ThienemannDer Umgehungsbegriff im Arbeitsrecht unter besonderer Berücksichtigung einzelner Umgehungsmodelle im Zusammenhang mit § 613a BGB

Duncker & Humblot Verlag, Wien 2017, 325 Seiten, € 89,90

RUDOLFMÜLLER (WIEN/SALZBURG)

§ 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) setzt für Deutschland die Betriebsübergangsrichtlinie (RL 2001/23/EG) des Rates der EU vom 12.3.2001 um. Die zu rezensierende umfangreiche Arbeit (eine Dissertation am Fachbereich Rechtswissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) handelt von den Fällen der Gesetzesumgehung mit Blick auf § 613a BGB; sie will mit Fokus auf diesem Gebiet des Arbeitsrechts der Frage nachgehen, ob der Gesetzesumgehung im Arbeitsrecht eine andere Bedeutung zukommt als im allgemeinen Zivilrecht, wobei der für den Autor besondere Reiz im Mehrpersonenverhältnis zwischen Betriebsveräußerer, Betriebserwerber und DN liegt (S 29). Die Arbeit geht vom sehr allgemeinen (Die Umgehungslehre im allgemeinen Zivilrecht bzw die Gesetzesumgehung im Arbeitsrecht) zum speziellen (Die Umgehung des § 613a BGB).

Thienemann geht die Probleme sehr gründlich an, wie schon der Inhalt des ersten allgemeinen Teils erkennen lässt, der die allgemeine Umgehungsproblematik an Hand von Fallgruppen auffächert und vor allem die Rolle der Auslegung und deren Abgrenzung von der Umgehung erörtert. Er systematisiert aber auch die rechtstechnischen Mittel der Gesetzesumgehung (insb die Verschleierung durch den Mantel anderer Rechtsgeschäfte, durch Aufspaltung in mehrere Rechtsgeschäfte oder durch die Einschaltung von Dritten) wieder anhand von Fallgruppen und lässt vor diesem Hintergrund die Thematik der Verhinderung der Gesetzesumgehung (durch Korrektur falscher Bezeichnungen, durch das Verständnis künstlich aufgespaltener Rechtsgeschäfte zu einer Einheit, aber auch durch Analogie oder auch offene Rechtsfortbildung) Revue passieren. Eigene Lösungsansätze fehlen in keinem der besprochenen Themen. Ausgehend davon erachtet der Autor den Rechtsfindungsprozess insofern als Methode zur Verhinderung der Gesetzesumgehung, sodass als Ergebnis das Umgehungsgeschäft nur mehr die Rolle einer rechtlichen Fiktion im juristischen Denkvorgang spielt, also kein rechtlich selbständiges Rechtsinstitut, sondern nur ein eigenständiges methodisches Problem darstellt (S 107).

Sodann wendet sich der Autor der Gesetzesumgehung im Arbeitsrecht zu, dessen Besonderheiten vorangestellt werden, um dann einen kritischen Blick auf die vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entwickelte Dogmatik zu werfen, die vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des Arbeitsrechts unter Verzicht auf das Tatbestandselement der Umgehungsabsicht diese durch das Fehlen eines sachlichen Grundes für die verdächtige Vertragsgestaltung ersetzt, mit dem Paradefall der Befristung von Arbeitsverhältnissen zur Umgehung von Vorschriften über den Kündigungsschutz (S 130 f). Die Enttarnung der Umgehung führt gerade wegen des Schutzzwecks zur Vertragsanpassung und nicht zur Nichtigkeit. Eine Darstellung der beliebtesten Anwendungsfälle: Umgehung des Kündigungsschutzes, Aufhebungsverträge, die Umgehung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, das mittelbare Arbeitsverhältnis und die AN-Überlassung. Die Besonderheit des Arbeitsrechts, dass der AN aufgrund seiner wirtschaftlichen Unterlegenheit regelmäßig an der Umgehungshandlung mitwirkt, wird durch den Schutzzweck ausgeglichen. Daraus soll aber auch folgen, dass die Beurteilung zu berücksichtigen hat, ob sich der AN zB bei Abschluss des Aufhebungsvertrages in einer Situation der Unterlegenheit befunden hat, was für den Fall verneint wird,90dass er ausreichend kündigungsgeschützt ist.

Schließlich wendet sich der Autor der Umgehung des § 613a BGB zu. Im Anschluss an eine eingehende kommentarartige Analyse der Norm behandelt der Autor die Fälle des Ausschlusses der Anwendbarkeit der Norm, der Vermeidung des Tatbestandes und der Vermeidung des Eintritts der Rechtsfolgen. Während die beiden ersten Tatbestände umgehungsrechtlich als unbedenklich angesehen werden, soll die Beurteilung der Vermeidung von Rechtsfolgen davon abhängen, ob sich durch die Beendigung oder Änderung des Arbeitsverhältnisses jene unmittelbar betriebsübergangsspezifische Gefahr realisiert, vor der der Gesetzgeber mit § 613a BGB schützen will, nicht aber, wenn Gefahren realisiert werden, die mit dem Betriebsübergang nichts zu tun haben. Die Beurteilung als Umgehungsgeschäft bleibt also strikt am Normzweck orientiert.

Das ist vielleicht keine umstürzende Neuigkeit. Der Reiz des rezensierten Werkes liegt aber darin, rund um die Umgehungsproblematik zahlreiche Problemfelder aufzufächern und Lehre und Rsp in einer Weise darzustellen, die dem österreichischen Rechtsanwender einen umfassenden Überblick über die deutsche Lehre und Praxis verschafft. Und der sich durch das ganze Werk ziehende Gedanke der Verortung des Schwergewichts der Verhinderung der Gesetzesumgehung in der Auslegungsmethode lässt sich ceteris paribus wohl auch auf das österreichische Recht, vor allem auch im Arbeitsrecht und im Sozialrecht übertragen. Die feinziselierte deutsche Dogmatik mag nicht jedermanns Sache sein, aber der Reichtum der Gedanken und des Materials sollte für alle am Umgehungsproblem dogmatisch Interessierten Anreiz genug sein, sich der gewiss nicht leichten Lektüre dieses Buches zu unterziehen.