Kietaibl/Resch (Hrsg)Krankenstand und Wiedereingliederung

Verlag des ÖGB, Wien 2017, 104 Seiten, kartoniert, € 24,90

BIRGITSCHRATTBAUER (SALZBURG)

Fragen zum Krankenstand und zur Wiedereingliederung von AN nach langer krankheitsbedingter Abwesenheit sind in der betrieblichen Praxis ein stets aktuelles Thema. Seit 1.7.2017 steht langzeiterkrankten AN und deren AG mit dem Instrument der Wiedereingliederungsteilzeit erstmals eine mittels sozialversicherungsrechtlicher Leistungen gestützte Möglichkeit für eine schrittweise Rückkehr an den Arbeitsplatz nach Beendigung des Krankenstandes zur Verfügung. Diese sozialpolitische Neuerung war Anlass für zahlreiche einschlägige Informations- und Diskussionsveranstaltungen rund um das Datum des Inkrafttretens des Wiedereingliederungsteilzeitgesetzes. Ua war auch das im Juni 2017 von der Arbeiterkammer Kärnten und dem Institut für Rechtswissenschaft der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt veranstaltete 38. Praktikerseminar an der Universität Klagenfurt dem Thema Krankenstand und Wiedereingliederung gewidmet.

Die drei im nun vorliegenden, von Christoph Kietaibl und Reinhard Resch herausgegebenen Tagungsband versammelten Aufsätze nähern sich der Thematik aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Im Mittelpunkt des ersten Beitrags von Barbara Fördermayr stehen die – zum Zeitpunkt der Veranstaltung noch brandneuen – Regelungen zur Wiedereingliederungsteilzeit. Födermayr gibt in erster Linie – den Erwartungen an ein Praktikerseminar entsprechend – einen kompakten Überblick über die im Detail durchaus komplexen arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen, sie weist aber auch auf einige ungeklärte Rechtsfragen hin. In der zwischenzeitig bereits breiter diskutierten Frage der Notwendigkeit eines unmittelbaren Anschlusses der Wiedereingliederungsteilzeit an den zumindest sechswöchigen Anlasskrankenstand kommt Födermayr – wie die ganz überwiegende Mehrheit der AutorInnen, die sich bislang mit dieser Frage auseinandergesetzt haben – zum Ergebnis, dass diese (im Wesentlichen vom Sozialministerium vertretene und dem Vernehmen nach durch die Verwaltung umgesetzte) Auslegung mit dem Normzweck der Regelungen kaum vereinbar ist. Da-rüber hinaus beschäftigt sich Födermayr mit der Frage, ob die auf ersten Blick nur sehr schwach ausgeprägte Mitwirkung des BR bei der Ausverhandlung der Wiedereingliederungsvereinbarung – vorgesehen ist bloß eine sanktionslose Verpflichtung zur Beiziehung des BR zu den Verhandlungen – nicht dadurch verstärkt wird, dass bei Vereinbarung einer Wiedereingliederungsteilzeit im Regelfall auch der betriebsverfassungsrechtliche Versetzungsschutz des § 101 ArbVG zum Tragen kommen wird. Selbst wenn man nicht so weit gehen möchte wie die Autorin, die erwägt, schon die bloße Reduktion der Arbeitszeit unter den Begriff der „Einreihung auf einen anderen Arbeitsplatz“ iSd § 101 Abs 1 ArbVG zu subsumieren, ist diese Überlegung wohl jedenfalls für länger als 13 Wochen geplante und mit einer (wenngleich arbeitsvertraglich gedeckten) Änderung des Tätigkeitsbereiches verbundene Wiedereingliederungsteilzeit relevant, da mit ihr immer eine (durch den Anspruch auf Wiedereingliederungsgeld nur abgemilderte) Entgeltverschlechterung verbunden ist. Über diesen Weg könnte also der BR in vielen Fällen eine doch deutlich stärkere Rolle bei der Vereinbarung einer Wiedereingliederungsteilzeit für sich in Anspruch nehmen.

Der zweite Beitrag zu „Verhaltenspflichten des Arbeitnehmers im Krankenstand“ von Michael Friedrich fokussiert primär auf die Informations- und Nachweispflichten des AN im Zuge der Krankschreibung sowie auf die Konsequenzen eines Fehlverhaltens des AN im Krankenstand. Friedrich fasst einerseits in knapper Form die wesentlichen Linien der höchstgerichtlichen Rsp zu diesen Fragen zusammen und übt darüber hinaus Kritik an der bestehenden Rechtslage, und zwar insb im Hinblick auf die fehlenden Kontrollmöglichkeiten des AG die ärztlichen Krankschreibung betreffend sowie auf den nach österreichischem Recht unzulässigen Teilkrankenstand. Hier argumentiert Friedrich vor allem damit, dass eine teilweise Krankschreibung durchaus auch im Interesse des AN liegen könne, was gewiss nicht unrichtig ist; wie eine Eingrenzung auf Teilkrankenstände im Interesse des AN in der Praxis realisiert werden könnte, lässt er allerdings offen. Darüber hinaus wäre in diesem Zusammenhang auch eine (durchaus kritische) Auseinandersetzung mit den Gegenargumenten zur Ermöglichung eines Teilkrankenstandes wünschenswert gewesen – auch diese sind ja in der Literatur bereits hinreichend aufbereitet. Verwunderung löst auf den ersten Blick die fehlende Befassung mit dem in den Medien vielbeachteten Urteil des OGH zur Frage der verpflichtenden Erreichbarkeit des AN im Krankenstand (OGH 26.11.2013, 9 ObA 115/13x) aus, das man in einem Aufsatz zu Verhaltenspflichten des AN im Krankenstand jedenfalls erwarten würde. Dieser Umstand ist aber ganz offensichtlich der Abgrenzung der drei im Rahmen des Praktikerseminars abgehaltenen Vorträge geschuldet und nicht dem Autor zuzurechnen, da dem Judikat bzw der dahinterstehenden Problematik ein eigenständiges Kapitel im letzten Beitrag mit dem Titel „Fallen und Tücken bei Arbeit trotz Krankenstands“ von Diana Niksova von der Universität Wien gewidmet ist.

In diesem letzten und umfangreichsten Aufsatz des vorliegenden Sammelbandes geht Niksova zwei sehr unterschiedlichen Fragestellungen nach, indem sie sich einerseits verschiedenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit Arbeit trotz Krankenstandes auf Wunsch des AN widmet und andererseits die Grenzen einer sich möglicherweise aus der Treuepflicht ergebenden Arbeitspflicht des AN im Krankenstand auslotet. Sozialwissenschaftliche Studien legen nach den einleitenden Ausführungen der Autorin nahe, dass das Phänomen des sogenannten „Präsentismus“, also des Weiterarbeitens trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung, die einen97Krankenstand rechtfertigen würde, wohl mindestens genauso ernst zu nehmen bzw sogar mit größeren (auch volkswirtschaftlichen) Nachteilen und Gefahren verbunden ist als die in der öffentlichen Wahrnehmung ungleich stärker präsente Thematik des Krankenstandsmissbrauchs. Niksova zeigt auf, dass mit der Problematik des Präsentismus aber auch spannende rechtliche Fragen verknüpft sind: Ist etwa der AG zur Entgeltfortzahlung gem § 1155 ABGB verpflichtet, wenn er die Annahme der vom objektiv noch arbeitsunfähigen AN angebotenen Arbeitsleistung verweigert? Oder gebietet umgekehrt die Fürsorgepflicht des AG diesem nicht sogar die Ablehnung der angebotenen Leistung bzw die Abhaltung des AN von der Arbeit? In welchen Konstellationen ist der Unfall eines vorzeitig an den Arbeitsplatz zurückgekehrten und dann verunfallten AN als Arbeitsunfall zu werten? Niksova geht bei der Lösung dieser und anderer Rechtsfragen systematisch ans Werk und greift in ihren Überlegungen (ua zu der von ihr bejahten, aus der Fürsorgepflicht abgeleiteten Pflicht des AG, den AN vor Selbstausbeutung, also letztlich vor sich selbst zu schützen) auch auf Lehre und Rsp aus Deutschland zurück. Unter dem Strich kommt sie zum Ergebnis, dass der Einsatz von AN trotz Krankenstands sowohl für den betroffenen AN als auch für dessen AG mit zahlreichen Risiken behaftet ist. In der anschließenden Analyse des bereits angesprochenen OGH-Urteils zur Frage, ob und in welchem Ausmaß der AN dem AG auch im Krankenstand für eine Kontaktaufnahme bzw für bestimmte Tätigkeiten zur Verfügung zu stehen hat, schließt sich Niksova mit ausführlicher Begründung den Erwägungen des OGH an, und zwar sowohl was die Notwendigkeit einer Interessenabwägung angeht als auch hinsichtlich der vom OGH sehr restriktiv gefassten Anforderungen an ein überwiegendes Interesse des AG an der Kontaktaufnahme im Krankenstand. Niksova weist abschließend darauf hin – und damit schließt sich der Kreis zum ersten Aufsatz des Tagungsbandes –, dass eine totale „Kontaktsperre“ im Krankenstand des AN auch vor dem Hintergrund der neuen Regelungen zur Wiedereingliederungsteilzeit kaum vertretbar wäre, da die Gespräche und Verhandlungen zur Vereinbarung einer Wiedereingliederungsteilzeit nach dem gesetzlichen Konzept bzw nach den Gesetzesmaterialien ausdrücklich bereits im Krankenstand aufgenommen werden können.

In Summe bietet der vorliegende Sammelband einen guten Überblick über die aktuelle Rechtslage und Rsp zu einigen zentralen Fragen betreffend Krankenstand und Wiedereingliederung und regt – insb mit dem letzten Beitrag – auch zum Nachdenken über weiterführende, von den Gerichten noch nicht abschließend geklärte Probleme an.