EDITORIAL
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Keimzelle der Europäischen Union ist die Idee der Errichtung eines gemeinsamen Binnenmarktes, auf dem nicht nur Waren, Dienstleistungen und Kapital unbeschränkt ausgetauscht, gehandelt und angelegt werden, sondern auf dem auch AN ihre Arbeitskraft frei anbieten können. Das setzt freilich den Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt und den Abbau bestehender Schranken voraus. Das Vehikel dafür bildet die AN-Freizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit im Wege der Entsendung von MitarbeiterInnen. Beide Grundfreiheiten dienen der Mobilität von AN. Im Laufe der Zeit wurde flankierend eine Reihe von Regelungen erlassen, welche die AN-Freizügigkeit weiter fördern sollten. Ein Meilenstein war in diesem Zusammenhang die Freizügigkeits-VO 1612/68, die Wander-AN erstmals explizit die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie inländischen AN einräumte. Die Effektivität dieses Gleichbehandlungsanspruches hat vor allem der EuGH forciert. Auch wenn bereits früh erkennbar war, dass dies nicht ohne Folgen für die nationalen Arbeitsmärkte und die dort Beschäftigten bleiben kann, und dem vereinzelt, wie bei der Entsendung, auch Rechnung getragen wurde, änderte dies dennoch nichts daran, dass die Etablierung eines unionsweiten Binnenmarkts für Arbeitskräfte als Motor für steigendes Wirtschaftswachstum die längste Zeit nicht in Frage gestellt wurde.
Das hat sich allerdings in den letzten Jahren geändert. Nicht zuletzt vor dem Eindruck der europäischen Banken- und Wirtschaftskrise werden zunehmend die negativen Effekte der AN-Freizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit wahrgenommen. Viele Mitgliedstaaten sehen darin ein Instrument unfairen Wettbewerbs oder zumindest eine Gefahr für die nationalen Arbeitsmärkte. Das Vereinigte Königreich ist sogar so weit gegangen, seinen Verbleib in der EU von einer Änderung der bestehenden Regeln zur Freizügigkeit abhängig zu machen. Dazu ist es nicht gekommen, da sich eine Mehrheit für den „Brexit“ entschieden hat. Die Diskussion ist dadurch aber nicht beendet worden. Auch andere Mitgliedstaaten, darunter Österreich, fordern weiterhin Änderungen. Erste Schritte in diese Richtung wurden mit der Überarbeitung der Entsende-RL und dem Kommissionsvorschlag zur Änderung der VO zur Koordinierung der Sozialen Sicherheit gesetzt. Gleichzeitig werden auf nationaler Ebene Fakten geschaffen, in dem die Mitgliedstaaten konkrete Maßnahmen gegen unerwünschte Effekte der Freizügigkeit und der Entsendung von AN erlassen. Gerade in Österreich gibt es dafür eine Reihe an Beispielen.
50 Jahre nach dem Inkrafttreten der Freizügigkeits-VO ist also die Zukunft der AN-Freizügigkeit keineswegs mehr gewiss. Aus diesem Grund fand am 16. und 17.11.2018 an der Universität Salzburg eine wissenschaftliche Tagung – veranstaltet vom Europäischen Forschungsnetzwerk MoveS, dem Fachbereich Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität Salzburg sowie der Arbeiterkammer Wien – statt, die sich aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Disziplinen den vielfältigen Problemfeldern der AN-Freizügigkeit und des Entsenderechts, sowohl aus europäischer als auch aus nationaler Sicht, gewidmet hat. Mit dem vorliegenden Schwerpunktheft sollen die juristischen Referate dieser Tagung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Damit wollen wir einen Beitrag zum besseren Verständnis der aktuellen Diskussion leisten.103