subsumieren sein.

Größere Schwierigkeiten resultieren aus Regelungen über das Recht bzw die Verpflichtung von öffentlich Bediensteten, in bestimmten Fällen Weisungen nicht zu befolgen. Art 20 Abs 1 B-VG sieht vor, dass das nachgeordnete Organ die Befolgung einer Weisung ablehnen „kann“, wenn es bei Befolgung der Weisung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde (gleich lautend zB § 44 BDG und § 5a VBG). Im Dienstrecht der Bundesländer ist allerdings darüber hinausgehend immer wieder eine Verpflichtung vorgesehen, strafgesetzwidrige Weisungen abzulehnen. So regelt zB § 47 Abs 1 und 2 SbgMagBeG, dass die Bediensteten die Befolgung einer Weisung abzulehnen haben, wenn die Befolgung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde. Dieser Sichtweise des Salzburger Landesgesetzgebers entspricht auch eine E des VwGH,* nach der ein Verwaltungsorganwalter eine Weisung nicht ausführen darf, wenn deren Ausführung für ihn erkennbar strafgesetzlichen Vorschriften zuwiderlaufen würde. Offensichtlich entspricht diese Sicht auch der hM im Verwaltungsrecht.*

Einschränkend werden aber zu Recht (durchaus noch ausbaufähige) Relativierungen der Verpflich-14tung zur Nichtbefolgung von strafgesetzwidrigen Weisungen vertreten, nämlich dann, wenn die Rechtslage unklar ist, unterschiedliche Auslegungen bestehen oder der AN auf Grund seines Wissens über die zu beurteilenden Sachverhalte nicht sicher entscheiden kann, ob das vom ihm verlangte Verhalten ein strafrechtliches Delikt darstellt. Dazu herrscht die Meinung vor, im Zweifel sei die Weisung zu befolgen. Abgesehen davon bürden aber die oben erwähnte Entscheidung und die zitierten Aussagen im Schrifttum* den Bediensteten im öffentlichen Dienst in völlig unverständlicher Weise die Entscheidungslast auf, zwischen strafgesetzwidrigen, unsachlichen bzw unzweckmäßigen und „nur“ sonst („gewöhnlich“) rechtswidrigen Weisungen zu unterscheiden und sich entsprechend zu verhalten. Dies entspricht mE weder dem eindeutigen Wortlaut des B-VG noch den zu vermutenden Intentionen der Bundesverfassung, noch lässt es sich in das System des Dienstrechts einordnen und führt zu einer bedenklichen, nahezu sittenwidrigen bzw grundrechtswidrigen Pflichtenkollision.

10.
Vorschlag für eine neue Grenzziehung zwischen den Risikosphären

Die Grenzen zwischen der Zurechnung der Kosten für Anwalt und Verfahren zu AG oder AN müssen nach der hier vertretenen Meinung neu gezogen werden. Unter Heranziehung der Fürsorgepflicht sind die Kosten immer dann vom AG zu tragen, wenn der AN in Ausübung seiner dienstlichen Verpflichtungen (auf Weisung, in Erfüllung von Arbeitsaufgaben, in Erfüllung der bestehenden Loyalitätspflichten) gehandelt hat. Der Vorschuss- bzw Ersatzanspruch besteht unabhängig vom Ausgang des Verfahrens, für verwaltungsstrafrechtliche Verfahren wie für gerichtliche Strafverfahren. Erfasst sind auch Vorsatztaten, sofern es sich um typische Straftaten von Unternehmen oder staatlichen Stellen handelt (Untreue, Amtsmissbrauch, Steuerhinterziehung, Korruptionstatbestände usw). Im Mittelpunkt steht die Prüfung der Dienstbedingtheit, also einer fremdnützigen Verhaltensweise.

Mit diesem Kriterium lassen sich in der Folge auch Abgrenzungen zu jenen Fällen vornehmen, in denen der AN die Vertretung seiner rechtlichen Interessen aus eigenen Mitteln finanzieren muss: Das ist etwa dann der Fall, wenn er außerhalb des ihm übertragenen dienstlichen Rahmens gehandelt hat (Überschreitung der Befugnisse, Anmaßung von Kompetenzen), wenn er gegen explizite oder schlüssige Weisungen, Richtlinien und sonstige Handlungs- oder Entscheidungsvorgaben des AG verstoßen hat, wenn er auf Grund der Treuepflicht (oder auch der vereinbarten Arbeitsaufgaben) dazu verpflichtet gewesen wäre, sein Verhalten mit dem AG abzustimmen, oder wenn die Prüfung der Rechtslage zu den dienstlichen Aufgaben gehört und der AG ein der Rechtsordnung entsprechendes Verhalten erwarten durfte, wenn insb bei gerichtlichen Straftatbeständen der AN auf Grund der Treuepflicht dazu verhalten ist, den AG vor den Folgen einer Entscheidung zu warnen, soweit ihm dies konkret zumutbar ist. Der AN ist aber nicht dazu verpflichtet, generell die Entscheidungen des AG auf ihre Gesetzeskonformität hin zu prüfen. In Grenzfällen kommt es auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls an. Ist der AN davon überzeugt, dass er bei Durchführung eines Auftrages ein strafbares Delikt begehen würde, wird manchmal die Nebenpflicht bestehen, die Frage mit dem DG zu erörtern bzw eine ausdrückliche Weisung zu verlangen. Der AN muss sich dabei aber nicht der Gefahr einer Kündigung oder von schwerwiegenden sonstigen Repressalien aussetzen. Keine Kostenübernahme gebührt selbstverständlich immer dann, wenn es um ein Verfahren geht, in dem AG und AN in einer Konfliktlage zueinander stehen. Das kann auch ein Strafverfahren betreffen. Schließlich meine ich, dass die AG dazu verpflichtet sind, dafür zu sorgen, dass die AN nicht einer strafrechtlichen Sanktion ausgesetzt werden. Schon auf Grund dieser Schutzpflicht wird der AG im Falle ihrer Verletzung die AV-Kosten übernehmen müssen.15