17Zur Berücksichtigung von Fahrtkosten des privaten PKW bei der Zumutbarkeitsprüfung
Zur Berücksichtigung von Fahrtkosten des privaten PKW bei der Zumutbarkeitsprüfung
Bei einer möglichen Arbeitszeit von vier Stunden täglich (oder zwanzig Stunden wöchentlich) ist davon auszugehen, dass die gesetzliche Lohnhälfte erzielt werden kann.
Die – von der rein abstrakten Prüfung abweichende – Zumutbarkeitsprüfung im Einzelfall stellt ein Korrektiv dar, das eine Berücksichtigung verschiedener vom gesundheitlichen Befinden unabhängiger Umstände erlaubt und einen unzumutbaren Einkommensverlust verhindern soll.
Bei Versicherten, die nur mehr Teilzeitarbeit verrichten können, ist die Frage, ob ein Pendeln zum Arbeitsplatz zumutbar oder unzumutbar ist, immer nur bezogen auf die konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilbar.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Frage, ob die aus der täglichen Verwendung eines privaten Kraftfahrzeugs resultierenden Fahrtkosten zum Arbeitsplatz bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer nur in Teilzeit möglichen Verweisungstätigkeit zu berücksichtigen sind.
Die 1963 geborene Kl hat keinen Beruf erlernt. Sie wohnt im Mühlviertel in einer Gemeinde, in der AN wegen der Abgelegenheit des Wohnorts vorwiegend und in der Regel den eigenen PKW für die Fahrt zum Arbeitsplatz benützen. Aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen ist die Kl nur noch in der Lage, zu einem Drittel der Arbeitszeit leichte Hebe- und Trageleistungen im Stehen, Gehen oder Sitzen zu erbringen, wobei zahlreiche weitere Einschränkungen bestehen. Aus diesen ist hervorzuheben, dass die tägliche Arbeitszeit vier Stunden und die wöchentliche Arbeitszeit zwanzig Stunden nicht überschreiten darf. Eine Verlegung des Wohnsitzes sowie Wochenpendeln ist aus medizinischen Gründen nicht möglich. Ein öffentliches Verkehrsmittel kann benutzt werden. [...] Am in Frage kommenden regionalen Arbeitsmarkt sind weniger als 30 freie oder besetzte Arbeitsplätze dieser Art verfügbar. Die Kl verfügt über einen Führerschein für PKW und besitzt einen PKW. Sie ist gesundheitlich in der Lage, den PKW von ihrem Wohnort nach Linz und auch im Stadtverkehr in Linz zu lenken. Unter Zuhilfenahme des PKWs kann sie den Ballungsraum Linz in weniger als einer Stunde erreichen, wo ihr mehr als 30 freie oder besetzte kalkülsentsprechende Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Das bei Teilzeitbeschäftigung (vier Stunden täglich) maximal erzielbare Bruttoeinkommen in den der Kl offen stehenden Verweisungsberufen beträgt 883 € monatlich. Die Kosten der täglichen Fahrten mit einem Privat-PKW zwischen dem Wohnort der Kl und der Landeshauptstadt Linz betragen etwa 520 € monatlich. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist die Stadt Linz vom Wohnort der Kl nicht innerhalb einer Stunde erreichbar. [...]
Das Erstgericht wies die Klage auf Invaliditätspension, in eventu auf berufliche Rehabilitationsmaßnahmen und Übergangsgeld ab. [...] Die Benützung des Privat-PKWs für die Fahrt von ihrem Wohnort zu einem Arbeitsplatz im Ballungsraum Linz sei zumutbar, weil wegen der Abgelegenheit des Wohnorts die überwiegende Anzahl von dort ansässigen Arbeitskräften ihre eigenen Kraftfahrzeuge für die Zurücklegung des Weges zur Arbeit nutzen („Pendlergemeinde“). [...]
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl nicht Folge und ließ die Revision mit der Begründung zu, es fehle Rsp des OGH zur Frage, ob bei Versicherten mit abgelegenen Wohnorten die aus der Verwendung des privaten Kraftfahrzeugs resultierenden Kosten bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer nur in Teilzeit möglichen Verweisungstätigkeit zu berücksichtigen seien. [...]
Die Revision der Kl ist zur Klarstellung zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt [...].
Rechtliche Beurteilung
[...]
1.1 In § 255 Abs 3 ASVG und § 273 Abs 2 ASVG wird hinsichtlich der Verweisbarkeit eines Versicherten auf die „Lohnhälfte“ abgestellt, also darauf, ob ein Versicherter in der Lage ist, zumindest die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter in der Normalarbeitszeit regelmäßig zu erzielen pflegt („Durchschnittsverdienst“).
1.2 Auch die Verweisung eines vollzeitig beschäftigt gewesenen Versicherten auf eine Teilzeitarbeit setzt demnach voraus, dass er wenigstens die Hälfte des Entgelts eines gesunden Vollzeitbeschäftigten erzielen kann (RIS-Justiz RS0084587).159
1.3 [...] Nach der Rsp ist jedenfalls bei einer möglichen Arbeitszeit von vier Stunden täglich (oder zwanzig Stunden wöchentlich) davon auszugehen, dass die gesetzliche Lohnhälfte erzielt werden kann (10 ObS 89/07x; 10 ObS 22/03p, SSV-NF 17/30; Födermayr in SV-Komm [139. Lfg] § 255 ASVG Rz 48). In den entsprechenden Kollektivverträgen wird oftmals auf Stundenlöhne abgestellt; überdies werden Teilzeitbeschäftigte von verschiedenen nationalen und unionsrechtlichen Bestimmungen im Arbeitsrecht vor einer unzulässigen Benachteiligung gegenüber Vollzeitbeschäftigten geschützt (10 ObS 48/14b, SSV-NF 28/27).
2. Im vorliegenden Fall ist die der Kl mögliche Tagesarbeitszeit mit vier Stunden begrenzt. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, bei einem Bruttoeinkommen in Höhe von maximal 883 € monatlich sei die Kl imstande, 50 % jenes Lohns zu verdienen, den eine gesunde Versicherte im Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung in den möglichen Verweisungsberufen üblicherweise erzielen kann, wird in der Revision nicht in Zweifel gezogen.
3. Zur Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes:
Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nach dem ASVG ist auch dann eingetreten, wenn der Versicherte (aus medizinischen Gründen) nicht mehr imstande ist, in zumutbarer Weise einen Arbeitsplatz zu erreichen. Ob diese Voraussetzung besteht, ist eine Rechtsfrage, die ausgehend von den Tatsachenfeststellungen über die körperlichen und geistigen Einschränkungen des Versicherten zu klären ist. [...] Nach der Rsp ist ein Versicherter so lange nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, als er ohne wesentliche Einschränkungen ein öffentliches Verkehrsmittel benützen und vorher sowie nachher ohne zumutbare Pausen eine Wegstrecke von jeweils 500 m zurücklegen kann (RIS-Justiz RS0085049). Auch dass die Kl – mit den im Einzelnen festgestellten Einschränkungen – gesundheitlich in der Lage ist, diesen durchschnittlichen Anforderungen hinsichtlich der Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen nachzukommen, steht nicht in Frage.
4. Strittig ist aber, ob die Kl aufgrund ihres abgelegenen Wohnorts imstande ist, in zumutbarer Weise einen adäquaten Arbeitsplatz zu erreichen bzw die aus der Zurücklegung des Arbeitsweges resultierenden Fahrtkosten bei Benutzung des privaten PKWs von monatlich 520 € – an welche Feststellung der OGH gebunden ist – die Ausübung einer Teilzeitbeschäftigung unzumutbar machen.
4.1 Bei Beurteilung dieser Frage kommt es grundsätzlich nicht auf die Verhältnisse am Wohnort des Versicherten, sondern auf die Verhältnisse am allgemeinen Arbeitsmarkt an, weil der Versicherte sonst durch die Wahl seines Wohnorts die Voraus setzungen für die Gewährung einer Pension beeinflussen könnte. Ein abgelegener Wohnort des Versicherten hat als persönliches Moment ebenso wie andere persönliche Umstände – wie etwa die mangelhafte Beherrschung der Landessprache oder die Erziehung von Kindern – bei der Beurteilung der geminderten Arbeitsfähigkeit grundsätzlich außer Betracht zu bleiben (RISJustiz RS0085017, RS0084871). Sofern nicht medizinische Gründe einer Wohnsitzverlegung oder dem Pendeln entgegenstehen, hat der Versicherte daher durch entsprechende Wahl seines Wohnorts, allenfalls Wochenpendeln, die Bedingungen für die Erreichung des Arbeitsplatzes herzustellen, die für AN im Allgemeinen gegeben sind (RIS-Justiz RS0085017 [T7]). Diese Grundsätze gelten in der Regel auch für die Verweisung auf Teilzeitarbeitsplätze (RIS-Justiz RS0085017 [T8]).
4.2 Nach den Feststellungen ist der Kl das Verlegen ihres Wohnsitzes aus medizinischen Gründen nicht mehr möglich. Ihr ist nur Tagespendeln, nicht aber auch Wochenpendeln und Übersiedeln zumutbar. Es ist daher nicht von ihr zu verlangen, durch entsprechende Wahl ihres Wohnorts oder Wochenpendeln die Bedingungen für die Erreichung des Arbeitsplatzes herzustellen, die für AN im Allgemeinen gegeben sind.
5.1 Die – von der rein abstrakten Prüfung abweichende – Zumutbarkeitsprüfung im Einzelfall stellt ein Korrektiv dar, das eine Berücksichtigung verschiedener vom gesundheitlichen Befinden unabhängiger Umstände erlaubt und einen unzumutbaren Einkommensverlust verhindern soll. Das Zumutbarkeitskriterium findet sich in § 255 Abs 3 ASVG („... unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeit zugemutet werden kann ...“). So ist bei Versicherten, die nur mehr Teilzeitarbeit verrichten können, die Frage, ob zur Erreichung eines entsprechenden Arbeitsplatzes ein Pendeln zum Arbeitsplatz zumutbar oder unzumutbar ist, immer nur bezogen auf die konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilbar (RIS-Justiz RS0085027). Im Einzelfall ist auch nicht auszuschließen, dass wegen des durch die Teilzeitbeschäftigung erzielbaren geringen Lohns eine Wohnsitzverlegung oder ein Wochenpendeln nicht zumutbar sein kann (10 ObS 72/10a, SSV-NF 24/41).
Entscheidend ist, ob nach den Feststellungen im Umkreis der dem Versicherten möglichen Gehstrecke oder in dem durch die Benützbarkeit eines Massenverkehrsmittels erweiterten Umkreis eine entsprechende Zahl von adäquaten Arbeitsplätzen zur Verfügung steht (RIS-Justiz RS0084994), wobei zum Schutz vor unrealistischen Verweisungen grundsätzlich zumindest 100 Arbeitsplätze vorhanden sein müssen (Födermayer, Grundsatz der abstrakten Prüfung der Voraussetzungen für die Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, JAS 2017, 285 [291 f]).
5.2 Zum regionalen Arbeitsmarkt:
Steht einem Pensionswerber nur der regionale Arbeitsmarkt offen, müssen auf dem von ihm erreichbaren Teilarbeitsmarkt nach der Rsp nicht mindestens 100 für ihn geeignete Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, sondern genügt es, wenn es in der betreffenden Region für zumutbare Verweisungstätigkeiten eine solche Zahl von offenen oder besetzten Stellen gibt, die die Annahme rechtfertigen, dass ein Arbeitsfähiger einen solchen Arbeitsplatz auch erlangen kann (RIS-Justiz RS0084415). Die Grenze wird von der Rsp bei etwa 30 Arbeitsplätzen gezogen (10 ObS 51/08k, EvBl 2009/39, 268 [Hutter] = SSV-NF 22/55; RIS-Justiz RS0084415 [T9]).160
5.3 Da feststeht, dass auf dem für die Kl mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbaren regionalen Arbeitsmarkt (in Rohrbach und Bad Leonfelden) weniger als 30 kalkülsgerechte Teilzeitarbeitsplätze zur Verfügung stehen, ist sie auf den Arbeitsmarkt im Ballungsraum Linz angewiesen, wo mehr als 100 derartige Arbeitsplätze vorhanden sind. [...]
6. Zur Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes mit dem Privat-PKW:
Nach stRsp ist ein Versicherter, der nicht in der Lage ist, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen, grundsätzlich nicht verpflichtet, den Weg zum Arbeitsplatz mit dem eigenen Kraftfahrzeug zurückzulegen (RIS-Justiz RS0085083). Ist der Wohnort des Versicherten abgelegen und daher durch öffentliche Verkehrsmittel kaum oder schlecht erschlossen, sodass die Wege zum und vom Arbeitsplatz bzw zum und vom nächsten öffentlichen Verkehrsmittel üblicherweise mit dem privaten Fahrzeug zurückgelegt werden, ist aber dennoch zu berücksichtigen, ob der Versicherte die Wege zwischen seiner Wohnung und der Arbeitsstätte – gegebenenfalls auch zur Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels – in zumutbarer Weise mit einem privaten Fahrzeug zurücklegen kann (RIS-Justiz RS0084907; RS0085083 [T1]). Maßgebliches Kriterium zur Beurteilung der Zumutbarkeit der Benutzung eines privaten PKWs ist, ob in einer bestimmten Wohngegend üblicherweise die Wege zum oder vom Arbeitsplatz bzw zum oder vom nächsten öffentlichen Verkehrsmittel mit dem privaten Fahrzeug zurückgelegt werden (10 ObS 145/14t, SSV-NF 28/77). [...]
7.2 [...] Ob bei der persönlichen Lebensplanung auch die Kosten des Tagespendelns mit dem privaten Kraftfahrzeug mit einkalkuliert (und allenfalls mit anderen Lebenshaltungskosten – wie etwa geringeren Wohnkosten – abgewogen) werden, hat [...] ohne Bedeutung zu bleiben.
8.1 Diese Rsp trifft auch auf die in einer „Pendlergemeinde“ lebende Kl zu, die über einen eigenen Pkw und einen Führerschein verfügt und gesundheitlich in der Lage ist, die tägliche Fahrt von ihrem Wohnort zu einem im Ballungsraum Linz gelegenen Arbeitsplatz zurückzulegen.
8.2 Gleichzeitig ist aber zu berücksichtigen, dass die Kl nicht aus medizinischen Gründen daran gehindert ist, öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch zu nehmen. Wie das Berufungsgericht ausführt, wäre es ihr zumutbar, den Ballungsraum Linz durch eine Kombination von Privat-PKW und öffentlichem Verkehrsmittel zu erreichen, etwa die Fahrt von ihrem Wohnort nach Bad Leonfelden mit dem ihr zur Verfügung stehenden Privat-PKW zurückzulegen und von dort den öffentlichen Bus nach Linz zu benutzen. [...] Ist sie aber in der Lage, die Arbeitswege mittels Kombination von Privat-PKW und öffentlichem Verkehrsmittel zurückzulegen, ist davon auszugehen, dass die Fahrtkosten weitaus geringer sind als diejenigen, die vom Erstgericht im Fall der ausschließlichen Benutzung des Privat-PKW (mit 520 € monatlich) festgestellt wurden.
9.1 Die Ansicht des Berufungsgerichts, die von der Kl – bei zumutbarer Kombination von Privat-PKW und öffentlichen Verkehrsmittel – zu tragenden Fahrtkosten seien ihrer persönlichen Lebensführung zuzurechnen und hätten bei der Beurteilung der Zumutbarkeit nach § 255 Abs 3 ASVG außer Betracht zu bleiben, begegnet somit keinen Bedenken. Auch im vorliegenden Fall ist an dem Grundsatz festzuhalten, dass der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nicht von rein persönlichen Umständen, wie etwa dem Wohnort, abhängig sein soll, um eine Ungleichbehandlung von Versicherten zu vermeiden.
9.2 Aus der E 10 ObS 72/10a, SSV-NF 24/41, ist für die Kl kein günstigeres Ergebnis ableitbar. In dieser E wurde die Verlegung des Wohnsitzes und das Auspendeln (Wochenpendeln) im Zusammenspiel zwischen der etwa 50 km weiten Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort und dem aus einer Teilzeitbeschäftigung erzielbaren Monatseinkommen (inklusive Sonderzahlungen) von nur 584,19 € bis maximal 610 € (also einem Einkommen weit unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG) als unzumutbar angesehen.
Demgegenüber ist der vorliegende Sachverhalt dadurch charakterisiert, dass die Kl in der Lage ist, beim Tagespendeln ein über dem Ausgleichszulagenrichtsatz („sozialrechtliches Mindesteinkommen“) liegendes Monatseinkommen zu erzielen (10 ObS 34/15w, SSV-NF 29/24). Aus diesem können zumutbarerweise die Lebenshaltungskosten – darunter auch die durch die Arbeitswege entstehenden Fahrtkosten – abgedeckt werden.
Die Revision bleibt daher erfolglos. [...]
Die vorliegende E bringt beim ersten Lesen keine großen Überraschungen, reiht sie sich doch in eine Judikaturkette bestehender Entscheidungen ein. Doch gerade die konkrete Kombination zahlreicher Begründungselemente im Zusammenhang mit der Frage der Verweisbarkeit lohnt einen zweiten Blick.
Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit in der PV bei Versicherten, die nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig waren, tritt (nur) ein, wenn durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die unter billiger Berücksichtigung der ausgeübten Tätigkeiten zumutbar ist, die Lohnhälfte nicht erworben werden kann (§ 255 Abs 3 ASVG). Nach stRsp und Lehre hat die Prüfung der Verweisbarkeit abstrakt in dem Sinn zu erfolgen, dass persönliche Momente, wie zB die Lage des Wohnorts, die familiäre Situation oder die tatsächliche Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt, für die Beurteilung der Invalidität ohne Belang sind (Neumayr, ZAS 2003/34). Die Frage, ob ein Versicherter gemindert arbeitsfähig iSd Norm ist, wird auf der medizinischen Ebene (dh in der Frage, inwieweit die Arbeitsfähigkeit bereits ein-161geschränkt ist) konkret, auf der Verweisungsebene hingegen aufgrund von der Rsp entwickelten Grundsätzen abstrakt geprüft (Födermayr/Resch in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 255 ASVG [Stand 15.11.2017], rdb.at mit weiteren Verweisen). Diese Judikatur, die bei betroffenen Versicherten kaum auf Verständnis stößt, ermöglicht eine Risikoabgrenzung zwischen PV auf der einen Seite und AlV auf der anderen Seite. Gerade bei Versicherten ohne Berufsschutz bietet der Gesetzgeber in § 255 Abs 3 ASVG betreffend die Verweisbarkeit mit der Formulierung „die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann
“ eine Grenze, die schwer greifbar ist und in der Rsp kaum eine Bedeutung hat(te). Nach Tomandl (Die Verweisung im Sozialrecht [2002] 5 f) stellt die Zumutbarkeitsprüfung im Einzelfall ein Korrektiv dar, das eine Berücksichtigung verschiedener vom gesundheitlichen Befinden unabhängiger Umstände erlaubt. Enzlberger (Entscheidungsanmerkung zu OGH10 ObS 78/95
Der OGH hat bereits in der E vom 10.12.1991, 10 ObS 344/91, ausgesprochen, dass die Verweisung eines bisher Teilzeitbeschäftigten auf Teilzeitarbeit möglich ist (RS0085100); nur wenn in einer bestimmten Branche Teilzeitarbeit noch nicht heimisch geworden sei oder eben mit Teilzeitarbeit die Lohnhälfte nicht erreicht werden könne, sei die Verweisung nicht zulässig. Zwei Jahre später wurde auch die Zulässigkeit der Verweisung eines ursprünglich Vollzeitbeschäftigten auf Teilzeitarbeit bejaht (OGH 21.12.1993, 10 ObS 56/93, RS0084587 mit Verweis auf zahleiche weitere Entscheidungen). In den meisten Judikaten geht es um die Verweisbarkeit von ungelernten Versicherten; aber auch bei einer Filialleiterin in der Beschäftigungsgruppe 4, die auf die Tätigkeit der Beschäftigungsgruppe 3 (Sachbearbeitung, Rechnungsprüfung) verwiesen wird, betont der OGH, dass die Höhe desjenigen Erwerbseinkommens, das der Versicherte mit seinem eingeschränkten Leistungskalkül durch eine Halbtagsbeschäftigung in den Verweisungsberufen – einschließlich Sonderzahlungen und anderen regelmäßigen Gehaltsbestandteilen – konkret erreichen kann, maßgeblich ist (OGH 28.4.2015, 10 ObS 34/15w). Im hier zu besprechenden Fall kann die Kl nur mehr vier Stunden täglich und nur mehr zwanzig Stunden in der Woche arbeiten. Entsprechend der zitierten Rsp wird davon ausgegangen, dass die gesetzliche Lohnhälfte erzielt werden kann. Wie in zahlreichen bisherigen Entscheidungen wird ohne weitere Prüfung angenommen, dass Teilzeit in Österreich in allen Branchen heimisch ist – jedenfalls wird soweit ersichtlich diese Tatsache vor dem OGH nicht mehr releviert. Im konkreten Fall kann die Kl jedenfalls nach den Feststellungen maximal brutto € 883,– im Monat an Einkommen erzielen.
Die Rsp misst das Verweisungsfeld und die Anforderungen, die mit der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit auch bezüglich der Erreichung des Arbeitsplatzes verbunden sind, an den Verhältnissen des gesamten österreichischen Arbeitsmarktes (Neumayr, ZAS 2003/34). Die Lage des Wohnortes als privates Moment spielt grundsätzlich keine Rolle, entscheidend ist der allgemeine Arbeitsmarkt, weil sonst der Versicherte durch die Wahl seines Wohnorts die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pension beeinflussen könnte. In einer E vom 23.5.2018, 10 ObS 47/18m, bringt der OGH das zuletzt noch einmal deutlich zum Ausdruck – der ursprünglich ihn Wien wohnhafte Kl war nach Geras im Waldviertel verzogen, von wo aus er einen zumutbaren Arbeitsplatz nicht mehr erreichen konnte (weder mittels Tagespendelns nach Wien noch auf dem regionalen Arbeitsmarkt). Der Kl führte die weitaus niedrigeren Wohnkosten im Waldviertel ins Treffen, was im Verfahren wegen Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension erfolglos blieb (RS0084871, RS0085017).
Von Bedeutung ist nach der Rsp allerdings, ob der Arbeitsplatz erreichbar ist. Entsprechende Tatsachenfeststellungen (welche Gehstrecke zu Fuß bewältigbar ist, ob trotz medizinischer Einschränkungen ein öffentliches Verkehrsmittel benutzbar ist bzw welche Einschränkungen dabei bestehen) sind als Grundlage zur Beantwortung der Rechtsfrage erforderlich. In der vorliegenden E steht nicht in Frage, dass die Kl ein öffentliches Verkehrsmittel benutzen kann, dass sie vorher sowie nachher ohne unzumutbare Pausen und mit angemessener Geschwindigkeit eine Wegstrecke von jeweils 500 m zurücklegen kann.
Erst wenn der unter Pkt 2.1. dargestellte Anmarschweg und damit die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes nicht mehr möglich ist, stellt sich die Frage einer Wohnsitzverlegung. Nach der stRsp hat der Versicherte durch entsprechende Wahl seines Wohnortes (Wohnsitzverlegung) oder auch Wochenpendeln die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes sicherzustellen (RS0084939; Födermayr/Resch, aaO § 255 Rz 6.1.). Diese Regeln gelten auch für die Verweisung auf Teilzeitarbeitsplätze (OGH 19.11.2013, 10 ObS 168/13y). Nur in Fällen,162 in denen das zu erwartende Einkommen weit unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG (Einzelrichtsatz) liegt, wurde eine Verlegung des Wohnsitzes und ein Wochenpendeln als nicht zumutbar erachtet (ua OGH 1.6.2010, 10 ObS 72/10a). Die familiäre Situation spielt in all diesen Fällen keine Rolle. In Fällen, in denen – wie im vorliegenden – eine Wohnsitzverlegung und Wochenpendeln aus medizinischen Gründen nicht zumutbar ist, ist zu prüfen, ob (statt auf dem allgemeinen) auf dem regionalen Arbeitsmarkt ausreichend geeignete Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Von der Rsp wurden 20 Arbeitsplätze als zu wenig, 40 als jedenfalls ausreichend, je 15 in zwei Verweisungsberufen bzw zumindest 30 in drei Verweisungsberufen als ausreichend beurteilt (RS0084415). In der E 10 ObS 47/13d vom 28.5.2013 fordert der OGH in seinem Aufhebungsbeschluss genaue Feststellungen: Das Erstgericht werde im fortzusetzenden Verfahren zunächst die nicht eindeutige Feststellung, der Kl stehen in den genannten fünf Verweisungstätigkeiten insgesamt „mehr als 40“ Stellen zur Verfügung, iS einer „vonbis Angabe“ zu präzisieren haben. Weiters müsse geklärt werden, wie sich diese Stellen auf die der Kl noch möglichen Verweisungstätigkeiten einer Garderobiere, Eintrittskassiererin, Museumsaufseherin, Platzanweiserin oder Portierin verteilen. Erst danach könne abschließend beurteilt werden, ob der Kl ein ausreichender regionaler Arbeitsmarkt zur Verfügung steht.
Im hier zu besprechenden Sachverhalt sind auf dem regionalen Arbeitsmarkt weniger als 30 kalkülsentsprechende Arbeitsplätze vorhanden, weshalb die Kl auf den Arbeitsmarkt im Ballungsraum Linz angewiesen ist.
Nach der Rsp ist ein Versicherter nicht verpflichtet, seinen privaten PKW zu benutzen (RS0085083). Diese Frage stellt sich primär in Fällen, in denen die Betroffenen aus medizinischer Sicht nicht in der Lage sind, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Bei abgelegenen Wohnorten und schlechter Erschließung mit öffentlichen Verkehrsmitteln, in Gebieten, in denen Wege zum und vom Arbeitsplatz „üblicherweise“ mit privaten Fahrzeugen zurückgelegt werden, ist (auch) zu prüfen, ob der Weg zur Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels in zumutbarer Weise mit einem privaten PKW zurückgelegt werden kann. Als wesentlich wird hier betrachtet, ob auch andere Bewohner üblicherweise diese Vorgangsweise wählen („Pendlergemeinden“). In einem solchen Fall kommt das Kostenargument (Anm: Werden etwa Zuschüsse zum Ankauf eines PKW als Rehabilitationsmaßnahme getragen?) nicht zum Tragen, weil alle Versicherten in vergleichbarer Situation zum Erreichen ihres Arbeitsplatzes auf die Verwendung eines privaten Fahrzeuges angewiesen sind. In einigen Entscheidungen wurde releviert, ob etwa in der Familie ein PKW vorhanden ist (OGH 8.9.2009, 10 ObS 121/09f) oder der Versicherte überhaupt über eine Lenkerberechtigung verfügt oder von Familienangehörigen mitgenommen werden könnte (OGH 28.5.2002, 10 ObS 153/02a). Dies widerspricht der Rsp aber insoweit als die persönliche (familiäre) Situation, die bei Prüfung der Verweisbarkeit keine Rolle spielen soll – dann aber weder zum Vorteil noch zum Nachteil des Versicherten.
In zahlreichen Entscheidungen betont der OGH, dass die Fragen der Zumutbarkeit der Wohnsitzverlegung bzw des Pendelns nur bezogen auf den konkreten Einzelfall beurteilt werden kann (ua OGH 1.6.2010, 10 ObS 72/10a). Wichtig in diesen Fällen sind daher konkrete und vollständige Feststellungen in erster Instanz – insb, weil der OGH häufig eine Revision zurückweist, weil Fragen der Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit in aller Regel keine erheblichen Rechtsfragen gem § 502 Abs 1 ZPO seien, sofern keine auffallende Fehlbeurteilung zu korrigieren sei (RS0021095).
Im vorliegenden Fall hält der OGH die Revision zur Klarstellung der Rechtslage für zulässig, mA gelingt dies nicht völlig. Wenn im Einzelfall wegen des geringen zu erwartenden Einkommens eine Wohnsitzverlegung oder Wochenpendeln bisher als nicht zumutbar betrachtet wurde, müsste Entsprechendes im vorliegenden Fall, in dem aus medizinischen Gründen die Wohnsitzverlegung und Wochenpendeln gar nicht mehr möglich sind, auch gelten. Für die Kl, die nur mehr Teilzeit arbeiten kann und der nur mehr Tagespendeln möglich ist, stehen auf dem regionalen Arbeitsmarkt in Rohrbach und Bad Leonfelden nicht genügend Arbeitsplätze zur Verfügung. Erst im Ballungsraum Linz gibt es genügend Arbeitsplätze. Ist das noch der von der Judikatur angesprochene „regionale“ Arbeitsmarkt? Die Kl kann öffentliche Verkehrsmittel benützen und auch die angesprochene Kombination von Privat-PKW und öffentlichen Verkehrsmitteln nach Linz ist ihr möglich. Hier fehlen Feststellungen, um wieviel länger als mit dem PKW die Fahrzeit damit wäre (offenbar mehr als eine Stunde in eine Richtung); auch konkrete Feststellungen zu den Kosten bei Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder der angedachten Kombinationsvariante (statt der im Urteil diskutierten Kosten des privaten PKW) gibt es nicht. Bei einer aus medizinischen Gründen nur mehr möglichen Arbeitszeit von vier Stunden täglich und einem erzielbaren Einkommen von maximal € 883,– im Monat wäre erst damit eine sinnvolle Zumutbarkeitsprüfung im Einzelfall möglich.
Der E kann somit nicht vorbehaltlos zugestimmt werden. Sie zeigt einmal mehr die Herausforderungen der abstrakten Beurteilung der Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit und der schwierigen Zumutbarkeitsprüfung im Einzelfall als Korrektiv.163