SchubertBetriebliche Mitbestimmung in Unternehmen und Konzernen mit Matrixorganisation

Bund Verlag, Frankfurt am Main 2017, 173 Seiten, kartoniert, € 19,90

FRANZMARHOLD (WIEN)

Veränderte Produktions- und Arbeitsmethoden führen dazu, dass die Arbeitswelt zunehmend nicht mehr linear hierarchisch organisiert wird. Stattdessen kommen in Unternehmen zusehends Netzwerkstrukturen zum Einsatz, die durch eine horizontale und vertikale Strukturierung effizientere Arbeitsmethoden verheißen. Diese durch moderne Informations- und Kommunikationstechnik ermöglichte Neuordnung der Zusammenarbeit gerät mit dem gesetzlichen Modell der AN-Vertretung in Konflikt, das in Österreich und abgeschwächt auch in Deutschland auf einer stabilen und hierarchischen Leitung fußt. Derart flexible Organisationseinheiten und Leitungsstrukturen erschweren die Zuordnung der AN zu einer AN-Vertretung und die Benennung ihres kompetenten Ansprechpartners.

Diese Entwicklungen gebieten es, die Grundannahme der Betriebsverfassung des BetrVG zu hinterfragen. Das gleiche gilt für das österreichische Pendant und die Methodik, mit der das ArbVG der Arbeitswelt begegnet. Seit Anfang der 1990er-Jahre werden Matrixstrukturen und virtuelle Unternehmungen bereits im sozialwissenschaftlichen Diskurs behandelt. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Phänomen ist nun endlich auch in den Bereich des Betriebsverfassungsrechts vorgestoßen.

Claudia Schubert untersucht die betriebliche Mitbestimmung in Unternehmen und Konzernen mit Matrixorganisation im Spiegel des deutschen Betriebsverfassungsrechts. Bei Matrixorganisationen handelt es sich um eine Unternehmensstruktur, bei der eine nach Projekten oder Objekten gegliederte Organisationsweise den herkömmlichen betrieblichen Organisationszuschnitt überlappt. Diese Organisationsanordnung strukturiert die Zusammenarbeit von AN auf eine Weise, bei der die fachliche und arbeitsorganisatorische Leitungsmacht und die arbeitsvertraglichen Kompetenzen von verschiedenen Personen ausgeübt werden. Dies geschieht beispielsweise, wenn Unternehmen und Konzerne AN unternehmensübergreifend und abteilungsübergreifend zu Projektgruppen zusammenfassen, gleichzeitig aber die Stellung des arbeitsvertraglichen Gegenübers unverändert bleibt.

Nachdem Schubert einleitend das Phänomen der Matrixorganisation (Kap B.) darlegt, die auch auf der individualarbeitsrechtlichen Seite zu besonders gelagerten Rechtsbeziehungen (Kap C.) führt, widmet sie sich den betriebsverfassungsrechtlichen Aspekten (Kap D.). Diese gliedert sie in Fragen des Betriebsbegriffs (Kap D.I.) und der Betriebszugehörigkeit der beschäftigten AN (Kap D.III.). Die Untersuchung schließt sie mit Folgerungen für die Beteiligungsrechte des BR (Kap E.) und Erkenntnissen für die Unternehmens- und Konzernstruktur (Kap F. bis Kap H.). Zuletzt stellt sie dem Leser einen überaus tauglichen und praktischen Formulierungsvorschlag für eine einschlägige Konzern-BV zur Verfügung (Kap J.).

Unter der funktionalen Prämisse, dass der Zweck der Betriebsverfassung darin besteht, eine möglichst effektive Interessenvertretung der AN zu sichern, begegnet Schubert den Herausforderungen bei der Anwendung des deutschen Betriebsverfassungsgesetzes. Die Abkehr von einer strikt arbeitsvertraglichen Betrachtungsweise bereitete in Deutschland lange Zeit Probleme bei der Zuordnung von AN zu Betrieben, deren über die Arbeitsleistung Verfügungsberechtigter nicht zugleich auch vertraglicher AG ist. Nachdem diese doppelte Voraussetzung durch die Lehre und Rsp sukzessive abgelöst wurde, ist nun ein der österreichischen Rechtsordnung vergleichbarer Beschäftigtenbegriff in der deutschen Betriebsverfassung vorzufinden. Das hilft bei der Zuordnung von AN in Netzwerkbetrieben, wirft aber wiederum viele Fragen auf, die im Buch behandelt werden.

Zur Beschreibung des deutschen Betriebsbegriffs (Kap D.I.) setzt Schubert auf eine leitungsnahe Betrachtungsweise. In der gesetzlichen Möglichkeit des § 4 Abs 1 BetrVG, der Betriebsteilen bei entsprechender, aber abgeschwächter Organisationsdichte die Betriebsratsfähigkeit zuspricht, erkennt sie das Instrument zur Gestaltung einer arbeitnehmernahen Repräsentation. § 35 ArbVG böte sich in diesem Zusammenhang aufgrund der Voraussetzung, mindestens 50 AN zu beschäftigten, in der österreichischen Betriebsverfassung nicht im gleichen Maße an, um kleinere Organisationseinheiten einer Vertretung zuzuführen.

Bei der Analyse von § 3 BetrVG kommt Schubert zu dem Schluss, die Gestaltungsmöglichkeiten der Betriebspartner zu erweitern, indem das Regel-Ausnahmeverhältnis mit dem Vorrang des Tarifvertrags umgekehrt wird. Dieser Vorschlag ist zu begrüßen, als dadurch eine passgenauere Vertretung im Unternehmen und Konzern ermöglicht werden kann. Die vorgeschlagene Lösung könnte auch im österreichischen Recht de lege ferenda Platz finden.

Dezentrale Organisationsformen werfen die Frage auf, welches Gremium der kompetente Ansprechpartner der AN-Vertretung ist und ob Mehrfachzuständigkeiten und -zuordnungen für AN geboten erscheinen. Dieser Aspekt ist besonders praxisrelevant. Fragen der Betriebszugehörigkeit und Mehrfachzuordnung zu Betriebsorganisation werden gut nachvollziehbar aufgearbeitet. Verschiedene Konstellationen, insb die Kontrastierung zur AN-Überlassung, ermöglichen dem Leser einen verständlichen Zugang zu den überschneidenden Problemkreisen, die bei der Organisationswahl der Unternehmensmatrix entstehen. Von daher ist es sehr erfreulich, dass die einzelnen Beteiligungsrechte detailliert dargestellt werden. Dem Leser eröffnet sich ein stringentes Bild über die kritischen Angelegenheiten und dem dazu jeweils kompetenten Ansprechpartner.

Der grenzüberschreitende Aspekt der Betriebsverfassung, der gerade bei solchen Unternehmen auftreten kann, wird kurz im Rahmen der herrschenden Lehre dargestellt. Die Erkenntnisse des Werks beziehen sich sohin weitgehend auf die Arbeit in inländischen Betrieben.

Die wertvollen Erkenntnisse Schuberts zu Matrixorganisationen können für die österreichische Betriebs-88verfassung insoweit übernommen werden, zumal eine ähnlich gestaltete Regelzuordnung beim gesetzlichen Betriebsbegriff und bei der AN-Zuordnung geschieht. Die übrigen Aspekte sind stringent und detailreich dargestellt, bieten sich aber aufgrund der abweichenden Betriebsverfassungssystematik nicht zur (direkten) Übernahme in die österreichische Rechtsordnung an.

Vorbilder für eine gesetzliche Flexibilisierung der Betriebsverfassung, wie sie 2001 in Deutschland stattfand, springen dem aufmerksamen Leser bei der Lektüre ins Auge. Eine funktionale Herangehensweise zur Steuerung der neuen Arbeitsstrukturierung ist auch in Österreich angezeigt, wenngleich der gesetzliche Rahmen eine adaptive Zusammenfassung der AN in Anlehnung an § 3 BetrVG schmerzlich vermissen lässt. Anders als in Deutschland, wo per Tarifvertrag Abweichungen des Betriebsbegriffs zur effektiveren AN-Vertretung zugelassen werden, wäre in Österreich nach der Systematik des ArbVG eine unternehmensweite BV ähnlich zu § 3 Abs 2 BetrVG anzudenken. Worauf es jedenfalls ankommen wird, ist eine zusehends nach funktionalen Gesichtspunkten ausgerichtete Beurteilungsweise der Arbeitsstrukturen, die eine arbeitnehmernahe und organisationsgerechte Vertretung abseits der örtlichen Betriebsstättenbetrachtung ermöglicht.

Die Lektüre des Buchs lohnt sich auch für Leser, die in einer anderen Rechtsordnung beheimatet sind. Die Herausforderungen, die mit dieser Form der Arbeitsorganisation einhergehen, sind gewissermaßen in jeglichem Betriebsverfassungsregime zu meistern. Mit dem Buch ist Schubert ein prägnanter sowie überaus gut strukturierter Einblick in die betriebsverfassungsrechtlichen Kernprobleme der Matrixorganisation gelungen. Ohne sich in Detailproblemen zu verlieren, gelingt es Schubert, die Probleme der geltenden Rechtslage aufzuwerfen. Sie legt den Finger auf den wunden Punkt und schafft es dabei gleichzeitig, notwendige Optimierungspotentiale aufzuzeigen, ohne dabei das System gänzlich verändern zu wollen.