ZehDer Arbeitnehmer im liberalisierten Welthandel – Freizügigkeit, Entsendung und Freie Exportzonen

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2018, 303 Seiten, € 89,90

MIRIAMKULLMANN (WIEN)

Im internationalen Wettbewerb können AG sich ihren Produktionsstandort und damit auch ein bestimmtes nationales Arbeitsrecht aussuchen. Demnach beeinflusst der Freihandel zweifelsohne die Arbeitsbedingungen der AN. Diese Hypothese stellt die Autorin Ricarda Zeh in ihrem Buch auf, das auf der an der Universität Freiburg approbierten und von Professor Sebastian Krebber betreuten Dissertation beruht.

Um die möglichen Einflüsse der Liberalisierung des Welthandels auf die Arbeitsbedingungen systematisch darstellen zu können, untersucht Zeh in einem ersten Schritt die rechtlichen Grundlagen der verschiedenen Arbeitsformen im liberalisierten Welthandel und welche Auswirkungen die daran zugrundeliegenden Regelungen auf das Arbeitsrecht haben. In einem zweiten Schritt werden die völkerrechtlichen Schranken aufgezeigt, die die Auswirkungen des Freihandels auf die Arbeitsbedingungen beschränken können (oder sollten).

Die Arbeit befasst sich insb mit drei Arbeitsformen: die AN-Freizügigkeit iSv Art 45 AEUV, die AN-Entsendung im Rahmen der EntsendeRL 96/71/EG und die Arbeit in freien Exportzonen. Während die beiden ersten Arbeitsformen national und international ausführlich beleuchtet wurden, ist die nähere Betrachtung von Arbeit in freien Exportzonen besonders interessant, nicht nur, weil es bislang wenig Beachtung gefunden hat, sondern gerade auch, weil in solchen Zonen Anreize geschaffen werden sowie die Herabsetzung oder selbst Aushebelung nationaler Arbeitsrechtsstandards, die ausländische Investoren zur Produktion im jeweiligen Land bewegen sollen.

Was die AN-Freizügigkeit angeht, so kommt das Arbeitsrecht des Bestimmungslandes zur Anwendung. Die Gleichstellung grenzüberschreitender AN mit einheimischen AN – wobei ein Hinweis auf die mögliche Anwendbarkeit der VO (EG) 593/2009 (Rom I) fehlt – ist völkerrechtlich gewollt und demnach im Hinblick auf die aufgeworfene Frage, ob das Völkerrecht dem nationalen Recht Schranken stellt, unproblematisch. Deshalb wird die AN-Freizügigkeit nicht weiter thematisiert. Diese Gleichstellung findet sich nicht wieder bei der AN-Entsendung und AN in freien Exportzonen, da in beiden Fällen vom nationalem Recht abweichende supranationale Regelungen zum Tragen kommen. Diese Feststellung und der damit einhergehende Beschluss die AN-Freizügigkeit nicht weiter zu thematisieren, hätte mE schon in der Einleitung erwähnt werden können; es spricht nichts dagegen, bestimmte Themen(bereiche), wenn gut begründet, außer Acht zu lassen und damit einen klaren Fokus zu schaffen.

Schwerpunkt dieser Arbeit ist das Aufzeigen völkerrechtlicher Schranken in Bezug auf die AN-Entsendung und der Arbeit in freien Exportzonen. Dabei wird klar, dass diese Schranken sich als relativ schwach erweisen. So stellt Zeh bei der AN-Entsendung insb zwei Probleme fest. Erstens ist das Herkunftslandprinzip völkerrechtlich problematisch. So geht die UN-Wander-AN-Konvention, anders als das geltende EU-Recht, davon aus, dass auch entsandte Projekt-AN dem Recht des Bestimmungslandes unterworfen sind. Dass es sich bei der AN-Entsendung aber um ein Recht des AG handelt, grenzüberschreitende Dienstleistungen zu erbringen und in diesem Rahmen seine AN zu entsenden und dass der politische Kompromiss der Mitgliedstaaten zu einem anderen Ansatz geführt hat, folgt nur indirekt aus der Arbeit. Viel deutlicher wird das zweite Problem, nämlich die heftig kritisierte und völkerrechtlich fragwürdige Unterordnung des Arbeitskampfrechts zugunsten der Dienstleistungsfreizügigkeit, hervorgehoben. Die Rs Viking und Laval sind völkerrechtlich bedenklich, gerade weil die ILO-Übereinkommen Nr 87, Art 6 ESC und Art 11 EMRK die Koalitionsfreiheit gewähren. Zeh kommt zu Recht zu dem Ergebnis, dass es schwierig ist, gegen einen solchen Verstoß gegen das Völkerrecht vorzugehen. ILO-Übereinkommen und die ESC binden die EU nämlich nicht und können das Arbeitsvölkerrecht zu einem „papierlosen Tiger“ machen, der möglicherweise – in Zukunft – durch die EMRK etwas „mehr Biss“ bekommen kann. Letzteres muss sich aber noch erweisen. Betrachtet man nun aber die Systematik des AEUV, so ist die Herangehensweise des EuGH nicht verwunderlich und aus Sicht des AEUV durchaus konsequent.

Charakteristisch für die Arbeit in freien Exportzonen ist, dass Staaten arbeitsrechtliche Freiräume, oder auch „rechtsfreie Räume“, innerhalb solcher Zonen schaffen. Folglich kommt das nationale Arbeitsrecht voll bzw nur zum Teil zur Anwendung, sofern denn keine vom nationalen Recht abweichenden Spezialregelungen geschaffen werden. Die von Zeh herangezogenen Länderbeispiele zeigen, dass die Arbeitsbedingungen in solchen Exportzonen ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Dies gilt insb für soziale Grundrechte, wie den Arbeitsschutz, die Arbeitszeit, den Kündigungsschutz, die Vereinigungsfreiheit und das Streikrecht. Gerade ein solches Eingreifen soll den AG mehr Flexibilität ermöglichen, um rasch auf Produktionsschwankungen reagieren zu können. Die Folgen: Überstunden müssen nicht immer bezahlt werden und auch die wöchentliche Arbeitszeit kann länger ausfallen, was erhebliche Kostenvorteile verursacht. Auch hier gibt es Mängel bei der Durchsetzung des Arbeitsrechts. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich bei der Tatsache, dass die ILO nicht mit effizienten Überwachungsorganen ausgestattet ist. Zudem haben Menschenrechte nur in einigen Fällen extraterritoriale Geltung. Freihandelsabkommen haben Sanktionsmechanismen, die aus politischen Gründen nur wenig zum Einsatz kommen. Nichtsdestotrotz betrachtet Zeh solche Abkommen noch am ehesten als geeignete Mittel, die Arbeitsbedingungen in freien Exportzonen zu verbessern.

Besorgniserregend sind die Ursachen für die bestehenden Durchsetzungsschwierigkeiten in freien Exportzonen: viele AN kennen ihre Rechte nicht, Klagen vor den Zivilgerichten scheitern oftmals an der Finanzierung des Rechtsbeistands, die enge Nähe von Regierung und Gewerkschaften und die Angst, man könne Investoren an andere Länder verlieren. Der erhöhte Wettbewerbsdruck wirkt sich auf die AN aus, wodurch diese möglicherweise riskieren, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, sollten Investoren sich zurückziehen.95

Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass diese Arbeit insgesamt sehr interessante Einblicke in die durch den liberalisierten Welthandel beeinflusste Arbeitsbedingungen gewährt. Die Arbeit in freien Exportzonen wird nur wenig thematisiert und somit füllt diese Arbeit eine bestehende Lücke in der Wissenschaft. Insofern lohnt sich dieses Werk für all jene LeserInnen, die sich mit der (rechtlichen, politischen und praktischen) Komplexität internationaler AN- und AG-Mobilität auseinander setzen wollen. Als besonders positiv zu bewerten ist die Tatsache, dass die Autorin einen Problembereich anschneidet, den viele WissenschaftlerInnen meiden, nämlich die Durchsetzung von Arbeitsbedingungen in einem grenzüberschreitenden Kontext, ein Thema, welches auch in der EU durch die Durchsetzungsrichtlinien 2014/54/EG (AN-Freizügigkeit) und 2014/67/EG (AN-Entsendung) eine prominentere Rolle bekommen hat.